18 Irans König der Könige

In den Jahren 1975 bis 1978 reiste ich häufig in den Iran. Manchmal pendelte ich zwi-
schen Lateinamerika oder Indonesien und Teheran hin und her. Durch den Schah der
Schahs (wörtlich »König der Könige«, sein offizieller Titel) ergab sich im Iran eine
völlig andere Situation als in den Ländern, in denen wir sonst arbeiteten.

 

Der Iran besaß große Ölvorkommen und mußte – wie Saudi-Arabien – keine Kredite
aufnehmen, um seine ehrgeizigen Projekte zu finanzieren. Allerdings unterschied sich
der Iran erheblich von Saudi-Arabien, weil die zahlreichen Einwohner des Landes zwar
überwiegend muslimisch, aber nicht arabisch waren. Das Land blickte außerdem auf ei-
ne lange Geschichte politischer Unruhen zurück, sowohl intern als auch in seinen Be-
ziehungen zu den Nachbarländern. Daher wählten wir im Iran einen anderen Ansatz:
Washington und die Geschäftsleute taten sich zusammen, um aus dem Schah ein Sym-
bol des Fortschritts zu machen.

 

Wir unternahmen enorme Anstrengungen, um der Welt zu zeigen, was ein starker, de-
mokratischer Freund der Amerikaner alles erreichen konnte, wenn er ihre wirtschaftli-
chen und politischen Interessen vertrat. Ungeachtet des eindeutig undemokratischen
Titels von Schah Reza und der weniger offensichtlichen Tatsache, daß sein demokra-
tisch gewählter Vorgänger bei einem von der CIA initiierten Staatsstreich gestürzt wor-
den war, präsentierten Washington und seine europäischen Partner die iranische Regie-
rung unbeirrt als Alternative zu den Regierungen im Irak, in Libyen, China, Korea und
anderen Ländern, in denen starke antiamerikanische Strömungen vorhanden waren oder entstanden.

 

Dem äußeren Anschein nach war der Schah ein progressiver Freund der Unterprivile-
gierten. 1962 ordnete er an, daß große private Ländereien aufgeteilt und an Kleinbauern
abgegeben wurden. Im darauffolgenden Jahr startete er seine Weiße Revolution, die
umfassende sozioökonomische Reformen vorsah. Der Einfluß der OPEC wuchs in den
siebziger Jahren, und der Schah wurde zum international gefragten Politiker. Gleichzei-
tig entwickelte sich der Iran zu einer der stärksten Militärmächte der ganzen Region.44
MAIN war an Projekten im ganzen Land beteiligt, von den Touristengebieten am
Kaspischen Meer im Norden bis zu geheimen Militäreinrichtungen mit Blick auf die
Straße von Hormuz im Süden. Wieder einmal bestand unsere Aufgabe hauptsächlich
darin, regionale Entwicklungspotenziale zu prognostizieren und dann die entsprechen-
den Systeme zur Stromerzeugung, -übermittlung und die Leitungssysteme zu entwik-
keln. Industrie und Handel waren auf den Strom angewiesen, um zu wachsen und so un-
sere Prognosen zu bestätigen.

 

Bei meinen Reisen besuchte ich fast alle wichtigen Regionen des Iran. Ich folgte der
alten Karawanenstraße durch die Wüstengebirge von Kirman nach Bandar ’Abbas und
durchstreifte die Ruinen von Persepolis, den legendären Palast der alten Könige und ei-
nes der Wunder der Antike. Ich bereiste die berühmten und spektakulären Sehenswür-
digkeiten des Landes: Shiraz, Isfahan und die wunderbare Zeltstadt in der Nähe von
Persepolis, in der der Schah gekrönt worden war. Im Lauf der Zeit lernte ich das Land
und seine vielschichtigen Menschen lieben.

 

Oberflächlich betrachtet wirkte der Iran wie ein Musterbeispiel für christlich-
muslimische Zusammenarbeit. Allerdings erfuhr ich schon bald, daß sich hinter einem
friedlichen Erscheinungsbild tiefer Haß verbergen kann. Als ich eines Abends 1977 spät in mein Hotelzimmer kam, fand ich einen Zettel, der wohl unter meiner Tür durchgeschoben worden war. Erschrocken sah ich, daß der Zettel von einem Mann namens Yamin unterschrieben war. Ich hatte ihn nie kennengelernt, aber er war mir bei einem Informationsgespräch der Regierung als berühmter und subversiver Radikaler beschrieben worden. In kunstvoller Schreibschrift und bestem Englisch wurde ich eingeladen, ihn in einem bestimmten Restaurant zu treffen. Allerdings warnte er mich auch: Ich solle nur kommen, wenn ich Interesse hätte, eine Seite des Iran
kennenzulernen, die die meisten Menschen »in meiner Position« nie zu Gesicht bekämen. Ich fragte mich, ob Yamin wußte, welche Position ich eigentlich hatte. Mir war
klar, daß ich ein großes Risiko einging, aber ich konnte der Versuchung nicht widerste-
hen, diesen rätselhaften Mann zu treffen.

 

Mein Taxi setzte mich vor einem winzigen Tor in einer hohen Mauer ab – so hoch, daß
ich das Gebäude dahinter nicht erkennen konnte. Eine schöne Iranerin in einem langen
schwarzen Gewand ließ mich ein und führte mich durch einen Gang. Er wurde von
reich verzierten Öllampen erhellt, die von der niedrigen Decke hingen. Am Ende des
Gangs erreichten wir einen Raum, der wie das Innere eines Diamanten strahlte und mich mit seiner Helligkeit blendete. Als meine Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, sah ich, daß die Wände mit Intarsien aus Halbedelsteinen und Perlmutt geschmückt waren. Das Restaurant wurde von hohen weißen Kerzen beleuchtet, die aus kunstvoll gearbeiteten bronzenen Kerzenhaltern ragten. Ein großer Mann mit langen schwarzen Haaren und einem marineblauen Maßanzug kam auf mich zu und gab mir die Hand. Er stellte sich als Yamin vor, mit einem Akzent, der darauf schließen ließ, daß er ein Iraner war, der auf einer britischen Schule erzogen worden war. Ich war verblüfft, wie wenig er einem subversiven Radikalen ähnelte. Er führte mich an mehreren Tischen vorbei, an denen Pärchen saßen und schweigend aßen, zu einer separaten Nische. Yamin versicherte mir, wir könnten uns hier völlig ungestört unterhalten. Ich begriff, daß das Restaurant auf heimliche Rendezvous eingestellt war. Wahrscheinlich war unsere Verabredung die einzige nicht-amouröse an diesem Abend.Yamin war sehr freundlich. Während unseres Gesprächs wurde deutlich, daß er mich nur für einen Wirtschaftsberater hielt, meine wahren Motive waren ihm nicht bekannt. Er erklärte, er habe mich ausgesucht, weil er wisse, daß ich beim Peace Corps gewesen sei, und man ihm erzählt habe, daß ich jede Gelegenheit nutze, sein Land kennenzulernen und mich mit den Menschen zu unterhalten.

 

»Sie sind sehr jung im Vergleich zu den meisten Ihrer Kollegen«, sagte er. »Sie haben
aufrichtiges Interesse an unserer Geschichte und unseren derzeitigen Problemen. Sie
sind unsere Hoffnung.« Seine Aussage, die Umgebung, sein Auftreten und die Anwesenheit so vieler anderer Gäste im Restaurant beruhigten mich. Ich hatte mich daran gewöhnt, daß die Leute wie Rasy auf Java oder Fidel in Panama meine Freundschaft suchten. Ich verstand es als Kompliment und Chance. Ich wußte, daß ich mich von anderen Amerikanern unterschied, weil mich die Länder, die ich bereiste, stets begeisterten. Ich habe festgestellt, daß die Menschen einen sehr schnell sympathisch finden, wenn man Augen, Ohren und das Herz für ihre Kultur öffnet.

 

Yamin fragte, ob ich vom Projekt Blühende Wüste gehört habe. »Der Schah glaubt,
unsere Wüsten seien einst fruchtbare Ebenen und üppige Wälder gewesen. Zumindest
behauptet er das. Nach seiner Theorie durchzogen unter der Herrschaft von Alexander
dem Großen riesige Heere das Land, begleitet von Millionen Ziegen und Schafen. Die
Tiere weideten die gesamte Vegetation ab. Das Verschwinden der Pflanzen verursachte
eine Dürre, und schließlich verwandelte sich die gesamte Region in eine Wüste. Jetzt
müssen wir, wenn es nach dem Schah geht, nur noch Millionen und Abermillionen
Bäume pflanzen. Und dann – voilá – kehrt der Regen zurück und wird die Wüste zum
Blühen bringen. Natürlich müssen wir bis dahin Hunderte Millionen Dollar ausgeben.«
Er lächelte verächtlich. »Unternehmen wie Ihres werden enorme Profite einstreichen.«



»Ich entnehme Ihren Äußerungen, daß Sie nicht an diese Theorie glauben.«
»Die Wüste ist ein Symbol. Sie fruchtbar zu machen bedeutet weit mehr, als Landwirt-
schaft zu betreiben.« Mehrere Kellner beugten sich mit Tabletts voll von prächtig arrangiertem iranischem Essen über unseren Tisch. Yamin bat mich um mein Einverständnis und traf eine Auswahl. Dann wandte er sich wieder mir zu.
»Eine Frage an Sie, Mr. Perkins, wenn Sie erlauben. Was vernichtete die Kulturen Ihrer
eigenen Ureinwohner, der Indianer? « Ich antwortete, daß es meiner Meinung nach viele Gründe gab, darunter Gier und überlegene Waffen. »Ja. Natürlich. All das. Aber läuft es nicht mehr als alles andere auf die Zerstörung der Umwelt hinaus?« Er erklärte, wie damals die Wälder abgeholzt und Tiere wie der Büffel ausgerottet wurden. Wenn dann die Menschen noch in Reservate umgesiedelt werden, wird die Grundlage ihrer Kultur zerstört. »Sehen Sie, hier ist es genauso«, sagte er. »Die Wüste ist unsere Umwelt. Das Projekt Blühende Wüste bedeutet die Vernichtung unserer gesamten kulturellen Grundlage, nichts anderes. Können wir das zulassen?«

 

Ich sagte ihm, nach meinem Wissen komme die Idee für das Projekt aus dem Volk. Er
lachte höhnisch und erwiderte, die Idee sei dem Schah von meiner eigenen amerikani-
schen Regierung in den Kopf gesetzt worden. Der Schah sei nur eine Marionette Ame-
rikas. »Ein wahrer Perser würde so etwas nie zulassen«, sagte Yamin. Dann hielt er mir einen langen Vortrag über die Beziehung seines Volks zur Wüste. Er betonte, daß sogar viele Iraner aus der Stadt Urlaub in der Wüste machten. Sie stellten Zelte auf, die groß genug für die ganze Familie waren, und lebten darin eine Woche oder länger.
»Wir – mein Volk – sind Teil der Wüste. Die Menschen, die der Schah mit eiserner
Hand behauptet zu regieren, sind nicht nur Menschen der Wüste. Wir sind die Wüste.«
Danach erzählte er mir von seinen persönlichen Erfahrungen in der Wüste. Als der
Abend vorbei war, begleitete er mich zu der winzigen Tür in der hohen Mauer. Mein
Taxi wartete draußen auf der Straße. Yamin schüttelte mir die Hand und dankte mir, daß
ich ihm meine Zeit gewidmet hatte. Wieder erwähnte er, daß ich noch jung und offen
sei. Die Tatsache, daß ich eine solche Position bekleide, gebe ihm Hoffnung für die Zukunft.

 

»Ich bin so froh, mit einem Mann wie Ihnen dieses Gespräch geführt zu haben.« Er hielt
weiterhin meine Hand fest. »Ich möchte Sie nur noch um einen Gefallen bitten. Es ist
keine leichtfertige Bitte. Ich tue es nur, weil ich weiß, daß dies nach unserem Gespräch
heute Abend eine Bedeutung für Sie haben wird. Sie werden großen Gewinn daraus ziehen.« »Was kann ich für Sie tun?« »Ich möchte Ihnen einen guten Freund von mir vorstellen, einen Mann, der Ihnen sehr viel über unseren König der Könige erzählen kann. Er wird Sie vielleicht schockieren, aber ich versichere Ihnen, es wird sich lohnen, daß Sie Zeit für diese Begegnung opfern.«