Klaus-Peter Haupt: Die Realität der Quantenwelt – Welle kontra Teilchen

Noch immer gibt es zahlreiche Interpretationen der Quantenmechanik und für viele
Naturwissenschaftler und Philosophen erscheinen die Formeln der Quantenmechanik letztlich unverstanden.

 

In diesem Aufsatz soll ein neuer Blickwinkel eingenommen werden: Nicht unsere Alltagswelt ist die Realität sondern die Welt des Mikrokosmos, die Quantenwelt. Dann müssen wir die Eigenschaften der  Quantenwelt akzeptieren und aus ihnen unsere alltägliche Welt konstruieren. Für diesen Weg bieten Quantenmechanik und Philosophie interessante Konzepte.

Wellen kontra Teilchen?

Interferenz am Doppelspalt

Schickt man Licht durch zwei nebeneinander liegende enge Öffnungen, einen Doppelspalt, so entsteht das bekannte Interferenzbild, das man auch erhält, wenn man zwei Steine nebeneinander gleichzeitig ins Wasser wirft.

 

In der Tat kann man dieses Interferenzbild durch eine Wellenvorstellung leicht erklären:
Der ankommende Lichtstrahl erzeugt (sehr vereinfachend gesagt) in jeder Öffnung eine
kugelförmige Lichtwelle (Beugung). Beide Wellen breiten sich aus und treffen an
verschiedenen Orten unterschiedlich aufeinander: Jeder Punkt auf der Mittelsenkrechten zum Doppelspalt ist gleich weit von den beiden Öffnungen entfernt, hier treffen also immer Wellenberge der einen Öffnung auf entsprechende Wellenberge der anderen Öffnung. Entsprechendes gilt natürlich auch für die Wellentäler. So verstärken sich auf der Mittelsenkrechten die beiden Wellen und es gibt das sog. 0. Maximum. Zu entsprechenden Punkten links und rechts von der Mittelsenkrechten sind die Laufzeiten von den beiden Öffnungen unterschiedlich. Deswegen kann es sein, dass ein Wellenberg von der einen Öffnung auf das nachfolgende Wellental der anderen Öffnung trifft und sich somit die beiden Wellen auslöschen (Interferenz). Wir erhalten dann ein

 

Interferenzminimum. Da die Form der Wellenzüge sich in einer Welle periodisch wiederholt, gilt dies auch für die Interferenzbedingungen, wenn man sich immer weiter von der Mittelsenkrechten entfernt. Auf einem hinter dem Doppelspalt aufgestellten Schirm sieht man somit eine Folge von Minima und Maxima.

 

Ein solches Interferenzbild aber erhält man auch, wenn man nicht Lichtwellen, sondern Elementarteilchen, also z.B. Elektronen oder Protonen oder gar ganze Atome oder auch Riesenmoleküle wie aus 70 Kohlenstoffatomen bestehende Fullerene auf den Doppelspalt schickt. Diese klassischen Teilchenobjekte verhalten sich beim Durchgang durch den Doppelspalt also wie Wellen. Nach de Broglie kann man einem Teilchen der Masse m, das sich mit der Geschwindigkeit v bewegt die Wellenlänge λ = h / (m*v) zuordnen (h ist die Plancksche Konstante). Ein sich mit1000 km/sec bewegendes Elektron hat eine der Gammastrahlung vergleichbare Wellenlänge von 0,73 nm und ein im Schritttempo gehender Mensch die Wellenlänge 9*10-35 m, weshalb sich die Welleneigenschaften des Menschen nicht bemerkbar machen.

Individuum gegen Kollektiv

In den Anfängen der Quantenmechanik dachte man noch, dass das Interferenzbild letztlich ein kollektives Phänomen ist, also durch eine Wechselwirkung vieler gleichzeitig durch den Doppelspalt gehender Teilchen entsteht. Elementare, aber nicht leicht zu realisierende Versuche zeigen, dass Interferenzphänomene „Ein-Objekt-Prozesse“ sind.


Wenn man Atome, Elementarteilchen oder Moleküle einzeln, nacheinander auf den Doppelspalt zufliegen lässt und ihnen die Möglichkeit gibt durch die eine oder die andere Öffnung zu fliegen, so taucht in der Nachweisapparatur jedes dieser Objekte wieder an einem Punkt auf. An welcher Stelle lässt sich aber nicht vorhersagen. Die Stärke des bekannten Interferenzbildes gibt lediglich die Wahrscheinlichkeit dafür an, dass das Objekt an einer bestimmten Stelle erscheint. Macht man den Versuch nun mit Millionen einzelner Objekt, die nacheinander durch den Doppelspalt gehen, so entsteht aus der statistischen Verteilung hinter dem Doppelspalt langsam das bekannte Interferenzbild. Entsprechende Versuche gelingen natürlich auch für Licht, wenn die Intensität der Lichtquelle so herabgeregelt wird, dass nur einzelne Photonen nacheinander durch den Doppelspalt gehen.


Für das Eintreten von Interferenzen ist es also nicht notwendig, dass sich gleichzeitig mehrere Mikroobjekte im Bereich des Doppelspaltes aufhalten. Interferenz ist ein individuelles und kein kollektives Phänomen.


In der Abb.2 sieht man die Interferenzbilder, die man nach nacheinander durch immer längere Aufsummierung der Photonen erhält. Hier wird das scheinbare Problem „Welle oder Teilchen“ deutlich: Jedes Objekt wird als vollständiges Einzelobjekt hinter den Doppelspalt nachgewiesen, verhält sich aber auf seinem „Weg“ durch den Doppelspalt so, als wenn es durch eine Welle geführt würde.


Welchen Weg hat das Mikroobjekt durch den Doppelspalt genommen? Insbesondere würde es uns interessieren, durch welche der beiden Öffnungen es gegangen ist? Denn eigentlich kann ein Objekt nur durch eine der beiden Öffnungen gehen. Lässt man aber jede Hälfte der Objekte gezielt (z.B. durch Schließen der jeweils anderen Öffnung) nur durch jeweils eine Öffnung gehen, so erhält man kein Interferenzbild eines Doppelspaltes, sondern das zweier nebeneinander liegender Einzelspalte. Etwas Entsprechendes würden wir auch erwarten, wenn die Objekte nicht sortiert sondern unsortiert durch die beiden gleichzeitig offenen Spalte hindurchgehen. Nach unserem Verständnis der Welt kann ein Objekt ja nur durch eine von zwei Öffnungen gehen, es kann ja nicht gleichzeitig in zwei verschiedenen Öffnungen sein. Wenn es aber nur durch eine Öffnung geht, erhält es dann eine Information darüber, ob die andere Öffnung offen ist (dann muss es statistisch verteilt auf einem Doppelspaltinterferenzbild erscheinen) oder ob sie geschlossen ist (dann muss es statistisch verteilt auf einem Einzelspaltinterferenzbild erscheinen)? Die Frage nach dem Weg der Mikroobjekte bringt uns an die Grenzen unserer Vorstellungen.

Frage nie nach dem Weg!

Unser Naturverständnis ist vom Vorhandensein genauer Bewegungsvorgänge und Bahnen bestimmt. Die aus Einzelbildern zusammengesetzte Wahrnehmung einer Bewegung interpretieren wir als einen kontinuierlichen, auf einer Bahn ablaufenden Bewegungsablauf. So beobachten wir die Flugbahn eines Vogels, so hat schon das Gehirn unserer Vorfahren die Flugbahn eines Steines oder eines Speeres berechnet (anderenfalls hätten die Speere unserer Vorfahren nie getroffen und sie hätten nicht überlebt und uns gäbe es nicht). Und schließlich berechnen moderne Computer die Flugbahnen unserer Raumsonden zu den Planeten Jupiter und Saturn. Aber alle diese „Bahnen“, d.h. der Eindruck der Kontinuität einer Bewegung sind das Ergebnis eines Konstruktionsprozesses

Unbestimmtheiten

Wir wollen wenigstens einen Bahnpunkt einer Bewegung beobachten und stellen deshalb eine Öffnung in die erwartete Bahn. Alle Objekte, die durch die Öffnung kommen, haben zumindest dann einmal diese bestimmte Position der Öffnung als ihre eigene gehabt. Aber was passiert, wenn wir die Öffnung so eng machen, dass sie der Wellenlänge des bewegten Objektes entspricht? In diesem Fall wird die Welle des Objektes gebeugt und das Objekt kann an beliebigen Stellen hinter der Öffnung aufkommen, die Wahrscheinlichkeit des Auftreffens wird durch die Intensität des zugehörigen Interferenzbildes bestimmt. Je stärker wir die Position durch eine immer engere Öffnung bestimmen, desto weiter fließt das Interferenzbild auseinander und desto mehr kann das Objekt außerhalb der direkten „Bahn“ auf einem Schirm auftreffen.


Diese einfache Beobachtung (das Interferenzbild der Beugung des Lichtes an einem Spalt wird umso breiter, je schmaler die Spaltöffnung ist), hat Werner Heisenberg allein durch den Formalismus der Quantenmechanik vorhergesagt und auf eine breite theoretische Basis gestellt: Je genauer der Ort eines Objektes bestimmt ist (z.B. durch eine Öffnung), desto ungenauer ist die zugehörige Geschwindigkeit bestimmt (hinter der Öffnung hat das Teilchen dann eine zufällige zusätzliche seitliche Bewegung).Das Produkt der beiden Genauigkeiten liegt z.B. bei einem Elektron bei 10-67 m*kgm/sec. Ein genau bestimmter Ort (ein lokalisiertes Elektron) würde eine vollkommen unbestimmte Geschwindigkeit bedeuten: Δx * Δv ≈ h/m und ein Objekt mit einer bestimmten Geschwindigkeit kann irgendwo sein. Damit greift Heisenberg das Prinzip der klassischen Mechanik an: Aus den Angaben für Ort und Geschwindigkeit und den entsprechenden Orts-Zeit- und Geschwindigkeits-Zeit-Gesetzen kann die klassische Mechanik alle Bewegungen berechnen.


Heisenberg zeigt aber, dass genaue Orts- und Geschwindigkeitsangaben nicht nur am Anfang sondern nirgends längs der „Bahn“ eines Objektes sinnvoll sind. Zumindest im Mikrokosmos wirkt sich das so aus, dass man nicht mehr von einer Bahn eines Mikroobjektes sprechen kann: Ein Mikroobjekt ändert seine Position nicht längs einer Bahn, auf der ihm wie in der klassischen Mechanik ständig Ort und Geschwindigkeit zugeordnet werden können. Im Mikrokosmos macht der Bahnbegriff keinen Sinn.

Auf welchem Weg fliegt das Objekt durch den Doppelspalt?

Die folgenden Beispiele zeigen, dass die theoretische Beschreibung der Natur durch Heisenbergs Quantenmechanik nicht im Widerspruch zur Beobachtungsmöglichkeit der Natur steht: Schicken wir erst einmal ein Elektron auf einen Doppelspalt und überlassen wir es dem Zufall, durch welche der beiden Öffnungen es fliegt. Dann trägt es mit einem Punkt zur Statistik des Interferenzbildes bei.


Nun wollen wir das Elektron auf dem Weg vom Doppelspalt zum Schirm beobachten und beleuchten den Bereich mit Licht, das natürlich aus Photonen besteht, die einen eigenen Schwung (Impuls) besitzen (der umgekehrt proportional zur Wellenlänge ist).


Benutzen wir zu dieser Beobachtung langwelliges Licht, so werden die langen Wellenlängen die kleinen Elektronen nur ungenau beobachten. Bei kurzwelligem Licht ist die Beobachtung der Elektronenpositionen viel präziser möglich (eigentlich müsste man Röntgenstrahlung verwenden). Wir kennen das aus der Optik: Je kurzwelliger die Strahlung ist, desto größer ist das Auflösevermögen des Fernrohres oder Mikroskops. Damit ein Radioteleskop bei den langen Radiowellen so scharf wie unser Auge bei den kurzen Lichtwellen sieht, müsste es einen Durchmesser von 1 km haben. Erst die auf verschiedenen Kontinenten stehenden und zu einem Teleskop zusammen geschalteten Radioteleskope erreichen die extrem hohe Auflösung moderner Radiobilder (Very Large Baseline Interferometrie).


Also: Je kürzer wir die Wellenlänge des Lichtes wählen, desto genauer können wir die Position des Elektrons messen. Je kurzwelliger das Licht ist, desto höher ist aber der Schwung, den die Photonen haben. Damit wir das Elektron nachweisen können, müssen die Photonen auf das Elektron treffen. Und wenn die Photonen viel Schwung haben (wir also eigentlich die Elektronenposition gut bestimmen können), dann boxen die schwungvollen Photonen das Elektron so zur Seite, dass es irgendwo anders auf dem Schirm ankommt, nur nicht mehr da, wo es laut Interferenzbild sein sollte.

Was heißt das? Wenn wir die Elektronen nach dem Durchgang durch den Doppelspalt vor ihrem Eintreffen auf dem Schirm beobachten wollen, dann boxen wir sie so in andere Richtungen, dass das Interferenzbild nicht mehr zu Stande kommt. Je genauer wir die Elektronenpositionen bestimmen, desto stärker verschwimmen die Konturen des Interferenzbildes. Was passiert also, wenn wir nach dem Weg fragen? Je präziser die Antwort ist, desto mehr verschwindet die Interferenzfähigkeit der Elektronen.


Das passiert auch, wenn wir vor die beiden Öffnungen des Doppelspaltes unterschiedlich orientierte Polarisationsfolien kleben und damit anhand der Polarisation erkennen können, durch welche der beiden Öffnungen z.B. Licht gegangen ist. Auch hier würden wir eine präzise Antwort nach dem Weg des Lichtes (zumindest an der Stelle des Doppelspaltes) bekommen, aber wir erhalten kein Interferenzbild mehr, denn Licht unterschiedlicher Polarisationsrichtungen kann nicht interferieren. Interferenzmuster entstehen also nur, wenn die unterschiedlichen Ausbreitungsmöglichkeiten durch nichts unterschieden werden können. Selbst einem Genie wie Albert Einstein ist es nicht gelungen, diese Eigenschaft der realen Welt auszutricksen.