1997: Geldsyndrom: Vorwort

Vorwort

Geld ist eine tolle Einrichtung! Doch obwohl wir es seit Jahrtausenden kennen und benutzen, gibt es nichts Vergleichbares, worüber wir so wenig wissen! Geld ist immer noch mit einem Nebel des Geheimnisvollen umgeben. Selbst Wissenschaftler reden von „Geldschleier” und „Geldillusion” und verbinden Geld mit Magiebegriffen.


In diesem Buch wird versucht, die Begriffe und Funktionen rund um das Geld zu erklären. Ebenso die geldbezogenen Vorgänge in der Wirtschaft und deren Auswirkungen für uns Bürger. Vor allem aber wird den Fehlstrukturen unserer Geldordnung nachgegangen, werden ihre Folgen verdeutlicht und am Ende Wege aus dem heutigen Dilemma aufgezeigt. Denn die Kenntnis dieser Fehlstrukturen sowie die Möglichkeiten ihrer Behebung sind ausschlaggebend für unsere Zukunft. Das gilt nicht nur für die überschuldeten Länder Lateinamerikas oder den inflationären Niedergang der Ostblockstaaten. Das gilt auch für die Industrienationen, in denen die Geldbezogenheit aller Problementwicklungen täglich deutlicher wird. Und niemand von uns kann sich diesen monetären Zwängen und Auswirkungen entziehen, es sei denn, er flieht als Robinson auf eine Insel.


Für den normalen Bürger stellten sich bisher solche Überlegungen kaum. Er erhält Geld für seine Arbeit und gibt es für den Lebensunterhalt aus. Allenfalls hat er in der Jugend ein paar Sprichworte mitbekommen, ohne viel darüber nachzudenken; zum Beispiel „Geld verdirbt den Charakter” oder „Beim Geld macht der Teufel immer auf den größten Haufen”. Noch bekannter und in vielen Sprachen zu Hause ist das Sprichwort: „Geld regiert die Welt.

 

Warum aber verdirbt Geld den Charakter? Würden wir das auch von einem Gutschein sagen oder einer Theaterkarte, die, ähnlich wie Geld, einen Anspruch auf eine Gegenleistung dokumentieren?

 

Und warum bekommen diejenigen noch mehr Geld, die bereits einen „großen Haufen” davon haben? Ist Einkommen nicht an Leistung gebunden? Wenn ja, widersprechen leistungslose Einkünfte dann nicht den Grund- und Menschenrechten?

 

Und was bedeutet das dritte Sprichwort, nach dem die Welt vom Geld regiert wird? Wenn dieses Sprichwort stimmt, sind dann nicht alle Regierungen, ob gewählt oder nicht, ob rot, schwarz oder grün, nur eine Farce, Marionetten des Geldes? Können wir von einer aufgeklärten, mündigen Welt und vor allem von Demokratien reden, solange diese Fragen ungeklärt bleiben? Oder hat man bewusst den Schleier des Geheimnisvollen über die Geldsphäre ausgebreitet?

Was stimmt nicht bei unserem Geld?

Wer sich unvorbelastet mit unserem Geld befasst, mit der Geldordnung, der Geldtechnik und allen sonstigen Geldgegebenheiten, dem stehen meist sehr schnell die Haare zu Berge. Allein die Widersprüchlichkeiten, auf die man unter logischen Ansätzen stößt, finden fast kein Ende:

  • Da ist Geld eine öffentliche Einrichtung, gleichzeitig aber auch privates Eigentum, obwohl nichts in der Welt zwei Herren dienen kann.
  • Da ist die Geldvermehrung durch gefälschte Banknoten und Münzen bei Strafe untersagt, die Geldverminderung durch Entzug von Banknoten aus dem Wirtschaftskreislauf jedoch erlaubt.
  • Da ist Geld das einzige gesetzliche Zahlungsmittel, gleichzeitig aber auch ein beliebig verwendbares Spekulationsobjekt.
  • Da unterliegt Geld einem allgemeinen Annahmezwang, aber keinem  Weitergabezwang, obwohl das erste ohne das zweite keinen Sinn ergibt.
  • Da wird Geld gleichzeitig als Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel deklariert, obwohl die zweite Funktion die erste aufhebt.
  • Da wird kein Maßstab in der Wirtschaft so oft gebraucht wie das Geld, aber dessen Wert wird nicht stabil gehalten.
  • Da ist unser Geld mit einem Zins- und Zinseszinseffekt gekoppelt, obwohl das aus mathematischen Gründen zur Selbstzerstörung führen muss.

Die Aufzählung dieser Widersprüche dürfte eigentlich genügen, um die vom Geld ausgehendenMiseren zu erklären, vor allem, wenn man sich die zentrale Bedeutung des Geldes in unseren heutigen Volkswirtschaften vergegenwärtigt.

Welche Bedeutung hat das Geld?

Wenn man die Bewohner eines Hauses fragt, welche Teile des Gebäudes die wichtigsten sind, werden sie sicher die Wohngeschosse nennen. Vom Untergeschoss wird kaum jemand reden, und vom Fundament noch weniger. Dabei ist das Fundament für die Stabilität des gesamten Gebäudes von entscheidender Bedeutung.

 

Ähnlich ist es mit den Etagen der „politischen Gebäude”, in denen wir leben: Der Bereich der Gesellschaftspolitik ist uns der wichtigste. Mit wirtschaftlichen Fragen befassen wir uns weniger, und mit jenen der Geld- und Währungsordnung so gut wie gar nicht. Diese Einschätzungs- und Interessenabstufung gilt nicht nur für das Gros der Bürger, sondern auch für fast alle Politiker.

 

Ein langjähriges Mitglied der SPD im Bundestag, vormals Bundesbanker und als Folge
Währungsexperte seiner Fraktion, hat mal beklagt: Immer wenn es um  gesellschaftspolitische Tagesfragen ginge, wäre der Fraktionsraum überfüllt. Würde ernsthaft über Wirtschaftsfragen diskutiert, gingen zwei Drittel der Abgeordneten nach Hause. Und stünden Geld- und Währungsfragen an, bliebe von der ganzen Mannschaft allenfalls ein halbes Dutzend übrig. — In anderen Parteien dürfte es kaum anders sein.

 

Dabei wird die wirkliche Bedeutung des Geld- und Währungssektors jedem klar, wenn man die Bereiche Gesellschaft, Wirtschaft und Währung — entsprechend unserem Wohnhausbeispiel — einmal übereinander anordnet, wie in der ersten Grafik dargestellt:


Eine stabile Gesellschaft kann es nur auf dem Unterbau einer stabilen Wirtschaft geben, und diese nur auf dem Fundament eines stabilen Geld- und Währungssystems. Doch ähnlich wie bei den Gebäuden, wissen wir nur selten etwas von dieser fundamentalen Rolle der Währung.


Tauchen in den „gesellschaftlichen Wohnetagen” Risse auf oder droht das gesamte Gebäude baufällig zu werden, versuchen wir darum meist „vor Ort” mit den Problemen fertig zu werden. Doch haben solche Reparaturversuche kaum Chancen auf Erfolg, wenn die Ursachen der Störung tiefer liegen. Machen wir uns aber die Mühe, den „Rissen” und „Baufälligkeiten” in unseren Gesellschaftssystemen intensiv genug nachzugehen, das heißt auf der Leiter der Ursachenkette bis zur untersten, auslösenden Ebene hinabzusteigen, dann werden wir fast immer im „Fundament” fündig werden, also im Bereich von Geld und Währung.