6. Wie das Freigeld beurteilt wird: Der Krisen-Theoretiker

Ebenso schlecht wie meinem Kollegen, dem Zinstheoretiker, ergeht es mir mit dem Freigeld; meine ganze Theoriensammlung wurde durch diese Reform zuschanden gemacht.


Es klang doch so natürlich, daß auf die Zeit der Blüte eine solche des Zerfalles folgen müßte. So ist es in der Natur, so konnte es nicht anders in der Volkswirtschaft sein, denn der Mensch gehört doch auch zur Natur, so wie alles, was er macht. Ist der Ameisenbau, die Dienenwirtschaft ein Naturerzeugnis, so gehört auch die Menschen- oder Volkswirtschaft zur Natur. Der Mensch wächst und vergeht, darum sollte die Volkswirtschaft nicht auch wachsen, um dann in einem Zusammenbruch zu enden? Das römische Reich ging zugrunde, darum muß auch die Volkswirtschaft regelmäßig alle paar Jahre in einer Krise zugrunde gehen. Auf den Sommer folgt der Winter, ebenso folgt in der Volkswirtschaft auf die geschäftliche Hochflut der Krach.

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Das war doch eine schöne, eines Dichters würdige Theorie! Wie einfach konnte man damit den Bierbäuchen am Stammtisch das verwickelte Problem der Arbeitslosigkeit erklären! Und einfach muß eine Theorie sein; das ganze Licht unserer Wissenschaft müssen wir in einem Brennpunkt vereinigen, damit es sich Bahn brechen kann durch den Tabaksqualm und den Bierdunst. Wiegenlieder, keine Theorien braucht man für kleine Kinder.


Dazu diente uns die Kriesenlehre: infolge „spekulativer Käufe“ waren die  Preise gestiegen, eine fieberhafte Tätigkeit entspann sich auf allen Gebieten; mit Überstunden und Nachtschichten suchte man der steigenden Nachfrage zu begegnen; die Löhne stiegen. Natürlich war das nur ungesunde, „Treibhauszucht“ die früh oder spät mit einem Krach endigen mußte. Und der Krach, die Krise kam. Es fehlte natürlich die Nachfrage für eine so ungeheure Menge von Erzeugnissen aller Art, und wenn die Nachfrage fehlt, so gehen die Preise herunter. Alles, ohne nennenswerte Ausnahmen, die Erzeugnisse der Industrie, der Landwirtschaft, des Bergbaues, der Forstwirtschaft, — alle gingen im Preise herunter. Damit stürzte natürlich das ganze Spekulationsgebäude ein. Die geldgierigen Arbeiter hatten eben mit ihren Überstunden den ganzen „Arbeitsvorrat“ aufgezehrt. Der Lohnfonds (?) war erschöpft. Darum fehlte es jetzt an Arbeit, darum mußten die Arbeiter neben einem Berg von Brot und Kleidern hungern und frieren!


Wie überzeugend klang auch die Malthusianische Krisentheorie; sie hatte nicht umsonst so viele Liebhaber gefunden: ihr habt die guten Zeiten zu nichts besserem benutzt als zum Hochzeitfeiern, und euer elendes Geschlecht habt ihr ins Maßlose vermehrt. Wohin man blickt: Kinderwäsche, Windeln, Wiegen. Es wimmelt auf den Straßen, in den Schulen wie in einem Kaninchenstall. Jetzt sind euch in euren eigenen Kindern die Lohndrücker bei der Arbeit entstanden. Die niedrigen Löhne drücken aber wieder auf die Preise, wobei jedes Geschäft mit Verlust abschließen muß, jede Unternehmungslust im Keime erstickt wird.


Die Fortpflangung ist an sich eine Sünde, eine verbotene Frucht; sie ist mit dem Schandfleck der Erbsünde behaftet. Aber doppelt sündhaft ist sie bei so armen Teufeln. Enthaltet euch, überlaßt die Sache den Heiden, schickt eure Töchter ins Kloster, dann werden nicht mehr Arbeiter vorhanden sein, als zur Bewältigung der Arbeit nötig sind. Dann werden auch mit den höheren Löhnen die Preise steigen, was die Unternehmungslust fördert. Maß in allem, in der Gütererzeugung wie in der Fortpflangung, sonst haben wir eben Zuvielerzeugung an Gütern und an Verbrauchern!


Und dann noch diese neueste Theorie, mein eigentliches Glanzstück: durch die Anhäufung des Reichtums in verhältnismäßig wenig Händen, durch das Mißverhälmis zwischen Kauf- und Erzeugungskraft der breiten Massen steht der Verbrauch im Mißverhältnis zur Erzeugung. Daher die Überlastung des Marktes mit unverkäuflichen Waren, daher die sinkenden Preise, die Arbeitslosigkeit, die Unternehmungsscheu, die Krise. Die reichen Leute können ihr Einkommen nicht verzehren, und die Arbeiter haben nichts zu verzehren. Wären die Einkommen
iur richtig verteilt, so würden Verbrauch und Erzeugung schritthalten und es könnte darum keine Krise ausbrechen!


Wie einleuchtend doch das klang! Und auf den Klang, den Schall, den Rauch kommt es an. An den Verstand dieser mit der Saugflasche, mit künstlichen Nähr-

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mitteln und Bier aufgepäppelten und von Sorgen erdrückten Menge kann man sich doch nicht mehr wenden. Er hält einen herzhaften Stoß ja gar nicht mehr aus.


So hatte ich für jede Gesellschaft, für jeden Geschmack eine Krisentheorie auf Lager. Stieß ich dabei ausnahmsweise auf ernsthaften Widerspruch, so flocht ich  meine Reservetheorie ein, durch die ich die Krise mit der Währung in Verbindung brachte. Gewöhnlich genügte dann schon das Wort „Währung„, um jeden Widerspruch niederzuschlagen. Genug, genug hieß es; „wir wissen, was Bamberger sagte, daß neben der Liebe die Währungsfrage die meisten Verrückten gemacht hat, und wir wollen einer Krisentheorie zuliebe unseren Verstand nicht auf eine vielleicht gefährliche Belastungsprobe stellen!“


Dabei war gerade diese Theorie verhältnismäßig die einfachste und auch die beste: die Waren, so führte ich aus, werden so gut wie ausschließlich kaufmännisch verhandelt, d. h. sie müssen zum Zwecke des Austausches an Kaufleute verkauft werden. Der Kaufmann kauft aber die Waren nur unter der Voraussetzung daß er sie teurer wird verkaufen können. Der erwartete Verkaufspreis muß höher stehen als der vom Arbeiter oder Unternehmer geforderte Einstandspreis. Wenn nun die Warenpreise Neigung zum Sinken zeigten, so wußte der Kaufmann überhaupt nicht mehr, wieviel er bezahlen oder anlegen durfte während der Unternehmer ohne baren Verlust mit seinen Forderungen nicht unter den Kostenpreis gehen dürfte. Beim Verbraucher ist es anders. Er kauft und bezahlt den geforderten Preis. Er freut sich, wenn der Preis fällt; es verdrießt ihn, wenn er steigt. Eine Grenze für den Preis liefert jedoch nur sein eigenes Einkommen. Der Kaufmann dagegen soll einen Preis erzielen, der eine bestimmte Höhe, den Einstandspreis, überragt; ob er aber diesen Preis erzielen wird, das weiß er nicht. Der Verkaufspreis ist ungewiß, der Einstandspreis ist aber mit der Übernahme der Ware eine feste, bestimmte Größe.


Wenn die Warenpreise im allgemeinen fest sind oder gar steigen, dann ist alles gut, dann wird der Erlös wahrscheinlich mit Überschuß den Einstandepreis decken, und der Kaufmann kann getrost seine Bestellungen machen. Wenn aber die Preise sinken, immer weiter sinken, um 1-2-5-10 20 30 %, wie wir das schon öfter beobachtet haben, dann verliert der Kaufmann jeden festen Boden unter den Füßen, und das Verünftigste, was er als vorsichtiger Mann dann machen kann, ist — warten. Denn nicht auf Grundlage des Einstandspreise kann der Kaufmann seine Verkaufspreise berechnen, sondern er muß sich dabei nach dem, was erzielbar ist, richten. Und wenn in der Zeit zwischen Kauf und Verkauf der Waren die Einstandspreise fallen, so muß auch er mit den Verlaufspreisen heruntergehen, und er hat einen Verlust. Also ist das beste in solchen Zeiten niedergehender Preise, mit dem Kauf zu warten. Die Waren werden also kaufmännisch nicht durch den Bedarf als Triebkraft ausgetauscht, sondern durch den Profit.


Aber dieses „Warten„, die Verzögerung in den gewohnten Bestellungen des Kaufmannes, bedeutete eine Absatzstockung für den Unternehmer, und da dieser meistens auf regelmäßigen Absatz angewiesen ist, weil er die Waren des Raumes und der Fäulnis wegen nicht auf Lager nehmen kann, so entließ er seine Arbeiter.


Aus Mangel an Arbeit und Geld konnten nun wiederum diese Arbeiter nicht kaufen, wodurch dann die Preise noch weiter sanken. Und so war durch

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den Niedergang der Preise ein „circulus vitiosus„, ein fehlerhafter Kreis entstanden.


Darum, so lautete die Nutzanwendung, müssen wir verhüten, daß die Preise sinken; wir müssen mehr Geld herstellen, damit es nicht an Geld fehlt um die Waren zu kaufen, damit angesichts der großen Barbestände der Banken, der großen Barvortäte der Privatleute kein Kaufmann sich mehr vor Geldmangel, vor einem Preissturz zu fürchten braucht.


Also die Doppelwährung oder Papiergeld!


Im Grunde genommen befriedigte mich selbst ja keine einzige dieser Theorien. Die erste Theorie, die die Krise als eine Art Naturereignis betrachtet, ist eigentlich zu naiv, um eine Widerlegung zu verdienen. Die zweite Theorie, die das Wucherspiel, das Gründertum für die Krise verantwortlich machen will, untersucht nicht, ob die Geldvorräte der Privatleute und Wucherspieler, ohne die ja die Gewinnjagd (Spekulation) nicht möglich wäre, nicht eigentlich die Ursache dieses Wucherspiels und infolgedessen auch Ursache der Krise sind. Was hat es für einen Sinn, eine Reichsbank zu gründen, ihr das Alleinrecht der Notenausgabe zu verleihen, „damit sie, den Geldumlauf den Bedürfnissen des Verkehrs anpassen kann„, wenn es einfach von der „Spekulation“ abhängt, trotz Notenmonopol und Reichsbank die Preise hochzutreiben, so oft es ihr beliebt? Und weil diese Theorie an dieser Frage vorübergeht, schlägt sie den falschen Weg ein, Wünsche statt Forderungen auszudrücken. Man möge doch in Zukunft alle Spekulation unterlassen, das ist alles, was sie als Schutz vor Krisen zu empfehlen weiß.


Diese Theorie untersucht auch nicht, wo der eigentliche Beweggrund der „fieberhaften Tätigkeit, der Überstunden und Nachtschichten“ ist. Denn ohne diese gesteigerte Arbeit würde alles Wucherspielen im Sande verlaufen. Was würde es nützen, wenn der Unternehmer dem Arbeiter Überstunden vorschlüge und dieser ihm antwortete: meine jetzige Arbeitszeit genügt, um meine Bedürfnisse zu decken. Wenn also der Arbeiter sich heute zu der, fieberhaften Tätigkeit bereit erklärt, so kommt das nur davon, daß er fieberhafte Bedürfnisse hat, die er mit dem Lohn aus den Überstunden befriedigen will. Ist aber die Nachfrage ebenso fieberhaft wie das Angebot, wie kann es dann zur Krise lommen? Die Spekulation, die die Geldrücklagen auf den Markt bringt, erklärt nur die allgemeine Preissteigerung, läßt aber die Frage unbeantwortet, warum der Verbrauch nicht schritthält mit der Erzeugung, und warum der Absatz gewöhnlich urplötzlich abfällt.


Diese Nichtbeantwortung der Frage, warum Verbrauch und Erzeugung sich nicht regelmäßig ausgleichen, ist ja der gemeinsame wunde Punkt aller meiner Theorien, aber am lautesten schreit diese Frage um Antwort bei der dritten Theorie, der Überbevölkerungstheorie. Hier wird als Ursache der Krise die Überproduktion infolge Überbevölkerung angegeben, was doch so viel heißt wie: die zu großen Brote kommen von dem zu großen Hunger Offenbarer Unsinn, besonders, wenn man bedenkt, daß die Waren zum Zwecke des Austausches erzeugt werden, und daß die hungernden Arbeiter fähig und willig sind, andere Erzeugnisse für die von ihnen benötigten in Tausch zu geben. Handelt es sich nur um eine einseitige Zuvielerzeugung (z. B. Särge), so bedürfte die Sache

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überhaupt keiner Erkärung, aber von allem ist zuviel vorhanden, von landwirtschaftlichen Erzeugnissen sowohl, wie von gewerblichen.


Ebenso unbefriedigend ist die Theorie, die den Minderverbrauch verantwortlich machte für die Krise; den Minderverbrauch infolge ungleicher Verteilung des Einkommens. Sie erklärte nicht, warum der Absatz heute ins Blaue hinein wächst, um nach einer Weile urplötzlich abzufallen, warum einer ständigen, gleichmäßigen Ursache (hier also die ungleiche Verteilung des Einkommens) eine stoßende Wirkung (geschäftliche Hochflut und Krise) gegenüberstand. Wäre jene Verteilung des Einkommens die Ursache der Krise gewesen, so müßte sich diese als eine ununterbrochene, schleichende Erscheinung dargeboten haben, als Arbeiterüberschuß von unantastbarem ehernem Bestande, also als das Gegenteil von dem, was man beobachtete.

 

Aber auch die Annahme, daß das Einkommen der wohlhabenden Volksschichten allgemein ihre persönlichen Bedürfnisse übersteige, war unzutreffend, wie ja die Bodenverschuldung der Groß- und Kleingrundbesitzer, die Not der Grundrentner, ihre Bettelei um Staatsschutz beweisen. Die Bedürfnisse kennen überhaupt keine Grenzen; das geht ins Unendliche. Die Bedurfnisse der Weber im Eulengebirge waren doch mit Kartoffelschalen nicht eigentlich befriedigt, und mit der Herzogswürde, die die amerikanischen Könige für ihre Töchter erwarben und mit Milliarden bezahlten, war deren Würdebedürfnis noch ungesättigt. Sie strebten nach der deutschen Kaiserkrone und häuften Milliarde auf Milliarde, arbeiteten Tag und Nacht, sparten vielleicht am eigenen und sicher am Leibe ihrer Arbeiter, um diese Krone zu erreichen. Und wenn sie diese erreicht hätten, dann wäre ein kleiner, schwarzer Pfaff gekommen und hätte gesagt, das alles wäre vergänglich, sie sollten arbeiten, sparen, Milliarden sammeln und sie der Kirche vermachen, auf daß sie würdig befunden würden, einzutreten in das Reich Gottes. Zwischen Kartoffelschalen und dem Opfertod der Kirche ist ein Meer von Bedürfnissen, das alles verschlingt, was die Menschen erzeugen können. Auch ist kein Mann so reich, daß er nicht darauf bedacht wäre, noch reicher zu werden; im Gegenteil, die Geldgier wächst mit dem Erfolg im Erwerb. Wie wären sonst die gewaltigen Vermögen in der Neuzeit zustande gekommen, wenn ihre Besitzer bei der ersten Million gesagt hätten
wir haben jetzt genug erworben, wir wollen andere arbeiten lassen! kein reicher Mann ließ seine Überschüsse brach liegen, solange sich Gelegenheit für eine gewinnreiche Anlage bot. Der Zins war allerdings die Voraussetzung der Geldausgabe des Kapitalisten, aber in dieser Beziehung handelte der reichste Mann nicht anders als der Keinste Sparer. Kein Zins — kein Geld, so hieß es auf der ganzen Linie. Alle machten die Wiederausgabe der Geldüberschüsse abhängig vom Zins, und wenn wir alle Bürger in bezug auf ihr Einkommen gleichgestellt hätten, so würden wir nichts an der Tatsache geändert haben, daß der Sparer, der mehr Waren erzeugte und verkaufte, als er verbrauchte, den Geldüberschuß nicht eher wieder in Umlauf brachte, bis ihm Zins bezahlt wurde. Es mußte sich also durch die Tätigkeit der Sparer jedesmal ein Warenüberschuß mit Absatzstockung und Arbeitslosigkeit zeigen, sobald Handel und Industrie keinen Zins abwarfen. Die Ursache der Krise lag also darin, daß einerseits die Kapitalisten die Geldanlage vom Zins abhängig machten, anderseits darin, daß, wenn der Vorrat an Häusern, Maschinenanlagen und sonstigen Arbeits-

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mitteln eine bestimmte Grenze überschritt, dann auch der Zins fiel, den diese einbringen müssen, um das in ihnen verausgabte Geld zu verzinsen. (Der Wettbewerb der Hausbesitzer den Mietern gegenüber wirkt wie der Weltbewerb der Besizer gewerblicher Unternehmungen den Arbeitern gegenüber: er drückt auf den Zins. Hier setzt er den Mietzins herunter, dort setzt er den Arbeitslohn herauf.) Traf nun letzteres ein, so konnten die Unternehmer den eforderten Zins nicht zahlen, und die Kapitalisten hatten keinen Anlaß, das Geld ohne Zins herzugeben. Sie warteten dann lieber die Krise ab, die die Lage klären und den allen Zinssatz wieder herstellen würde und erfahrungsgemäß auch wieder herstellte. Sie zogen es vor, für kurze Zeit ganz auf den Zins zu verzichten, um dadurch in den Genuß eines höheren Zinssatzes zu gelangen, anstatt ihr Kapital zu niedrigem Zinsfuß auf lange Jahre festzulegen. Ein gewisser Mindestzins ließ sich durch einfaches Warten immer erpressen.


Also mit dem Mißverhältnis zwischen Verbrauch und Einkommen der wohlhabenden Klassen, zwischen Kaufkraft und Erzeugungskraft der Arbeiter als Ursache der Krise ist es nichts.


Der wirklichen Ursache der Krise am nächsten kam die zuletzt erwähnte Theorie, die die Krise mit der Währung in ursächlichen Zusammenhang brachte.


Daß, solange die Preise abwärts neigten und der Verkauf der Waren nur Verluste brachte, niemand daran dachte, neue Unternehmungen zu begründen oder bestehende zu erweitern, daß auch kein Kaufmann Waren kaufte, um sie unter dem Einstandspreis losschlagen zu müssen, und daß unter solchen Verhälmissen eine Krise, unvermeidlich wurde, ist ja klar und einleuchtend. Aber diese Theorie beantwortet die Frage eigentlich nur mit neuen Fragen. Sie erklärt richtig die Krise als gleichbedeutend mit einem allgemeinen Preisrückgang, aber sie gibt keine befriedigende Auskunft auf die Frage, woher der Preisrückgang kam. Zwar behauptete sie, das Sinken der Preise käme von einem Mangel an Geldvorrat, und darum schlug sie auch eine Vermehrung der Geldherstellung (Doppelwährung, Papiergeld) vor; aber der Nachweis fehlt, daß mit oder nach Vermehrung des Geldvorrats auch das Angebot dieses Geldes sich dem Angebot von Waren anpassen würde, namentlich, ob auch dann Geld angeboten werden würde, wenn der Zins herunter  ginge. Und darauf käme es doch an.


Dies sah man übrigens auch ein, und darum schlug man vor, das Geld völlig von jedem Metall zu treunen (Aufhebung des Prägerechts für Silber und Gold), um dann die Geldherstellung (nicht Geldangebot) so zu regeln, daß, wenn die Preise fielen, die Geldanfertigung vermehrt und umgekehrt bei steigenden Preisen der Geldvorrat (nicht Geldangebot) vermindert werden sollte. Man dachte auf so einfache Weise das Geldangebot der Nachfrage jederzeil anpassen zu können.


Man hat diesen Vorschlag nie ausgeführt, und es ist gut, daß man es nicht tat, denn man wäre damit nur durchgefallen. Denn die diesen Vorschlag machten, verwechselten Geldvorrat mit Geldangebot, sie glaubten, daß, weil einem großen Kartoffelvorrat auch ein gleich großes Kartoffelangebot entspricht, dies auch so mit dem Gelde sein müsse. Dies ist aber durchaus nicht der Fall. Das Kartoffelangebot, wie überhaupt das Warenangebot entspricht genau dem Vorrat, weil die Aufbewahrung mit schweren Unkosten verbunden

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ist. Wäre das frühere Geld so beschaffen gewesen wie die Waren im allgemeinen, so hätte man das Metallgeld nicht ohne direkte Unkosten aufbewahren können, dann wäre ein Rückschluß vom Vorrat auf das Angebot ganz am Platze gewesen. Aber das war bekanntlich nicht der Fall. Über das Angebot ihres Geldes verfügten die Inhaber unumschränkt. Und es wurde kaufmännisch und kapitalistisch kein Pfennig in Umlauf gesetzt, wenn kein Zins dabei herauskam. Kein Zins, kein Geld, — mag der Geldvorrat noch so groß sein, mag man den Geldvorrat verhundertfachen.


Nehmen wir nun an, daß mit einer solchen Reform der Emissionsbanken das Ziel (die Beseitigung der schleichenden wie auch der schnell verlaufenden Krisen) erreicht worden wäre, so würde sehr bald der Augenblick gekommen sein, wo das Land mit Häusern, Maschinenanlagen usw. derart gesättigt gewesen wäre, daß sie den gewohnten Zins nicht mehr hätten einbringen können. Dann hätte das alte Spiel wieder von vorn begonnen: die Sparer und Kapitalisten hätten nicht mit dem Zins heruntergehen wollen und die Unternehmer hätten den alten Zinsfuß nicht zahlen können. Durch die Erfahrung von 2000 Jahren wissen die Geldbesitzer, daß sie je nach der Anlage 3 4-5 % für ihr Geld erzielen können und daß sie nur eine Weile zu warten brauchen, um diesen Zinsfuß zu erzielen. Also warten sie.


Während die Geldbesitzer nun warten, fehlt natürlich die Nachfrage nach Ware, und die Preise sinken. Dieses Sinken der Preise macht wieder den Handelsstand stutzig, der nun auch in Erwartung der Dinge, die da kommen könnten, mit den Bestellungen zurückhält.


So ist also gleich wieder die Absatzstockung, die Arbeitslosigkeit, die Krise fertig – trotz dem großen Geldvorrat.


Allerdings wurde vorgeschlagen, daß der Staat in solchen Fällen den Unternehmern das Weiterarbeiten ermöglichen sollte, indem er ihnen unmittelbar Geld zu billigerem Zinsfuß, nötigenfalls zinsfrei lieferte. So hätte der Staat immer wieder durch Neuausgabe das Geld ersetzt, das die Sparer und Kapitalisten dem Verkehr entzogen; aber wo hätte ein solches Vorgehen hingeführt. Auf der einen Seite bei den Kapitalisten Berge von Papiergeld, für das die Verwendung fehlt, auf der anderen Seite in den Staatskassen entprechende Berge von Pfandbriefen und Wechseln, und zwar langfristiger Wechseln und unkündbaren Pfandbriefen, wie sie die Unternehmer brauchen!


Die bei den Privaten aufgestapelten Berge von Papiergeld (schließlich hätte das gesamte Privatvermögen diese Form angenommen) konnten jeder Tag durch irgend ein Ereignis in Bewegung geraten, und da dieses Geld nur auf dem Markte im freien Verlehr mit Waren einlösbar sein sollte, so hätte sich diese Papiergeldmasse in eine plötzliche ungeheure Nachfrage umgewandelt, gegen die der Staat mit den Pfandbriefen und langfristigen Wechseln nicht hätte ankämpfen können. So wären denn die Preise gestiegen ins Blaue hinein.


Es ist nun ein Glück, daß wir mit der Geldreform dieser Gefahr entronnen sind, denn das klägliche Scheitern dieser Reform wäre natürlich wieder ausgebeutet worden gegen die Theorie des Papiergeldes, und so wären wir wieder auf Jahrhunderte zurückgeworfen worden in die Barbarei des Metallgeldes.


Die Geldreform macht das Angebot des Geldes von jeder Bedingung unabhängig; so viel Geld vom Staate in Umlauf gesetzt wurde, so viel Geld

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wird angeboten. Das, was man bisher beim Gelde als selbstverständlich voraussetzte, nämlich daß, wie bei den Kartoffeln, das Angebet dem Vorrat stets entsprechen müsse, das wird mit der Geldreform erst zur Tatsache: Geldangebot — Geldvorrat. Das Geldangebot geht nicht mehr neben dem Geldvorat einher, es bedeutet keine Willenssache mehr; Wille und Wünsche sind einflußlos auf das Geldangebot geworden. Die Quantitätstheorie ist jetzt vollkommen richtig, und zwar die einfache, naive, auch die, „rohe“ genannte Quantitätstheorie.


Wie könnte es unter solchen Umständen noch zu einer Krise kommen? Geht auch der Zins herunter, fällt er gar auf und unter Null, das Geld wird dennoch angeboten, und gehen die Preise herunter, so hebt sie der Staat einfach wieder durch Vermehrung des Geldvorrats. Die Nachfrage hält also stets und unter allen Umständen dem Angebot die Wage.


Wenn somit die Geldreform die Krisen unmöglich macht, so müssen wir notwendigerweise die Ursachen der Krisen in dem Punkte suchen, wo das frühere Geldwesen sich vom Freigeld unterscheidet. Und dieser Punkt liegt in der Verschiedenheit der Beweggründe, die das Geldangebot jetzt beherrschen, und derjenigen, die es früher beherrschten.


Der Zins war früher selbstverständliche Voraussetzung des gesamten Geldumlaufes; jetzt wird das Geld auch ohne Zins angeboten.


Bei einem eingetretenen allgemeinen Preisrückgang, der schon ein ungenügendes Geldangebot anzeigte, wurden die Privatgeldvorräte zurückgezogen (weil niemand bei fallenden Preisen laufmännisch Waren erwirbt, noch auch ohne Verlustgefahr erwerben kann), wodurch der allgemeine Preisruckgang oft in ein rasendes, allgemeines Zugeldemachen mit entsprechendem Preissturz übergehen müßte; jetzt wird das Geld unter allen denkbaren Verhältnissen angeboten.


Bei einer einsetzenden allgemeinen Preissteigerung, die schon ein zu großes Geldangebot anzeigte, wurden alle Privatgeldvorräte auf den Mark gebracht, weil jeder an der allgemein erwarteten weiteren Preissteigerung mit möglichst großen Beständen an Waren und Papieren beteiligt sein wollte, wodurch dann das Erwartete auch eintreten mußte und die Preise bis zu der von dem Angebot sämtlicher Privatgeldvorräte gezogenen Höchstgrenze stiegen; jetzt können die Preise überhaupt nicht mehr steigen, weil es keine Privatgeldvorräte mehr gibt.


Für die Höhe des Geldangebots, für die Beantwortung der Frage, ob der Kapitalist kaufen sollte oder nicht, waren Ansichten, Meinungen, Gerüchte, falsche und echte Nachrichten, oft nur das Mienenspiel eines Herrschers, maßgebend. Trafen gutes Wetter und gute Verdauung „tonangebender“ Börsenmänner mit irgend einer günstigen Nachricht zusammen, so schlug auch schon die „Stimmung“ um, und die, die noch gestern verkauften, waren heute Käufer geworden. So war das Angebot des Geldvorrats wie ein Rohr, das der Wind hin- und herweht. Daneben noch das Zufällige der Gelderzeugung selbst. Fand man Gold, — gut; fand man keins, so mußte man sich eben bescheiden. Während der ganzen Dauer des Mittelalters, bis zur Entdeckung Amerikas war der Handel auf die von den Römern geerbten Gold- und Silberbestände

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angewiesen, weil alle damals bekannten „Fundstätten“ erschöpft waren. Handel und Verlehr gingen auf das kleinste Maß zurück, weil die Arbeitsteilung sich wegen Mangels an Tauschmitteln nicht entfalten konnte. Seit der Zeit hat man ja viel Gold und Silber „gefunden„, aber wie unregelmäßig sind diese „Funde„! Es sind eben Funde.


Zu diesen Schwankungen in den „Goldfunden“ traten dann noch die Schwankungen in der Währungspolitik der verschiedenen Länder, die bald die Goldwährung mittels auswärtiger Goldanleihen (Italien, Rußland, Japan) einführten und so den auswärtigen Märkten Riesensummen entzogen, bald aber die Papierwährung einführten und dann das Gold wieder auf die fremden Märkte abstießen.


So war das Geldangebot Spielball der verschiedensten, sich kreuzenden Umstände.


Und hierin besteht der Unterschied zwischen dem früheren Geldwesen und dem Freigeld; in diesem Unterschied müssen wir die Ursache der Wirtschaftskrisen erkennen.