Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle. Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Kunst und Wissenschaft steht.

Albert Einstein

Meine Damen und Herren!

 

Wir schreiben das Jahr 1654. In Regensburg findet der Reichstag statt, ein Treffen nicht nur der deutschen Herrscherhäuser, sondern auch vieler bürgerlicher Standesvertreter. So kam aus Magdeburg Otto von Guericke (1602-1686), der in seiner Stadt das Amt des Bürgermeisters versah. Aber Guericke war nicht nur Bürgermeister, sondern auch ein ausgezeichneter Naturforscher – einer der ersten, die sich mit dem Phänomen Luft näher befaßten. In den Geschichtsbüchern der Technik ist er als der Erfinder der Luftpumpe verzeichnet.

 

Vor den Besuchern des Regensburger Reichstags führte Guericke ein Experiment aus, das ebenfalls in die Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik eingehen sollte. Er fügte zwei hohle Halbkugeln, die genau aufeinander paßten, zusammen und pumpte die Luft aus der so entstandenen Hohlkugel heraus.

 

Die Halbkugeln, die sich unter normalen Bedingungen leicht trennen ließen, wurden nun durch den Luftdruck aufeinander gepreßt und ließen sich nicht mehr mittels Menschenkraft, sondern nur noch durch den Einsatz von acht Pferden voneinander trennen. Guericke war es, der als erster auf der Erde ein Vakuum herstellte, zumindest ein angenähertes. Vakuum – dies bedeutet luftleerer Raum, also Raum, in dem sich keinerlei Luftmoleküle befinden. Einen solchen völlig luftleeren Raum konnte bis heute niemand auf der Erde herstellen; selbst die besten Vakuumpumpen erlauben es nur, die Dichte der Luftmoleküle auf einen allerdings sehr kleinen Bruchteil der auf der Erdoberfläche üblichen Dichte zu reduzieren. Aber selbst bei einem Ultrahochvakuum hat man es noch mit mindestens 100 Millionen Molekülen pro Kubikzentimeter zu tun.

 

Um ein fast ideales Vakuum zu erleben, etwa einen Raum, in dem es weniger als ein Molekül pro Kubikzentimeter gibt, müßte man sich weit von der Erde wegbewegen, in die Raumgebiete zwischen den Galaxien, die extragalaktischen Räume. Aber heute wissen wir, daß auch jene entfernten Räume nicht völlig leer sind, sondern voll mit Photonen, den Teilchen des Lichts.

 

Im Gegensatz zu den Materieteilchen, wie den Protonen oder den Elektronen, sind die Photonen masselos. Sie bewegen sich deshalb ständig mit Lichtgeschwindigkeit durch den Raum, wobei sie Energie transportieren. Im Weltall findet man im Mittel etwa 400 Photonen in einem Kubikzentimeter. Im Vergleich zur Dichte der Abb. 5-1 Das Experiment mit den Magdeburger Halbkugeln, ausgeführt auf dem Reichstag zu Regensburg von Otto von Guericke im Jahre 1654 (zeitgenössische Abbildung).

 

Abb. 5-2 Die Andromeda-Galaxie im Sternbild Andromeda. Diese Galaxie von mehr als 100 Milliarden Sternen ist die unserer Galaxie am nächsten gelegene Galaxie, etwa 2 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt. Der intergalaktische Raum zwischen der Erde und der Andromeda-Galaxie ist insbesondere mit Photonen angefüllt, den Teilchen elektromagnetischer Wellen vornehmlich im Radiowellenlängenbereich.


Luftmoleküle auf der Erdoberfläche ist dies wenig, verglichen mit der mittleren Dichte der Atome im Universum jedoch sehr viel. Würde man alle Atome der Planeten und Sterne im Weltraum gleichmäßig verteilen, so würde man nur etwa ein Atom pro Kubikmeter erhalten. Die Photonen sind also die im Weltraum am häufigsten vertretenen Teilchen. Es gibt etwa zehn Milliarden mal mehr Photonen als Atome.

 

Die moderne Kosmologie findet hierauf eine einfache Antwort. Bei der Photonenstrahlung, die den Weltraum gleichmäßig ausfüllt, handelt es sich um die Überreste des Urknalls, also jener Explosion, bei der vor vermutlich etwa 10-15 Milliarden Jahren das Weltall, zumindest der heute von uns beobachtete Teil des Weltraums, entstanden ist. Kurz nach dem Urknall war die Materie sehr heiß, und ein großer Teil der Energiedichte des Kosmos lag in Gestalt von elektromagnetischer Strahlungsenergie, also als Photonenstrahlung vor. Durch die fortwährende Ausdehnung des Kosmos wurde auch die Photonenstrahlung »ausgedehnt« und dabei abgekühlt. Heute hat sie nur noch eine Temperatur von etwa 2,7 Grad über dem absoluten Nullpunkt.

 

Wenn wir also ein Raumgebiet außerhalb unseres Sternensystems, unserer Galaxie, näher untersuchen würden, müßten wir feststellen, daß es sich strenggenommen auch nicht um ein Vakuum handelt, sondern um einen Raum, der mit einem Photonengas gefüllt ist. Im Prinzip zumindest ist es jedoch möglich, die Photonen zu entfernen. Der von uns betrachtete Raum müßte nur mit einem Metallmantel umgeben werden, der die Photonen davon abhält, ins Innere einzudringen. Damit dort keine Photonen mehr vorhanden sind, müßte man allerdings das Metall noch auf den absoluten Nullpunkt abkühlen, was zwar theoretisch denkbar, in der Praxis aber unmöglich ist. Doch damit haben wir immer noch kein absolutes Vakuum geschaffen. Die moderne Kosmologie sagt nämlich voraus, daß es im Weltraum im Mittel nicht nur etwa 400 Photonen pro Kubikzentimeter gibt, sondern auch etwa 500 Neutrinos. Das sind Teilchen, die mit dem Baustein der Atomhülle, dem Elektron, verwandt sind, im Gegensatz zum Elektron jedoch keine elektrische Ladung tragen, also neutral sind.

 

Es gibt genau drei verschiedene Arten von Neutrinos. Das erste ist ein Partner des Elektrons in der schwachen Wechselwirkung, also derselben Wechselwirkung, die für die Radioaktivität verantwortlich ist, und wird deswegen Elektron-Neutrino genannt. Das zweite Neutrino ist der Partner des Myons, es wird deshalb als Myon-Neutrino bezeichnet. Das dritte schließlich ist der neutrale Partner eines weiteren Bruders des Elektrons, des IJ-Leptons, dessen Masse fast 20mal so groß wie die Masse des Myons ist.

 

Die Neutrinos besitzen entweder keine Masse oder bestenfalls eine Masse, die nur ein winziger Bruchteil der Masse des Elektrons sein kann. Bis heute ist es nicht gelungen, den Neutrinos eine Masse nachzuweisen, und bis zum Beweis des Gegenteils gelten sie als masselose Teilchen.

 

Wegen ihrer Neutralität gehen die Neutrinos nur sehr selten eine Wechselwirkung mit Materie ein. Ein Neutrino kann ohne weiteres die ganze Erde durchqueren, ohne mit einem der Teilchen in den Atomen und Molekülen der Erdmaterie in Wechselwirkung zu treten. Photonen kann man abschirmen, Neutrinos nicht. Dies bedeutet: Unser oben erwähntes abgeschirmtes Raumgebiet enthält zwar weder Atome noch Photonen, wohl aber Neutrinos – es wird ständig von ihnen durchströmt. Es ist prinzipiell unmöglich, diesen überall präsenten Neutrinostrom zu unterbinden. Damit ist es im Grunde unmöglich, ein wirkliches Vakuum, also einen völlig leeren Raum, auf der Erde oder sonstwo im Weltraum herzustellen. Wir können uns diesen letztlich nur als theoretische Konstruktion vorstellen, als ein abstraktes Gebilde, das man zwar nie wirklich realisieren kann, das aber für zahlreiche Überlegungen immerhin recht hilfreich ist. In der modernen Physik beschreibt man die Materie mit Hilfe von Teilchen, die sich im Vakuum, im leeren Raum, bewegen. Der Raum hat gewissermaßen die Funktion eines Behälters, in dem die Materieteilchen, etwa Elektronen, eingebettet sind. Wenn sich in einem Raumgebiet, sagen wir einem Kubikzentimeter, zehn Elektronen befinden, so ist es leicht möglich, ein weiteres Elektron hinzuzufügen oder eines zu entfernen. Am Raum selbst ändert sich dabei nichts. Deswegen können wir uns im Prinzip zumindest vorstellen, daß wir ein vollkommenes Vakuum, also einen völlig leeren Raum, herstellen können, indem wir Schritt für Schritt alle Teilchen, die sich im fraglichen Raumgebiet befinden, Elektronen, Photonen oder Neutrinos, entfernen. Das Ergebnis dieser theoretischen Konstruktion nennt man dann den Raum an sich, das vollkommene Vakuum. Das so erreichte Vakuum entspricht etwa der Idee des leeren Raumes, die bereits von den griechischen Mathematikern wie Euklid vor mehr als zwei Jahrtausenden entwickelt wurde, also unseren Raum mit seinen drei Dimensionen.

 

Wir haben oben bei der schrittweisen Annäherung an das ideale Vakuum jedoch vergessen, daß es in der Physik neben Teilchen noch etwas anderes gibt, nämlich physikalische Felder. So können wir mit einem Magnetfeld, das wir etwa mit einer Spule erzeugt haben, die Flugbahn eines bewegten Elektrons beeinflussen. Das
Magnetfeld durchsetzt den Raum – genauer, es ist eine physikalische Eigenschaft des Raumes. Um ein ideales Vakuum herzustellen, müssen wir also sicher sein, daß das betrachtete Raumgebiet nicht nur frei von Teilchen ist, sondern auch frei von Feldern. Auch dies läßt sich, zumindest im Prinzip, durch eine geeignete Abschirmung erreichen. Das ideale Vakuum ist also ein Raumgebiet, in dem es weder Teilchen noch Felder gibt. Man könnte nun denken, daß dieses mit viel Mühe konstruierte Vakuum ein Objekt ist, das letztlich nur noch mathematische Eigenschaften besitzt, eben die, drei Dimensionen zu besitzen, aber keinerlei physikalische Eigenschaften. Genau dies war auch die Vorstellung, die von den Physikern bis etwa zu Beginn der dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts gehegt wurde. Mit der Entwicklung der Quantentheorie, genauer der Vereinigung der Quantentheorie und der Einsteinschen Theorie der Relativität von Raum und Zeit, änderte sich dies jedoch sehr schnell. Es zeigte sich, daß die Interpretation des Vakuums als eines passiven leeren Raumes, eines Behälters, in den man die Materieteilchen nur einzubringen hat, nicht haltbar war. Diese Neuorientierung bezüglich des Phänomens Vakuum ist eng mit dem Namen von Paul Dirac verbunden, eines Physikers, der Anfang der dreißiger Jahre im englischen Cambridge lebte und später dort den Lehrstuhl für

 

Abb. 5-3 Paul Dirac, der dem leeren Raum neue Eigenschaften verlieh. (Foto Cambridge University)

 

Naturwissenschaften erhielt, den einst Sir Isaac Newton innehatte. Dirac versuchte etwa im Jahre 1928, die in Deutschland insbesondere von Heisenberg und Schrödinger entwickelte Quantenmechanik, die zum ersten Mal eine genaue Beschreibung der physikalischen Prozesse innerhalb der Atome gestattete, mit Einsteins Relativitätstheorie zu verbinden. Es stellte sich bald heraus, daß eine solche Verknüpfung gar nicht ohne weiteres möglich war.

 

Die typischen Geschwindigkeiten der Teilchen innerhalb der Atome sind viel kleiner als die Lichtgeschwindigkeit von ungefähr 300.000 km/s. Aus diesem Grunde spielen die Effekte der Relativitätstheorie in der Atomphysik auch keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Dirac kam es deshalb nicht auf eine neue Sicht der
Physik in den Atomen an, sondern auf das Prinzip. Er wollte die neu entwickelte Quantentheorie auf Prozesse verallgemeinern, bei denen die Geschwindigkeiten der Teilchen fast so groß wie die Lichtgeschwindigkeit sind. Dabei ahnte er nicht, daß die Physiker heute, also etwas mehr als 50 Jahre später, in der Lage sind,
Teilchen auf Geschwindigkeiten zu beschleunigen, die der Lichtgeschwindigkeit sehr nahe kommen.

 

Ein wichtiges Merkmal der Einsteinschen Relativitätstheorie ist, daß es in ihr keinen wesentlichen Unterschied zwischen Raum und Zeit mehr gibt, ein Unterschied, der in der klassischen Physik sehr ausgeprägt ist. In gewisser Weise lassen sich sogar Raum und Zeit ineinander umwandeln. In der Relativitätstheorie kann man jedenfalls nicht mehr genau zwischen Raum und Zeit trennen. Es existiert nur noch eine Einheit von Raum und Zeit, die Einsteinsche Raum-Zeit.

 

Dirac gelang es im Jahre 1928, eine mathematische Gleichung abzuleiten, die sowohl die Quantentheorie als auch die Relativitätstheorie in sich vereinigte. Das erste Resultat, das Dirac mit seiner Gleichung erzielte, war ein beeindruckender Erfolg. Es gelang ihm auch, die genaue Stärke der Wechselwirkung von Elektronen, also den Teilchen der Atomhülle, mit magnetischen Feldern abzuleiten. Damit war klar, daß er mit seiner Gleichung, der später nach ihm benannten Dirac-Gleichung, einen wichtigen Schritt in Richtung eines tieferen Verständnisses der Elementarteilchen getan hatte.

 

Dirac bemerkte recht bald nach Aufstellung seiner Gleichung, daß er mit den Lösungen der Gleichung nicht nur die Eigenschaften der Elektronen in den Atomen beschreiben konnte. Eben weil in seiner Gleichung ebenso wie in der Relativitätstheorie Raum und Zeit als gleichberechtigte Partner auftreten, erhielt er nicht nur Lösungen positiver Energie, die er mit den Elektronen identifizierte, sondern auch solche negativer Energie. Diese bereiteten erhebliche Kopfschmerzen. In der Quantentheorie ist es nämlich die Regel, daß ein atomphysikalischer Zustand nach einer gewissen Zeit in einen anderen Zustand übergeht, der eine niedrigere Energie besitzt, falls dies innerhalb der geltenden Naturgesetze möglich ist.

 

Das Leuchten eines Fernsehschirms in einem dunklen Zimmer nach Abschalten des Apparats beruht beispielsweise auf dieser Eigenschaft. Durch die Elektronenstrahlen, die das Bild auf dem Fernsehschirm erzeugen, werden die Atome des Bildschirms angeregt, also in atomphysikalische Zustände höherer Energie versetzt. Nach dem Ausschalten gehen diese Atome mehr oder weniger schnell in den Zustand der niedrigsten Energie über, wobei sie elektromagnetische Strahlung, darunter auch sichtbares Licht, abstrahlen. Dieses Phänomen kann man mehrere Minuten lang beobachten.

 

Ein Elektron, das sich in Ruhe befindet und durch die Diracsche Gleichung beschrieben wird, besitzt die Energie E = mc2, entsprechend der berühmten Einsteinschen Beziehung zwischen Masse und Energie. In Einsteins Theorie ist die Energie eines Teilchens immer positiv, nicht jedoch in der von Dirac, in der es auch Objekte mit negativer Energie gibt. Mehr noch – für jedes Teilchen, das Dirac mit seiner Gleichung beschreiben konnte, gab es ein anderes Teilchen, das genau die entsprechende negative Energie besaß. Da Masse und Energie einander äquivalent sind, könnte man auch von einer negativen Masse sprechen.


Dirac versuchte zunächst, die Teilchen mit negativer Energie einfach zu ignorieren, merkte jedoch sehr bald, daß dies letztlich nicht möglich war. Entsprechend seiner Gleichung könnte sich ein ruhendes Elektron durch Abstrahlung von Energie, genau der Energie von 2mc2, in ein Elektron mit der Energie -mc2 verwandeln. Wie man sieht, ist die Energie bei einem solchen Prozeß erhalten. Die Anfangsenergie ist mc2, die Endenergie ebenfalls: mc2 = 2mc2 – mc2. Man kann sogar berechnen, wie schnell ein solcher Umwandlungsprozeß ablaufen sollte. Er würde nur etwa ein Hundertmillionstel einer Sekunde dauern. Dies ist natürlich Unsinn, denn wir wissen, daß ein freies Elektron in Ruhe keine solchen Abenteuer unternimmt – es verbleibt in seinem Zustand beliebig lange.


Dirac war also in einem Dilemma. Zum einen feierte seine Gleichung große Erfolge in der Atomphysik, zum anderen führte sie zu unsinnigen Resultaten bei der Beschreibung der Elektronen im Vakuum. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder war die Gleichung falsch, oder man mußte eine andere Interpretation der Resultate der Gleichung finden. Schon aus eigenem Interesse entschloß sich Dirac, das letztere zu versuchen. Das Resultat war eine völlig neue Interpretation des Vakuums, also des leerenRaumes.


Das Verhalten der Elektronen in den Atomen kann man nur verstehen, wenn man annimmt, daß zwei Elektronen niemals zur gleichen Zeit an ein und demselben Ort sein können. Dieses wichtige Prinzip der Atomphysik wurde von Wolfgang Pauli etwa Mitte der zwanziger Jahre vorgeschlagen und hat sich bestens bewährt. In der Physik ist es seither unter dem Namen »Pauli-Prinzip« wohlbekannt.


Wenn man sich die Elektronen wie kleine Metallkügelchen vorstellt, ist das Pauli-Prinzip leicht zu verstehen. Wo ein Stück Materie ist, kann nicht gleichzeitig ein anderes Stück Materie sein. In der Atomphysik, die durch die Quantentheorie beschrieben wird, ist dies jedoch in keiner Weise selbstverständlich. In der Quantenphysik kann man für ein Teilchen nämlich nicht mehr mit absoluter Genauigkeit angeben, wo es sich befindet. Man kann nur noch sagen, daß es sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, sagen wir mit 50 % Wahrscheinlichkeit, in einem bestimmten Raumgebiet aufhält. Dies ist eine Folge der von Heisenberg entdeckten Unschärferelation. Sie gibt an, daß in der Quantenmechanik absolut genaue Aussagen weder über den Ort noch über die Geschwindigkeit eines Teilchens gemacht werden können.


Aus diesem Grunde könnte es durchaus sein, daß an ein und demselben Ort gleichzeitig zwei Elektronen sind, das eine eben mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit, das andere mit einer anderen Wahrscheinlichkeit. Für manche Teilchen, beispielsweise für die Photonen, die Teilchen des Lichtes, ist dies auch der Fall. Bei den Elektronen wird diese Möglichkeit jedoch durch das Pauli-Prinzip verhindert. Es sagt genauer aus, daß zwei Elektronen sich niemals in ein und demselben Quantenzustand befinden können; wo ein Elektron bereits ist, darf kein zweites sein.


Genaugenommen ist das Pauli-Prinzip der Grund für die Tatsache, daß zwei Materiestücke, etwa ein Stück Holz und ein Stück Eisen, sich nicht gegenseitig durchdringen können. Eigentlich wäre dies ohne weiteres möglich, denn normale, aus Atomen aufgebaute Materie ist nicht besonders dicht gepackt. Zwar stoßen die Atome bei einem festen Körper aufeinander, aber der Raum im Innern der Atome ist im Grunde leer, da die Atomkerne viel kleiner als die Atome selbst sind. Das gegenseitige Durchdringen einzelner Atome wird jedoch dank dem Pauli-Prinzip verhindert.


Wenn wir mit dem Kopf gegen eine Wand stoßen und dies mit Schmerz registrieren, so ist die tiefere Ursache hierfür nicht etwa eine zwischen Kopf und Wand direkt wirkende abstoßende physikalische Kraft, sondern das Pauli-Prinzip.


Dirac entdeckte, daß seine Gleichung durchaus akzeptabel wäre, wenn man annimmt, daß das Vakuum seine passive Rolle, die es in der klassischen Physik spielt, aufgibt. Da wegen des Pauli-Prinzips kein Elektron dorthin gelangen kann, wo schon eines ist, nahm er an, daß die negativen Energiezustände der Elektronen, die durch seine Gleichung beschrieben werden, zwar durchaus existieren, aber bereits durch Elektronen völlig aufgefüllt sind. Ein Elektron mit einer positiven Energie würde zwar gern durch Aussenden elektromagnetischer Strahlung in einen Zustand mit einer negativen Energie überwechseln, kann dies aber nicht, weil die Platzkarten aller zur Verfügung stehenden Zustände bereits vergeben sind.


Dies ist nur möglich, wenn man das Vakuum völlig neu interpretiert. Es ist dann genau dasjenige quantenphysikalische Gebilde – die Physiker nennen es den Quantenzustand des Vakuums -, in dem alle Elektronenzustände mit negativer Energie besetzt sind. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom Vakuum als von einem »See« negativer Energiezustände. Betrachten wir hingegen ein einzelnes Elektron, etwa ein Elektron in Ruhe mit der Energie, die seiner Ruhemasse entspricht (etwa 0,5 MeV), so ist dies nach Dirac mehr als ein Zustand, der sich nur auf das Elektron bezieht. Es ist ein Zustand, bei dem alle Zustände negativer Energie besetzt sind und zusätzlich ein Elektronzustand mit positiver Energie existiert.


Wir sehen sofort, was diese neue Interpretation des Vakuums von Dirac bedeutet: Das Vakuum gibt seine Rolle als »Nichts« auf. Es erhält plötzlich eine Reihe interessanter physikalischer Eigenschaften – das Vakuum erhält ein Eigenleben. Nehmen wir beispielsweise einmal an, daß wir einem solchen Vakuumzustand eine bestimmte Energie zuführen, sagen wir die Energie von etwa einem MeV, also der Energie, die dem Doppelten der Masse des Elektrons entspricht. Nun kann es passieren, daß eines der unendlich vielen Elektronen des »Dirac-Sees«, sagen wir eines mit der Energie -0,5 MeV, diese Energie aufgreift. Es wird, wie man sagt, angeregt und verwandelt sich in ein Elektron mit der positiven Energie 0,5 MeV. Dies wäre dann ein Elektron in Ruhe. Der Zustand, den wir damit erreicht haben, ist aber nicht ein einzelnes Elektron. Wir müssen bedenken, daß wir dem Vakuum durch die Energiezufuhr ein Elektron entrissen haben. Dieses fehlt jetzt. Das Vakuum hat, wie man sagt, ein Loch. Es handelt sich dann nicht mehr um ein normales Vakuum, sondern um einen Zustand, dem ein Elektron fehlt. Die Situation ist ganz analog zu einem Bankkonto. Der Zustand mit dem Elektron entspricht dem Konto mit, sagen wir, 100 DM Guthaben. Das eigentliche Vakuum entspricht dem Konto mit Null DM Guthaben und der Lochzustand dem Konto mit 100 DM Schuld.


Verglichen mit dem normalen Vakuum ist dieses »Lochvakuum« ein Gebilde, dessen elektrische Ladung um eine Elektronenladung abgesenkt ist. Gleichzeitig ist seine Energie um genau 0,5 MeV größer als die des normalen Vakuums. Dieses merkwürdige Gebilde sieht im Grunde aus wie ein Teilchen, und zwar ein Teilchen mit einer Ladung, die genauso groß ist wie die elektrische Ladung des Elektrons, nur mit dem anderen, also positiven Vorzeichen. Es handelt sich hierbei um ein Positron, um das Antiteilchen des Elektrons. Man sollte sich nicht daran stören, daß ausgerechnet der »Lochzustand« eine positive Ladung besitzt und nicht, wie man vielleicht erwarten könnte, eine negative. Die Zuordnung »positiv« und »negativ« wurde im achtzehnten Jahrhundert eingeführt, von dem amerikanischen Naturforscher Benjamin Franklin. Zu seiner Zeit wußte man nicht, daß elektrische Ströme durch bewegte Elektronen erzeugt werden. Andernfalls hätte man die Vorzeichen der Ladung anders definiert und dem Elektron als dem Hauptakteur der elektrischen Phänomene eine positive Ladung zuerkannt. Dann wäre das Positron negativ geladen. Im heutigen Licht wäre dies vernünftiger gewesen, aber hinterher ist man immer klüger. Trotzdem – die Zuordnung des Vorzeichens der Ladung ist willkürlich, und so können wir heute auch mit Franklins »falscher« Zuordnung gut leben.


Wir sehen also: Durch die Energiezufuhr von einem MeV haben wir das Vakuum in einen Zustand verwandelt, in dem sich sowohl


Abb. 5-4 Paarerzeugung eines Elektron-Positron-Paares im Vakuum. Die unterschiedlichen Ladungen der beiden erzeugten Teilchen sind an den entgegengesetzten Krümmungen der Bahnen im Magnetfeld zu sehen. (Foto CERN)

 

ein Elektron wie das zugehörige Loch, also ein Positron, befinden. Wir haben also ein Paar von Teilchen, genauer ein Teilchen, das Elektron, und sein Antiteilchen erzeugt. Dieser Prozeß wird Paarerzeugung genannt. Wir erwarten dann auch, daß sich der entstandene Zustand, bestehend aus einem Teilchen und seinem Antiteilchen, wieder in den ursprünglichen Vakuumzustand verwandeln kann, wobei Energie abgestrahlt wird. Neben der Paarerzeugung gibt es also auch eine Paarvernichtung. So können sich ein Elektron und ein Positron, die sich einander annähern, gegenseitig vernichten, wobei die Energie der beiden Teilchen in Gestalt elektromagnetischer Strahlung abgeführt wird. Bei diesem Prozeß springt gewissermaßen das Elektron in das »Loch« des Dirac-Sees zurück – das Guthaben und die Schuld auf unserem Konto gleichen sich aus.


Bislang haben wir die Konsequenzen beschrieben, die Dirac aus seiner neuen Ansicht des Vakuums ziehen mußte. Seine interessanteste Folgerung war: Zum Elektron muß es ein Antiteilchen geben, dessen Masse genauso groß ist wie die Elektronmasse, das aber eine positive elektrische Ladung trägt. Seit dem Jahre 1932 wissen wir, daß es dieses Teilchen, das Positron, in der Tat gibt. Damals wurde das Positron von Carl Anderson bei der Analyse der kosmischen Strahlung am California Institute of Technology in Pasadena entdeckt. Damit wurde ein neues Tor in den Naturwissenschaften aufgestoßen, das Tor zur Welt der Antimaterie. Heute kennt man die Antiteilchen zu allen beobachteten Teilchen, etwa die Antiprotonen oder die Antineutronen.


Die Prozesse der Paarerzeugung und Paarvernichtung sind heute in der Physik wohlbekannt. Immer dann, wenn es gelingt, in einem Punkt des Vakuums eine genügend große Energiemenge zu konzentrieren, kann es zu einer spontanen Paarerzeugung kommen, wobei es nicht möglich ist vorauszusagen, wie die erzeugten Teilchen sich genau verhalten, nach welcher Richtung sie etwa davonfliegen.


Merkwürdig ist jedoch die Tatsache, daß ein Elektron und sein Antiteilchen im Augenblick ihrer Geburt mit ihrer richtigen Masse erscheinen. Beispielsweise können wir ein Elektron-Positron-Paar durch die Kollision zweier Lichtteilchen, zweier Photonen, aus dem Vakuum »herausholen«. Im Augenblick der Kollision der beiden Lichtquanten wird dem »Vakuum« die erforderliche Energie, die größer als das Doppelte der Elektronenmasse, also mehr als l MeV, sein muß, zugeführt. Sofort erscheinen die beiden Teilchen aus dem »Nichts«.


Man könnte sich fragen, woher das Vakuum eigentlich weiß, wie groß die Massen des Elektrons und seines Antiteilchens sein müssen, die da aus dem »Nichts« erzeugt werden. Die Theorie von Dirac gibt hier eine einfache Antwort. Da das Vakuum letztlich ein See von Teilchen ist, enthält es natürlich alle Informationen über die Elektronen und Positronen. Die gesamte Physik dieser Teilchen ist bereits im Vakuum enthalten. Das Diracsche Vakuum ist also weit mehr als das Vakuum der klassischen Physik, etwa das Vakuum des Otto von Guericke. Die physikalischen Gesetze, die für das Elektron von Wichtigkeit sind, und alle Eigenschaften des Elektrons, etwa seine Masse, seine Ladung, sind im Vakuum bereits angelegt, nicht als aktuelle Realität, sondern als virtuelle Möglichkeit. Es ist damit ein physikalisches Medium, auf jeden Fall viel mehr als jener eigenschaftslose materiefreie Raum, der das Vakuum der klassischen Physik charakterisiert.


Das von Dirac entworfene Bild des Vakuums besitzt eine unattraktive Eigenschaft. Da das Vakuum letztlich einen See von Elektronzuständen mit negativer Energie darstellt, würde man erwarten, daß die elektrische Ladung des Vakuums unendlich groß ist. Da wir es bei physikalischen Prozessen immer nur mit Differenzen von elektrischen Ladungen der Teilchen im Vergleich zum Vakuum zu tun haben, ist dies zwar kein unmittelbares Problem, denn Unendlichkeiten treten in der Physik durchaus manchmal auf, aber immerhin bedeutet es eine Unsymmetrie zwischen den Teilchen und den Antiteilchen. Im Diracschen Bild spricht man deswegen von einem Elektronensee und nicht von einem Positronensee. Die Elektronen erhalten mithin eine Vorzugsbehandlung.


Diese Unsymmetrie wurde jedoch durch die Weiterentwicklung der Diracschen Theorie im Laufe der dreißiger Jahre beseitigt, und zwar durch die Entwicklung einer Theorie, in der die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik endgültig miteinander verschmolzen wurden: der Quantenfeldtheorie. Die Entwicklung dieser Theorie ist vor allem den Physikern Werner Heisenberg und Wolfgang Pauli zu verdanken.


Wenn man die Diracsche Gleichung im Rahmen der Quantenfeldtheorie näher untersucht, erweist es sich, daß man für die Beschreibung der Positronen, die im Diracschen Vakuum als Löcher im Dirac-See in Erscheinung treten, wiederum eine mathematische Gleichung aufstellen kann. Diese Gleichung erweist sich als identisch mit der Diracschen Gleichung, wenn man in ihr die Elektronen durch die Positronen ersetzt und entsprechend das Vorzeichen der elektrischen Ladung umkehrt. Dirac hätte also seine Untersuchungen ebenso mit dieser Gleichung beginnen können. Allerdings wäre er dann nicht auf die Idee gekommen, das Vakuum als einen See von Elektronen negativer Energie zu interpretieren, sondern als einen See von Positronen negativer Energie. Das Elektron wäre dann ein Loch im See der Positronen.


In der Quantenfeldtheorie vereinigt man nun beide Bilder, indem man das Vakuum nicht nur durch einen See von Elektronen oder von Positronenzuständen negativer Energie charakterisiert, sondern durch einen See von Elektronen und Positronen. Hiermit wird das Problem der elektrischen Ladung des Vakuums sofort gelöst. Da es sowohl positiv geladene Positronen als auch negativ geladene Elektronen im See gibt, ist das Vakuum im Mittel elektrisch neutral. Zwischen Teilchen und Antiteilchen herrscht jetzt eine völlige Symmetrie.


Der See von Elektronen und Positronen negativer Energie im Vakuum ist nicht etwa nur ein Bild, das man für eine mathematisch konsistente Beschreibung der Teilchen benötigt, sondern führt zu handfesten physikalischen Konsequenzen. Nehmen wir einmal an, wir bringen ein Elektron in dieses Vakuum hinein. Das Elektron besitzt eine negative elektrische Ladung. Diese wirkt nun auf die Elektronen und Positronen im Dirac-See. Die Elektronen werden abgestoßen, die Positronen werden angezogen. Damit verursacht das eingebrachte Elektron eine Verzerrung des Vakuums – man spricht von einer Polarisation des Vakuums. Die Positronen, die das Elektron umlagern, schirmen dessen Ladung zumindest teilweise ab, so daß die elektrische Ladung des Elektrons bei genügend großen Abständen nun kleiner als vorher erscheint. Man beschreibt diesen Sachverhalt, indem man sagt, die »nackte« Ladung des Elektrons, also die Ladung, die das Elektron ohne den Dirac-See hätte, ist größer als die tatsächlich gemessene Ladung. Diesen Effekt kann man beobachten, indem man zum Beispiel die Ablenkung zweier Elektronen mißt, wenn sie dicht aneinander vorbeifliegen. Bei sehr kleinen Abständen kann man den Effekt des Dirac-Sees zumindest teilweise ignorieren. In der Tat findet man, daß die elektrische Ladung der Elektronen bei Abständen, die mindestens 10.000mal kleiner sind als der Radius des Wasserstoffatoms, etwas größer ist als bei großen Distanzen. Der Effekt der Zunahme der elektrischen Ladung läßt sich genau berechnen. Die Ergebnisse der Messungen stimmen bestens mit den theoretischen


Abb. 5-5 Die Erzeugung eines Quarks und eines Antiquarks aus Energie, die durch die Vernichtung eines Elektrons und eines Positrons entsteht, die vorher mittels des Hamburger Beschleunigers PETRA stark beschleunigt wurden. Die beiden Quarks fliegen praktisch mit Lichtgeschwindigkeit voneinander weg und erzeugen dabei zwei Teilchenjets, die man mit Hilfe eines Teilchendetektors beobachten kann. (DESY, Hamburg)

 

Voraussagen überein. Damit können wir sagen, daß der Dirac-See von Elektronen und Positronen nicht etwa nur eine abstrakte Erfindung der theoretischen Physiker ist, sondern eine physikalische Realität besitzt.

 

In der modernen Elementarteilchenphysik gehen die Physiker sogar viel weiter als Dirac mit seinem Elektron-Positron-Vakuum. Das Vakuum der heutigen Physik enthält nicht nur die Elektronen und Positronen negativer Energie, vielmehr sind alle Elementarteilchen im Vakuum bereits virtuell vorhanden. So enthält es auch die Quarks und Antiquarks, also die kleinsten Teilchen der Atomkerne. Wenn es gelingt, in einem kleinen Raumbereich eine hohe Energiedichte zu erzeugen, dann entstehen hieraus nicht nur Elektronen und Positronen durch die Paarerzeugung, die wir oben diskutiert haben, sondern man erzeugt manchmal auch ein Quark und
das entsprechende Antiquark. Solche Prozesse kann man beispielsweise am Beschleuniger LEP des CERN bei Genf beobachten.


Grundsätzlich sind alle elementaren Teilchen, aus denen nach den Erkenntnissen der Physiker die Materie besteht oder die man für das Verständnis der in der Natur vorkommenden Kräfte benötigt, bereits im Vakuum vorhanden, gewissermaßen virtuell angelegt. Wenn wir also ein solches Teilchen, beispielsweise den schweren »Bruder« des Elektrons, ein Myon, und das entsprechende Antiteilchen aus Energie erzeugen, dann ist dieser Vorgang im Grunde keine richtige Erzeugung aus dem »Nichts« – die beiden Teilchen waren bereits vorher im Vakuumzustand da, als virtuelle Objekte. Die Energie, die man benötigt, um den Prozeß überhaupt ablaufen zu lassen, ist der Preis, den wir entrichten müssen, um die beiden Teilchen aus dem unerschöpflichen Reservoir des Vakuums hervorzuholen.


Mehr noch: Nicht nur die Teilchen sind im Vakuum bereits vorhanden, auch die wesentlichen Eigenschaften unserer Welt, insbesondere die Naturgesetze, die den dynamischen Ablauf der Naturprozesse festlegen, sind im Vakuum schon vorgegeben. Die Naturgesetze, die wir durch die Beobachtung der sichtbaren Materie in der Welt ableiten, sind also nicht an diese Materie gebunden, sondern sind letztlich Eigenschaften des Vakuums, des scheinbar leeren Raumes. Diese Erkenntnis, die sich erst im Verlauf der letzten Jahrzehnte bei den Physikern durchgesetzt hat, ist auch wichtig für das  Verständnis astrophysikalischer und kosmologischer Probleme. So wissen wir, daß ein Elektron in einer fernen Galaxie genau dieselben Eigenschaften besitzt wie ein Elektron hier auf der Erde.


Würden wir physikalische Experimente in einer fernen Galaxie durchführen, etwa die Paarerzeugung eines Elektrons und eines Positrons, so würden wir dort dasselbe beobachten wie auf der Erde. Dies wäre schwer zu verstehen, wenn die physikalischen Gesetze nicht eine Eigenschaft des leeren Raumes, also des Vakuums, wären.


Die Physiker sind allerdings nicht auf dieser Stufe der Erkenntnis stehengeblieben. Die Idee des mit Teilchen und Antiteilchen angefüllten Diracschen Vakuums erklärt nämlich nicht, warum die Elementarteilchen, etwa die Elektronen oder auch die Quarks, eine Masse besitzen. Entsprechend der Einsteinschen Relation zwischen Masse und Energie E = mc2 läßt sich zwar die Masse eines Teilchens unter gewissen Umständen, beispielsweise bei der Paarvernichtung, in Strahlungsenergie umwandeln. Daraus folgt jedoch nicht, daß ein Teilchen überhaupt eine Masse besitzt. Es könnte nämlich ohne weiteres auch masselos sein, wie das Lichtteilchen, das Photon, oder möglicherweise die Neutrinos. Theoretische Physiker, die sich ja oft neben der realen Welt auch eine ideale vorstellen, in der die Naturgesetze etwas weniger kompliziert sind als in der Realität, betrachten oft den Fall, in dem die Teilchen masselos sind. Dann lassen sich nämlich viele Prozesse leichter berechnen, weil man die lästigen Massen der Teilchen nicht zu berücksichtigen hat. Seit etwa 1970 hat sich herausgestellt, daß man eine einheitliche Beschreibung der Elementarteilchen und ihrer Wechselwirkungen erreichen kann, wenn man die Massen der Teilchen erst einmal ignoriert und sie dann später, gewissermaßen bei der zweiten Lesung der Naturgesetze, als kleine Störungen einführt.


Allerdings ist dieser Schritt nicht ohne weiteres möglich. Man benötigt hierzu eine weitere Naturkraft neben den bekannten Kräften des Elektromagnetismus, der starken und schwachen Kraft in den Atomkernen und der Gravitation. Diese neue Kraft – wie könnte es anders sein – wird ebenfalls durch ein Teilchen vermittelt, das man allerdings bis heute nicht im Experiment entdeckt hat. Es handelt sich um das sogenannte »Higgs«-Teilchen, benannt nach dem englischen Physiker Peter Higgs, der das Verfahren neben anderen englischen Physikern in den sechziger Jahren »erfunden« hat. Nach dieser bis heute nicht bestätigten Hypothese ist die Masse eines Elementarteilchens nichts weiter als eine Manifestation der Stärke, mit der die neue »Higgs«-Kraft auf das Teilchen einwirkt. Speziell für das Vakuum ist die »Higgs«-Kraft von entscheidender Bedeutung. Man stellt sich nämlich vor, daß sie als einzige der in der Natur vorkommenden Kräfte das Vakuum direkt beeinflussen kann: Das der »Higgs«-Kraft zugeordnete Feld, also das »Higgs«-Feld, besitzt auch im Vakuum einen bestimmten Wert, der dann die Massen der Teilchen festlegt. Nach den Vorstellungen der Physiker kommt dieser Wert auf eine eigentümliche Art zustande, die sich durch das folgende Beispiel aus der Mechanik veranschaulichen läßt: Wir betrachten eine Kugel, die sich im Zentrum eines Gebildes befindet, das die Gestalt eines mexikanischen Huts besitzt. Die Kugel befindet sich in einem labilen Gleichgewicht. Bei der geringsten Erschütterung wird sie ihre zentrale Position A verlassen und in das sie umgebende Tal hinunterrollen. Dort wird sie schließlich an einem Punkt B zur Ruhe kommen. Sie befindet sich dann in einem stabilen Zustand. Man beachte, daß die Kugel jetzt einen gewissen Abstand vom Mittelpunkt besitzt. Die ursprüngliche Kreissymmetrie der Anordnung ist nicht mehr gegeben.


Was hat dieses einfache mechanische Beispiel mit dem »Higgs«-Feld zu tun? Das Beispiel verdeutlicht ein Phänomen, das in der Physik häufig vorkommt, nämlich die spontane Brechung einer Symmetrie, meist kurz »Spontane Symmetriebrechung« genannt. Im Punkt A ist die Metallkugel im Mittelpunkt des Systems. Sein Abstand vom Symmetriezentrum ist Null. In dem Moment, in dem die Kugel herunterrollt, wird die Symmetrie der Anordnung gebrochen. Ist die Kugel im Punkt B angekommen, ist die Symmetrie der Anordnung zerstört. Interessant ist nun die Tatsache, daß die unsymmetrische Anordnung einer stabilen Lage entspricht, die symmetrische jedoch labil ist. Man stellt sich vor, daß das »Higgs«-Feld im Vakuum ein ähnliches Verhalten zeigen kann. Einmal kann es sich in einer labilen, aber symmetrischen Anordnung befinden. Dann sind alle Teilchen

Abb. 5-6 Ein mechanisches Modell für eine Symmetriebrechung. Eine Kugel befindet sich im Zentrum eines »mexikanischen Huts« im labilen Gleichgewicht. Bei der geringsten Erschütterung rollt sie vom Zentrum A weg, hinunter in das sie umgebende Tal B.

 

masselos, und die Welt ist besonders einfach, nämlich von hoher Symmetrie – für die Physiker ein Idealzustand. Nun wird diese Symmetrie gebrochen, indem das »Higgs«-Feld im Vakuum einen bestimmten Wert annimmt (dieser entspricht in unserem Beispiel dem Abstand der Kugel vom Zentrum). Die Teilchen, etwa das Elektron, erhalten jetzt ihre Massen, die mithin eine Folge der Symmetriebrechung ist.


Wir nehmen also an, daß der Vakuumzustand in unserer Welt einem unsymmetrischen, dafür aber stabilen Gleichgewichtszustand entspricht (dem Punkt B in unserem Beispiel). Das »Higgs«-Feld hat dann überall im Kosmos denselben Vakuumwert, und dies erklärt, warum etwa die Masse eines Elektrons in einer fernen Galaxie denselben Wert wie bei uns auf der Erde hat.


Wie bereits erwähnt, wissen wir bis heute nicht, ob diese einfache Idee einer spontanen Symmetriebrechung wirklich dem Mechanismus der Massenerzeugung zugrunde liegt. Eventuell wird man in absehbarer Zeit eine Antwort haben, denn das »Higgs«-Teilchen könnte sich beispielsweise bei den Experimenten mit Hilfe der Teilchenbeschleuniger zu erkennen geben. So sucht man seit Inbetriebnahme des LEP-Beschleunigers am CERN im Jahre 1989 nach diesem hypothetischen Teilchen, bis heute allerdings ohne Erfolg. Nun sind die Aussichten, das Teilchen am LEP zu entdecken, nicht sehr groß, da es wahrscheinlich ist, daß das »Higgs«-Teilchen, falls es überhaupt existiert, eine Masse besitzt, die so groß ist, daß man es am LEP nicht erzeugen kann. Günstiger sind die Aussichten für den im Bau befindlichen Beschleuniger LHC (»Large Hadron Collider«) am CERN.

 

Die Methode der spontanen Symmetriebrechung zur Massenerzeugung schreibt also dem Vakuum eine weitere wichtige Rolle zu. Es ist nicht nur, wie von Dirac betont, ein Platz, in dem sich die Teilchen und Antiteilchen, versehen mit negativer Energie, nach Belieben tummeln können, sondern es ist auch das Medium, das für die Brechung der Symmetrie und damit für die Erzeugung der Massen der Elementarteilchen verantwortlich zeichnet. Man könnte sich fragen, ob es nicht möglich sei, daß sich das »Higgs«-Feld auch in der symmetrischen Anordnung befindet. In unserer vorliegenden Welt ist dies sicher nicht der Fall, aber man würde erwarten, daß sich der symmetrische Fall einstellt, wenn eine sehr große Energiedichte vorliegt. Dann würde die Symmetriebrechung gewissermaßen dahinschmelzen. Es scheint unmöglich, dieses »Schmelzen« des Vakuums mit Hilfe eines Teilchenbeschleunigers zu bewerkstelligen, da man hierzu eine Energiedichte benötigen würde, die ein Vielfaches größer ist als die Energie, die man mit Hilfe von Beschleunigern erreichen kann.


Eine interessante Möglichkeit jedoch bietet sich an, und zwar in der Kosmologie. Vor Milliarden von Jahren wurde die Materie im Kosmos durch die Urexplosion erzeugt. Kurz nach dem Urknall war die Energiedichte so hoch, daß sich die symmetrische Vakuumkonfiguration einstellte. Dies hat nun interessante Konsequenzen für die Kosmologie. In der symmetrischen Konfiguration besitzt das Vakuum selbst eine nahezu ungeheuerliche Energiedichte, so daß sich das Weltall sehr schnell aufbläht. Dieser Prozeß läuft so schnell ab, daß man nicht mehr von einer Expansion des Weltraums spricht, sondern von einer Inflation. Eine interessante Folge dieser Inflation wäre, daß alle etwa vorhandenen Ungleichmäßigkeiten im Kosmos, etwa in der Energieverteilung, nahezu
beseitigt werden – sie werden einfach über sehr große Bereiche »verschmiert«. Dies könnte die Erklärung für das bemerkenswerte Phänomen sein, daß zumindest der Teil des Universums, den die Astronomen heute beobachten können, sehr homogen ist.


Beispielsweise zeigt die bereits erwähnte Photonenstrahlung, die das Universum ausfüllt, eine perfekte Symmetrie. Die Idee einer Inflation des Kosmos kurz nach der Urexplosion ist eine plausible Erklärung hierfür.


Beim Übergang vom symmetrischen Vakuum zum unsymmetrischen, der nach den Vorstellungen der Experten kurz nach dem Urknall geschehen sein muß, wurde eine gewaltige Energie freigesetzt, die »Schmelzwärme« des Vakuums. Die Kosmologen vermuten, daß bei diesem Umwandlungsprozeß die heute vorliegende Materie entstanden ist. Die Teilchen, die die Galaxien, Sterne und Planeten aufbauen, sind also die Reste des Übergangs von einem Vakuumzustand zum anderen, der kurz nach dem Urknall die Brechung der Symmetrie veranlaßte und bei dem die Massen der Elementarteilchen erzeugt wurden.


Sollte es sich erweisen, daß diese Idee, die inzwischen von vielen auf dem Gebiet der Kosmologie tätigen Physikern verfolgt wird, richtig ist, dann wären wir selbst, genauer die Materie, aus der wir bestehen, das Produkt des Vakuums. Letzteres hat also im Laufe der Entwicklung der Naturwissenschaften eine interessante Karriere hinter sich gebracht. Es startete als ein Ausdruck für das »Nichts«, für den leeren Raum ohne Eigenschaften. Heute ist das Vakuum ein physikalisches Phänomen, das wohl als das wichtigste und interessanteste in der gesamten Physik gelten kann.


Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.