Ausgabe vom 15.01.2024 – Ukraine: US-Blogger Gonzalo Lira offenbar in Haft verstorben. Erkrankung war unbehandelt geblieben
Von Reinhard Lauterbach

 

Der mit »prorussischen« Postings bekannt gewordene US-Blogger Gonzalo Lira ist offenbar in einem ukrainischen Gefängnis gestorben. Dies berichteten übereinstimmend der englischsprachige Dienst der russischen Staatsagentur TASS sowie das US-Magazin Newsweek

Lira hatte seit Beginn des Ukraine-Kriegs Inhalte, die die russischen Positionen verteidigten, ins Netz gestellt und den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij wegen angeblicher Drogenabhängigkeit und Korruption angegriffen. Der ukrainische Sicherheitsdienst hatte ihn daraufhin mehrfach wegen der »Verbreitung russischer Propaganda« und »Rechtfertigung des russischen Angriffskrieges« ins Visier genommen, ihn aber – offenbar wegen seiner US-Staatsbürgerschaft – zunächst nur verwarnt und gegen Kaution auf freiem Fuß gelassen. Endgültig kam er in Haft, als er im August 2023 versuchte, entgegen den Bewährungsauflagen das Land in Richtung Ungarn zu verlassen. Im Gefängnis erkrankte er nach eigenen Angaben an einer Lungenentzündung, die nicht behandelt worden sei und der er offenbar vor einigen Tagen erlag. Die US-Botschaft in Kiew bestätigte den Tod von Lira ohne weiteren Kommentar. In russischen Medien beschuldigten US-Journalisten die Botschaft, die Hand bei der Festnahme von Lira im Spiel gehabt zu haben.

Wie es kam, dass sich Lira im Moment des russischen Angriffs in der Ukraine aufhielt, ist unklar. Nach Aussage der ihm gewidmeten russischsprachigen Wikipedia-Seite war er seit 2016 mit einer Ukrainerin verheiratet und lebte mit ihr in Charkiw. Zuvor hatte er in den USA im Internet Geld mit Datingtips für Männer verdient, die bei Frauen nicht zum Zuge kommen, und hatte in rechten Talkshows antifeministische Positionen vertreten. Außerdem trat er in Sendungen des trumpistischen US-Moderators Tucker Carlson und auf der ultrakonservativen und prorussischen englischsprachigen Seite The Duran auf. Der US-Multimilliardär Elon Musk war die einzige prominente Stimme auf westlicher Seite, die auf Liras Schicksal öffentlich hinwies. Er machte die Kiewer Regierung direkt für den Tod des Bloggers verantwortlich.

Der Tod von Gonzalo Liro in ukrainischer Haft ist nur der letzte Fall, in dem es sich als lebensgefährlich erwies, andere Meinungen zu vertreten als der 2014 an die Macht gekommene ukrainische Nationalismus. Schon 2015 war der Autor und Fernsehmoderator Oles Busina in Kiew im Hof seines Wohnhauses von zwei Faschisten ermordet worden. Die Tat ist bis heute gerichtlich nicht aufgearbeitet, obwohl die Täter den Behörden namentlich bekannt sind. Auch in Deutschland machte 2016 der Fall des pazifistischen Bloggers Ruslan Kozaba Schlagzeilen, der in seiner Heimat mit Gerichtsverfahren wegen Landesverrats überzogen wurde, weil er für einen Frieden im Donbass eingetreten war. Er erhielt schließlich in der BRD politisches Asyl. Die Selenskij-Regierung hat bereits in den ersten Kriegstagen alle »prorussischen« Sender geschlossen und die übrigen zwangsweise zu einem »einheitlichen Telemarathon« zusammengeschaltet, in dem ausschließlich Durchhaltepropaganda verbreitet wird. Selbst Leute, die wie der frühere Selenskij-Berater Olexij Arestowitsch diesem System früher zugearbeitet haben, halten es inzwischen für klüger, ihre publizistische Arbeit aus dem europäischen Ausland fortzusetzen. Arestowitsch zum Beispiel lebt derzeit in Österreich, wo er sich auf eine mögliche Präsidentschaftskandidatur vorbereitet, Sponsoren sammelt und im Internet die These vertritt, der nächste ukrainische Präsident müsse einsehen, dass die Ukraine von ihren westlichen Partnern verraten worden sei. Daher will er eine Verständigung mit Russland anstreben.

Innerhalb des ukrainischen Politestablishments wächst inzwischen offenbar das Bewusstsein über die Grenzen des »Telemarathons«. Die Einseitigkeit der Propaganda führe nur dazu, zitierte das Portal Strana.news zuletzt hohe Beamte, dass sich die ukrainischen Mediennutzer zunehmend nach alternativen Informationsquellen umsähen – also genau das täten, woran sie der »Telemarathon« habe hindern sollen.