2008 – Alle wollen Libyens Öl

Unter Libyens Wüste lagern fossile Brennstoffe in riesigen Mengen. Ausländische Konzerne balgen sich um den Reichtum. Selbst Knebelverträge halten sie nicht ab.

 

Es geht um Förderrechte für Öl und Gas, um Wind- und Sonnenenergie. Um Libyens Ressourcen ausbeuten zu dürfen, geben sich die ausländischen Energiekonzerne in Gadhafis Reich die Klinke in die Hand.

 

Erst Ende Januar bestätigte zum Beispiel die deutsche RWE Dea, man habe Lizenzen zur Gasexploration auf einer Fläche von mehr als 10.000 Quadratkilometern auf der Hochebene von Cyrenaica erworben, östlich der Hafenstadt Benghazi.

 

Wenige Tage später, am 4. Februar, gab der britische Ölriese BP bekannt, ebenfalls ein Abkommen zur Erschließung von Erdgas mit Libyens Regierung abgeschlossen zu haben. Allein für das Recht, mögliche Gasquellen auf einer Fläche von 55.000 Quadratkilometern zu erforschen – das entspricht etwa der Größe Kroatiens -, zahlt BP die Summe von 600 Millionen Euro.

 

Damit kehrt der Ölmulti, dessen Besitztümer im Jahr 1974 von Gadhafi komplett verstaatlicht worden waren, nach Libyen zurück. Der Wert des neuen Vertrags deutet darauf hin, dass der Konzern diesmal nicht damit rechnet, so bald wieder ausgewiesen zu werden.


Um mit Libyen ins Geschäft zu kommen, akzeptieren die ausländischen Energiefirmen harte Bedingungen. BP etwa zahlte knapp 250 Millionen Euro alleine an Provision. Zudem wird der Konzern fast 80 Prozent seiner künftigen Produktionserlöse an die staatliche libysche Ölgesellschaft NOC abtreten müssen. Sie kontrolliert das Geschäft mit den fossilen Ressourcen des Landes. Überhaupt darf keine ausländische Firma in Libyen ohne einheimisches Partnerunternehmen aktiv werden. Meist schreiben die Vereinbarungen die Zusammenarbeit gleich über einen Zeitraum von 25 oder 30 Jahren fest. Doch falls die Explorationen die hochfliegenden Erwartungen erfüllen, winken den Konzernen trotz alledem gute Geschäfte.

 

Auch energiepolitisch ist das Land von großer Bedeutung: Libyen könnte, falls sich die Hoffnungen der Europäer erfüllen, zu einem wichtigen Erdgaslieferanten für den ganzen Kontinent werden. Dann wäre Europa nicht mehr ganz so abhängig von Russland. Interessant sind auch die Bedingungen, die das Land der alternativen Energiegewinnung bietet. Fast das ganze Jahr über scheint die Sonne, zudem bietet der vielerorts besonders harte und ebenerdige Wüstensand einen idealen Untergrund für großflächige Solarparks. Zudem sei Libyens 1700 Kilometer lange Küste ideal für die Erzeugung von Windkraft, glaubt beispielsweise die deutsche Windenergiefirma CUBE. Am Standort Dernah an der libyschen Ostküste möchte das Kasseler Unternehmen Strom zum Preis von dreieinhalb Cent je Kilowattstunde erzeugen. In Deutschland kosten vergleichbare Windkraftanlagen mehr als doppelt so viel.

 

Bislang ist das alles aber noch Zukunftsmusik. Auch für die Versorgung Europas mit Gas spielt Libyen derzeit eine eher untergeordnete Rolle. Zwar werden seit 2004 durch eine Gaspipeline zwischen Sizilien und der libyschen Stadt Mellitah jährlich acht Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Italien gepumpt. Doch das ist noch nicht einmal ein Zehntel dessen, was alleine Deutschland im Jahr verbraucht.

 

Dennoch sind Libyen und seine Nachbarstaaten aus Sicht der EU schon heute eine ernst zu nehmende Alternative für die Förderung von Öl, Gas und erneuerbaren Energien. Algerien etwa deckt gegenwärtig 13 Prozent von Europas Gasverbrauch, Libyen ist Deutschlands drittgrößter Öllieferant. In etwa 12 Jahren werde ebenso viel Öl aus dem Maghreb nach Europa fließen wie aus Russland, schätzt der EU-Energiekommissar Andris Piebalgs.

 

Piebalgs‘ Optimismus hat auch mit dem libyschen Ressourcenreichtum zu tun. In Gadhafis Land, nur 400 Kilometer von der Mittelmeerküste Europas entfernt, liegen die größten nachgewiesenen Ölreserven Afrikas. Libysche Funktionäre verbreiten gar die Hoffnung auf noch größere Entdeckungen: „Mindestens zwei Drittel unseres Öls sind noch gar nicht gefunden“, vermutet etwa Ahmed Ghaber, Planungssekretär der staatlichen Ölfirma NOC. Bislang fördert das Land 95 Prozent seines Erdöls aus dem Sirte-Becken 500 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Tripolis. Andere vielversprechende Regionen im Hinterland oder vor der Küste werden gerade erforscht.

 

Wenn diese Felder erschlossen werden, wollen die großen Ölkonzerne der Welt dabei sein. Keiner blieb der jüngsten Bieterrunde im Oktober 2007 fern. Auch Russen befinden sich unter den Investoren. Gazprom etwa sicherte sich im vergangenen Dezember ein Stück Land im Gadames-Becken, nahe der algerischen Grenze. Mindestens 20 Millionen Tonnen Öl sollen dort zu finden sein, glaubt das russische Unternehmen, daneben Erdgas. Um diese Schätze fördern zu dürfen, akzeptiert Gazprom noch schlechtere Konditionen als BP: Der libysche Staat wird ganze 90 Prozent der zu Tage gebrachten Mengen behalten. „Hinzu sollte man vor dem Hintergrund der grassierenden Korruption noch weitere Zahlungen rechnen“, sagt Isabelle Werenfels, Maghreb-Spezialistin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

 

US-Konzerne drängen nach 20 Jahren der Abwesenheit ebenfalls zurück auf die Ölfelder des einstigen Erzfeindes. Für die USA ist Libyen gegenwärtig der am schnellsten wachsende Exportmarkt. NOC-Sekretär Ghaber heißt auch sie willkommen. Die Hauptsache sei doch, dass sie gut zahlten, sagt er, schließlich gehe es in erster Linie ums Geschäft: „In the end, it’s just business.“

 

So viel Offenheit hat ihren Grund: Gadhafis Regime braucht die Einnahmen aus dem Ölgeschäft. 60 Prozent der Staatserlöse hängen am Erdöl und -gas. Alleine das Erdöl bringt dem Wüstenstaat derzeit rund 46 Milliarden Euro im Jahr ein, mehr als vier Mal so viel wie noch vor vier Jahren. Doch die geförderten Mengen liegen immer noch unter jenen der siebziger Jahre. Nach langen Jahren der Isolation sind Anlagen und Infrastruktur marode, zudem fehlt es an Know-how.


Ohne die ausländischen Investoren könnte Libyen seine Schätze kaum zutage bringen. Die Multis, angetrieben von der Hoffnung auf hohe Profite, helfen liebend gern.