Einführung

„Es wäre verfrüht, die Vorgänge des Lebendigen auf die sehr unvollkommen entwickelten Auffassungen der Physik und Chemie des 19. und selbst des 20. Jahrhunderts zu reduzieren.“

Louis de Broglie

 

Lavoisier war ein großer Gelehrter des 18. Jahrhunderts. Er wird als Vater der modernen Chemie angesehen. Der allgemeine Grundsatz, dem seine Arbeit folgte und auf den seine neue Wissenschaft aufbaute, hieß, daß nichts verloren geht und nichts geschaffen wird, daß sich alles umwandelt. Da das Atom als die kleinste Masseneinheit und als Naturkonstante angesehen wurde, meinte man, daß kein Element erschaffen werden könne. Das Atom kann nicht verschwinden. Sollte es sich von einem Molekül, das aus zwei oder mehr Atomen besteht, ablösen, so würde man es unverändert in einem anderen Molekül wiederfinden.

 

Dieser Grundsatz war unwiderlegbar und stand nicht zur Diskussion. Er bildete die Grundlage der offiziellen Naturwissenschaft des 19. Jahrhunderts. Wer dieses Gebiet studierte, folgte dieser Auffassung und wandte sie auf alle Disziplinen an, die der Chemie in Geist und Inhalt nahestanden. Genügend Experimente belegten diesen Grundsatz. Erst im 20. Jahrhundert fand er seinen ersten offiziell anerkannten Widerspruch, nachdem er über 100 Jahre lang ohne Diskussion hingenommen worden war. Das war anläßlich der Entdeckung der natürlichen Radioaktivität, als man erkannte, daß manche Substanzen sich in andere Substanzen umwandeln können, eine Annahme, die den Alchemisten des Mittelalters im 18. und 19. Jahrhundert so viel Spott eingebracht hatte. Ein Radiumatom wandelte sich nun doch in ein nichtradioaktives, stabiles Atom Blei um, wie man in den Büchern von Marie Curie über die Entdeckung des Radiums nachlesen kann.


* Der folgende Text wurde Anfang der 1960er Jahre verfaßt!

 

In der Chemie versteht man unter diesen Substanzen „Elemente“. Mit diesem wissenschaftlichen Begriff bezeichnet man Sauerstoff, Schwefel, Kalzium, Kupfer usw. Die Atome enthalten eine Anzahl Protonen (schwere, positiv geladene Teilchen, die zusammen mit den Neutronen den Kern des Atoms ausmachen) und eine gleichgroße Zahl Elektronen (leichte Teilchen mit negativer elektrischer Ladung, die sich in Orbitalen um den Kern herum befinden). Ein Atom ist elektrisch neutral, weil es gleichviele Elektronen und Protonen hat.

 

Bereits vor langer Zeit nannte man die Elemente „einfache Körper“, weil sie die einfachste Grundgröße der Materie darstellten. Sie bestanden seit Anbeginn der Erde und konnten vom Menschen weder erschaffen noch verändert werden. Man konnte sie lediglich von einem Molekül (oder „zusammengesetzten Körper“) zu einem anderen bewegen. Auf diesen einfachen Grundsubstanzen baut Lavoisiers Gesetz auf. Man fand heraus, daß es in der Natur 92 Elemente gibt. So leitete es Mendelejew in der Mitte des 19. Jahrhunderts aus den Eigenschaften miteinander verwandter Elemente ab und ordnete die damals bekannten Elemente in einer Tabelle an. Diese Elementetafel enthielt leere Kästchen, die mit den Elementen gefüllt werden sollten, deren Eigenschaften für das jeweilige Kästchen vorhergesagt wurden.

 

Einige Kästchen blieben leer, nicht nur, weil man die zugehörigen Elemente noch nicht isoliert hatte, sondern auch weil einige Elemente auf der Erde nicht mehr vorkamen, da sie radioaktiv waren und sich schon längst in andere Elemente umgewandelt hatten. Das war eine theoretische Annahme, die auf wackeligen Beinen stand, bis es im 20. Jahrhundert möglich wurde, die verschwundenen Elemente* auf kernphysikalischem Wege künstlich zu gewinnen. Dieser Bruch des Gesetzes von Lavoisier betraf aber nur die radioaktiven Elemente, die man in der Kernphysik untersucht hatte. In der Chemie lehrte man weiterhin, daß nichts verlorengeht und daß es unmöglich ist, in einer chemischen Reaktion etwas zu erschaffen. Darüber herrscht im Fach Chemie Einverständnis.