Physik

 J. Rueff: Les Dieux et les Rois. Paris 1967

 

Alle Gesetze der klassischen Physik wurden aus Experimenten mit lebloser Materie hergeleitet. Das Prinzip der Streuung, das bei allen Wellenphänomen auftritt, wie z. B. dem Schall, dem Licht, der Materie, findet in der Biologie keine Anwendung. Physiker wie Watan, Adams, MacLennan, Penrose und Percival haben den Zusammenhang zwischen anwachsender Entropie (dem zunehmenden Grad an molekularer Unordnung) und der Verlangsamung der Wellen aufgezeigt. Mit Costa de Beauregard können wir von einer Einheit der Physik sprechen, bei der die Gesetze der lebenden und der toten Materie sich zueinander wie zwei Seiten derselben Medaille verhalten, die nicht voneinander getrennt werden können und einander ergänzen. Hier erkennen wir das für die Philosophie des Ostens zentrale Prinzip von Yin und Yang, einem einheitlichen Prinzip mit zwei Gesichtern.

 

Die Physiker hat das nicht überrascht. Ihnen erschienen die biologischen Transformationen sinnvoll. In gewisser Weise hatten sie sogar erwartet, daß es so etwas geben könnte, denn es paßte in die Ordnung der Dinge hinein. So waren die Physiker auch die ersten, die dem neuen Konzept ihre Unterstützung gaben. Die biologischen Transmutationen vom Standpunkt der Kernphysik aus a priori anzulehnen, hieße die eigene Unkenntnis dieser Dualität (Yin und Yang) zur Schau zu stellen, die alle Aspekte der Phsysik durchzieht.


Heute anerkennen die größten Wissenschaftler, daß sich weder die Chemie noch die Physik der trägen Materie unverändert auf lebende Systeme anwenden läßt. Der Nobelpreisträger Szent-Györgyi drückte dies sehr klar aus, als er sagte, worin er mit den Physikern vergangener Zeiten nicht übereinstimmen kann: „Dies macht das Verhältnis des Physikers zum Biologen ziemlich heikel. Wäre ich immer den Urteilen des Physikers gefolgt, hätte ich auf diesem Weg nicht weitergeforscht. Ich bin froh, daß ich es nicht getan habe.“ Er kam zu dem Schluß, daß die molekulare Biochemie uns die Vorgänge des Lebendigen nicht erklären kann und daß wir eine Stufe tiefer gehen und das Atom studieren müssen, denn das Unbekannte entstehe im subatomaren Bereich.

 

Im übrigen sei „die Physik die Wissenschaft des Wahrscheinlichen, die Biologie die des Unwahrscheinlichen“*. Das Unwahrscheinliche tritt mit Gewißheit ein, denn die Quantenmechanik geht rein statistisch vor. Das Elektron weiß genau, wohin es springen muß; es macht nur einen einzigen Versuch und verfehlt nie sein Ziel (weswegen es auch so wenig Energie verbraucht). Und warum?

 

Szent-Györgyi veranlaßte das zu der Aussage: „Selbst die Quantenmechanik sollte verbessert werden, damit sie auf die meisten der Probleme der Biologie anwendbar wird.“ Wir hängen also in der Luft.


* Szent-Györgyi: Introduction to a Submolecular Biology. London 1960.

 

Dabei müssen wir aber berücksichtigen, daß Szent-Györgyi und andere, die denselben Weg gingen, lediglich das Atom von außen gestreift haben. Sie sahen nur, was sich in der äußeren Schale abspielte, und blieben in dem stecken, was man heute physikalische Chemie nennt, die physikalische Erforschung der Bewegung der Elektronen der äußeren Schalen. („Angeregte“ Elektronen springen auf Energieniveaus oder Orbitale, die von ihren Grundniveaus verschieden sind.)

 

Es wird ausführlich gezeigt werden, daß es weitere biologische Phänomene gibt, die sich mit den Elektronenbewegungen, d. h. mit den Mitteln der Physik und Chemie, nicht erklären lassen, weil die Biologie und diese Wissenschaften häufig inkompatibel sind.

 

Louis de Broglie erkennt diese Inkompatibilität in seinem Werk Licht und Materie und fragt sich, ob „wir dank den neuen Auffassungen der zeitgenössischen Physik verstehen werden, warum die klassischen Methoden der objektiven Wissenschaft scheinbar so schlecht zu den Phänomenen des Lebens und des Geistes passen (250).“

 

Die moderne Physik, so wie sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde, wurzelt in der Quantenmechanik. Mit Bohr und Planck nahm sie zu Beginn des Jahrhunderts Gestalt an und wurde von de Broglie verfeinert, um mit Gabor und Brillouin 1960 zur Blüte zu gelangen. Es folgten Jordan, Augier, Davilliers und andere mit Arbeiten, die auf verschiedenen Beobachtungen gründeten, die sie zu der Überzeugung brachten, daß die Physik der trägen Materie im mikroskopischen Bereich für lebende Materie nicht immer gilt, denn dort gibt es eine gegenseitige Abhängigkeit der einzelnen Bestandteile. Ihr Wirken ist koordiniert und offensichtlich ineinandergreifend; sonst ist kein Leben möglich.

 

All dies entfernt uns weit von Einstein, Heisenberg, Schrödinger und Dirac. Heute wird weitgehend anerkannt, daß die Veränderung der Position der Elektronen in ihren Orbitalen (also ihrem Energiegehalt) entscheidend ist für die Reaktionen der Moleküle und daß die chemische Reaktion auf subatomaren Niveau vorbereitet wird. Man muß aber in der Erforschung des Atoms noch tiefer gehen, und zwar nicht nur, weil man nicht weiß, warum und wie die Elektronen „in Gang kommen“, sondern auch weil im Herzen des Atoms andere Phänomene eingreifen.

 

Heute müssen die Physiker erkennen, daß im subatomaren Bereich Gesetze wie das von der Erhaltung der Masse oder der Energie nicht immer gelten, selbst nicht bei der trägen Masse. Bohr sah schon vor langer Zeit, daß wir nicht a priori annehmen können, der Erhaltungssatz gelte auch auf atomarem Niveau.

 

Der Direktor des Centre d’Etudes Nucléaire in Saclay, J. Debiesse, sagte, die Emission von Pi-Mesonen werde begleitet von einer plötzlichen Zunahme der Masse und Energie des Systems. (Die Energie nimmt also nicht aufgrund eines Verlusts an Masse zu, sondern diese nimmt ebenfalls zu.) Debiesse schreibt: „Man muß abwarten, ob das Gesetz der Erhaltung von Masse und das Energiegesetz auch bei einer Frequenz von 1023 Hertz noch Gültigkeit haben.“

 

R. Furon veranlaßten Fakten wie diese zu folgender Stellungnahme: „Der schnelle Fortschritt unserer wissenschaftlichen Erkenntnis verbietet jede Orthodoxie und jeden Konformismus“ (Revue Générale des Sciences, Paris).

 

Nehmen wir diese Lektionen der Bescheidenheit von unseren hervorragendsten Gelehrten an. Dann werden wir bereit sein, die folgenden Betrachtungen ohne vorgefaßte Absicht aufzunehmen. Wir werden also Einsteins Gesetz E = mc2 nicht von vornherein als abolut setzen. Einstein selbst deutete die Grenzen dieses Gesetzes der „speziellen Relativität“ an, speziell deshalb, weil es nicht anwendbar ist auf beschleunigte und kreisförmige Bewegungen.

 

(Einsteins erstes Postulat räumt ein, daß sein Gesetz nur für gleichförmige und geradlinige Bewegungen gilt.) Eine weitere Einschränkung, auf die Einstein hinwies, ist, daß dieses Gesetz nur gilt, wenn man als zweites Postulat eine konstante Geschwindigkeit c für das Licht annimmt. Darauf stellt er fest, daß genau dieses Postulat durch die von ihm entwickelte allgemeine Relativitätslehre außer Kraft gesetzt wird; sonst könnte man nicht die Ablenkung des Lichts unter der Einwirkung starker Gravitation erklären*.

 

Nehmen wir als Beispiel den Lichtstrahl eines Sterns, der gerade hinter der Sonne hervortritt. Der Stern ist früher sichtbar, als nach den Berechnungen für geradlinige Ausbreitung des Lichts zu erwarten wäre. (Dieses Phänomen wurde bei Sonnenfinsternissen beobachtet.) Man nahm an, dies könne Ergebnis einer Lichtbrechung bei Durchtritt des Lichts durch die Chromosphäre der Sonne (oder vielleicht ihre „Korona“) sein, mithin durch ein Gebiet, das eine höhere Dichte aufweist als das „Vakuum“ des Weltalls. Damit verbunden ist eine Änderung der Geschwindigkeit des Lichts, die je nach Dichte des durchlaufenen Mediums zu- oder abnimmt. Aus der Krümmung ließe sich demnach der Brechungsindex der Chromosphäre der Sonne berechnen.

 

Ich könnte weitere „Schwächen“ der Physik, so wie sie heute praktiziert wird, aufzeigen. Doch viele Seiten wären nötig, um deutlich zu machen, daß nicht alle Energien, die in der Biologie auftreten, von der gleichen Art sind wie die Gravitation.

 

Es besteht nicht der geringste Zweifel daran, daß Lavoisier auf seinem Gebiet vollständig recht hatte. Wir wissen auch warum. Die Chemie ist die Wissenschaft von der Kombination der Atome. Sie erforscht in spezifischer Weise, wie sich der Zustand der Elektronen der Außenschalen der Atome ändert, wenn diese zu Molekülen zusammentreten.