Die Stellung des Magnesiums zwischen Kalzium und Phosphor
Bis hierher konnte ich die klassischen Deutungen, die sich heute großer Beliebtheit unter den Wissenschaftlern erfreuen, noch nicht widerlegen. Das hätte zu viel Zeit in Anspruch genommen und dem Buch einen polemischen Charakter verliehen, was dem sachlichen Gehalt und der Objektivität, auf die es mir vor allem ankommt, sehr abträglich gewesen wäre. Zudem setze ich voraus, daß die gängige Lehrmeinung dem Leser ebenso bekannt ist wie mir, so daß es Zeitverschwendung wäre, hier darauf einzugehen.
In vielen Zuschriften lese ich und von vielen Kollegen höre ich, es sei unnötig, daß ich die Argumente derer, die meiner Arbeit aus grundsätzlichen Erwägungen kritisch gegenüberstehen, überhaupt anspreche. In einem Brief hieß es: „Streichen Sie aus Ihren Werken alles heraus, was einen Stillstand im Denken markiert. Geben Sie der Ignoranz keinen Raum.“ Und doch meine ich, es ist nützlich, dem Leser im folgenden einige Einwände aufzuzeigen, denen er sich gegenübersieht, wenn er mit anderen über das vorliegende Thema spricht.
Verschiedene Untersuchungen über die Beziehung zwischen Magnesium und Calcium
Wie wir sahen, kann Calcium auf viele verschiedene Weisen entstehen, unter anderem aus Magnesium, gemäß der Reaktion 12Mg + 8O :=: 20Ca. Die Geologen meinen, daß Magnesium im Präkambrium zwölfmal so häufig war wie heute. Wir wissen, daß eine Krabbe während ihres Schalenwechsels in Meerwasser, das fast kein Calcium, dafür aber Magnesium enthält, sich eine neue Schale aufbauen kann. Wir wissen auch, daß der Magnesiumgehalt in Keimlingen sinkt, während der Calciumgehalt zunimmt. (Bei einigen Pflanzen verringert sich der Kaliumgehalt, während der Calciumgehalt steigt.)
Die Beziehung zwischen Magnesium und Calcium ist inzwischen vielfach erforscht. P. Larvor* und Mitarbeiter führten im Jahre 1964 in einem der Labors des Institut National de la Recherche Agronomique (I.N.R.A.) ein Experiment mit Kälbern durch, um zu zeigen, daß sich das Skelett nicht ausbilden kann, wenn im Futter kein Magnesium ist. Der Calciumgehalt in Blut und Muskel sinkt immer mehr, bis Tetanie eintritt. Dies führt schließlich erst zu Krämpfen und dann zum Tode, falls der Magnesiummangel aufrechterhalten wird. Verabreicht man umgekehrt eine Überdosis Magnesium, so fördert dies die Ausbildung des Skeletts und führt zusätzlich zu einem schnellen Gewichtszuwachs.
Eine Studie über Spasmophilie, durchgeführt von L. Bertrand#, in der 83 weitere Literaturstellen zitiert werden, ergab, daß es bei Magnesiummangel zu einem erniedrigten Calciumspiegel im Blut (Hypokalzämie) kommt, der die Tetanie (Spasmophilie) hervorruft. Die Verabreichung von Calcium führt nicht zu normalen Calciumwerten im Blut. Andererseits ruft Magnesiumaufnahme eine Erhöhung des Calciumwertes hervor. (Magnesium wird häufig in Form seines Chlorids gegeben.)
Es ist unmöglich, alle Anwendungen zu zitieren, die zur Zeit praktiziert werden und sich die gesicherte Tatsache zur Grundlage machen, daß der Organismus ohne Magnesium nicht über Calcium verfügt. Ich habe auch eine Verbindung zwischen Calcium und Phosphor festgestellt, was in etlichen meiner Bücher dargestellt ist.
Die Verbindung zu Phosphor allerdings wurde von anderen Forschern kaum untersucht. Soweit ich weiß, gab es nur Zufallserkenntnisse im Verlauf der Studie über Magnesium und Calcium. Doch trotz der vielen Experimente über den Zusammenhang zwischen Magnesium und Calcium behaupten einige Kritiker, die Beobachtungen seien zurückzuführen auf
a) eine „Mobilisierung“ von Calcium, so daß es aus dem Skelett austritt und dabei die Calciumwerte in Muskel und Blut erhöht, oder
b) eine „katalytische“ Wirkung des Magnesiums (zum „Binden“ des Calciums). Doch nichts dergleichen spielt sich ab. Nirgends wurde eine Dekalzifizierung nachgewiesen.
Die Knochen junger Organismen wurden fester und bildeten sich besser aus. Auch eine katalytische Wirkung des Magnesiums scheidet offensichtlich aus, denn ein Katalysator geht unverändert aus der Reaktion hervor.
* P. Larvor u. a.: Effets du magnésium sur la croissance du veau. I.N.R.A., Paris 1964
# L. Bertrand: La Spasmophilie. Les Cahiers Sandoz, Paris, Juni 1966.
Experimentelles Vorgehen
a) Tiere
Achtundvierzig weibliche Mäuse mit einem durchschnittlichen Gewicht von 25 g wurden in zwei gleichgroße Gruppen eingeteilt. Die eine diente als Kontrollgruppe. Die andere Gruppe erhielt mittels einer Magensonde täglich 100 mg Magnesiumchlorid pro kg verabreicht. Die Tiere wurden in mehreren Käfigen gehalten, jeweils 12 pro Käfig. Ihr Kot wurde in Erlenmeyerkolben gesammelt. Es wurde reichlich Wasser angeboten. Jedes Tier erhielt dreimal täglich 1,5 ml eines Breis aus zerriebenem und mit Wasser angerührtem Zwieback (1 g Pulver auf 2,5 ml Wasser) gefüttert. Das Experiment dauerte fünf Tage. Nach anschließendem 24stündigem Fasten wurden die Tiere
am sechsten Tag mit Ether getötet.
b) Analyse des Mineraliengehalts
Beide Tiergruppen wurden in Nitrosulfonsäure aufgelöst. Jeder Gruppe wurden die dazugehörenden Exkremente zugefügt. Nach der Mineralisation mit Perchlorsäure wurde der Phosphorgehalt photometrisch mit Molybdat-Reagenz unter Verwendung von Aminonaphtholsulfonsäure bestimmt. Das Calcium wurde zuvor direkt in der Lösung komplexometrisch bestimmt.
c) Ergebnisse
Kontrollgruppe | Versuchsgruppe | |
Gesamtgewicht vorher | 614 g | 604 g |
Gesamtgewicht nachher | 628 g | 620 g |
Masse Calcium | 1,87 g | 2,48 g |
Masse Phosphor | 1,83 g | 2,40 g |
d) Kommentar
Um den Vergleich zu vereinfachen, habe ich die Werte auf gleich großes Gesamtgewicht der beiden Gruppen umgerechnet, wobei vorausgesetzt ist, daß der Calcium- und der Phosphoranteil proportional zur Masse sind. Die Versuchsgruppe war am Anfang 10 g leichter. Rundet man die Differenz auf ein Sechzigstel und nimmt für die Kontrollgruppe das gleiche Gewicht wie für die Versuchsgruppe an, so ergibt sich für die Kontrollgrupe
- Calcium: 1,84 g
- Phosphor: 1,80 g.
Geht man von gleichem Gewicht für beide Gruppen aus, so hat die Verabreichung von Magnesium bei der Versuchsgruppe zu folgenden Steigerungen geführt:
- 2,48 g – 1,84 g = 0,64 g (oder 34,78 %) für Calcium
- 2,40 g – 1,80 g = 0,60 g (oder 33,3 %) für Phosophor.
e) Schlußfolgerung
Wir sehen also ganz eindeutig und über jeden mathematischen oder statistischen Zweifel erhaben, daß der Calcium- und der Phosphorgehalt ansteigen, wenn man Magnesium im Überschuß gibt, und zwar innerhalb weniger Tage. Etwaige Fehler in der
Siehe PDF: Abb. 4: Calcium- und Phosphoranteil in 24 Mäusen, mit und ohne Magnesiumzufütterung
Analysemethode hätten das Ergebnis für beide Versuchsgruppen in dieselbe Richtung verschoben, so daß der Unterschied derselbe geblieben wäre. Darum könnnen wir ohne den Hauch eines Zweifels annehmen, daß die schnelle Zunahme bei Calcium und Phosphor auf das Magnesium zurückzuführen ist.
Rufen wir uns in Erinnerung, daß im Organismus oft mehrere Mechanismen eine Rolle spielen; Calcium und Phosphor können unterschiedlicher Herkunft sein. (Calcium kann aus Silicium und aus Kalium stammen, Phosphor aus Schwefel und aus Stickstoff.) Wegen der Komplexität des tierischen Stoffwechsels wurden ergänzende Versuche mit mehreren Getreidesorten und Mikroorganismen durchgeführt, immer mit dem Beweggrund, den Mechanismen der Natur auf die Spur zu kommen.
Ein Einwand, den man mir unter anderen entgegenhielt, lautete, die Gewichtszunahme der Tiere sei darauf zurückzuführen, daß sie durch das Wasser aufgeschwemmt worden seien. Wäre dem so gewesen, hätten die Tiere, die Magnesium bekamen, durstiger sein müssen. Beobachtung lehrt aber, daß Magnesiumchlorid keinen Durst hervorruft. Man kann es regelmäßig einnehmen und doch „dünn wie ein Strich“ bleiben. Die Magnesium-Ionen halten das Wasser nicht im Gewebe zurück, vielmehr ist es das Na+-Ion, das Wasserretention in der Niere bewirkt, so daß ein Durstgefühl entsteht. Deshalb sollte man bei Ödemen kein Natriumchlorid einnehmen.
Der Einwand, die Dauer des Experiments sei recht kurz gewesen, läßt sich ganz einfach damit beantworten, daß ein Experiment immer so lange dauert, wie es dem Tempo des Stoffwechsels des beteiligten Organismus entspricht. Bei Mikroorganismen sahen wir, daß ein Experiment vielleicht zwei Tage dauert; bei Mäusen, die 25 g wiegen, haben wir die Untersuchung auf sechs Tage ausgedehnt. Larvor experimentierte mit Kälbern, die zu Beginn 50 kg wogen. Nach vier Wochen ständiger Zufuhr von Magnesium im Überschuß wogen sie 75 kg. Bei Magnesiummangel aber lag ihr Gewicht lediglich bei 65 kg.
Anmerkung des Herausgebers: Weitere Experimente zu Magnesium und Calcium finden sich (einschließlich Kommentar) in den Kapiteln über Ernährung und Medizin, in der Annahme, daß sie dort eher die Aufmerksamkeit des Laien finden werden, der zunächst wissen will, wie er etwas für seine Gesundheit tun kann.