Plattform-Ökonomie

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Es gibt in der gesamten Geschichte der Wirtschaft keine Branche, die in so kurzer Zeit so stark expandiert, den Weltmarkt so schnell erobert und seinen Gründern solch riesige Gewinne eingebracht hat wie die Plattform-Ökonomie. Zugleich gibt es aber auch keinen Zweig, der seine Ziele mit derart aggressiven Methoden durchsetzt, sich die schlimmsten Auswüchse des gegenwärtigen Finanzsystems so systematisch zunutze macht und der Gesamtwirtschaft langfristig solch nachhaltigen Schaden zufügt.


Zur Plattform-Ökonomie zählen all die Unternehmen, die das Internet als digitale Plattform nutzen, zum Teil für technische Innovationen, meist im IT-Bereich, hauptsächlich aber für Makler-oder Vermittlerdienste. Zur ersten Gruppe zählen Konzerne wie Microsoft und Apple, zur zweiten solche wie Uber, AirBnB, booking.com oder Amazon.


Greifen wir einmal Amazon heraus. Das Unternehmen wurde 1994 vom Informatiker Jeff Bezos gegründet, der als einer der ersten die Möglichkeiten erkannte, die das Internet als Handelsplattform bietet. Amazon begann als Online-Buchhandel, explodierte innerhalb ganz kurzer Zeit und ist heute global führender Online-Versandhändler.


Amazon hat nicht nur Jeff Bezos zum reichsten Menschen der Welt gemacht, es hat auch eine neue  Geschäftskultur etabliert, die rasant um sich gegriffen hat und die Plattform-Ökonomie heute weitgehend prägt. Der überwältigende Erfolg hat nämlich eine Vielzahl von Großinvestoren angelockt, die über riesige Geldsummen verfügen und nur in Extremen denken – was die Gewinne angeht, aber auch, was die Methoden angeht, mit denen diese Gewinne erwirtschaftet werden sollen.


Da das Internet weltweit operiert, breiten sich Unternehmen der Plattform-Ökonomie schnell über nationale Grenzen hinaus aus. Ihr Markt ist nicht, wie bei klassischen Unternehmen, zunächst regional, später national und erst am Ende international, sondern umfasst von Anbeginn an die ganze Welt. Weil dieses Ziel – also die Eroberung des globalen Marktes – die höchsten Gewinne verspricht, werden die Plattform-Unternehmen von ihren Großinvestoren oft zu einem gnadenlosen Kampf um die Marktführerschaft gedrängt.


Sie nehmen oft jahrelang hohe Verluste in Kauf, nur um ihre Konkurrenten entweder in den Bankrott zu treiben, sie zu übernehmen oder ihnen die eigenen Bedingungen aufzuzwingen. Ihre Opfer sind dabei nicht nur andere Plattform-Konzerne, sondern auch mittelständische Betriebe, zum Beispiel im Handwerk, in der Gastronomie, der Hotellerie oder im Beförderungsgewerbe. Sie alle werden durch Preisdumping dazu gedrängt, sich den Plattform-Unternehmen anzuschließen und sich ihrem Diktat zu unterwerfen.


Tun sie das nicht, drohen ihnen schwere Einbußen und am Ende häufig der Bankrott. Opfer sind aber auch diejenigen, die ihre Arbeitskraft in den Dienst von Plattform-Unternehmen stellen. Da es sich bei diesen ja offiziell nur um Vermittler und nicht um Arbeitgeber handelt, sind sie nicht dazu verpflichtet, für Arbeits- oder
Versicherungsschutz zu sorgen. Die Folge ist in den meisten Fällen eine Scheinselbstständigkeit ohne jegliche soziale Absicherung – und das meist bei sehr niedrigem Einkommen.


Opfer ist aber auch die gesamte Gesellschaft, denn Plattform-Unternehmen erzielen zwar oft sehr hohe Umsätze, zahlen aber in der Regel kaum Steuern, da sie international operieren und ihre Firmensitze fast immer in Offshore-Steuerparadiese verlegen.


Das bisher extremste Beispiel hat Amazon 2018 in den USA geliefert, wo es das bisher unbekannte Phänomen der „Negativ-Steuern“ aus der Taufe hob. Wie Amazon das gemacht hat? Das Unternehmen hat 2018 bei einem Gewinn von 11,2 Milliarden Dollar nicht nur keinen Cent Steuern gezahlt, sondern stattdessen bei der US-Finanzbehörde eine Steuergutschrift in Höhe von 129 Millionen Dollar beantragt – und erhalten.


Dass seit der Weltfinanzkrise von 2007/2008 Unmengen an Geld von den Zentralbanken ins System gepumpt und zu immer niedrigeren Zinsen an Großinvestoren vergeben wurden, hat der Plattform-Ökonomie zusätzlich Rückenwind verschafft. Da die globale Wirtschaft nur schleppend wieder in Gang gekommen ist und im produzierenden Gewerbe keine allzu großen Gewinne zu erzielen waren, ist ein erheblicher Teil des neu geschaffenen Geldes zur Spekulation in sogenannte „Startup“-Unternehmen geflossen.


Dort traf es oft auf kreative junge Informatiker, denen es dazu verhalf, ihre Ideen zu verwirklichen, die aber – sobald sich der Erfolg einstellte – entweder aufgekauft, abgefunden oder nur noch als Teilhaber weiterbeschäftigt wurden, um knallharten  Marktprofis Platz zu machen.


Viele dieser Gründer dürften wohl kaum geahnt haben, welche Folgen ihre – von ihnen sicherlich als fortschrittlich empfundenen – Ideen einmal haben würden. Dass sie nämlich dazu beitragen würden, Teilen des Mittelstands den Boden zu entziehen, Massen von Niedriglöhnern zu produzieren, soziale Errungenschaften der Vergangenheit zu zerstören und die schlimmste Entwicklung unserer Zeit – die Explosion der sozialen Ungleichheit – rasant voranzutreiben.