Marshallplan

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Der Marshallplan – benannt nach dem amerikanischen General und zeitweiligen US-Außenminister George C. Marshall – gilt bis heute als eines der größten Hilfsprogramme des 20. Jahrhunderts. Der Plan wurde 1947, also zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs beschlossen und in den Jahren 1948 bis 1952 umgesetzt.


Offiziell diente er dazu, Europa mit amerikanischer Unterstützung wirtschaftlich wieder auf die Beine zu helfen. Daher auch der richtige Name „European Recovery Program“ – zu Deutsch: „Europäisches Wiederaufbauprogramm“.


In der Tat lagen damals viele europäische Staaten wirtschaftlich und finanziell am Boden – zum einen wegen der Schulden, die sie zur Kriegsführung aufgenommen hatten, und zum anderen wegen der Schäden, die die Kämpfe hinterlassen hatten.


Die USA dagegen waren nach dem Zweiten Weltkrieg der größte Gläubiger der Welt, hielten die größten Goldvorräte, verfügten über die mit Abstand stärkste Wirtschaft und das mächtigste Militär. Zudem hatten sie ihre Währung, den US-Dollar, 1944 zur weltweiten Leitwährung erklären lassen und sich damit auch die globale Finanzhoheit verschafft.


Allerdings hatten die USA ein großes Problem, und das war die Überproduktion. Nach der Umstellung von der Kriegswirtschaft auf die Friedenswirtschaft stellten die amerikanischen Konzerne mehr Waren her, als der heimische Markt aufnehmen konnte. Die USA brauchten deshalb neue Märkte.


Der wichtigste Markt war Europa, dessen östlicher Teil allerdings amerikanischen Waren und amerikanischem Kapital wegen der Errichtung von Planwirtschaften in Ländern wie u.a. Polen, Ungarn, Bulgarien und der Tschechoslowakei entzogen war. Was also tun, um sich zumindest Westeuropa zu sichern? Die Antwort war schnell gefunden, denn die USA hatten aus zwei Weltkriegen gelernt: Die beste Art, sich in anderen Ländern Einfluss zu verschaffen, besteht in der Vergabe von Krediten. Und je dringender der Empfänger Geld braucht, umso einfacher ist es, dessen Auszahlung an Bedingungen zu knüpfen.


Also vergaben die USA im Rahmen des Marshallplans Kredite an 16 europäische Länder – unter der Bedingung, mit dem Geld amerikanische Waren zu kaufen, einen weiteren Betrag in Höhe des Kredits nur in Absprache mit den USA auszugeben und Europas Wirtschaften und Finanzmärkte zu „liberalisieren“ – sie also für
amerikanisches Kapital und US-Investitionen zu öffnen.


Außerdem mussten die Länder „finanzielle Stabilität“ garantieren, das heißt, sie mussten sich verpflichten, ihre Staatsausgaben einzuschränken, um die US-Kredite bedienen und nach ihrer Ablaufzeit auch zurückzahlen zu können. Heute würde man das als „Austeritätspolitik“ bezeichnen. Vor dem Anlaufen der Zahlungen an Deutschland legten die USA übrigens auch noch fest, dass dessen andere Gläubiger von ihren finanziellen Ansprüchen gegenüber Deutschland absehen mussten.


Die USA haben also die Schwäche Europas nach dem Zweiten Weltkrieg ausgenutzt, um mit dem Marshallplan ein Konjunkturpaket für die eigene Wirtschaft durchzusetzen, beim Wiederaufbau der Empfängerländer in deren Wirtschaften Fuß zu fassen und die eigenen Interessen dort langfristig zu verankern.


Der Marshallplan hatte aber auch Folgen, die weit über Europa hinausgingen. Großbritannien und Frankreich zum Beispiel benutzten einen Teil ihrer Kredite, um bei amerikanischen Rüstungskonzernen militärisches Equipment zu erwerben, mit dem sie ihre Kolonialkriege gegen die Unabhängigkeitsbewegungen in Asien und Afrika fortsetzen konnten.


Hartnäckige Verteidiger des Marshallplans werden jetzt einwenden, dass zumindest ein Teil der Hilfsleistungen aus Nahrungsmitteln und Hilfsgütern bestand und man deshalb auch seine humanitären Aspekte würdigen müsse. All denen, die so argumentieren, sei ein genauer Blick auf die Finanzierung dieser Hilfslieferungen empfohlen: Sie wurden nämlich nicht etwa von den Profiteuren, also den US-Banken und Konzernen bezahlt, sondern vom amerikanischen Steuerzahler. Das heißt, das hart verdiente Geld der arbeitenden amerikanischen Bevölkerung wurde als Geschenk nach Westeuropa geschickt, um dort für eine positive Stimmung zu sorgen, damit es in den Kassen von US-Banken und US-Konzernen kräftig klingeln konnte.


Im Grunde erweist sich der Marshallplan also doch als ein Hilfsprogramm – und zwar für die US-Finanzelite, organisiert von der damaligen US-Regierung und begleitet von einem staatlich angeordneten  Umverteilungsprogramm von unten nach oben.