2018/12: Mordsache Skripal und Giftgas-Lügen in Syrien: Die Rolle Großbritanniens seit 2011 (Teil 5)
16 Dez. 2018 12:54 Uhr
von Jürgen Cain Külbel (Die vorherigen Teile finden Sie hier).
„Ich verstehe diese Empfindlichkeit wegen der Anwendung von Gas nicht. Ich bin sehr dafür, Giftgas gegen unzivilisierte Stämme einzusetzen“, empörte sich der britische Kriegsminister Winston Churchill im Jahre 1920. Die Briten, die nie Skrupel kannten, setzten als Erste Giftgas in den Kolonien ein. 1919 warf die Royal Air Force am Chaiber-Pass (engl. Khyber Pass) Gasbomben auf rebellische Afghanen. Major General Charles H. Foulkes, Leiter des chemischen Dienstes der British Army, freute sich, dass Gas „offen als anerkannte Waffe für die Zukunft akzeptiert“ sei und „Stammesangehörige nicht unter die Haager Landkriegsordnung“ fallen. 1920 schlug die britische Mandatsmacht in Mesopotamien einen Aufstand mit Giftgas nieder; die Briten befürchteten den Verlust der erdölreichen Region, doch „nahezu 10.000 Rebellen bezahlten mit dem Leben“, so Churchill, der den „ausgezeichneten moralischen Effekt“ der Gasangriffe lobte.
In den 1930ern experimentierten Militärwissenschaftler aus Porton Down an indischen Soldaten, steckten sie in Gaskammern, vergifteten sie mit Senfgas; Ziel der „Untersuchung“: welche Menge Gas wird benötigt, um auf dem Schlachtfeld ein Massaker anzurichten. Etliche starben qualvoll, andere überlebten mit schweren Verbrennungen auf Haut, an Genitalien und mit höllischen Schmerzen. Porton Downs „Experimente“ in Rāwalpindi dauerten über ein Jahrzehnt an.
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Auch deswegen riss dem stellvertretenden syrischen Außenminister Faisal Mekdad am 19. November 2018 in Den Haag bei der Vertragsstaatenkonferenz der Chemiewaffenbehörde OPCW der Geduldsfaden: „Sie haben den Menschen beigebracht, chemische Waffen zu verwenden, Sie haben in den ersten beiden Weltkriegen chemische Waffen eingesetzt. Die syrische Regierung hat nie chemische Waffen eingesetzt. Wo ist Ihre Moral? Das ist reine Heuchelei und reine Lüge.“ Russlands Abgesandter Alexander Shulgin nannte westliche Behauptungen, Damaskus und Moskau setzten chemische Waffen in Syrien und Salisbury ein, „Betrug“ und „Lügen“.
Tage später, am 24. November 2018, wurde Nordwest-Aleppo beschossen, mit 120-Millimeter-Granaten, die Chlorgas enthielten und die 73 Zivilisten verletzten. Der Angriff kam aus dem Südosten, nahe Al-Buraykat, das von der Terroristengruppe Hayat Tahrir Al-Sham (HTS), vormals al-Nusra-Front, kontrolliert wird. Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums Generalmajor Igor Konaschenkow erklärte, die vom britischen Ex-Hauptmann, Ex-Nachrichtendienstler James le Mesurier „trainierten“ Weißhelme würden hinter der Attacke stehen; die Gruppe versuche, Provokationen mit chemischen Mitteln zu organisieren, um Regierungstruppen zu beschuldigen:
Es ist klar, dass die Weißhelme in direktem Zusammenhang mit terroristischen Organisationen stehen, die in Syrien und insbesondere in der Deeskalationszone von Idlib tätig sind.
Längst war bekannt, dass Terroristen der Turkistan Islamic Party 20 Container mit jeweils 10 Litern Chlor und die Weißhelme eine Großladung giftiger Substanzen an Ahrar al-Sham-Kämpfer in Idlib geliefert hatten. Moskau nannte die Weißhelme eine Struktur, die „ausschließlich auf Territorien arbeitet, die nicht von der Regierung kontrolliert werden und Kontakte zu Terroristen und Extremisten nicht vermeidet. Darüber hinaus gibt es viele Beweise, die belegen, dass die Weißhelme praktisch ein Zweig der Terrororganisation al-Nusra sind, die auf der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates steht.“
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Aus Damaskus hieß es am 25. November 2018:
Die Terrorattacke ist darauf zurückzuführen, dass einige Länder die Lieferung von chemischen Stoffen an Terrorgruppierungen erleichtern, damit diese gegen Syriens Bevölkerung eingesetzt werden, um dann den syrischen Behörden die Schuld dafür zu geben. Dies wird mittels Inszenierungen und Szenarien realisiert, die im Voraus in dunklen Zimmern der Geheimdienste einer Reihe von Ländern, der Terrorismusförderer, vorbereitet wurden
Baschar al-Dschafari, Ständiger Vertreter Syriens bei den Vereinten Nationen, wurde vier Tage später deutlich. Als Leiter der syrischen Delegation bei den Gesprächen in Astana sagte er: „Terrorgruppen hätten keine chemischen Waffen eingesetzt, wenn ihnen nicht grünes Licht von denjenigen gegeben wurde, die diese Organisationen kontrollieren. Wir wissen, wer ihnen die chemischen Waffen geliefert hat. Wir meinen in erster Linie die Türken.“
„… Geheimdienste einer Reihe von Ländern…“, „… Chemiewaffenlieferant Türkei…“ – das sind doch Ansagen! Nach meinem Dafürhalten führen türkische und britische Akteure in der seit Jahren anhaltenden teuflischen Chemiewaffen-Tragödie in Syrien Regie. Seit 2013 liefern die Türken tatsächlich Chemiewaffen an die al-Nusra-Front in Syrien. Im vorherigen Teil 4 wurde bereits beschrieben, wie Ankaras Außenministerium die Bildung der „Rettungsorganisation“ Weißhelme anregte, dafür den britischen Ex-Nachrichtendienstler und Hauptmann James le Mesurier kontaktierte. Auch, wie der zweite britische Ex-Nachrichtendienstler, Oberst Hamish de Bretton-Gordon (Chef der 2011 gegründeten Frontorganisation Biosecure, in die offenbar „Staatsgelder“ fließen, mit der Weißhelm-Unterstützer-Truppe Syria Relief gemeinsame Sache macht), die Task Force CBRN Aleppo aufbaute und die medizinische „Hilfsorganisation“ Union of Medical Care and Relief Organizations (UOSSM) berät.
Gesetzt den Fall, al-Nusra, die Lieblingsterroristen der Türkei, verüben auf Befehl einen Giftgasangriff, so stehen sofort auch noch zur „Rettung“ der Opfer sowie zur Dokumentation des Angriffes und seiner Folgen die in Kamera- und Maskenbildner-Dingen geübten Weißhelme bereit. Und zwecks „Beweissicherung“, d.h. zum Einsammeln und Analysieren von Proben vom Tatort, wird die Task Force CBRN Aleppo bemüht. „Zeugen“ beschaffen wiederum die vor Ort tätigen Strategen der UOSSM. Nun sind aber die „Aktionen“ aller darstellenden Gruppen gekonnt so weit voneinander entkoppelt, dass man nur schlechterdings von Mittäterschaft sprechen kann. Viel mehr trifft der geheimdienstliche Grundsatz zu, dass jeder nur das wissen muss, was er für seine „Arbeit“ benötigt. Ist der Chemieangriff erfolgt, so übernimmt Londons Apparat des Informationskrieges den „Fall“; die führende Rolle in der Propaganda in Sachen vermeintlicher Giftgas-Angriffe durch die Regierung von Präsident Assad hat Großbritannien inne.
Die Koordinierung der Propaganda übernehmen bestimmte Teile der britischen Presse, insbesondere Blätter wie The Telegraph, The Guardian sowie der Nachrichtensender BBC; allesamt besetzt von Journalisten mit „Geheimdienstnähe“. Das gilt auch für die mediale Verarbeitung des vermeintlichen Angriffes mit dem Nervengas Nowitschok auf die Skripals im März 2018. In altbewährter Tradition betreut dabei die Presseabteilung des MI6 die Kontakte in britischen und amerikanischen Medien. Um die westlichen Medienkonsumenten aufzuschrecken, wird die Strategie der „ungeschönten Berichterstattung“ eingesetzt: angeblich ungefilterte Bilder von getöteten und verletzten Personen nach angeblichen Chemieangriffen werden gezeigt, mit dem Ziel, Damaskus und Moskau zu ächten, wogegen die Darsteller – Weißhelme, UOSSM-Zeugen etc. heroisiert in Szene gesetzt werden, nämlich als selbstlose „Helfer“, die unter Lebensgefahr medizinische Hilfe leisten und Helden des hippokratischen Eides seien. Zum Glück haben sich viele dieser Inszenierungen bereits als Fälschungen und billige Film-„Kunst“ erwiesen.
Der Modus Operandi der „Chemiewaffen-Angriffe“ in Syrien
Schon im Mai 2013 „hatte die CIA die Obama-Administration darüber informiert, dass al-Nusra mit Sarin arbeitet“. Und hatte auch Alarm geschlagen, dass die radikale sunnitische Gruppe Al Qaida im Irak, die im Syrienkrieg aktiv ist, „ebenso wusste, wie man Sarin produziert“. Das enthüllte der investigative Journalist Seymour Hersh im Jahre 2014. David Shedd vom US-Geheimdienst Defence Intelligence Agency (DIA) war im Juni 2013 im Bilde, dass „al-Nusra die Fähigkeit hatte, Sarin zu beschaffen und einzusetzen“. Israels Geheimdienst beschaffte sich sogar eine Probe davon. Al Nusra war zu jener Zeit nahe Damaskus und Ghuta aktiv. Ein anderes US-Geheimdienstdokument vom Sommer 2013 befasste sich mit Ziyaad Tariq Ahmed, Chemiewaffenexperte des irakischen Militärs, der nach Syrien gezogen war, dort in Ost-Ghuta operierte. Jener Tariq wurde von der DIA „als al-Nusra-Typ identifiziert, der nachweislich Senfgas im Irak herstellen konnte und an der Herstellung und Verwendung von Sarin beteiligt ist“.
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Im Mai 2013 wurden im Süden der Türkei 13 Personen festgesetzt, die 2 Kilogramm chemische Substanz in Besitz hatten. Mehmet Arıkan, Staatsanwalt von Adana, warf der Gruppe in einer 130-seitigen Anklage vor, sie habe versucht, Zünder zu kaufen, Rohre zum Bau von Mörsern, chemische Vorprodukte für Sarin. Anführer der Gruppe war der Syrer Haysam Khasab (35). Der US-Geheimdienst DIA sah darin den Beweis, dass al-Nusra seinen Zugang zu chemischen Waffen ausweitet. DIA „identifizierte“ auch Khasab als Mitglied von al-Nusra, der direkt mit Abd-al-Ghani, dem „al-Nusra-Emir für militärische Produktion“ verbunden sei. Khasab und sein Kollege Khalid Ousta arbeiteten mit einem gewissen Halit Unalkaya zusammen, einem Angestellten der türkischen Firma Zirve Export, die „Preisangebote für große Mengen von Sarin-Vorstufen“ macht. Abd-al-Ghanis Plan sah vor, dass zwei Mitarbeiter „einen Prozess zur Herstellung von Sarin perfektionieren, dann nach Syrien gehen, um andere auszubilden, um in einem nicht identifizierten Labor in Syrien mit der Produktion in großem Maßstab zu beginnen“. Der Fall wurde jedoch nach wenigen Tagen von einem anderen Staatsanwalt übernommen, sofort eingestellt und alle Verdächtigen wurden aus der Türkei nach Syrien überstellt.
Der türkische Parlamentarier Eren Erdem von der Partei CHP zerrte das im Oktober 2015 wieder ans Licht, legte dem Parlament die Kopie dieses Strafverfahrens mit der „Nummer 2013/120“ vor. Er sagte:
Es gibt Daten in dieser Anklageschrift. Chemisches Waffenmaterial wird in die Türkei gebracht und in Syrien in Lagern des IS zusammengestellt, der zu dieser Zeit als ‚Al Qaida Irak‘ bekannt war. Die Telefonaufzeichnungen in der Anklageschrift zeigten alle Details: von der Art und Weise, wie die Sendung gemacht werden sollte, wie sie vorbereitet wurde, vom Inhalt der Labore bis zur Quelle des Materials, welche LKWs verwendet werden, alle Termine usw. Von A bis Z wurde alles besprochen und aufgezeichnet. Und die Lieferung ist erfolgt. Weil niemand sie aufgehalten hat. Deshalb ist vielleicht das in Syrien verwendete Saringas eine Folge davon. Alle Grundmaterialien wurden in Europa gekauft. Westliche Institutionen sollten sich zu diesen Beziehungen hinterfragen. Westliche Quellen wissen sehr genau, wer den Saringas-Angriff in Syrien durchgeführt hat. Sie kennen diese Leute, sie wissen, mit wem diese Leute zusammenarbeiten, das wissen sie. Diese Leute arbeiten für Al-Qaida. Der Westen ist heuchlerisch, was die ganze Affäre betrifft.
Präsident Erdoğan ließ Erdem wegen Hochverrats anklagen.
Unter diesem Gesichtspunkt sind alle Giftgas-Angriffe in Syrien zu betrachten, vor allem auch die Nähe und direkte Kooperation der Weißhelme dabei mit Al-Nusra. Allerdings werden die Weißhelme dann erst ab 2014 so richtig „aktiv“ und öffentlich sichtbar (gemacht). Wie dem auch sei, die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) mit Sitz im englischen Coventry meldete, die syrische Armee habe am 13. April in Sheikh Maqsood, Aleppo, zwei Gasbomben auf von Rebellen kontrollierte Gebiete abgeworfen. Eine Frau und zwei Säuglinge starben, 12 Personen wurden verwundet. Dr. Kawa Hassan, Direktor des Krankenhauses in Afrin, sagte als Erstversorger der „Opfer“, Symptome und Behandlung mit Atropin zeigten, dass chemische Substanzen zum Einsatz gekommen waren. Der in Großbritannien ausgebildete Arzt Dr. Niazi Habash postete auf Facebook ein von der „Opposition“ im Krankenhaus produziertes Video, das die Beschwerden der „Opfer“ zur Schau stellte, das dann The Telegraph als Beweis dafür verkaufte, Assad habe in Aleppo Chemikalien eingesetzt. Dazu orakelte der britische Ex-Nachrichtendienstler Hamish de Bretton-Gordon:
Nach dem, was wir gesehen haben, und den Beschreibungen von Behältern, die aus der Luft fallen, scheint das Regime bei diesen Angriffen mit Sarin geringer Qualität zu arbeiten.
Nun, auch der unübersehbare Eliot Higgins, der spätere Gründer von Bellingcat, kam zu seinem Einsatz; er postete das Video auf seiner Internet-Plattform Brown Moses. Blöd nur: in einem Standbild zeigte er die von den Tätern abgeschossene „weiße Plastikgranate“, ein Typus, den nachweislich Terroristen von Al-Nusra benutzten. Und der Experte „Paul“ von Allen-Vanguard, „ein führender Anbieter von maßgeschneiderten Lösungen zur Bekämpfung terroristischer und extremistischer Bedrohungen“, erklärte Higgins, dass „keiner der Menschen im Krankenhaus individuelle Schutzausrüstung trägt“. Weiter sagte er:
Das erste ‚Opfer‘ hat keine Schmerzen, keine sichtbaren Symptome außer einer sich bewegenden frischen, dünnen, weißen Schaumspur, die von jedem Nasenloch aus sein Gesicht herunterführt. Das ist kein bekanntes Symptom eines Angriffs mit Nervengas, und die frühen Anzeichen (Pupillenverengung, laufende Nase, fester Brustkorb und Atemnot) sind nicht vorhanden…
Das dritte ‚Opfer‘ ist ein Mann. Er hat einen dünnen hellweißen Schaum an der linken Seite seines Mundes. Der Schaum bewegt sich nicht und es tritt kein weiterer aus. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass ein Nervengift auf diesen Mann wirkte … Das lässt mich glauben, dass die Veranstaltung inszeniert wurde. Die dargestellten Symptome wurden wahrscheinlich mit einzelnen Schaumanwendungen ausgearbeitet.
Während der Chemiewaffenexperte Hamish de Bretton-Gordon seine Pflicht im Informationskrieg erfüllt und medienwirksam eine „Vergiftung durch Sarin“ attestiert, obwohl er weiß, dass „Schaum vor dem Mund“ kein Standard-Symptom einer Sarin-Exposition ist, wird er sich wohl insgeheim über den dilettantischen Einsatz von Rasiercreme oder dergleichen geärgert haben. Doch der Zweck heiligt die Mittel: Großbritanniens Außenminister William Hague nahm das Rasierschaum-Video zum Anlass, Waffenlieferungen an syrische „Rebellen“ zu forcieren. Er drohte, Großbritannien und Frankreich werden im Falle weiterer derartiger Gräueltaten „dringende Maßnahmen“ ergreifen. Auch die NATO solle sich schon mal vorbereiten, wetzte der Außenminister verbal sein Rasiermesser.
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Hamish de Bretton-Gordon musste sich wohl etwas enger an die Sache binden, um die peinliche Rasierschaum-Panne der Mitstreiter aus Syrien vergessen zu machen: „Mit meiner Beteiligung meldete die BBC am 29. April 2013 einen zweiten möglichen Sarin-Angriff in Saraqeb, Provinz Idlib.“ Ein BBC-Team unter Leitung von Ian Patell hatte Mitte Mai 2013 Saraqeb besucht und erklärte nachher, es habe „Beweise“ für einen „chemischen Angriff“ gefunden. Zeugen hätten gesehen, wie aus Hubschraubern der Regierung mindestens zwei „Geräte“, die giftiges Gas enthielten, abgeworfen wurden. Patienten seien mit Atemnot und verengten Pupillen ins Krankenhaus eingeliefert worden, hätten sich erbrochen; eine Frau namens Maryam Khatib sei gestorben. Ihr Sohn Mohammed sagte der BBC: „Es war ein schrecklicher, erstickender Geruch. Wir konnten überhaupt nicht atmen. Du fühlst dich wie tot an. Ich konnte drei oder vier Tage lang nichts sehen.“ Die BBC „erfuhr“, dass Proben zur Untersuchung nach Großbritannien und Frankreich, in die Türkei und die USA geschickt wurden.
Im Mai 2013 kam es dann zum ersten nachweisbaren Kontakt zwischen Ex-Nachrichtendienstler Hamish de Bretton-Gordon und dem späteren Bellingcat-Gründer Eliot Higgins. In einer Diskussion mit Higgins auf dem Blog Brown Moses sagte de Bretton-Gordon: „Ich habe den Sarin-Angriff mit Ian Pannell von der BBC abgedeckt und ohne Zweifel festgestellt, dass das Regime dafür verantwortlich ist. Wir hatten keine genauen chemischen Analysekits dabei.“ Also war er wohl mit von der Partie in Syrien? Schließlich steht in seiner „Vita“:
Er hat auch mit US-amerikanischen Netzwerken und britischen Zeitungen zusammengearbeitet, um chemische Proben zur Verifizierung in Großbritannien und Frankreich aus Syrien zu schmuggeln.
Porton Down fand keinen Beweis, dass das in Saraqeb verwendete Sarin syrischen Ursprungs war. Russland hatte zudem eine eigene Untersuchung durchgeführt, bezeichnete das Gefundene nachher als „Küchen-Sarin“, „geköchelt“ von Dritten, nicht geeignet, Anklage gegen Damaskus zu erheben.
Der türkische Präsident Erdoğan traf sich dann am 16. Mai 2013 im Weißen Haus mit Präsident Obama. Beiden waren sich einig, dass Assad „gehen muss“. Der investigative US-Journalist Seymour Hersh berichtete, ein US-Außenpolitikexperte erzählte ihm „von einem Arbeitsessen“, das dominiert wurde „von den Behauptungen der Türken, Syrien habe die ‚rote Linie‘ überschritten sowie Beschwerden, dass Obama zögere, etwas dagegen zu unternehmen“. Erdoğan war in Begleitung von Ahmet Davutoğlu, dem türkischen Außenminister, und Hakan Fidan, Chef des militärischen Geheimdienstes MIT, einem bedingungslosen Unterstützer der radikalen Rebellenopposition in Syrien.
Als Erdoğan versuchte, Fidan in das Gespräch (mit Obama) einzubeziehen und Fidan zu sprechen begann, unterbrach Obama ihn und sagte: ‚Wir wissen Bescheid.‘ Erdoğan versuchte, Fidan ein zweites Mal einzubringen, doch Obama unterbrach ihn erneut und sagte: ‚Wir wissen Bescheid.‘ Erdoğan zeigte verärgert mit dem Finger auf Obama: ‚Aber Ihre rote Linie ist überschritten!‘ Und Obama zeigte dann auf Fidan und sagte: ‚Wir wissen, was Sie mit den Radikalen in Syrien machen.
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Am 8. Juni 2013 bedankten sich dann 45 „syrische Organisationen“, beheimatet in den USA, Großbritannien, Frankreich, Katar, Saudi-Arabien, artig bei Abdullah Gul als Präsident der Republik Türkei, bei Recep Tayyip Erdoğan als Premierminister der Republik Türkei und Ahmet Davutoglu als Außenminister der Republik Türkei für die Solidarität „mit unseren Brüdern und Schwestern während der anhaltenden menschlichen Tragödie in Syrien“ und insbesondere bei Erdoğan „für seine entschlossene, unbeirrbare und prinzipielle Haltung“. Mitinitiatoren waren selbstverständlich die auf britischem Mist gewachsene UOSSM, die Syrian British Medical Society (SBMS) und Syria Relief aus Manchester; Organisationen, in denen der Ex-Nachrichtendienstler Hamish de Bretton-Gordon seit 2011 beratende oder führende Funktionen innehat. Randnotiz: Am 27. Juli 2013 hatte Eliot Higgins seinen nächsten Interview-Termin mit Hamish de Bretton-Gordon.
Anfang August 2013 kündigte Großbritanniens Außenminister William Hague nicht von ungefähr ein „Geschenk“ für die syrische Opposition an: Ausrüstung für chemische Kriegsführung im Wert von £ 555.000. Hamish de Bretton-Gordon hatte sich für die Sendung eingesetzt:
Die Dinge, die von der Freien Syrischen Armee (FSA) weitergeleitet werden, sind für die Opposition von Nutzen, haben aber nur geringen Einfluss auf die Kämpfe.
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Das Timing der Sendung war perfekt, stand doch der nächste Gasangriff schon in der Warteschleife. Wie Philip Giraldi, Ex-Spezialist für Terrorismusbekämpfung beim amerikanischen Auslandsgeheimdienst CIA, dem Autor mitteilte, war es „eines unserer Mitglieder, das immer noch als Geheimdienstunternehmer tätig ist und durch seine Kontakte“ in Erfahrung brachte, dass „in der Türkei vom 13. bis 14. August 2013 Vorbereitungen für einen großen, irregulären militärischen Angriff getroffen wurden“. Es gab ein Treffen zwischen hochrangigen oppositionellen Militärkommandanten und Geheimdienstlern aus Katar, der Türkei, den USA in Antakya, dem Kommandozentrum und Sitz der Freien Syrischen Armee (FSA). Dort wurde von einer bevorstehenden ‚kriegswandelnden Entwicklung‘ gesprochen, die zu einem US-geführten Bombenanschlag auf Syrien führen würde. Der Bombenanschlag beginne in wenigen Tagen, den Oppositionsführern wurde befohlen, die Truppen rasch vorzubereiten, um unter Ausnutzung der US-Bombenschläge nach Damaskus zu marschieren und die Regierung von Baschar al-Assad zu entfernen. Zwischen dem 21. und 23. August 2013 wurden Waffen aus Lagern verteilt, die von Katar und türkischen Geheimdiensten kontrolliert wurden.
Die „kriegswandelnde Entwicklung“ wurde am 21. August 2013 in Szene gesetzt: Raketen, gefüllt mit Sarin-Gas wurden in die „Rebellenbastion“ Duma in Ost-Ghuta geschossen; mehr als 1.400 Zivilisten wurden getötet. Der Angriff fiel ganz zufällig zeitlich mit dem Besuch eines 20-köpfigen UN-Chemiewaffen-Teams in Syrien zusammen, das Standorte untersuchen wollte, an denen angeblich Chemiewaffenangriffe stattgefunden hatten. Hamish de Bretton-Gordon reagierte sofort, teilte CBS News mit, „dass aufgrund der gemeldeten Todesopfer und der verfügbaren Video-Beweise wahrscheinlich eine Massenvernichtungswaffe wie Sarin-Gas“ im Spiel war, etwa 100 bis 200 Liter. Und er wusste auch, es sei „sehr unwahrscheinlich“ sei, dass Oppositionskämpfer hinter den Angriffen stehen konnten, „da das giftige Gas in großem Umfang verwendet wurde“. Auch wäre „es sehr schwierig“ – offenbar hatte er die Rasierschaumpanne im Hinterkopf – Filmmaterial zu dem wuchtigen Gasangriff zu beschaffen.
Während die „Rebellen“ behaupteten, syrische Truppen hätten den Großangriff geführt, was Damaskus energisch abstritt, argumentierten die Professoren Theodore A. Postol vom Massachusetts Institute of Technology und Richard Lloyd, Analyst bei Tesla, in einer Studie, dass die Raketen mit Sarin-Gas, die auf Ghuta fielen, eine Reichweite von höchstens 2 km hatten. Das bedeutet jedoch, dass sie unmöglich aus dem von Damaskus kontrollierten Gebiet gekommen sein konnten. Beide behaupteten auch, dass jeder, der Zugang zu einem Maschinenpark mit bescheidenen Fähigkeiten hatte, die für diesen Angriff verwendete Munition herstellen konnte. Eliot Higgins widersprach den Experten (denen er fachlich niemals das Wasser reichen kann) von zu Hause aus. Ich lasse die wenig sachdienlichen „Argumente“ des Sofa-Bloggers an dieser Stelle einfach mal der Kürze halber aus.
Da zitiere ich doch lieber den Ex-CIA-Agenten Giraldi, der von einer „wachsenden Anzahl von Beweisen aus zahlreichen Quellen im Nahen Osten“ spricht, von „der syrischen Opposition und ihren Anhängern“, aus denen hervorgeht, „dass der chemische Angriff vom 21. August eine von der syrischen Opposition und ihren saudi-arabischen und türkischen Unterstützern geplante Provokation war mit dem Ziel, einen Vorfall zu schaffen, der die Vereinigten Staaten in den Krieg bringen würde“. Berichten zufolge, so Giraldi, „wurden Kanister mit einem chemischen Wirkstoff in einen Vorort von Damaskus gebracht, wo sie dann geöffnet wurden. Einige Menschen in unmittelbarer Nähe starben; andere wurden verletzt. Uns sind keine zuverlässigen Beweise bekannt, dass eine syrische Militärrakete, die chemische Agenzien befördern kann, in das Gebiet geschossen wurde. Tatsächlich sind uns keine verlässlichen physischen Beweise bekannt, die die Behauptung stützen, dass dies ein Ergebnis eines Schlages einer syrischen Militäreinheit mit Sachkenntnis in Chemiewaffen war“.
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Für Hamish de Bretton-Gordon „war jedoch klar, dass das Regime verantwortlich war. Es gibt keine Möglichkeit, dass eine Rebellengruppe an diese Menge Sarin herankommen könnte, und die Raketen wurden aus vom Regime kontrollierten Gebieten abgefeuert. Das Wetter war perfekt, gegen 17° C mit einer leichten Brise aus dem Gebiet des Regimes, es war 3 Uhr morgens, also schliefen alle, es gab eine vorbereitende Bombardierung, um Fenster und Türen zu brechen, um das Gas ins Gebäude zu bringen, und eine Bombardierung nach dem Angriff, um Beweise zu zerstören und Ersthelfer (zu) töten. Diese Art der Planung und Durchführung war zu dieser Zeit weit über den Möglichkeiten der Rebellengruppen in der Gegend.“ Und er frohlockte: „Das ist ein weiterer Nagel in den Sarg“ des Regimes. Welcher Dienst den Kontakt zwischen Peter Bouckaert, Notfalldirektor der Soros-Truppe Human Rights Watch (HRW) und Eliot Higgins angebahnt hat, bleibt unklar. Jedoch veröffentlichte auch HRW am 10. September 2013 einen 22-seitigen Bericht über den Angriff in Ghuta und behauptete, „sowjetische 140-mm-Raketen und 330-mm-Raketen“ seien zum Einsatz gekommen, Typen, die nicht in standardmäßigen, speziellen, internationalen oder deklassifizierten Referenzmaterialien aufgeführt sind. Ein Diagramm und Fotos in dem „Bericht“ stammen von Higgins Blog Brown Moses.
Und wenn schon: Die Syrer haben seit langem behauptet, dass ein beträchtlicher Teil der in Libyen befindlichen, in der Sowjetunion hergestellten Waffen mit Hilfe des Geheimdienstes aus Katar in die Hände der „Rebellen“ gelangte. Ein syrischer Journalist sagte im September 2013: „Wir sind sicher, dass die Rebellen Sarin haben. Sie würden Ausländer brauchen, um ihnen beizubringen, wie man es abfeuert. Oder gibt es eine ‚dritte Kraft‘, von der wir nichts wissen?“ Professor Postel sagte, dass die „sehr effektiven, sehr tödlichen“ Raketen in der Lage waren, bis zu 20-mal mehr Sarin zu befördern, als zunächst angenommen. Jane’s Defence Weekly (JDW) deutete auf die auf den Raketenmotoren angegebenen individuellen Nummern hin, und argumentierte, die Raketen seien in einer offiziellen Waffenfabrik in Serie produziert worden. Und der unvermeidliche Hamish de-Bretton Gordon (der wusste, dass jede der Raketen mit bis zu 50 Litern Sarin beladen war) stützte unwissentlich die These, dass Al-Nusra Irak in die Sarin-Angriffe verwickelt ist:
Die Raketentypen, die wir in den Videos von der Szene sehen, sind grundsätzlich die gleichen mit chemischen Waffen bestückten Raketentypen, die in der Vergangenheit in anderen mit Sarin im Zusammenhang stehenden Kontexten untersucht wurden und zum Beispiel ein Teil von Saddam Husseins Arsenal waren.
Apropos „dritte Kraft“: Schon das Britische Empire setzte neben „Blasangriffen“ auf Gasgeschosse. 1917 bauten sie den Livens Projector: Aus Rohrbatterien mit einer Neigung von 45° schossen sie Gasflaschen heraus. Eine Sprengladung zerlegte die Flaschen dann, so dass sich das Gas ausbreiten konnte. Es ist nicht bekannt, ob die britischen Offiziere im verdeckten Einsatz diese erfolgreiche britische Schusstechnik den Terroristen von al-Nusra beigebracht haben. Ähnliche Geschosse tauchten ja in Syrien auf. Wer weiß?
Dazu passt wieder Seymour Hersh:
Die Aufmerksamkeit konzentrierte sich jedoch darauf, ob die syrische Dschihadisten-Gruppe al-Nusra, unterstützt von türkischen Geheimdiensten, am 21. August hinter den Sarin-Gas-Attacken in Damaskus gestanden haben könnte, um die USA zu einer militärischen Intervention zu provozieren, die den Präsidenten Assad stürzen sollte. ‚Wir wissen jetzt, dass es eine verdeckte Aktion war, die von Erdoğan geplant wurde, um Obama über die rote Linie zu drängen‘, wird ein ehemaliger US-Geheimdienstoffizier zitiert.
Mehr zum Thema – Mordsache Skripal und Giftgas-Lügen in Syrien: Die Rolle Großbritanniens seit 2011 (Teil 3)
Es half auch nicht, dass syrische „Aktivisten“ ihre eigenen Haare, Blut sowie Bodenproben in Ghuta sammelten und über Zypern offenbar in die USA, nach Frankreich und ins Defense Science Technology Laboratory im britischen Porton Down schmuggelten. Die UN-Giftgas-Ermittler blieben außen vor. Die „physiologischen Proben“ wurden allesamt positiv auf Sarin getestet. Nur mit dem Unterschied, dass sie keinen der Marker enthielten, durch den Sarin aus den Beständen der syrischen Regierungsarmee identifiziert werden kann. Für Obama war es kein Übertreten der von ihm gezogenen „rote Linie“. Zu offenkundig war, dass dieses Sarin nicht von Assad stammte. Selbst das Londoner Parlament widersetzte sich der Militäraktion, trotz Zuarbeit von Hamish de Bretton-Gordon für einen Bericht der britischen Joint Intelligence Organisation, der festzurrte, dass am 21. August 2013 chemische Waffen verwendet wurden, und es „sehr wahrscheinlich“ sei, dass Damaskus dafür verantwortlich ist. Der „Monster-Strike“, den die USA gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien führen wollten, blieb aus. Anstelle dessen einigten sich die Außenminister John Kerry und Sergei Lawrow am 14. September 2013 auf einen detaillierten Plan zur Bestandsaufnahme, Inspektion, Kontrolle, Beseitigung von Syriens Chemiewaffen.
Hamish de Bretton-Gordon blieb nichts als Gejammer:
Die britische Regierung stimmte dafür, nach Ghuta keine militärischen Maßnahmen zu ergreifen, und beschloss, Präsident Obamas Plan für strategische Schläge nicht zu unterstützen, um Assads Befehls- und Kontrollmacht zu unterdrücken und wichtige Standorte und Anlagen für chemische Waffen zu zerstören. Das britische Votum hat Obama leider neu rekalibriert. Ich für meinen Teil glaube, es ist der größte strategische militärische Fehler in diesem Jahrhundert, der Assad an der Macht hielt.
Auch auf dem Blog Brown Moses, von seinem „Freund“ Eliot Higgins geführt, jammerte er noch am 3. Dezember 2013: „Einige betrachten Assads Einsatz von Sarin in Ghuta am 21. August 2013 als eine brillante ‚Kriegslist‘. Ursprünglich glaubte man (auch die Mehrheit der Opposition), dass die USA Assad um den 27. August herum mit Cruise Missiles vom Planeten ‚sprengen‘ würden. Aber jetzt sind wir in einer Position, in der die Internationale Gemeinschaft zur Geisel von Assads Chemiewaffen wird.“
Doch er wird nicht aufgeben. Gemeinsam mit den Weißhelmen, der MI6-nahen All-Party Parliamentary Group Friends of Syria und diversen NGOs entwickelt er ab 2014 eine neue Strategie: Sarin wird nun außer Landes gebracht, Angriffe mit Chlorgas werden der neue Renner der Briten in Syrien sein. Ebenso bessere Schulungen der Darsteller: Ein weiterer Offiziers-Absolvent der Royal Military Academy of Sandhurst wird konsultiert, der sich damit auskennt, wie „Schauspieler und Visagisten selbst schwerste Verletzungen nachstellen können“. Einzig für militärische Übungen, versteht sich.
Mehr zum Thema – Mordsache Skripal und Giftgas-Lügen in Syrien: Die Rolle Großbritanniens seit 2011 (Teil 4)