Was ist eigentlich ein Photon?

von Oliver Passon und Johannes Grebe-Ellis

Kurzfassung:

Die übliche Einführung des Photon-Begriffs bezieht sich auf Einsteins Arbeit von 1905 und zeichnet damit den historischen Entstehungszusammenhang nach. Nach heutigem Verständnis ist dieser Effekt aber gar kein Grund, das Strahlungsfeld zu quantisieren. Aktuelle Experimente mit einzelnen Photonen werden diskutiert. Diese geben keinen Anlass, sich Photonen als „punktförmige Teilchen“ vorzustellen.

Das Photon

Bei der Beantwortung der Frage, was Photonen sind, geben sich Lehrbücher für den Physikunterricht der gymnasialen Oberstufe viel Mühe. So lesen wir im Dorn-Bader [1, S. 411]: „Das Wort Photon legt eine klassische Teilchen-Vorstellung nahe, da es wie Elektron klingt. Doch will es nur sagen: Die Energieportion hf der Lichtwelle ist unteilbar wie ein Elektron. Fällt Licht auf Glas, so spaltet es sich nach Abb. 1 in einen reflektierten und einen durchgehenden Teil. Dabei wird nicht das einzelne Quant hf geteilt; die Frequenz f wird nicht kleiner. Vielmehr verteilt sich die Zahl der Photonen auf die beiden schwächeren Teile“. Eingeführt wird das Photon bei Dorn-Bader – wie in der Schulphysik üblich – über den Photoeffekt. Man vergleiche dazu auch Abb. 2 aus dem Internetportal „LEIFI Physik“. Hier werden die Photonen als „Wellenpakete“ dargestellt. Ist die übliche Deutung des Photoeffektes aber überhaupt fachlich richtig? Und welche tatsächliche experimentelle Evidenz gibt es für Photonen?

Photoeffekt ohne Photonen

Die übliche Einführung des Photons lehnt sich eng an EINSTEINs Veröffentlichung aus dem Jahre 1905 an. Dort schreibt er: „Nach der hier ins Auge zu fassenden Annahme ist bei Ausbreitung eines von einem Punkte ausgehenden Lichtstrahles die Energie nicht kontinuierlich auf größer und größer werdende Räume verteilt, sondern es besteht dieselbe aus einer endlichen Zahl von in Raumpunkten lokalisierten Energiequanten, welche sich bewegen, ohne sich zu teilen und nur als Ganze absorbiert und erzeugt werden können.“ [3, S. 133].

 

Für diese revolutionäre These wurde EINSTEIN 1922 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet. Bereits der vorsichtige Titel der Arbeit, „Über einen die Erzeugung und Verwandlung des Lichtes betreffenden heuristischen Gesichtspunkt“ [3], macht deutlich, dass eine abschließende Erklärung zu diesem Zeitpunkt noch nicht ins Auge gefasst werden konnte. Einsteins Lichtquantenhypothese greift der Quantenmechanik um 20 Jahre und der Quantenelektrodynamik (also derjenigen Theorie, die dem Begriff „Photon“ seine aktuelle Bedeutung gibt) um 40 Jahre voraus.


Knapp formuliert: aus heutiger Sicht ist EINSTEINS Erklärung genauso falsch wie z. B. das Bohrsche Atommodell. Bereits unmittelbar nach Veröffentlichung der Schrödingergleichung 1926 gelang unabhängig voneinander GREGOR WENTZEL und GUIDO BECK die Herleitung des Photoeffekts innerhalb der nichtrelativistischen Quantenmechanik, bei der das Strahlungsfeld noch gar nicht quantisiert ist, sondern durch das klassische elektrische Feld beschrieben wird [4, S. 226ff].

 

Dieser Effekt kann also ohne Photonen erklärt werden, in dem der quantisierte Festkörper diskrete Energieportionen aus dem kontinuierlichen Feld entnimmt (man spricht von der semi-klassischen Näherung). Aber die Beschreibungen sind nicht gleichwertig: In der semiklassischen Rechnung gelingt zudem die korrekte Vorhersage der gemessenen Winkelverteilung der Photoelektronen. Diese Beobachtung kann mit punktförmigen Photonen nicht erklärt werden. Dasselbe trifft auf den Compton-Effekt zu, d.h. auch dieser kann semi-klassisch erklärt werden.


Mit dem Photon ein Element der Quantenfeldtheorie in das schulische Quantenmechanik-Curriculum zu integrieren, führt zu zahlreichen fachlichen Ungenauigkeiten und Fehlvorstellungen. Im Besonderen besteht die Gefahr, dass Eigenschaften des Quantenobjekts „Elektron“ auf das „Photon“ übertragen werden. Dabei gilt jedoch: Photonen werden nicht durch die Schrödingergleichung beschrieben; Photonen haben keine Wellenfunktion; für Photonen gibt es keinen Ortsoperator (also keinen – auch nur unscharf – definierten „Ort“).

 

Mit einer solchen Negativliste kommt man der Antwort auf die Frage „was Photonen sind“ zwar näher, aber erwünscht wäre sicherlich eine positive Charakterisierung.


Zunächst braucht man sicherlich ein Experiment, das tatsächlich nur mit Photonen (d.h. mit nicht-klassischem Licht) erklärt werden kann. Dies ist nicht der Photoeffekt. Versuche mit einzelnen Photonen können erst seit den 70er Jahren durchgeführt werden. Die Arbeit von JOHN CLAUSER von 1974 [5] war eine der ersten Untersuchungen dieser Art. Es ist allerdings instruktiv, sich einige Etappen auf diesem Weg genauer anzuschauen. 

Das „HANBURY-BROWN und TWISS Experiment“ mit verschiedenen Lichtquellen

Angesichts der (z. B. schulbuchüblichen) Vorstellungen zum Photon sollte es gar nicht so schwierig sein, seinen experimentellen Nachweis zu führen. Man sollte etwa in der Lage sein, einen äußerst schwachen Lichtstrahl an einem Strahlteiler aufzuteilen, und im gleichen Abstand davon zwei Photodetektoren zu betreiben (Abb. 3). Unter der Annahme, dass sich jedes Lichtteilchen nicht aufteilt (siehe oben, Abb. 1), sollten die beiden Detektoren nie gemeinsam ansprechen bzw. ihre Signale eine perfekte „Anti-Koinzidenz“ zeigen. Dies ist im Wesentlichen der Aufbau des Experiments, das ROBERT HANBURY-BROWN und RICHARD QUENTIN TWISS 1956 durchführten, wobei sie gar nicht versuchten, die Quantennatur des Lichts zu überprüfen, sondern einen Aufbau zur Bestimmung des Winkeldurchmessers von Sternen in der optischen Astronomie testeten. Zur Auswertung verwendet man sinnvoller Weise einen sog. Antikorrelationsparameter 𝐴 = 𝑃𝐾/𝑃1𝑃2. Hier bezeichnen 𝑃1 und 𝑃2 die experimentell bestimmte Wahrscheinlichkeiten für das Ansprechen der Detektoren 1 bzw. 2 und 𝑃𝐾 die Wahrscheinlichkeit für das gemeinsame Ansprechen („K“ wie Koinzidenz). Einzelne „Klicks“ eines Photodetektors sind dabei noch kein Hinweis auf die Quantennatur des Lichts, denn diese Nachweisgeräte erzeugen nach Konstruktion ein diskretes Signal.


Im Falle perfekter Anti-Koinzidenz (𝑃𝐾 =0) –Licht besteht aus Teilchen – wird diese Kenngröße Null. Falls Licht sich jedoch nicht teilchenartig verhält und das Ansprechen der Detektoren rein zufällig (und unabhängig) erfolgt, sollte sich eine Koinzidenz als Produkt dieser Zufallsgrößen ergeben: 𝑃𝐾 =𝑃1 ∙ 𝑃2. In diesem Falle wäre der Antikorrelationsparameter𝐴 =1. HANBURY-BROWN und TWISS (HB&T) führten diesen Versuch mit dem Licht einer Quecksilberdampflampe durch. Sie isolierten dabei die 435,8nm Emissionslinie. Vor den Detektoren waren schmalbandige Interferenzfilter, die lediglich für Strahlung im relevanten Frequenzbereich von ca. 435nm durchlässig waren. Dadurch wurde Untergrund verringert und zudem sichergestellt, dass Licht, dass sich an den Strahlteilern auch energetisch „aufgeteilt“ hätte, die Detektoren nicht auslösen konnte.


In diesem Versuch ermittelten HB&T einen Wert von 𝐴 >1, d.h. bei jedem Nachweis an einem Detektor war die Wahrscheinlichkeit für den gleichzeitigen Nachweis am anderen Strahl sogar größer, als man bei rein zufälliger Verteilung erwarten würde. Von einem Nachweis der Quantennatur (𝐴 =0) ist man mit diesem Resultat natürlich ebenfalls weit entfernt. Die Erklärung dieser Messung kann nun semi-klassisch erfolgen, also mit Hilfe einer klassischen Lichtwelle, die einen „quantenmechanischen“ Detektor (d.h. mit diskreten Energieniveaus) anregt. Für eine Strahlungsquelle mit konstanter Intensität ergibt sich zunächst der Wert 𝐴 =1. Berücksichtigt man zusätzlich die Fluktuationen bei der Emission innerhalb der Quecksilberdampflampe können sich auch größere Werte ergeben. Für Details dieser Rechnung siehe etwa Kapitel 2 in [6] (auf das sich die gesamte Darstellung dieses Abschnitts bezieht). Dasselbe Messergebnis hätte sich auch bei der Verwendung anderer „klassischer“ Lichtquellen (Glühlampen, Halogenlampen, Kerzenlicht etc.) ergeben. Setzt man hingegen einen Laser ein [5], findet man einen Wert von 𝐴 =1; also auch hier ist es semi-klassisch (also ohne Photonen) verständlich, weil die Lichtquelle zeitlich konstant emittiert.

Wo sind die Photonen?

Gelingt nun mit einem Aufbau wie in Abb. 3 der Photonennachweis gar nicht? Tatsächlich konnten GRANGIER, ROGER und ASPECT 1986 in einem sehr ähnlichen Aufbau die Anti-Koinzidenz mit einem Wert von 𝐴 ≈ 0 nachweisen. Der Trick bestand darin, eine sehr spezielle „Lichtquelle“ zu verwenden, bei der die „Photonenzahl“ tatsächlich einen definierten Wert hat. Dies ist in vollständiger Analogie zur Situation in der nichtrelativistischen Quantenmechanik: ein Zustand mit z. B. eindeutig definiertem Impuls (𝜓~𝑒ikx) befindet sich in keinem Eigenzustand des Ortsoperators.


Die bisher betrachteten Lichtquellen erzeugen ebenfalls keine Strahlung, die in einem definierten „Photonenzahlzustand“ ist. Als nichtklassische Lichtquelle verwendeten GRANGIER und Mitarbeiter einen Strahl aus Kalziumatomen. Diese wurden mit Hilfe eines Lasers in einen s-Zustand selektiv angeregt, aus dem sie aufgrund der Drehimpulserhaltung nur unter Emission von zwei Ein-Photon-Zuständen in den Grundzustand zurückkehren konnten. Eines dieser (praktisch gleichzeitig) emittierten Photonen wurde als „Trigger“ verwendet, d.h. sein Nachweis startete die Messung mit dem anderen Photon dieses Paares. Hier ergab sich ein Wert von 𝐴 ≈ 0, d.h. jedes Photon wurde entweder in Detektor 1 oder Detektor 2 (vgl. Abb. 3) nachgewiesen. Nachdem dadurch der Nachweis einzelner Photonen tatsächlich gelungen war, konnten GRANGIER und Mitarbeiter ihre Eigenschaften genauer untersuchen. Dazu verwendeten sie einen Aufbau wie in Abb. 4 skizziert. Es handelt sich um ein (Mach-Zehnder-)Interferometer, mit dessen Hilfe Interferenzerscheinungen untersucht werden können, da die am ersten Strahlteiler geteilten Lichtstrahlen nach Reflexion an der Spiegeln am zweiten Strahlteiler (vor den Detektoren) wieder kombiniert werden. Durch Variation der Position des beweglichen Spiegels in Abb. 4 können die Weglängen (d.h. Phasen) der Teilstrahlen variiert werden.

 

Verwendet man jedoch die „Ein-Photon-Quelle“, deren Antikorrelation 𝐴 ≈ 0 beträgt, sollte sich gar keine Interferenz ergeben können. Schließlich – so die naive Annahme – ist jedes Photon immer nur in einem Arm des Interferometers. Jedoch verhalten sich auch „einzelne“ Photonen (d.h. nicht-klassisches Licht mit Besetzungszahl 1) wie Licht, d.h. es kommt zu einer Verstärkung und Abschwächung der Zählraten an den Detektoren 1 (bzw. 2 – der Aufbau ist schließlich streng symmetrisch). Dies ist in Abb. 5 dargestellt.

 

Diese Messwerte wurden in der Arbeitsgruppe von JAN-PETER MEYN in Erlangen erzeugt, der eine sogar schultaugliche Version des Experiments von GRANGIER ET AL. umgesetzt hat. Hier wird als Quelle einzelner Photonen ein nichtlinearer Kristall (Beta-Bariumborat) verwendet sowie statt eines Mach-Zehnder- ein Michelson-Interferometer. Nähere Informationen zu diesem Projekt sowie interaktive Animationen finden sich unter [8]. Diese Ein-Photon-Interferenz wird nun häufig als Indiz für den sog. Welle-Teilchen-Dualismus genommen. Viel eher handelt es sich aber um einen Hinweis auf die Nichtlokalität der Quantentheorie [6, S. 37].

Schlussbemerkung

Die Eigenschaften praktisch aller Lichtquellen und die Wechselwirkung ihrer Strahlung mit Materie lassen sich ohne Photonen in der semi-klassischen Näherung erklären. EINSTEINs Erklärung des lichtelektrischen Effekts (= Photoeffekt) sollte denselben Status wie das Bohrsche Atommodell erhalten: historisch bedeutsam aber nicht mehr aktuell.

 

Während die nichtrelativistische Quantenmechanik die Eigenschaft „Ort“ unscharf werden lässt, bleibt die Eigenschaft „Anzahl“ für Quantenobjekte (z. B. Elektronen) erhalten. Photonen werden jedoch durch eine Quantenfeldtheorie beschrieben, bei der es keinen Ortsoperator mehr gibt und diese letzte teilchenartige Eigenschaft („eine feste Anzahl haben“) ebenfalls unscharf wird (siehe hierzu etwa auch [9]). Aus diesem Grund ist die Beschriftung in Abb. 1 auch grob irreführend. Die behauptete eindeutige (und feste) Teilchenzahl bei Brechung und Reflexion an einer Grenzfläche ist i. allg. nicht gegeben. Die Darstellung von Photonen als Wellenpakete (siehe Abb. 2) ist ebenfalls falsch. Hier wird ein Konzept der nichtrelativistischen Quantenmechanik auf das relativistische Photon übertragen.


Nicht-klassisches Licht lässt sich (gemessen am Alter der Quantentheorie) erst relativ kurz experimentell erzeugen und manipulieren. Eine Diskussion des hier geschilderten Versuchs von HANBURY-BROWN und TWISS mit verschiedenen Lichtquellen erläutert und illustriert diese Schwierigkeiten beispielhaft. Charakteristisch für nicht-klassisches Licht ist (wie durch das AntiKoinzidenzverfahren illustriert) die Zeitstruktur der Ereignisse. Eine prägnante Formulierung findet Jan-Peter Meyn [10], wenn er im selben Zusammenhang die Ausdrucksweise „Licht besteht aus Photonen“ ablehnt und stattdessen „Ein Photon kann aus dem Licht präpariert werden“ vorschlägt. Einmal mehr zeigt sich, wie problematisch Lichtmodelle sind, auf deren Verwendung der traditionelle Optikunterricht glaubt, nicht verzichten zu können. Hier bietet die phänomenologische Optik [11] eine Alternative.

 

Die hier geschilderten Schwierigkeiten betreffen natürlich ebenfalls die Hochschuldidaktik. Der Quantenoptiker WILLIS EUGENE LAMB JR. (1913-2008, Physik-Nobelpreis 1955) hat eine Arbeit mit dem programmatischen (und polemischen) Titel „Anti-photon“ geschrieben [12]. Der Aufsatz beginnt mit der Bemerkung: „It should be apparent from the title of this article that the author does not like the use of the word “photon”, which dates from 1926. In his view, there is no such thing as a photon. Only a comedy of errors and historical accidents led to its popularity among physicists and optical scientists.” Man muss sich diesem Urteil nicht anschließen, aber aus dem
Munde eines der Mitbegründer der Quantenelektrodynamik illustriert es doch eindrücklich die Fallstricke und Missverständnisse, die dieses Thema umranken. Auch dies sollte in der Schule angesprochen werden!