2010/03: Wisnewski: Die Israel-Lobby

Respektvolle Besprechungen erschienen in der New York Times, der Financial Times, der New York Review of Books, der Chicago Tribune, dem New York Observer, im National Interest und in der Nation.« So steht es im Vorwort des 2007 erschienenen Buches der beiden amerikanischen  Wissenschaftler John J. Mearsheimer und Stephen M. Walt über die Rolle israelischer Interessenträger in der amerikanischen Politik. »Einige positive Reaktionen kamen sogar aus Israel«, heißt es im Vorwort weiter.

 

Unter großen persönlichen Risiken (etwa der Gefahr, sich den Vorwurf des »Antisemitismus« einzuhandeln) stießen Mearsheimer und Walt mit ihrem inzwischen zum Standardwerk avancierten Buch eine Tür auf, und es wäre fatal, nicht durch diese Tür hindurchzugehen.

 

Nicht, um einen neuen Antisemitismus zu schüren, wie uns eben jene Israel-Lobby immer wieder glauben machen will, sondern um endlich zu einer realistischen und ungeschminkten Betrachtung des Staates Israel, seiner Interessen und seines Einflusses in der Welt zu gelangen. Und damit zu einer Gleichbehandlung mit allen anderen Staaten der Welt und zu einer Unbefangenheit, die es allein ermöglicht, die Strategien von Staaten und Interessengruppen zu analysieren.

Mearsheimer und Walt thematisieren die schleichende Aushöhlung des amerikanischen Staates durch die Israel-Lobby. Bei den Bilderbergern erscheint die Israel-Lobby ebenfalls im Gewand der USA. Wo auch immer die Führungsschicht der USA auftritt, ist sie zu einem guten Teil mit der Israel-Lobby durchsetzt. Und dieseTatsache darf bei den Bilderbergern keinesfalls ignoriert werden.

Henry Kissinger

Nehmen wir als Beispiel für einen herausragenden Vertreter der Israel-Lobby zunächst den führenden Kopf und »Paten« der Bilderberger, Henry Kissinger. Mearsheimer und Walt beschäftigen sich ausführlich mit seiner Rolle als Außenminister der Nixon-Regierung. In Wirklichkeit war er deren heimlicher Präsident. Aber warum wurde Kissinger dann nicht einfach selbst Präsident? Ganz einfach: US-Präsident können nur »natural born Americans« werden, also in den USA geborene Staatsbürger. Kissinger aber wurde am 27. Mai 1923 im deutschen Fürth geboren, die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt er erst am 19. Juni 1943.

 

Mearsheimer und Walt schildern die wohlwollende Unterstützung Israels durch die Kissinger-Nixon-Regierung in Kriegszeiten, zum Beispiel während des israelisch-ägyptischen Krieges 1968 bis 1970.

 

»Wenn die Nixon-Regierung Israel auch nicht alle Waffen gab, um die sie gebeten wurde – was gelegentlich zu scharfen Wortwechseln zwischen beiden Regierungen führte –, so verstärkte sie doch ihre Waffenlieferungen. (…) Eine gemeinsame Absichtserklärung verpflichtete die Vereinigten Staaten 1972 dazu, Flugzeuge und Panzer langfristig zur Verfügung zu stellen.«

 

Nixon und Kissinger hätten versprochen, vor neuen Friedensvorschlägen Israel zu konsultieren, womit eine Supermacht einem kleinen Land quasi ein Vetorecht eingeräumt habe. Laut dem Nahostexperten William Quandt habe die Nahost-Politik der Vereinigten Staaten aus »wenig mehr als offener Unterstützung für Israel bestanden«. Nach Meinung des israelischen Außenministers Abba Ebban sei dies das goldene Zeitalter der US-Waffenlieferungen an Israel gewesen.

Kissinger tat aber weit mehr, als Israel mit Waffen zu unterstützen. Mitunter wurde der amerikanische Außenminister auch voll und ganz zum israelischen Emissär. So zum Beispiel während des arabisch-israelischen Jom-Kippur-Krieges 1973.

 

Bei den Waffenstillstandsverhandlungen, insbesondere bei den Gesprächen mit der sowjetischen Führung, habe Kissinger darauf geachtet, dass Israels Handlungsfreiheit erhalten blieb.

 

Anweisungen seines Präsidenten Richard Nixon missachtete er demnach souverän. Eigentlich habe Nixon Kissinger die Anweisung gegeben, dem sowjetischen Generalsekretär Breschnew zu sagen, die Vereinigten Staaten wollten den Krieg nutzen, um im Nahen Osten einen umfassenden Frieden zu erreichen. Demgegenüber habe Kissinger in Moskau erfolgreich auf einen Waffenstillstand gedrungen, bei dem Israel die Oberhand behalten habe. Protokolle hätten eindeutig gezeigt, dass Kissinger in Moskau mehrfach israelische Interessen vertreten habe, und zwar »durchaus entgegen Nixons Wünschen«.

 

Mearsheimer und Walt bringen immer neue Belege, wie der US-Außenminister in Wahrheit Israel unterstützte. So habe er Israel auch gestattet, sich über eine UN-Resolution hinwegzusetzen, die ein Ende der Kämpfe binnen zwölf Stunden gefordert habe, um auf diese Weise seine Position zu stärken. Als amerikanischer Außenminister entwickelte Kissinger also ein erstaunliches Eigenleben und maßte sich geradezu präsidiale Vollmachten und Richtlinienkompetenzen an. Das erweckt den Eindruck, als sei der Bilderberger Kissinger nicht nur schon immer ein mächtiger globaler Akteur, sondern auch ein trojanisches Pferd Israels an der Spitze der amerikanischen Regierung gewesen. Und natürlich auch bei den Bilderbergern. 1977, im Jahr seines Ausscheiden aus dem Amt des Außenministers, wurde Kissinger Professor für Internationale Diplomatie an der jesuitischen Georgetown-Universität in Washington D. C.

 

1982 gründete er die Beratungsfirma Kissinger Associates. Von den Bilderbergern dabei:
Europa-Stratege Étienne Davignon und Lord Carrington, NATO-Generalsekretär von 1984 bis 1988. Über die Mediengruppe Hollinger International (später Sun Times Media Group) des berüchtigten Medientycoons Conrad Black konnte Kissinger als einer der Direktoren Einfluss auf die öffentliche Meinung der Welt nehmen. Zu Hollinger bzw. Sun Times gehörten weltweit Dutzende von Zeitungen, u.a. der Daily Telegraph, die Chicago Sun Times, der Spectator und die Jerusalem Post. Die Sun Times Media Group ging 2009 pleite. Neben anderen Organisationen ist Kissinger auch Mitglied der amerikanischen Denkfabrik und Einflussorganisation Aspen Institute, der zum Beispiel auch der deutsche Meinungsmacher und Moderator der ZDF-Sendung »heute journal«, Claus Kleber, angehört.

 

Paul Wolfowitz

»Als Wolfowitz im Januar 2001 zum stellvertretenden Verteidigungsminister nominiert wurde, berichtete die Jerusalem Post, dass ›die jüdischen und proisraelischen Kreise jubeln‹«, schreiben Mearsheimer und Walt.

Im Frühjahr 2002 habe der Forward darauf hingewiesen, dass Wolfowitz als »kompromissloseste proisraelische Stimme in der amerikanischen Regierung« bekannt sei, und ihn im selben Jahr unter fünfzig bedeutenden Persönlichkeiten als diejenige ausgewählt, die sich am meisten »in einer bewussten Weise für die jüdische Sache eingesetzt« habe. Zur selben Zeit habe ihm das »Jewish Institute for National Security Affairs« (JINSA) seinen »Henry M. Jackson Distinguished Service Award« für »sein Eintreten für eine starke Partnerschaft zwischen Israel und den USA« verliehen. Die Jerusalem Post habe Wolfowitz als »überzeugt proisraelisch« bezeichnet und ihn 2003 zum Mann des Jahres gekürt.

Nicht nur vor dem 11. September 2001, auch unmittelbar nach den Anschlägen auf das World Trade Center war Wolfowitz der entscheidende Kriegstreiber gegen den Irak – jedenfalls, wenn man Mearsheimer und Walt glaubt.

 

So wichtig die Neokonservativen bei der Einfädelung des Krieges auch gewesen seien, wäre es ihnen doch nicht gelungen, Clinton oder Bush zu einem Einmarsch zu bringen. Um ihr Ziel zu erreichen, hätten sie Hilfe gebraucht. Und diese Hilfe sei der 11. September 2001 gewesen. Der 11. September sei der Wendepunkt gewesen, zitieren die Autoren den neokonservativen Politikberater Robert Kagan. Bush sei plötzlich nicht mehr derselbe gewesen. Die Neokonservativen, darunter Wolfowitz und andere, hätten eine wichtige Rolle dabei gespielt, Präsident und Vizepräsident dazu zu bringen, den Krieg nun für richtig zu halten.

 

Der 11. September sei »der neue Kontext« gewesen, in den die Neokonservativen alle ihre alten Vorstellungen von der US-Außenpolitik hätten einbetten können. Just als die Regierung versucht habe, mit einer nie dagewesenen Katastrophe fertig zu werden, hätten sie laut Kagan schon eine »fertige Auffassung von der Welt« in der Schublade gehabt. Insbesondere Wolfowitz habe auf einen Krieg gegen den Irak gedrängt. Schon am 15. September 2001 habe er sich bei einer Zusammenkunft mit Bush für einen Einmarsch in den Irak ausgesprochen, obwohl es keine Belege für eine Verwicklung des Irak in die Attentate gegeben habe. »Wie ein Papagei« habe Wolfowitz einem republikanischen Abgeordneten zufolge immer wieder vom Irak angefangen, so dass es dem Präsidenten allmählich auf die Nerven gegangen sei. Auch das lag auf der Linie des »Jewish Institute for National Security Affairs«. Laut Mearsheimer und Walt hatte das Institut am 13. September 2001 eine Presseerklärung herausgegeben, in der es geheißen habe: »Eine lange Untersuchung, um Osama Bin Ladens Schuld zweifelsfrei zu beweisen, ist vollkommen unnötig. Er ist schuldig in Wort und Tat. Seine Biographie ist der Ursprung seiner Schuld. Dasselbe gilt für Saddam Hussein.«  Ein durchaus merkwürdiger Schuldbeweis.

 

Richard Perle

Während Paul Wolfowitz’ Zeit als Stellvertretender Verteidigungsminister der Regierung Bush saß Bilderberger Richard Perle zusammen mit Henry Kissinger im »Defence Policy Board« des US-Verteidigungsministeriums, einer strategischen Beratergruppe für den Minister, PNAC-Strategen und Bilderberger Donald Rumsfeld. Perle ist Mitglied in zahlreichen ultrarechten Denkfabriken einschließlich des oben erwähnten JINSA. Genau wie Kissinger bekleidete auch Perle eine führende Position in der Mediengruppe Hollinger (später Sun Times Media Group). Auch Perle agierte außer bei den Bilderbergern beim PNAC, einem Zentrum der ultrarechten israelischen Kriegstreiber in den USA.

 

Das PNAC übte schon vor dem 11. September 2001 Druck auf die amerikanische Regierung aus, genau jene Kriege zu beginnen, welche die USA nach 9/11 dann auch wirklich begannen. Die Frage ist nur: Lag das wirklich im Interesse der USA oder im Interesse


eines ganz anderen Landes? Ein Blick auf den Globus beantwortet die Frage von selbst: Der Irak und der Iran liegen in der näheren oder weiteren Nachbarschaft Israels und nicht der Vereinigten Staaten. Während Israel noch ein subjektives Bedrohungsgefühl gegenüber diesen Ländern vorgeben kann, war die von Präsident George W. Bush heraufbeschworene Bedrohung der Vereinigten Staaten durch den Irak gänzlich absurd.

Schon 1996 habe Perle zusammen mit David Wurmser und Douglas Feith »den berühmten Bericht ›A Clean Break‹« verfasst, der dem israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu empfahl, »sich darauf zu konzentrieren, Saddam im Irak zu entmachten – für Israel ein wichtiges strategisches Ziel« – und Schritte zu unternehmen, den gesamten Nahen Osten neu zu ordnen. Schritte, die nach dem 11. September 2001 von den USA unternommen wurden. Sogar ein Kolumnist der israelischen Zeitung Haaretz habe gewarnt: »Feith und Perle bewegten sich auf einem schmalen Grat zwischen ihrer Loyalität zur jeweiligen amerikanischen Regierung … und israelischen Interessen.«

Das heißt, dass in Sachen USA der Schwanz schon lange mit dem Hund wedelt. Israels Verhältnis zu den Vereinigten Staaten lässt sich am besten als das zwischen einem Gehirn und seinem muskelbepackten Körper beschreiben. Das Wirken der Israel-Lobby führte zu einer Politik und vor allem zu Kriegen, die den USA schweren Schaden zugefügt haben. Konnte den USA bislang niemand etwas anhaben, so könnte man nun auf die Idee kommen, als könnte genau diese Fremdbestimmung letztlich zur Zerstörung der amerikanischen Nation führen.