16. Die Rohstoff- und Baugrundrente und ihre Beziehung zum allgemeinen Lohngesetz.
Die Natürliche Wirtschaftsordnung (1919 - 3. Auflage)-Fotokopie
- Siehe auch FT: Die natürliche Wirtschaftsordnung
Ob der Weizen aus Kanada, aus Argentinien, aus Sibirien oder vom Felde des Nachbarn kommt, ob es zollbelasteter Weizen der geplagten deutschen Auswanderer ist oder zollgeschützter Weizen des behäbigen pommerschen Gutsbesitzers — was fragt der Müller danach. Ist die Beschaffenheit gleich, so ist auch der Preis gleich.
Ebenso verhält es sich mit allen übrigen Dingen. Niemand erkundigt sich nach den Kosten der Waren, jedem ist es einerlei, woher die den Käufer umwerbenden Waren stammen. Ob der eine dabei reich geworden, der andere zugrunde gegangen ist — ist die Güte gleich, so ist auch der Preis gleich. Am klarsten sieht man das an den Münzen. Wer erkundigt sich danach, wo, wie und wann das Gold gewonnen wurde, aus dem die einzelnen Münzen gemacht sind. An den einen klebt das Blut der erschlagenen und beraubten Feinde, an den anderen der Schweiß des Erzschürfers, jedoch alle laufen unterschiedslos um.
So ungleich auch die Kosten sein mögen, die auf den einzelnen in Wettbewerb stehenden Waren lasten, der Preis ist immer der gleiche.
Das weiß jeder, der Rohstoffe braucht, das weiß auch wieder der Besitzer des Bodens, auf dem die Rohstoffe gefunden oder gewonnen werden können.
Wenn also z. B. die Stadt Pflastersteine für eine neue Straße braucht, so berechnet gleich der Besitzer des zunächst liegenden Steinbruchs, wie weit es von der neuen Straße bis zur nächsten freien Fundstätte gleicher Steine ist. Dann berechnet er die Fuhrkosten, die von dort zur Verbrauchsstätte erwachsen würden, und der Preis ist fertig. Und diesen Preis wird die Stadt bezahlen müssen, denn erst von diesem Preise ab kann der Wettbewerb einsetzen, und der Wettbewerb bestimmt doch den Preis. (Der Arbeitslohn im Steinbruch, da er als gleich für beide Steinbrüche angenommen wird, kann hier ganz weggelassen werden.)
Fehlt jedoch der Wettbewerb ganz, b. h., fehlt eine freie Fundstätte in erreichbarer Entfernung und verlangt infolgedessen der Steinbruchsbesitzer überhohe Preise für seine Pflastersteine, dann springen entweder die Ersatzzmittel ein, in diesem Falle also Holzpflaster, Makadam, Kies, Asphalt, Eisenbahn usw., oder man unterläßt den Bau der Straße.
In letzterem Falle wäre also der Nutzen, den die Stadt von dem Bau der neuen Straße erwartet, der erste und letzte Nebenbuhler des Steinbruchbesitzers.
Und wie es sich hier mit den Pflastersteinen verhält, so auch mit allen anderen Rohstoffen ohne Ausnahme. Braucht ein Unternehmer Ton für eine Zementfabrik, Lehm für eine Ziegelei, Lohe für die Gerberei, Kohlen, Eisenerze, Holz, Wasser, Bausteine, Kalk, Sand, Erdöl, Mineralwasser, Luft für seine Windmühle, Sonne für seine Heilstätte, Schatten für sein Sommerhaus, Wärme für seine Reben, Kälte für seine Eisbahn, so wird sich der in dieser Beziehung bevorzugte Grundbesitzer diese Gaben der Natur ebenso bezahlen lassen, wie der Besitzer obigen Steinbruches, und zwar immer nach genau den gleichen Grundsätzen.
Die Umstände mögen in jedem einzelnen Falle andere sein, der Wettbewerb der Ersatzstoffe mag der Gewinnsucht des Grundbesitzers hier eine engere Grenze setzen als dort, aber schließlich bricht immer und überall das nämliche Gesetz durch, wonach der Grundbesitzer alle Vorteile, die die Produkte, die Lage, die Natur seines Besitzes bieten, so ausbeutet, daß der Käufer für seine eigene Arbeit nur so viel anrechnen kann, wie wenn er die Stoffe vom Wüst-, Öd und Freiland herbeischaffen müßte.
Es ergibt sich aus dieser Betrachtung der für das allgemeine Lohngesetz sehr wichtige Satz: Das Produkt der schlechtesten, entferntesten und darum oft herrenlosen Fundstätte von Rohstoffen, belastet mit allen Frachtkosten und mit denselben Löhnen, die die anderen Fundstätten zahlen müssen, gibt den Ton an in der Preisbildung dieser Stoffe. Was die Besitzer der bevorzugten Fundstätten an Produktionskosten sparen, ist Rente.
Der Verbraucher muß alle Produkte der Erde, alle Rohstoffe immer so bezahlen, wie wenn sie mit schweren Unkosten auf Ödland erzeugt, vom herrenlosen Lande herangeschleppt worden wären.
Wenn das Produkt der schlechtesten Erde übereinstimmte mit dem Mindestmaß dessen, was der Mensch zum Lebensunterhalt braucht, so wären mit dem Privatgrundbesitz alle Voraussetzungen für das Walten des ehernen Lohngesetzes erfüllt, aber wie schon gesagt, ist das nicht der Fall. Deshalb, aber auch allein deshalb kann sich der Lohn von diesem Mindestmaß entfernen.
Genau demselben Grundsätze folgend, wenn auch von anderen Umständen bestimmt, gestaltet sich die städtische Grundrente, die in den Industriestaaten der Neuzeit fast an die ländliche Grundrente heranreicht.
So ist z. B. der Boden, auf dem Berlin gebaut ist, im Jahre 1901 auf 2911 Millionen geschätzt worden (s. Deutsche Volksstimme 12, 1904), was zu 4% einer Grundrente von 116 Millionen entspricht. Diese Summe, auf die 4 Millionen Hektar der Provinz Brandenburg verteilt, gibt für sich allein schon etwa 30 M. Rente für den Hektar. Rechnet man noch die Grundrente der übrigen Städte der Provinz hinzu, so erreicht man vielleicht 40 M. für den Hektar, eine Summe, die bei der Dürftigkeit des Bodens und den großen Wasser-Sumpf- und Waldflächen der Provinz das Mittel der ländlichen Grundrente vielleicht schon übersteigt. Freilich nimmt die Provinz Brandenburg mit ihrem mageren Boden einerseits und der Hauptstadt des Reiches anderseits eine Ausnahmestellung ein, aber diese Zahlen zeigen doch, welche Bedeutung die städtische Grundrente heute erlangt hat.
Diese Zahlen werden manchen gewiß überraschen, und wie irgend jemand ganz richtig bemerkte, ist es heute zweifelhaft, ob der nach Renten gemessene Großgrundbesitz noch in Schlesien und nicht etwa in Berlin zu suchen sei.
Wie erklärt sich diese eigentümliche Erscheinung; wodurch wird die Höhe der Baugrundrente bestimmt; wie verhält sich diese zum allgemeinen Lohngesetz?
Zunächst ist hier die Frage zu beantworten, was die Menschen veranlaßt, sich trotz der hohen Grundrente in den Städten zusammenzurotten, warum sie sich nicht auf das Land verteilen. Nach obigen Angaben berechnet, beträgt die Grundrente für die Bewohner Berlins 58 M. auf den Kopf der Bevölterung, für Familien von 5 Personen im Durchschnitt also 200 M. jährlich, eine Ausgabe, die auf dem Lande so gut wie ganz wegfällt, denn die ländliche Grundrente, die für die Wohnung hier in Anrechnung kommt, ist allein mit den Düngestoffen der Familie reichlich bezahlt. Ganz abgesehen von den gesundheitlichen Vorteilen des Landlebens und den trotz hoher Kosten dennoch erbärmlichen Wohnungsverhältnissen in der Stadt. Es müssen also gewichtige Gründe sein, die der Stadt den Vorzug geben.
Wenn wir die gesellschaftlichen „Vorzüge“ der Stadt durch ihre Nachteile (schlechte Luft, Staub, Lärm und die sonstigen endlosen Beleidigungen unserer Sinne) als ausgeglichen und bezahlt erachten, so bleiben nur noch die mit der Stadt verbundenen wirtschaftlichen Vorteile übrig, um Deckung für das Mehr der Ausgaben einer Berliner Familie zu liefern. Das Ineinandergreifen der einzelnen Industrien, die gegenseitige Unterstützung, die ein Teil dem anderen gewährt, muß dem abgesonderten Industriellen auf dem Lande gegenüber Vorteile aufweisen, die die 116 Millionen an Grundrente aufwiegen. Wenn das nicht wäre, so bliebe die Ausdehnung unerklärlich, die die Städte erfahren haben.
Auf dem Lande kann sich keine Industrie entwickeln, die, für die „Saison“ arbeitend, heute viele, morgen wenige oder gar keine Arbeiter beschäftigt – denn der Arbeiter muß das ganze Jahr arbeiten. In der Stadt gleicht sich der wechselnde Bedarf an Arbeitern der einzelnen Industrien mehr oder weniger aus, so daß, wenn die eine Fabrik Arbeiter entläßt, die andere solche wieder anwirbt. Dadurch hat der Arbeiter in der Stadt eine größere Sicherheit gegen Arbeitslosigkeit als auf dem Lande.
Auf dem Lande fehlt dem Industriellen der Gedankenaustausch, die Anregung, die der Verkehr mit den anderen Gewerbetreibenden mit sich bringt, auch die Arbeiter selber, die in den verschiedenen Fabriken die verschiedensten Arbeitsverfahren kennen lernen und deren Vorteile ausbeuten, gewähren dem Unternehmer einen bedeutenden Vorsprung seinem Wettbewerber vom Lande gegenüber. Dieser, der ganz auf sich selbst angewiesen ist, und dessen Arbeiter den Verkehr anderer Arbeiter, aus anderen Industrien, aus anderen Ländern entbehren müssen, verharrt also leicht in der Übung großväterlicher Vorschriften. Auch fehlt ihm nur zu oft die Absatzgelegenheit, die die Stadt dem Unternehmer in ungleich höherem Maße bietet, weil die Käufer hierher aus vielen Teilen des Reiches und der Welt zusammenströmen, weil sie hier auf gedrängtem Raume alles finden, was sie brauchen. Der Unternehmer in der Stadt erhält den Besuch der Käufer aus allen Ländern; diese machen ihn auf die Wünsche der Verbraucher aufmerksam, geben ihm wertvolle Auskünft über die Marktverhältnisse, Preise usw. Dies alles entbehrt der Wettbewerber auf dem Lande. Statt den Besuch der Käufer zu erhalten, muß er sich selbst auf Reisen begeben und Zeit und Geld opfern, um die Kundschaft zu besuchen; auf Umwegen, die oft viel an Zuverlässigkeit zu wünschen übrig lassen,
zieht er die Erkundigungen ein über den Preisstand der Rohstoffe, über die Marktverhältnisse im Auslande, über die Zahlungsfähigkeit der Kundschaft usw.
Dann muß er von allen Stoffen, die er verarbeitet, bedeutend größere Kosten auf Lager nehmen als sein Wettbewerber in der Stadt, der hier alles nach Bedarf kaufen kann, und wenn dem Landbewohner aus Unachtsamkeit ein Stoff, manchmal nur eine Schraube, ausgeht, so ruht der ganze Betrieb, bis aus der „Stadt“ das Fehlende angekommen ist. Ist etwas an der Maschine in Unordnung, so muß aus der „Stadt“ wieder ein Mann mit Werkzeugen bestellt werden, und bis dieser ankommt, ruht wieder der Betrieb.
Kurz, der Nachteile gibt es so viele beim Betriebe, bei der Arbeiterschaft, beim Einkauf der Rohstoffe, beim Absatz der fertigen Ware, daß der Unternehmer vom Lande, der doch mit der Stadt in Wettbewerb treten muß, unmöglich dieselben Löhne wie diese bezahlen kann, so daß alles das, was er und seine Arbeiter an der Grundrente sparen, auch vom Arbeitsertrag abgeht.
Und so sehen wir denn auch auf dem Lande sich nur solche Industrien entwickeln, bei denen der Raumbedarf so groß ist, daß die erwähnten Nachteile durch die Grundrentenersparnis ausgeglichen werden, oder die ihrer Natur nach überhaupt nicht in der Stadt betrieben werden dürfen (Sägereien, Ziegeleien, Walzwerke), oder die dort aus Gesundheitsrücksichten polizeilich verboten wurden (Kalköfen, Pulvermühlen, Gerbereien usw.), oder deren technischer Betrieb so einfach ist, daß dieser die Anwesenheit des Besitzers nicht erfordert, er die kaufmännische Leitung nach der Stadt verlegt. Sonst aber hat die Stadt allgemein den Vorrang.
Woher also die Mittel kommen, um die 116 Millionen Grundrenten der Stadt Berlin zu bezahlen, wissen wir, und wo die Grenze für die Entwicklung der Städte ist, wissen wir auch. Die Vorteile der Gesellschaftsarbeit sind hier in Geld umgerechnet und von den Grundrentnern für sich eingezogen worden.
Wächst die Stadt, so wachsen ihre wirtschaftlichen Vorteile, und so wächst auch die Grundrente; steigt die Grundrente im Mißverhältnis zu den Vorteilen der Stadt, so wird das Wachstum der Stadt unterbrochen.
Willst du die Vorteile genießen, die die Stadt für dein Gewerbe bietet, so bezahle diese Vorteile den Grundrentnern; sonst, wenn du diese Kosten sparen willst, kannst du deine Werkstelle, deinen Laden, dein Tanzlokal draußen im Walde, auf dem Felde errichten. Rechne nach, was dir vorteilhafter ist und handle danach. Niemand hindert dich daran, draußen vor den Toren dich nieder zulassen. Kannst du es erreichen, daß deine Kundschaft den langen Weg zu dir durch Schnee, Staub, Morast und Regen zurücklegt, um dort draußen denselben Preis zu bezahlen wie mitten in der Stadt, um so besser für dich. Hältst du das für unwahrscheinlich, so zahle die Grundrente und siedle dich in der Stadt an. Du kannst es aber auch anders versuchen —verkaufe deine Waren draußen billiger. Es werden dann immer noch etliche Leute zu dir kommen der billigen Preise wegen, aber wo bleibt der Vorteil der Rentenersparnis, wenn du diese an den billigeren Preisen zusetzest?
Also immer das gleiche Gesetz. Genau wie bei der landwirtschaftlichen und Rohstoffgrundrente. Alle Vorteile der Stadt (worunter die Arbeitsteilung noch zu erwähnen ist), der gesellschaftlichen Arbeit, werden vom Grundbesitz eingezogen. Wie der deutsche Weizen zu Preisen verkauft wird, als ob er in Sibirien gewachsen und an der Grenze verzollt worden wäre, so müssen die in der Stadt erzeugten Güter wieder zu Preisen ausgetauscht werden, wie wenn sie mit all den in Geld umgerechneten Nachteilen einer über das ganze Land verzettelten Erzeugung belastet wären.
Die ländliche Grundrente nimmt alle Vorteile der Lage und der Natur vorweg, sie läßt dem Bebauer Wüst- und Ödland zurück; die städtische Grundrente nimmt alle Vorteile der Gesellschaft, des Hand-in-Handgehens, der feineren Lebensweise, des Staates in Anspruch, sie setzt die Ertragsfähigkeit der städtischen Industrie und des Handels auf die Rangstufe des abgesonderten Gewerbes auf dem Lande herab.