14. Der Maßstab für die Qualität des Geldes.

Bekanntlich bringen die Anhänger der Goldwährung den Aufschwung, den die wirtschaftliche Entwicklung in den letzten Jahrzehnten, an sich sowohl wie vergleichsmäßig, genommen hat, in unmittelbare Beziehung zur Goldwährung. Seht diese Millionen von rauchspeienden Schloten! Das sind die neuzeitlichen Opferaltäre, auf denen dem Herrn der Dank des Volkes für die Goldwährung gebracht wird!

 

An sich hat die Behauptung, daß die Währung einen wirtschaftlichen Aufschwung erzeugen oder wenigstens ermöglichen kann, nichts Auffälliges. Denn das Geld vermittelt den Warenaustausch, und ohne Warenaustausch gibt es keine Arbeit, keinen Gewinn, keinen Verkehr, keine Hochzeit. Sowie der Warenaustausch stockt, werden alle Fabriken geschlossen.

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Obige Behauptung enthält also durchaus nichts, was von vornherein verblüffen könnte. Im Gegenteil, man frage die Fabrikanten, die Reeder usw., ob sie mit dem vorhandenen Maschinen- und Menschenbestand nicht noch mehr Waren erzeugen könnten. Sie werden übereinstimmend sagen, daß eine Grenze nur durch den Absatz ihrer Waren gezogen wird. Und den Absatz vermittelt das Geld, oder es vermittelt ihn nicht, – je nachdem.

 

Daß in den Verdienstansprüchen der Goldwährung stillschweigend die Behauptung miteingeschlossen liegt, daß ihre Vorgängerin (die Doppelwährung) den wirtschaftlichen Aufschwung gehemmt habe, ist an sich auch durchaus nicht verblüffend. Wenn das Geld den Fortschritt fördern kann, so muß es ihn auch hemmen können. Dem Gelde werden ganz andere Wirkungen zugeschrieben als die Herbeiführung einiger Jahrzehnte der Blüte oder des Zerfalls (*).

 

(*) Vergl. den Nachtrag zum folgenden 15. Abschnitt: „Gold und Frieden?“.)

 

In Deutschland klagten die Grundbesitzer seit Einführung der Goldwährung über den Rückgang der Preise, über die Schwierigkeiten, auf die sie stießen, den Zins der Hypotheken aufzubringen. Man ist ihnen ja mit den Zöllen zu Hilfe gekommen, aber wie viele Bauernhöfe wären ohne diese Hilfe unter den Hammer gekommen? Und wer hätte diese Höfe gekauft? Es hätten sich Großgrundbesitze gebildet, genau wie im alten Rom. Und die Latifundienwirtschaft soll doch den Untergang Roms verursacht haben!

 

Also, die Behauptung der Goldwährungsleute enthält nichts Auffälliges; nur handelt es sich um den Beweis. Denn der behauptete wirtschaftliche Aufschwung könnte vielleicht auch andere Ursachen haben: die Schule, die vielfachen technischen Erfindungen, die die Arbeit befruchteten, das deutsche Weib, das für einen zahlreichen, gesunden Arbeiterstamm sorgte, usw. Kurz, es fehlt nicht an Nebenbuhlern, die der Goldwährung die Lorbeeren streitig machen.

 

Also Beweise! Wir brauchen einen Maßstab für die Güte des Geldes! Es handelt sich hier darum, festzustellen, ob die Goldwährung den Austausch der Waren derart erleichtert hat, daß der behauptete wirtschaftliche Aufschwung als eine Folge dieser Erleichterung eine genügende Erklärung findet.

 

Hat nun die Goldwährung den Warenaustausch erleichtert, so muß sich das in einer Sicherung oder Beschleunigung oder Verbilligung des Warenaustausches zeigen, und diese Sicherung, Beschleunigung und Verbilligung des Warenaustausches müßte sich in einer entsprechenden Abnahme der Zahl der Kaufleute zeigen. Das ist klar und braucht weiter nicht bewiesen zu werden. Verbessern wir die Straßen, die zum Befördern der Waren dienen, so nimmt die Leistungsfähigkeit der Fuhrleute zu, und bei gleicher Gesamtleistung muß die Zahl der Fuhrleute abnehmen. Seit Einführung der Dampfschiffe hat sich der Seeverkehr verhundertfacht, doch hat die Zahl der Seeleute abgenommen. Kellner, Köche, Diener nehmen heute die Stelle der Matrosen ein.

 

So müßte es auch im Handel sein, wenn die Goldwährung der Muschelwährung gegenüber ähnliche Vorteile böte, wie die Dampfkraft gegenüber dem Winde, oder wie das Dynamit gegenüber dem Keil.

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Tatsächlich erleben wir aber mit der Goldwährung eine genau entgegengesetzte Entwicklung:

„In einer Zeit, in der die Vermittlungstätigkeit (also der Handel) in der Gesellschaft von 3 und 5 auf 11—13%, ja teilweise auf 31 der Selbsttätigen gestiegen ist, in der diese Vermittlung (also die Handelsunkosten) einen steigenden Teil der Preise ausmacht usw. usw.“, sagt Prof. Schmoller (s. Die Woche, S. 167, Artikel „Der Handel im 19. Jahrhundert“).

Und so ist es tatsächlich. Der Handel wird nicht leichter, sondern mit jedem Tage schwerer. Um die Waren abzusetzen, braucht man mit dem goldenen Tauschvermittler nicht weniger, sondern mehr Leute als früher, und zwar Leute mit besserer Ausbildung und besserer Ausrüstung. Es geht dies aus der deutschen Berufsstatistik hervor.

 

Im Handelsgewerbe waren beschäftigt:

 

  1882 1895 1907
Personen 838392 1332993 2063634
auf 100 Gewerbetreibende 11,40 13,50 14.50
Zahl der Gewerbetreibenden 7340789 10269269 14348016
Zahl der Einwohner 45719000 52001000 62013000
Gewerbetreibende auf 100 Einw. 16 20 23
davon im Handelsgewerbe 1,83 2,56 3.32
Verhältnis der Händler zu den Gewerbetreibenden 11,40 12,80  14,50%.


Während also die Zahl der Gewerbetreibenden (Industrie, Handel, Landwirtschaft) von 16% der Einwohner auf 23, somit um 43% stieg, erfuhr die Zahl der im Handel tätigen Personen ein Wachstum von 1,83 auf 3,32 = 80%. Diese Zahlen liefern also den Beweis, daß unter der Herrschaft der Goldwährung als Tauschvermittler die Tauschvermittlung derart erschwert wurde, daß die Bedienungsmannschaft des Tauschvermittlers von 11,40 auf 14.50 erhöht werden mußte; sie liefern den zahlenmäßigen Beweis, daß die Goldwährung den Handel erschwert hat.


Man wird vielleicht hier einwenden, daß in den letzten Jahrzehnten viele Erzeuger von der Urwirtschaft zur Arbeitsteilung übergegangen sind, zumal auf dem Lande, wo immer weniger für den eigenen Verbrauch, immer mehr für den Markt gezogen wird, was natürlich wieder mehr Kaufleute nötig macht. So werden z. B. heute nur mehr ganz selten Spinnräder gebraucht, und die kleinen Dorfhandwerker, die man unmittelbar mit Feldfrüchten bezahlte (Tauschhandel), müssen Fabrikniederlagen weichen.


Auch erzeugt der Arbeiter heute mit Hilfe der verbesserten Produktionsmittel mehr Ware als früher (der Güte oder der Menge nach), so daß auch dadurch eine bedeutend größere Menge Waren auf den Markt geworfen wird, die wiederum mehr Handelsangestellte benötigt. Ist ein Kaufmann nötig, um den Kattun von 10 Webern zu verschleißen, so werden zwei Händler nötigwenn sonst alle Verhältnisse gleich bleiben — sobald die 10 Weber mit verbesserten Webstühlen die doppelte Menge Kattun auf den Markt werfen.

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Der Einwand ist richtig. Aber dann bitte ich dagegen auch wieder zu berücksichtigen, daß die mit dem Handel verbundene sachliche Arbeit durch mancherlei neue Einrichtungen außerordentlich erleichtert wurde. So durch das Dezimalsystem der Markwährung (das von der Goldwährung ja unabhängig ist, wie das englische Münzsystem zeigt), durch das einheitliche metrische System für Maße und Gewichte, durch das in den verbesserten Schulen herangezogene Handelspersonal, durch das einheitliche, verbesserte Handelsrecht, durch das Konsulatswesen, durch die außerordentlichen Vorteile, die die Post dem Handel bietet (15 Pf. Porto für Briefe durch das ganze Deutsche Reich, Postaufträge, Postnachnahmen, Postkarten, Postpakete, Postanweisungen), ferner durch Telegraph und Fernsprecher. Dann die Schreib= und Rechenmaschinen, die Kurzschrift, die Vervielfältigungsapparate, die Kopierpresse, die Fahrräder für das Laufpersonal, das verfeinerte Reklamewesen, das Bankwesen mit dem Scheck- und Girokonto, Konsumvereinswesen, kurz, die unzähligen Verbesserungen, die seit 30 Jahren in die Technik des Handels eingeführt wurden. Und schließlich die größere allgemeine Bildung des Kaufmanns, die ihm doch auch bei der Arbeit zugute kommen und seine güteraustauschende Kraft vermehrt haben muß. Andernfalls müßte man ja diese Bildung für überflüssig und den Kaufmann für unklug erklären, der einen gebildeten Gehülfen besser bezahlt als den ungebildeten. Denn warum zahlt er ihn besser? Weil er mehr leistet, d. h. mehr Ware absetzt, als der ungebildete.

 

Erachten wir nun die oben erwähnte Mehrerzeugung an Waren durch die größere Leistungsfähigkeit des kaufmännischen Apparates als ausgeglichen, so behält die Steigerung der vom Handel lebenden Personenzahl von 11,40 auf 14,50% der Gewerbetreibenden ihre ganze Kraft als Beweis gegen die behauptete Vorzüglichkeit der Goldwährung.


Dabei geben obige Zahlen nur die Personen an, die unmittelbar vom Handel leben, während es für uns eigentlich auf den Rohgewinn ankommt. Und dieser ist, dem Augenschein nach zu urteilen, wohl auch allgemein gestiegen. Auch muß berücksichtigt werden, daß von der Zahl nicht auf die Gesamteinnahmen der Kaufleute geschlossen werden kann, indem die Kaufleute in der Regel und durchschnittlich ein höheres Einkommen als andere Arbeiter haben.

 

Um zu wissen, welche Wirkung eine Währungsreform auf den Handel ausübt, müßte der rohe Handelsgewinn, d. h. der Abstand zwischen Fabrik- und Ladenpreis der einzelnen Waren statistisch ermittelt werden. Ladenpreis abzüglich Fabrikpreis = Handelsrohgewinn. Dann wäre es möglich, zu berechnen, wieviel der Handel dem Lande kostet und wie sich das Geldsystem bewährt. Es würde sich da zeigen, daß der Handel heute wirklich, wie vielfach behauptet wird, ein Drittel und mehr der Gesamterzeugung aufzehrt. Daß von je 1000 Kilo 333 für die Händler abgesondert werden.