15. Warum die sogen. rohe Quantitätstheorie dem Gelde gegenüber versagt (*).

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(*) Neue Literatur über die Quantitätstheorie: Irving Fisher, die Kaufkraft des Geldes. — Th. Christen, Die Quantitätstheorie. — Die absolute Währung. Verlag: „Schweizer Freiland-Freigeld-Bund“. Bern.)

 

Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis der Waren, und das Angebot richtet sich nach dem Vorrat. Wächst der Vorrat, so wächst auch das Angebot; nimmt der Vorrat ab, so geht auch das Angebot zurück. Vorrat und Angebot fallen somit in eins zusammen, und statt: „Angebot und Nachfrage“ könnte es ebenso richtig heißen: „Vorrat und Nachfrage“ bestimmen den Preis. Die Voraussetzungen der Quantitätstheorie werden durch diese Fassung sogar besser hervorgehoben.


Die Quantitätstheorie, die für alle Waren ohne wesentliche Einschränkung als richtig anerkannt wird, hat man auch auf das Geld übertragen und gesagt, daß der Preis des Geldes vom Geldvorrat bestimmt wird; doch hat die Erfahrung gezeigt, daß das Geldangebot vom Geldvorrat nicht so beherrscht wird, wie für solche Quantitätstheorie vorausgesetzt wird. Während der Geldvorrat oft unverändert bleibt, ist das Geldangebot den größten Schwankungen unterworfen. Der Kriegsschatz in Spandau ist in über 40 Jahren nicht einmal angeboten worden, während sonst das Geld jährlich 10 oder 50 mal den Besitzer wechselt. Die Bewahrstellen des Geldes (Banken, Geldschränke, Strümpfe und Koffer) sind zuweilen überfüllt, manchmal leer, und dementsprechend ist auch das Geldangebot heute groß, morgen klein. Oft genügt ein Gerücht, um alles Geld vom Markte und Angebot zurück in die Bewahrstellen zu bringen; oft bewirkt ein Telegramm, das noch obendrein gefälscht sein mag, daß dieselbe Hand, die noch eben der Beutel fest zuschnürte, die Märkte des Landes mit Geld überschüttet.

 

Für das Geldangebot sind die Marktverhältnisse jedenfalls von größter Bedeutung, und wenn wir eben von den Waren sagten, daß Vorrat und Nachfrage den Preis bestimmen, so könnte man vom Gelde ebenso richtig sagen, daß Stimmung und Nachfrage seinen Preis bestimmen. Gewiß, der Geldvorrat ist für das Geldangebot nicht gleichgültig, denn dieser Vorrat zieht dem Angebot nach oben eine Grenze. Es kann schließlich nicht mehr Geld angeboten werden, als der Vorrat gestattet. Aber während für die Waren im allgemeinen die obere Grenze des Angebots (d. i. der Vorrat) auch gleichzeitig die untere bildet, so daß Angebot und Vorrat regelmäßig in eins zusammenfallen, ist beim Gelde eine untere Grenze überhaupt nicht zu erkennen, es sei denn, daß man Null als diese untere Grenze ansehen will. Ist Vertrauen da, so ist auch Geld da, hat hingegen Mißtrauen die Oberhand, so bleibt das Geld verborgen. Das ist eine uralte Erfahrung. Wenn aber — wie diese uralte Erfahrung beweist — das Geldangebot nicht regelmäßig und ausnahmslos dem Geldvorrat entspricht, so ist auch der Preis des Geldes vom Geldvorrat unabhängig, und die Übertragung der rohen Quantitätstheorie auf das Geld ist nicht statthaft.

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Versagt aber diese Quantitätstheorie dem Gelde gegenüber, so ist auch die Produktionskostentheorie nicht auf das Geld anwendbar, denn die Produktionskosten können preisbestimmend nur mittelbar durch ihren Einfluß auf die Quantität, d. i. den Vorrat wirken, und dieser Vorrat ist, wie wir sahen, nicht regelmäßig und allein entscheidend für das Geldangebot (*).

 

(*) Dr. Georg Wiebe: Zur Geschichte der Preisrevolution des 16. und 17. Jahrhunderts. S. 318: Die bloße Vermehrung des Geldvorrats kann an sich nicht preissteigernd wirken; das neu hinzugetretene Geld muß auch auf dem Markt kaufend Nachfrage erzeugen. Dies ist die erste Einschränkung, die gegenüber jener Theorie gemacht werden muß. Hume: Geld, das nicht angeboten wird, hat auf die Preise den gleichen Einfluß, wie wenn es vernichtet worden wäre.)


Bei den Waren im allgemeinen verhält es sich so, daß, wenn die Erzeugungskosten abnehmen, die Erzeugung zunimmt. Mit der wachsenden Produktion wachsen der Vorrat und das Angebot, und mit dem wachsenden Angebot fällt der Preis. Aber bei den Edelmetallen ist es durchaus nicht gesagt, daß mit dem wachsenden Vorrat auch gleich das Angebot wächst, und noch weniger, daß das Angebot stets dem Vorrat entspricht. Beweis: die Silberbestände in Washington, der Kriegsschatz in Spandau, die Münzfunde, die täglich gemacht werden.


Beide Theorien, die rohe Quantitäts- und die Produktionskostentheorie, versagen also dem Gelde gegenüber, und den Grund, warum sie versagen müssen, hat man in den Edelmetalleigenschaften des Geldmaterials zu suchen. Der Kriegsschatz in Spandau wäre längst zu Schutt und Staub vermodert, ohne diese Eigenschaften des Goldes, und auch die Silberpolitik der Vereinigten Staaten wäre ohne diese Eigenschaften des Silbers nicht denkbar gewesen. Wenn das Gold gleich den Waren dem Zerfall ausgesetzt wäre, so würde das Geldangebot stets haarscharf dem Geldvorrat entsprechen. Vertrauen und Mißtrauen vermöchten das Geldangebot nicht zu beeinflussen. In Kriegs- und Friedenszeiten, bei guten und schlechten Konjunkturen, stets würde das Geld angeboten werden, niemals würde sich das Geld vom Markte zurückziehen können. Das Geld würde sogar angeboten werden, wenn mit dem Umsatz ein sicherer Verlust verbunden wäre, genau wie bei den Kartoffeln das Angebot nicht davon abhängig ist, ob der Eigentümer einen Gewinn einheimst oder nicht. Kurz, Vorrat und Nachfrage würden, wie den Preis der Waren, so auch den des Geldes bestimmen.


Der Preis einer Ware, die, wie der Kriegsschatz in Spandau und die Silberbestände in Washington, jahrzehntelang in feuchten, unterirdischen Verließen aufbewahrt werden kann, ohne den geringsten Schaden zu nehmen, deren Angebot nicht einem inneren Triebe folgt, sondern allein vom menschlichen Ermessen abhängig ist, ist aller Fesseln ledig. Der Preis einer solchen Ware anerkennt kein ökonomisches Gesetz; für sie besteht keine Quantitäts= und Produktionskostentheorie, für ihr Angebot ist der Profit allein maßgebend.


Ein solches Geld ist, wie schon Lassalle richtig bemerkt, von Haus aus Kapital, d. h., es wird nur so lange und so oft angeboten, wie ein Zins (Mehrwert) herausgeschlagen werden kann. Kein Zins, kein Geld!

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Die Beseitigung der hier entlarten Mängel unseres Geldes fordert Reformen einschneidendster Art, (s. den folgenden Teil dieses Buches) die gegen den entschlossenen Widerstand mächtiger Volksklassen durchzusetzen sind und entsprechend starke Willenskräfte voraussetzen.


Um diese zu wecken, genügt vielleicht die vorangehende Kritik nicht. Darum lasse ich noch hier diesen Vortrag folgen, den ich am 28. 4. 1916 in Bern hielt.