2023/01: Verrutschtes Statement : Hat Baerbock Russland den Krieg erklärt?

Kriegserklärung gegen Russland? Wie Annalena Baerbock in einem verrutschten Statement mal eben vom Krieg des Westens mit Russland spricht – und was das mit der Realität zu tun hat.


Rede Baerbock vor dem Europarat
Mit ihrem verrutschten Satz hat Annalena Baerbock einen Fehler gemacht, auf den sich Kritiker gerne stürzen.  Quelle: phoenix

Es ist ein Auftritt von über einer Stunde. Was am Ende die Runde macht, sind nur ein paar Sekunden, doch diese haben es in sich. Und führen dazu, dass viele nun fragen: Hat die deutsche Außenministerin mal eben Russland den Krieg erklärt?

Dienstagmittag in Straßburg. Annalena Baerbock hält eine Rede vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg – einer Institution, die übrigens nichts mit der Europäischen Union zu tun hat. Baerbock würdigt den Europarat als Hüter von Menschenrechten und Demokratie: Er sei nichts weniger als „die Seele Europas“.

 
Eine Frau steht auf einem Krater neben einem zerstörten Haus.

Kiew meldet eine massive Welle russischer Raketen- und Drohnenangriffe. Größere Zerstörungen konnten jedoch durch die Luftabwehr verhindert werden.

„Ja, wir müssen mehr tun, denn wir kämpfen einen Krieg gegen Russland“

Nach ihrer Rede gibt es freundlichen Applaus – und Gelegenheit zu fragen. Es ist der Tag vor Bekanntgabe der Leopard-Entscheidung des Bundeskanzlers – und so geht es natürlich um die Frage, warum Deutschland in der Panzer-Frage da noch zögert. Als dritter Fragesteller kommt Sir Christopher Chope zu Wort, der für die Konservativen im britischen Parlament sitzt. „Was können wir tun“, fragt Chope die Ministerin, die sich mehrfach für die Lieferung von Panzern ausgesprochen hatte, „um zu helfen, dass aus Ihren großzügigen Worten jetzt auch Handeln seitens Ihrer Regierung wird?“

 
Katrin Eigendorf | ZDF-Reporterin in Charkiw / Ukraine


Es sei damit zu rechnen, dass die Ukraine flächendeckend angegriffen wird und „das scheint ein Vergeltungsschlag Russlands zu sein als Reaktion“ auf die Panzerlieferungen, so ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf.

Baerbock holt kurz aus. Jetzt mit dem Finger aufeinander zu zeigen, so Baerbock, das führe lediglich dazu, dass Putin gewinne. Am Ende ihres frei auf Englisch formulierten Statements sagt sie die Sätze, die seitdem viral gehen: „Ja, wir müssen mehr tun, auch in Bezug auf Panzer. Aber das Wichtigste und Entscheidende ist, dass wir es zusammen tun – und nicht Schuldzuweisungen machen in Europa.“

Annalena Baerbock, Außenministerin: „Denn wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander.“ 

Deutschland im Krieg? Nein, sagen Kanzler und Völkerrechtler

„Wir“, also Europa oder Deutschland, führen einen Krieg gegen Russland? Es ist genau das, was sämtliche Spitzen der EU und Nato seit Beginn dieses Krieges verneinen. Und was auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) tags darauf in der ZDF-Sendung „Was nun“ betont: Deutschland werde auch durch die Panzerlieferungen nicht zur Kriegspartei. Worin sich im Übrigen auch Völkerrechtler einig sind.


Was nun, Herr Scholz? Sind wir jetzt Kriegspartei? Der Bundeskanzler im ZDF-Interview:

 
"Was nun, Herr Scholz?": Anne Gellinek, Olaf Scholz, Bettina Schausten
 

Das aber schert die interessierte Twitter-Welt herzlich wenig. In dem Netzwerk trendet heute das Wort „Kriegserklärung“. Vor allem von rechts wird der Satz aufgegriffen: „Hat diese Frau eigentlich noch alle Tassen im Schrank?“, fragt etwa der AfD-Politiker Georg Pazderski auf Twitter. Sein Parteikollege Maximilian Krah, der für die AfD im Europaparlament sitzt, fragt: „Was ist das anderes als eine Kriegserklärung?“.

In den Kommentaren vermuten viele, dass Baerbock hier eine vermeintlich „geheime Wahrheit“ ausgesprochen habe. Oder dass Russland die Sätze nun als echte Kriegserklärung ansehen könne. Verwiesen wird auch auf Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der im Oktober ähnlich unvorsichtig getwittert hatte, wir seien „im Krieg mit Russland“ – und kurz darauf zurückrudern musste.

Kriegserklärung im Nebensatz? Undenkbar

Dass eine Kriegserklärung kaum mal ebenso in einem Nebensatz der Außenministerin fallen würde, wird dabei geflissentlich übersehen. Ebenso wie manch andere Tatsache: dass westliche Staaten der Ukraine in ihrem Recht auf Selbstverteidigung mit Waffenlieferungen beispringen, nicht aber mit eigenen Truppen. Und dass es allein russische Regierungsvertreter sind, die seit Monaten davon sprechen, dass sich Russland im Krieg mit dem Westen befinde – worauf der Militärexperte Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität München hinweist:

Und auch heute wiederholt Russland die Einschätzung.

„Alles, was die Allianz und die von mir erwähnten Hauptstädte (Europas und der USA) tun, wird in Moskau als direkte Beteiligung am Konflikt aufgefasst“,

sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Es ist eine Auffassung, die heute kaum überrascht – aber die sich in westlichen Regierungen niemand zu eigen macht.

 
Phoebe Gaa | ZDF-Korrespondentin in Moskau
 

Nach Ankündigung der Panzerlieferung sei der Kreml bemüht, „die Auswirkungen auf den Kriegsverlauf in der Ukraine als überschaubar einzuordnen“, so ZDF-Korrespondentin Phoebe Gaa.

Ein verrutschter Satz – Das Auswärtige Amt stellt klar

Was bleibt also von der Aufregung? Es ist kein geheimer Plan, der hier offenbart wird, kein Eingeständnis einer Wahrheit, und auch keine Kriegserklärung. Es ist ein Satz, der der Außenministerin schwer verrutscht ist. Ein Fehler, der aber vielleicht auch dann nicht passieren sollte, wenn man frei in einer fremden Sprache formuliert. Denn mit ihrer Aussage hat Baerbock allen Kritikern eine Steilvorlage geliefert – insbesondere jenen, die sich wenig um Fakten scheren.


Eine ZDF-Anfrage zu der Aussage von Baerbock blieb unbeantwortet, gegenüber der Bild reagierte das Auswärtige Amt mit folgender Stellungnahme:

„Die Ukraine dabei zu unterstützen, ihr in der UN-Charta verbrieftes individuelles Selbstverteidigungsrecht gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auszuüben, macht Deutschland nicht zu einer Konfliktpartei.“


Es ist eine Korrektur, bevor die Falschaussage der Ministerin weiteren Schaden verursacht. Doch da ist das Video längst in der Welt.