Neue Seidenstraße

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China hat eine in der Wirtschaftsgeschichte einmalige Entwicklung hinter sich. Nach der Revolution von 1949 wurde das Land jahrzehntelang planwirtschaftlich organisiert. In den 1980er- und 1990er Jahren hat die Führung des Landes eine Kursänderung vollzogen. Sie hat schrittweise die Marktwirtschaft eingeführt, den Zentralismus der Planwirtschaft aber beibehalten und so einen Turbo-Kapitalismus geschaffen, wie ihn die Welt zuvor nicht gesehen hat.


Dieses rasante Wirtschaftswachstum hat allerdings auch ein großes Problem mit sich gebracht – eine kontinuierlich zunehmende Überproduktion, die einen ständig wachsenden Nachschub an Rohstoffen und die Erschließung immer neuer Absatzmärkte erfordert. Um sich beides langfristig zu sichern, hat China 2013 das bisher größte Wirtschaftsprojekt in der gesamten Geschichte der Menschheit begonnen – den Bau der „Neuen Seidenstraße“. Der Name geht auf die historischen Karawanenstraßen der frühen Seidenhändler zurück, deren Route vor vielen Jahrhunderten von Ostasien über Zentralasien bis in den Mittelmeerraum verlief.


Das Projekt „Neue Seidenstraße“ sieht vor, durch den Bau von Verkehrswegen, Kraftwerken, Staudämmen, Pipelines und digitalen  Netzen eine Land- und Seeverbindung zwischen Asien und Europa herzustellen und so zusammen mit dem Nahen und Mittleren Osten einen riesigen interkontinentalen Wirtschaftsraum zu schaffen. Mehr als 60 Länder sollen in das Projekt einbezogen werden, das bis 2049 – zum 100. Jahrestag der chinesischen Revolution – fertiggestellt werden soll.


Zur Finanzierung der „Neuen Seidenstraße“ hat China 2013 die „Asian Infrastructure and Investment Bank“ (AIIB) und 2014 einen staatlichen Investmentfonds – den Seidenstraßenfonds – gegründet.


Die Kosten des Projekts werden nach Berechnungen der Großbank Morgan Stanley allein bis 2027 1,2 bis 1,3 Billionen Dollar betragen. Welche Folgen hat der Bau der Seidenstraße für die betroffenen Länder, deren Bürger und vor allem für den Rest der Welt?

Beginnen wir mit den betroffenen Ländern:

  • Da Infrastrukturprojekte oft sehr teuer sind und Staatshaushalte oft überfordern, müssen diese Länder in vielen Fällen chinesische Kredite in Anspruch nehmen. Auf diese Weise geraten sie häufig in eine finanzielle Abhängigkeit, die China nutzt, um sich wirtschaftliche, politische und geostrategische Vorteile zu sichern.

Für die arbeitende Bevölkerung der beteiligten Länder bringt die „Neue Seidenstraße“ keine Verbesserung ihrer Lage.

  • Im Gegenteil, denn China setzt bei den Bauprojekten fast ausschließlich eigene Firmen und chinesisches Personal ein, wodurch in diesem Bereich kaum neue Arbeitsplätze entstehen.
  • Dafür aber sind mehr als 50 Sonderwirtschaftszonen nach dem Muster der chinesischen Sonderwirtschaftszone Shenzhen geplant. Dabei handelt es sich um Gebiete, in denen spezielle Bestimmungen gelten, die sie für Investoren besonders attraktiv machen sollen.
  • In Shenzhen heißt das: Zu Niedriglöhnen arbeiten, auf Gewerkschaften verzichten und sich damit abfinden, dass Proteste gegen zu harte Arbeitsbedingungen im Keim erstickt werden.

Was aber bedeutet die „Neue Seidenstraße“ für den Rest der Welt?

  • Vor allem den vermutlich größten Unsicherheitsfaktor unserer Zeit – und zwar aus folgendem Grund: Die USA, seit dem Zweiten Weltkrieg größte Wirtschaftsmacht der Erde, haben es ja auf dem Weltmarkt mit zwei großen Konkurrenten zu tun: China und der Europäischen Union. Wenn diese beiden nun auf Grund der „Neuen Seidenstraße“ miteinander zu einem Wirtschaftsraum verschmelzen, dann ist es mit der Vormachtstellung der USA vorbei.
  • Das heißt, wenn die USA auch weiterhin die globale Nummer Eins bleiben wollen, dann kann die politische Führung in Washington gar nicht anders, als alles zu unternehmen, um das Projekt zu torpedieren.


Und genau das tut sie – indem sie einen Wirtschafts- und Währungskrieg gegen China führt, aber auch, indem sie mit militärischen Mitteln versucht, die Verwirklichung der „Neuen Seidenstraße“ zu verhindern, insbesondere durch die Destabilisierung des Iran. Der Iran nimmt nämlich eine besondere strategische Stellung ein.

 

Im Norden durch das Kaspische Meer und im Süden durch den Persischen Golf begrenzt, stellt er eine Art Landenge und damit das für Störungen anfälligste Glied in der Kette der Länder der „Neuen Seidenstraße“ dar. Außerdem soll er wegen seiner riesigen Erdöl- und Erdgasvorkommen der größte Energielieferant des Projekts werden.


Die ständigen Aggressionen der USA gegen den Iran dienen also auch dazu, die Verschmelzung der Wirtschaftsräume Asien und Europa zu verhindern. Da das für die USA die einzige Möglichkeit darstellt, ihre Vormachtstellung zu erhalten, China aber zur eigenen weiteren Entwicklung auf diesen Brückenschlag nicht verzichten kann, dürfte es sich bei der „Neuen Seidenstraße“ nicht nur um das größte, sondern auch um das gefährlichste und möglicherweise folgenreichste Wirtschaftsprojekt in der Geschichte der Menschheit
handeln.