Staatsanleihen

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Staaten brauchen, um zu funktionieren, Geld. Um es aufzutreiben, können sie von ihren Bürgern Steuern einfordern, Gebühren auf staatliche Dienstleistungen erheben oder Zölle auf importierte Waren kassieren. Sie können aber auch Kredite aufnehmen oder Wertpapiere wie zum Beispiel Anleihen ausgeben und sich auf diese Weise Geld leihen.


Eine Staatsanleihe ist im Grunde nichts anderes als ein Stück Papier, für das der Staat sich einen Käufer sucht und mit dem er einen Preis, einen Zinssatz und eine Laufzeit vereinbart. Der Geldgeber wird damit zum Gläubiger des Staates. Er überlässt ihm einen bestimmten Betrag, erhält über die festgelegte Laufzeit Zinsen und bekommt, wenn alles gut geht, am Ende sein Geld zurück. Als Gläubiger traten früher hauptsächlich institutionelle Anleger wie Banken und Versicherungen auf. Später kamen Investmentfonds und Hedgefonds hinzu.


Seit 2015 hat sich das Bild in der Eurozone entscheidend geändert. Seitdem gibt es einen neuen Anleger, der sehr hohe Beträge in Staatsanleihen investiert hat: die Europäische Zentralbank (EZB). Sie hat von März 2015 bis Ende 2018 für rund 2,1 Billionen Euro Staatsanleihen von Ländern der Eurozone gekauft. Da ihr die Finanzierung von Staaten offiziell untersagt ist, hat sie zu einem einfachen Trick gegriffen. Sie hat den Staaten die Anleihen nicht direkt – also auf dem sogenannten „Primärmarkt“ – abgekauft, sondern sie von Finanzinstituten – also auf dem sogenannten „Sekundärmarkt“ – erworben.


Für Banken und Fonds war das ein lukratives Geschäft, denn sie wussten bereits beim Kauf der Staatsanleihen, dass die Zentralbank sie ihnen anschließend abkaufen und ihnen darauf auch noch eine Provision zahlen würde. Als offiziellen Grund für diese Käufe hat die EZB angegeben, sie habe eine Deflation abwenden, eine etwa
zweiprozentige Inflation erzeugen und die Wirtschaft ankurbeln wollen. Der Löwenanteil der gewaltigen Summen, die durch die Käufe ins System gepumpt wurden, ist allerdings nicht etwa in die produzierende Wirtschaft geflossen, sondern zur Spekulation eingesetzt worden, hat die Finanzmärkte befeuert und Großinvestoren erhebliche Gewinne beschert.


Profiteure der Staatsanleihenkäufe waren also in erster Linie Banken, Fonds, Großinvestoren und in Deutschland auch der Außenhandel, da die große Geldmenge den Wert des Euros geschwächt und deutsche Waren für das Ausland außerhalb der Eurozone günstiger gemacht hat.


Wie aber sieht es mit der arbeitenden Bevölkerung aus? Wie waren die Folgen für sie? Die Wertminderung des Euros nach außen und die Inflation im Inneren haben die reale Kaufkraft vermindert, also zu einer Lohn- und Gehaltssenkung geführt. Und da gleichzeitig die Aktien-, Anleihen- und Immobilienmärkte geboomt und die wohlhabende Bevölkerung noch wohlhabender gemacht haben, hat die soziale Ungleichheit weiter zugenommen. Auch zwischen den Staaten ist das Ungleichgewicht größer geworden. Der Kauf von Staatsanleihen hat einige schwächere Länder – wie zum Beispiel Griechenland – zwar vor dem Bankrott gerettet, sie aber noch stärker von internationalen Finanzinstitutionen abhängig gemacht.


Während uns also von Politikern und Zentralbankern gesagt wird, die Staatsanleihenkäufe der EZB hätten der Stabilisierung des Systems in unsicheren Zeiten gedient, haben sie durch das Aufblähen der Blasen an den Finanzmärkten und die Vergrößerung des Abstandes zwischen Arm und Reich sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene in Wirklichkeit die Grundlage für eine noch stärkere Destabilisierung gelegt.


Dass uns hier einmal mehr ein X für ein U vorgemacht wird, ist kein Zufall, wenn man sich anschaut, wer an dem Prozess der Staatsanleihenkäufe beteiligt ist. Beteiligt sind zum einen als Ausgeber der Staatsanleihen die Politik in Gestalt der Repräsentanten des Finanzministeriums, zum anderen als Primär-Käufer die Finanzinstitute wie Banken, Versicherungen oder Fonds, und schließlich die Zentralbank.


Stellt man nun die Frage, wer diesen gesellschaftlich doch enorm wichtigen Prozess kontrolliert, dann lautet die Antwort: Niemand. Er wird zwischen den Beteiligten – also Politikern, Finanzmanagern und Bankern – abgesprochen und ausgeführt. Dieses Fehlen jeglicher Kontrollmechanismen verdeutlicht auf sehr anschauliche Weise, dass es sich bei der parlamentarischen Demokratie um eine reine Fassade handelt, hinter der Politik und Finanzelite in trauter Eintracht und ausschließlich zum eigenen Vorteil schalten und walten können.