Kabat-Zinn: 5-Im Körper sein: die Body-Scan-Meditation

 

Für mich ist es erstaunlich, welch großen Wert wir einerseits auf unser äußeres Erscheinungsbild (oder das unserer Mitmenschen) legen, während wir andererseits das Gefühl für den Körper vollkommen verloren haben.

 

Generell scheint unsere Gesellschaft in hohem Maße auf die äußere Form bezogen zu sein und insbesondere auf die des Körpers. In der Werbung wird der Körper benutzt, um alles Mögliche zu verkaufen, von Autos über Smartphones bis hin zu Bier. Warum ist das so?

 

Die Werbung macht sich unsere starke Prägung auf bestimmte, dem jeweiligen Lebensalter entsprechende Idealtypen zunutze. Wir identifizieren uns mit den Darstellungen attraktiver Frauen und Männer, die uns die Idee eines besonderen Lebensgefühls, von Wohlbefinden, Jugendlichkeit oder Glück vermitteln sollen.

 

Die Sorge um das eigene Aussehen wurzelt in einer tiefen Verunsicherung in Bezug auf den eigenen Körper. Viele von uns sind in einem Gefühl von Befangenheit aufgewachsen, hielten sich für unansehnlich und lehnten ihren Körper aus dem einen oder anderen Grund ab. Für gewöhnlich gab es ein bestimmtes »Idealaussehen«, dem jemand in unserer Umgebung entsprach und wir selbst nicht – ein Thema, das uns gerade in der Jugend fieberhaft beschäftigt.

 

Entsprach unser Aussehen nicht dem Ideal, waren wir wie besessen von der Frage, wie wir es dennoch erreichen oder unsere Mängel wenigstens kompensieren können, oder wir waren von der Unmöglichkeit, »richtig« zu sein, einfach entmutigt. Vielen ist es irgendwann in ihrem Leben schon so ergangen, dass ihre physische Erscheinung für sie größte soziale Bedeutung erlangte und sie sich ungenügend und minderwertig mit dem Bild fühlten, das sie von sich selbst gewonnen hatten.

 

Früher oder später lassen wir die jugendlichen Krisen hinter uns, doch die Unsicherheit bleibt. Tief im Innern fühlt man sich zu klein, zu groß, zu dick, zu dünn, zu alt oder zu hässlich, als gäbe es für den Körper eine perfekte Form, eine Maßgabe, wie er zu sein hat. So fühlen wir uns niemals wirklich wohl in unserer Haut, und wir haben Probleme damit, andere Menschen zu berühren oder uns berühren zu lassen, und folglich auch mit Intimität. Eine Misere, zu der sich mit zunehmendem Alter noch das Bewusstsein körperlichen Abbaus und das unaufhaltsame Dahinschwinden des jugendlichen Aussehens gesellen.

 

Derartige Nöte entstehen überhaupt erst aufgrund einer beschränkten Körperwahrnehmung, und erst wenn diese sich verändert, können sich auch die negativen Gefühle in Bezug auf den Körper ändern. Es sind unsere Gedanken über unseren Körper, die das Spektrum der Gefühle einschränken, die wir uns überhaupt zugestehen.

 

Wenn wir unsere Energie einmal darauf richten, unseren Körper wirklich zu spüren, und uns davor hüten, in das urteilende Denken über den Körper zu verfallen, können sich unser ganzes Körpererleben und das Erleben unserer selbst in radikaler Weise verwandeln. Zunächst einmal ist es ganz erstaunlich, wozu unser Körper imstande ist! Er kann sich aufrichten, gehen, sprechen und nach etwas greifen; er kann Entfernungen abschätzen, Nahrung verdauen und Dinge durch Ertasten erkennen. Normalerweise halten wir diese Fähigkeiten für vollkommen selbstverständlich und wissen sie kaum zu schätzen, bis wir krank werden oder uns verletzen. Dann begreifen wir plötzlich, wie schön es war, Dinge tun zu können, zu denen wir jetzt nicht mehr in der Lage sind. Sollten wir also nicht, bevor wir uns das nächste Mal einreden, unser Körper sei zu sehr dies oder zu wenig jenes, uns dem Aspekt öffnen, wie wunderbar es ist, überhaupt einen Körper zu haben, egal, wie er aussieht oder in welcher Verfassung er gerade ist?

 

Dazu spüren wir achtsam in den Körper hinein, ohne Urteile zu fällen. Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit auf das sanfte Auf und Ab der Bauchdecke oder das Ein- und Ausströmen des Atems durch die Nasenlöcher lenken, stimmen Sie sich auf eine Gefühlsebene ein, auf der das Leben selbst über Ihre Körperfunktionen spürbar wird. Normalerweise blenden wir diese Gefühlsebene aus, weil sie ja immer da ist. Stimmen Sie sich aber auf sie ein, erlangen Sie im selben Moment Ihr eigenes Körper- und Lebensgefühl zurück und werden im wahrsten Sinne des Wortes wirklicher und
lebendiger. Sie leben Ihr Leben im Hier und Jetzt, sind seiner in jedem Augenblick gewahr, sind für es, mit ihm und in ihm präsent. Ihr Erleben ist erneut im Körper verankert.

Die Body-Scan-Meditation

Eine sehr wirksame Meditationstechnik, die wir im Rahmen des MBSR einsetzen, um den Kontakt mit dem Körper wiederherzustellen, ist der sogenannte Body-Scan, bei dem man den ganzen Körper intensiv bis ins kleinste Detail erspürt. Mit Hilfe dieser Methode entwickelt man eine bessere Konzentration und zugleich eine differenziertere Körperwahrnehmung. In aller Regel wird der Body-Scan auf dem Rücken liegend ausgeführt. Dabei geht man im Geiste die verschiedenen Körperregionen systematisch durch.

 

Wir beginnen bei den Zehen des linken Fußes und bewegen uns dann langsam weiter durch die einzelnen Zonen des Fußes und des linken Beines hinauf bis zum Gesäß. In jedem Bereich verweilen wir eine Zeitlang in vollem Gewahrsein, das heißt, wir spüren in alle Empfindungen hinein, die wir dort haben, und seien es solche der Empfindungslosigkeit oder auch Taubheitsgefühle. Häufig ist es sinnvoll, dabei bewusst unseren Atem in die Region zu lenken, auf die wir uns gerade konzentrieren, also direkt in sie hinein und aus ihr heraus zu atmen.

 

Wenn wir beim Becken angekommen sind, lenken wir unsere Aufmerksamkeit in die Zehen des rechten Fußes und bewegen uns von dort aus langsam das rechte Bein hinauf zurück zum Becken. Wir gehen weiter aufwärts durch den ganzen Oberkörper, also vom Rumpf aus über die Lenden, den Bauch, Kreuz, Brust und Schulterblätter bis in die Schultern.

 

Dann lenken wir unsere Aufmerksamkeit in die Empfindungen der Finger beider Hände, der Daumen, Handrücken und Handteller (Hände und Arme gehen wir in der Regel zugleich durch). Esfolgen Handgelenke, Unterarme, Ellenbogen, Oberarme, bis wir zurück zu den Schultern kommen.

 

Von dort aus gehen wir weiter in den Nacken, zur Kehle und schließlich zum Gesicht, zum Hinterkopf und zum Scheitel. Am Ende der Übung atmen wir durch eine imaginäre Öffnung in der Schädeldecke, so wie ein Wal, der durch sein Blasloch Luft holt. Wir lassen den Atem vom Scheitel bis zur Sohle durch uns hindurchfließen, als würde die Luft durch die Öffnung am Scheitel in uns einströmen und durch die Zehen wieder austreten, sodann in die Zehen einströmen und durch die Kopfdecke wieder austreten. Dann und wann nehmen wir uns auch mit der ganzen schützenden Hülle unserer Haut wahr und spüren oder stellen uns vor, wie wir durch sie hindurchatmen.

 

Üben wir ohne gesprochene Anleitung, bringen wir den Geist jedes Mal, wenn wir bemerken, wie er abschweift, zu dem Körperbereich zurück, auf den wir uns zuletzt konzentriert haben, genauso, wie wir ihn zum Atem zurückbringen, wenn er während der Sitzmeditation abschweift. Wenn Sie mit der CD üben, bringen Sie Ihre Aufmerksamkeit einfach zu der Stelle der gesprochenen Anleitung zurück, bei der Sie ihr Abschweifen bemerken.


Wenn wir den Body-Scan abgeschlossen haben, kann es sich so anfühlen, als wäre der Körper wie dematerialisiert oder als wäre er durchlässig und substanzlos geworden und nichts übrig als ungehindert fließender Atem. Falsch wäre es jedoch, eine solche Erfahrung anzustreben.

 

Im Geiste des Nicht-Tuns erstreben wir gar nichts, und wir versuchen auch nicht, einen bestimmten »Seinszustand« zu erlangen; sondern wir erspüren einfach nur in jedem Augenblick unseren Körper, indem wir seiner Empfindungen in der eben beschriebenen Weise innewerden. In Gewahrsein ist jeder Augenblick und jede Erfahrung etwas Besonderes, auch wenn sie uns Mühe kostet oder Schwierigkeiten bereitet. Insofern
müssen wir nicht versuchen, irgendetwas zu »erreichen«. Mit fortgesetztem Üben wird das noch klarer werden.

 

Am Ende der Übung verweilen wir still und unbeweglich in diesem Zustand, der, wenn er tief genug ist, in ein Gewahrsein münden kann, das über die reine Körperlichkeit hinausgeht. Wenn wir innerlich bereit dazu sind, kehren wir in den Körper zurück, den wir nun wieder als Ganzes und vielleicht auch wieder in seiner Materialität spüren. Wir bewegen langsam und bewusst Hände und Füße, experimentieren dabei ein wenig und spüren, welche Empfindungen sich in ihnen einstellen. Oder wir massieren auch sanft das Gesicht oder rollen uns ein wenig hin und her. Wir öffnen die Augen, richten den Oberkörper auf und bleiben noch etwas sitzen, bevor wir aufstehen und uns unserem Tagespensum zuwenden.

 

Beim Body-Scan geht es darum, jeden Körperbereich, auf den man seine Aufmerksamkeit richtet, auch wirklich zu spüren, mit ihm eins zu werden und so gut es geht in zeitloser Gegenwärtigkeit mit ihm zu verweilen. Wir atmen mehrmals in jede Region hinein und wieder aus ihr heraus, lösen uns mental von ihr und lenken unsere Aufmerksamkeit weiter in den nächsten Bereich. Durch das schrittweise Loslassen der Empfindungen in jedem Körperbereich und aller damit verbundenen Vorstellungen und Gedanken findet auch in den Muskeln buchstäblich ein Loslassen statt. Sie werden
locker, und angestaute Spannungen lösen sich. Diesen Vorgang kann man durch die Vorstellung unterstützen, dass man mit jedem Ausatmen alle Anspannung und damit verbundene Erschöpfungsgefühle aus dem Körper ausströmen lässt und ihm mit jedem Einatmen neue Energie und Lebenskraft zuführt.

 

Im Rahmen des MBSR wird der Body-Scan während der ersten vier Wochen intensiv geübt. Er ist die erste formale Achtsamkeitsübung, die unsere Patienten in der Klinik über einen längeren Zeitraum hinweg praktizieren. Gemeinsam mit der Atembeobachtung bildet er die Grundlage für alle weiteren Meditationstechniken, einschließlich der Sitzmeditation.

 

Beim Body-Scan lernen die Patienten, die Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum hinweg gezielt auf etwas zu richten, und er ist die erste Technik, mit der sie systematisch arbeiten, um mentale Stabilität (Konzentration), Stille und Achtsamkeit in sich zu pflegen und weiterzuentwickeln. Viele erleben durch diese Übung im Rahmen der Meditationspraxis zum ersten Mal in ihrem Leben wirkliches Wohlbefinden und ein Gefühl von Zeitlosigkeit. Der Body-Scan ist für jeden ein hervorragender Einstieg in die formale Achtsamkeitsmeditation, für die in Kapitel 10 ein Übungsplan vorgestellt wird. Besonders wertvoll ist das Verfahren für Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden oder andere körperliche Einschränkungen haben, durch die sie mehr oder weniger bettlägerig sind. Für einen Krankenhausaufenthalt gilt das natürlich ebenso.

 

Während der ersten zwei Programmwochen üben unsere Patienten den Body-Scan mindestens einmal täglich an sechs Tagen in der Woche anhand der Übungs-CDs (Set 1, CD 1), was bedeutet, täglich fünfundvierzig Minuten langsam den ganzen Körper durchzugehen. In den darauffolgenden zwei Wochen arbeiten sie im täglichen Wechsel mit dem ersten Teil der Yoga-Übungen (CD 2: achtsamer Yoga im Liegen). Falls sie körperlich dazu nicht in der Lage sind, bleiben sie beim täglichen Body-Scan. Sie folgen Tag für Tag denselben geführten Meditationen, ebenso wie es objektiv betrachtet auch jeden Tag »derselbe« Körper bleibt. Die Herausforderung besteht nun aber gerade darin, mit dem Geist des Anfängers an die Aufgabe heranzugehen, so als sei es Mal für Mal die erste Begegnung mit dem eigenen Körper. Und das bedeutet, ihn in jedem Augenblick neu zu erfahren und sich von allen Erwartungen und gedanklichen Konzepten zu lösen, einschließlich des Gedankens daran, wie es uns gestern mit ihm ergangen ist. Jede Meditationssitzung ist anders, auch wenn die Anleitung dieselbe bleibt. Und jedes Mal, wenn wir uns zur Übung begeben, sind auch wir selbst anders.

 

Es gibt eine Reihe von Gründen, warum wir gerade den Body-Scan in den ersten Wochen des MBSR-Programms einsetzen. Zum einen wird er im Liegen ausgeführt, was ihn bequemer und damit praktikabler macht als eine Übung, bei der man fünfundvierzig Minuten lang mit geradem Rücken sitzt.

 

Vielen Teilnehmern fällt es vor allem zu Beginn im Liegen leichter, loszulassen und sich tief zu entspannen. Außerdem wird der innere Heilungsprozess beträchtlich gefördert, wenn man die Fähigkeit erwirbt, die Aufmerksamkeit gezielt in jedem beliebigen Körperteil zu plazieren und dort positive mentale Kräfte in der Form von Zuwendung, Wohlwollen, Güte oder Akzeptanz hinzulenken. Dazu ist eine gewisse Sensibilität für den Körper und Vertrautheit mit den jeweiligen Empfindungen in den verschiedenen Körperbereichen nötig. Zusammen mit der Atembeobachtung ist der Body-Scan das perfekte Mittel, um diese Art von Sensibilität und Vertrautheit zu entwickeln und weiter zu verfeinern. Einer nicht geringen Zahl von Teilnehmern an unseren MBSR-Kursen ermöglicht der Body-Scan seit vielen, vielen Jahren die erste positive Erfahrung mit ihrem Körper.

Schmerzen beim Body-Scan

 Als besonders wirkungsvoll erweist sich der Body-Scan bei Schmerzzuständen und anderen körperlichen Einschränkungen. Nehmen wir zum Beispiel chronische Rückenschmerzen. Sie legen sich auf den Rücken, wollen die Übung beginnen, aber die Rückenschmerzen lassen Sie keine angenehme Lage finden. Trotzdem beginnen Sie mit der Atembeobachtung. Sie versuchen, in die Zehen des linken Fußes hinein-und dann wieder aus ihnen herauszuatmen, aber die Rückenschmerzen ziehen immer wieder Ihre Aufmerksamkeit auf sich, und es gelingt Ihnen nicht, sich auf eine andere Körperregion zu konzentrieren.

 

Sie können nun Folgendes tun: Jedes Mal, wenn die Schmerzen im Rücken Ihre Aufmerksamkeit fordern, lenken Sie die Aufmerksamkeit und Ihren Atem in die Zehen. Dann bewegen Sie sich systematisch aufwärts, erst durch den linken Fuß und das linke Bein, dann durch den rechten Fuß und das rechte Bein bis ins Becken. Währenddessen achten Sie sorgfältig auf die Empfindungen in den verschiedenen Körperregionen sowie auf die Gedanken und Gefühle, die sich dabei einstellen, ohne ihrem Inhalt jedoch irgendeine Bedeutung beizumessen. Wahrscheinlich drehen sich die meisten Gedanken und Gefühle wiederum um den schmerzenden Rücken. Sie bewegen sich weiter aufwärts durch das Becken und bleiben, wenn Sie sich schließlich Ihrer Problemzone nähern, offen und empfänglich.

 

Achten Sie jetzt ebenso auf alle Empfindungen im Rücken, wie Sie es zuvor mit den anderen Körperbereichen getan haben. Atmen Sie in den schmerzenden Rücken hinein und wieder aus ihm heraus, und registrieren Sie alle dabei auftauchenden Gedanken und Gefühle. Sie verweilen weiter atmend in diesem Bereich, lassen ihn, wenn Sie sich bereit dazu fühlen, bewusst los und lenken dann Ihre Aufmerksamkeit in den nächsten Bereich.

 

Auf diese Weise üben Sie sich darin, die Schmerzzone, wenn sie an der Reihe ist, zu durchqueren und dabei, solange Sie sich auf sie konzentrieren, die ganze Intensität der Schmerzempfindung zu erfahren. Sie sind nun bereit, alle Empfindungen, die in dieser Region auftreten, in ihrer ganzen Intensität zu spüren. Sie beobachten sie, atmen in sie hinein und lassen sie los, sobald Sie sich weiter durch den Körper bewegen.

 

Eine weitere Möglichkeit, mit Schmerzen während der Übung umzugehen, besteht darin, die Aufmerksamkeit direkt in die am meisten schmerzende Region zu lenken. Dies ist vor allem dann ratsam, wenn der Schmerz so stark wird, dass man sich kaum auf einen anderen Körperbereich konzentrieren kann. Anstatt langsam den ganzen Körper durchzugehen, atmen Sie in den Schmerz hinein und wieder aus ihm heraus.

 

Beim Einatmen stellen Sie sich vor oder spüren Sie, wie Ihr Atem tief in das schmerzende Gewebe einströmt, bis es ganz von ihm erfüllt ist. Beim Ausatmen stellen Sie sich vor, wie Ihr Atem einen Kanal schafft, durch den alle Schmerzen, Gifte und Beschwerden ausströmen können. Bleiben Sie dabei in jedem Augenblick aufmerksam, Atemzug um Atemzug, und achten Sie darauf, wie sich Art und Intensität der Empfindungen sogar in den am meisten betroffenen Körperregionen verändern. Wenn der Schmerz weit genug nachlässt, gehen Sie zu Ihren Zehen zurück und versuchen, den vollständigen Body-Scan wie oben beschrieben auszuführen. Weitere Hinweise und Anregungen zur achtsamen Arbeit mit dem Schmerz finden Sie in den Kapiteln 21 und 22.

Der Body-Scan – ein Prozess der Reinigung

Einer der Meditationslehrer, die mich in der Entwicklung meiner Version des Body-Scans beeinflusst haben, war früher Raumfahrtingenieur. Er verglich den Body-Scan, wie er ihn lehrte, gern mit einem sukzessiven Reinigungsprozess bei der Metallveredelung:

 

Entlang eines Metallbarrens wird ein ringförmiger Schmelzofen bewegt. Die Hitze verflüssigt den Teil des Barrens innerhalb der Brennzone, wobei die Verunreinigungen herausgelöst werden. Während die Schmelzzone den Barren entlangwandert, verbleiben die Verunreinigungen im verflüssigten Bereich. Wenn das wieder erhärtete Metall am Ende des Ofens herauskommt, ist es von größerer Reinheit als zu Beginn des Prozesses. Nachdem der ganze Barren so behandelt wurde, wird der hintere, zuletzt erhitzte Teil, der nun alle Verunreinigungen enthält, abgeschnitten. Zurück bleibt ein gereinigter Barren.

 

Auf ähnliche Weise kann man sich die reinigende Wirkung des Body-Scans vorstellen. Die »Zone der Aufmerksamkeit« bewegt sich durch den Körper, nimmt Spannungen und Schmerzen mit und transportiert sie zum Scheitel, wo sie über den Atem ausgeleitet werden und einen entschlackten, durchlässigeren Körper zurücklassen. Jedes Mal, wenn Sie den Body-Scan ausführen, können Sie ihn sich als einen Reinigungs- oder
Entgiftungsprozess vorstellen, der die Heilung unterstützt und im Körper das Gefühl der Ganzheit und Vollständigkeit wiederherstellt.

 

Auch wenn diese Metapher danach klingen mag, als setzten wir den Body-Scan in einer bestimmten Absicht ein, insbesondere zum Zweck der inneren Reinigung, so bewahren wir beim Üben doch gänzlich die innere Einstellung des Nicht-Erzwingens. Wie wir in Kapitel 13 noch sehen werden, betrachten wir die Reinigung dabei als etwas, das ohne unser Zutun geschieht.

 

Nach einiger Zeit regelmäßigen Übens gelingt es uns, unseren Körper als eine Ganzheit zu begreifen, die sich im Hier und Jetzt verwirklicht. Dieses Gefühl von Ganzheit kann jeder Mensch erfahren, gleichgültig, wie sehr er körperlich beeinträchtigt und eingeschränkt ist. Auch wenn Teile des Körpers erkrankt sind oder schmerzen und selbst nach dem Verlust eines Körperteils ist es möglich, zu dieser Erfahrung der ursprünglichen und wesenhaften Ganzheit und Vollständigkeit unserer selbst zurückzufinden.

 

Lassen Sie beim Body-Scan einfach alles ausströmen, was ausströmen will. Nichts wird forciert, weder die innere Reinigung noch das Ausströmen oder das Loslassen.

Akzeptanz und Nicht-Erzwingen beim Body-Scan

Die Hauptsache beim Body-Scan ist eine gleichbleibende Aufmerksamkeit, mit der man so gut es geht Augenblick für Augenblick den Atem spürt und nach und nach den ganzen Körper von den Zehen bis zum Scheitel durchgeht. Wir tun dies so behutsam wie nur möglich, ohne irgendetwas erzwingen oder vermeiden zu wollen. Viel wichtiger als die Vorstellung der Ausleitung von Spannungen oder der Zufuhr neuer Energie über den Atem sind die Qualität unseres Gewahrseins und die Bereitschaft, einfach nur zu spüren, was spürbar ist, und es so, wie es ist, zu akzeptieren.

 

Vom Standpunkt der Meditation können wir allein durch das Annehmen der realen Gegenwart, wie schmerzlich oder beängstigend oder unerwünscht diese auch sein mag, Wandlung, Heilung und Entwicklung erfahren. Wie wir noch in Teil II  „Paradigmenwechsel“ sehen werden, lassen sich neue Möglichkeiten als etwas auffassen, das in der Realität des gegenwärtigen Augenblicks bereits enthalten ist. Zur Ent-Deckung und Entfaltung dieser Dimension müssen wir nur eins tun: sie in uns pflegen.


Wenn dies zutrifft, brauchen Sie nicht zu versuchen, mit Hilfe des Body-Scans oder einer der anderen Achtsamkeitsübungen irgendwohin zu gelangen. Sie müssen nur wirklich dort sein, wo Sie schon sind, sich das Hier und Jetzt bewusst machen, um es zu verwirklichen. So gesehen gibt es tatsächlich kein anderes Ziel, und unsere Bemühungen, an einen anderen Ort zu gelangen, erscheinen als ein Irrtum, der zwangsläufig zu Enttäuschung und Misserfolg führt. Jedoch kann es nicht misslingen, dort zu sein, wo man schon ist, nämlich im Hier und Jetzt. Daher können Sie auch in Ihrer Meditationsübung nicht scheitern, wenn Sie bereit sind, die Dinge so zu nehmen, wie sie jetzt sind.


Echte Meditation geht über das Konzept von Erfolg und Misserfolg hinaus. Gerade deswegen ist sie ein machtvolles Instrument der Entwicklung, Wandlung und Heilung. Das bedeutet nicht, dass Sie in Ihrer Meditationsübung keine Fortschritte machen können oder keine Fehler, die die Übung in ihrem Wert beeinträchtigen. Meditation verlangt sehr wohl ein gewisses Maß an Anstrengung. Diese Anstrengung zielt jedoch nicht darauf, einen bestimmten Zustand zu erreichen – sei es Entspannung, Schmerzfreiheit, Genesung oder geistige Klarheit. All dies stellt sich durch fortgesetztes Üben von selbst ein, weil es als Möglichkeit in jedem beliebigen Augenblick angelegt ist. Daher ist jeder Augenblick gleichermaßen gut geeignet, seine Gegenwart zu spüren. So gesehen gibt es nichts Sinnvolleres, als jeden Augenblick so, wie er sich entfaltet, anzunehmen, ihn bewusst in seiner Fülle zu erfahren und ihn dann wieder loszulassen. Sollten Sie unsicher sein, ob Sie »richtig« meditieren oder nicht, so gibt es einen einfachen Test: Wenn Sie bemerken, wie Ihre Gedanken um bestimmte Ziel- oder Wunschvorstellungen kreisen, um bereits Erreichtes, um »Erfolg« oder »Misserfolg«: Gelingt es Ihnen dann, jeden dieser Gedanken, während Sie ihn beobachten, als einen Aspekt Ihrer Realität zu würdigen, wie sie sich in diesem Augenblick zeigt? Können Sie ihn deutlich als Gedankenimpuls, als Wunsch oder Bewertung erkennen, im Hier und Jetzt zulassen und loslassen, ohne ihm nachzuhängen, ihn von Ihrer Kraft zehren zu lassen und sich selbst darüber zu verlieren? Dies ist der Weg, um echte Achtsamkeit zu entwickeln.

 

Der täglich geübte Body-Scan dient also im Grunde nicht der inneren Reinigung des Körpers, nicht seiner Befreiung von belastenden Dingen und nicht einmal der Entspannung oder Seelenruhe. Dies mögen die Beweggründe sein, die uns ursprünglich zur Meditation gebracht haben und uns noch immer dabeibleiben lassen. Möglicherweise fühlen wir uns auch tatsächlich besser, entspannter. In jedem Augenblick echte Meditation zu üben bedeutet jedoch, auch diese Beweggründe loszulassen. Damit wird die Übung des Body-Scans zu einem Weg, im Körper und bei sich zu sein, zu einem Weg, jetzt, in diesem Augenblick, ganz zu sein.

Die Übung des Body-Scans

  1. Legen Sie sich auf den Rücken, zum Beispiel auf eine Schaumstoffmatte oder auch ins Bett, aber denken Sie daran, dass Ihr Ziel jetzt ist, »zu sich zu kommen« und nicht, schläfrig zu werden. Sorgen Sie dafür, dass Ihnen nicht kühl wird. Decken Sie sich zu oder kriechen Sie in einen Schlafsack, wenn es kalt im Zimmer ist.
  2. Schließen Sie entspannt die Augen. Wenn Sie bemerken, dass Sie schläfrig werden, können Sie die Übung aber ebenso gut mit geöffneten Augen fortsetzen.
  3. Bringen Sie Ihre Aufmerksamkeit behutsam zur Bauchdecke. Spüren Sie, wie sie sich mit jedem Ein- und Ausatmen hebt und senkt. Lassen Sie sich von der Welle Ihres Atems tragen, folgen Sie ihrem Auf und Ab bewusst über die gesamte Länge des Einatmens und die gesamte Länge des Ausatmens.
  4. Lassen Sie sich etwas Zeit, um Ihren Körper von Kopf bis Fuß als ein Ganzes zu spüren, das von der Haut wie von einer »Hülle«umgeben ist. Nehmen Sie die Druckempfindungen in den Bereichen wahr, mit denen der Körper auf der Matratze oder dem Boden aufliegt.
  5. Lenken Sie nun Ihre Aufmerksamkeit in die Zehen des linken Fußes. Versuchen Sie, zugleich auch den Atem dorthin zu»lenken«, als ob Sie in die Zehen hinein- und wieder aus ihnen herausatmeten. Es kann eine Weile dauern, bis Ihnen dies gelingt,so dass es sich für Sie weder gekünstelt noch erzwungen anfühlt. Vielleicht hilft es Ihnen, sich vorzustellen, wie der Atem durch die Nase in die Lunge strömt, von dort weiter in den Bauch, inslinke Bein, bis hinab in die Zehen und wieder zurück, bis er durch die Nase wieder entweicht. Und tatsächlich nimmt er unteranderem auch diesen Weg, und zwar über den Blutkreislauf.
  6. Versuchen Sie zu spüren, welche Empfindungen von den Zehen ausgehen. Vielleicht können Sie sogar zwischen den Empfindungen und Ihrer Beobachtung des Empfindungsgeschehens in dieser Körperregion unterscheiden. Wenn Sie nichts spüren, ist das ebenfalls in Ordnung. Lassen Sie zu, dass das »Nichts-Spüren« in diesem Moment Inhalt Ihrer Wahrnehmung ist.
  7. Wenn Sie sich bereit fühlen, die Übung fortzusetzen, atmen Sie noch einmal bewusst und besonders tief ein, bis hinunter in dieZehen. Beim Ausatmen lösen sich alle »Zehen-Empfindungen« in der Vorstellung auf. Atmen Sie noch einige Male bewusst ein und aus. Dann wenden Sie sich nacheinander den Fußsohlen, derFerse, dem Fußrücken und den Knöcheln zu, während Sie in jeden Bereich hinein- und wieder aus ihm herausatmen und aufalle Empfindungen achten, die Sie dabei erspüren. Nun lassen Sie sie wieder los und fahren mit der Übung fort.
  8. Immer wenn Sie bemerken, dass die Gedanken abschweifen, holen Sie sie zum Atem und zur Körperregion, bei der Sie zuletztwaren, zurück.
  9. Gehen Sie auf diese Art und Weise (und wie schon zu Anfang dieses Kapitels beschrieben) durch das linke Bein aufwärts biszum Becken, dann durch das rechte Bein hinauf zum Becken und von dort durch den übrigen Körper bis zum Scheitel. Währenddie Aufmerksamkeit beim Atem und den Empfindungen in deneinzelnen Körperregionen bleibt, atmen Sie in sie hinein und wieder aus ihnen heraus und lassen Sie dann los. Wenn in irgendeiner Form Beschwerden auftreten, lesen Sie dieAnregungen für den Umgang mit Schmerzen während des Body-Scans in diesem Kapitel sowie die Kapitel 21 und 22.
  10. Üben Sie den Body-Scan mindestens einmal am Tag. Anfänglich ist es wieder nützlich, im langsamen Tempo der CD zu üben. Außerdem prägt man sich mit Hilfe der gesprochenen Anleitung und auch über den Klang der Worte die Vorgehensweise besser ein.
  11. Denken Sie beim Üben zu Hause daran, dass der Body-Scan die erste formale Meditationspraxis ist, der sich unsere Patienten intensiv widmen. Gleich zu Beginn des MBSR-Kurses praktizieren sie ihn täglich fünfundvierzig Minuten an sechsTagen in der Woche über mindestens zwei Wochen. Wenn Sie also bereit sind, der Meditation eine echte Chance zu geben, und insbesondere dann, wenn Sie dem vollständigen MBSR-Programm folgen wollen, wäre es ein guter erster Schritt, diesen Übungsplan in Ihren Alltag zu integrieren.
  12. Wenn es Ihnen schwerfällt, beim Body-Scan wach zu bleiben, versuchen Sie, die Übung mit offenen Augen durchzuführen.

Finale Theorie

Die Body-Scan Meditation ist eine gute spirituelle Übung, damit dein KÖRPER sich von deinem ICH respektiert und geachtet fühlt. Dein ICH erlebt bei diese Mediatation, dass sein KÖRPER ein eigenes spirituelles Wesen ist, das mit deinem ICH verschränkt ist, um deine PERSON im Universum zu verwirklichen.

 

Der positive Effekt auf deine physische und psychische Gesundheit durch Meditation wird schon seit Jahrtausenden von vielen meditierenden Menschen immer wieder bestätigt. Er kommt dadurch, dass das Weltbild deines ICHs sich dem Weltbild von KOSMOS annähert und dass dein KÖRPER und all seine Körperzellen wieder hochmotiviert sind, die Leistungsfähigkeit deines Körpers im Dienste deines ICHs zu optimieren.

 

Dein KÖRPER wird dabei überzeugt, dass dein ICH weiterhin dafür sorgen wird, dass deine PERSON sich weiterhin für seine eigene Evolution einsetzt, um der Gesamtevolution des Universums zu dienen.