Soziale Determinanten psychischer Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen

Was meinen wir, wenn wir von Resilienz sprechen?

Resilienz ist kein unabänderliches Persönlichkeitsmerkmal, sondern entwickelt sich in Person – Umweltinteraktionen.


Auch wenn wir jedem Kind wünschen würden, dass es ohne Widrigkeiten aufwächst und als Erwachsene/r ein gutes Leben führen kann, so ist doch niemand wirklich gefeit: Es gibt Verluste: man kann arbeitslos werden, einen Unfall haben, einen oder eine Liebste verlieren usw. Resilienz bedeutet, dass man letztlich all die Fährnisse längerfristig ein Stück weit in sein Leben integrieren kann, nicht aufgibt.

 

Ein Beispiel: So könnten bspw. zwei Kinder in einem Mathematik-Test durchfallen. Eine von beiden könnte dann denken: „Na gut, der Test war auch hart, aber vielleicht hab ich mich doch vorher nicht genügend vorbereitet. Meine Freundin ist so gut in Mathematik, die bitte ich, mir die Aufgaben zu erklären“. Sie reflektiert also ihr Versagen im Sinne eines möglicherweise momentanen Scheiterns, und nicht im Sinne eines Versagens von ihr als Person, die sich sagt: „Ich bin halt blöd, alle anderen waren vermutlich gut, ich kann‘s halt nicht, ach und überhaupt, ich schaff ja gar nix …“. Oder Eltern lassen sich scheiden, was Kindern viel Kummer macht, und irgendwie schaffen sie es dann doch, dass sie dieses Ereignis nicht zerstört.

 

Um genau eine solche Fähigkeit geht es auch bei den Erwachsenen. Das Konzept Resilienz bezeichnet u.a. die Fähigkeit, so durchs Leben zu navigieren, dass man sich in Krisen Unterstützung holt und sich Ressourcen erschließt. Resilienz ist  ein schillerndes Konzept: Manchmal wird Resilienz als Ergebnis von Erziehung und Aufwachsen betrachtet – vor allen Dingen als Aufwachsen unter schwierigen Bedingungen, und manchmal als Prozess, mit dem man schützende Prozesse für sich selber in Gang setzt, um mit stressreichen Ereignissen umgehen zu können (Ungar & Liebenberg, 2011; Ungar 2008).

 

„Resilienz bezeichnet dabei kein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal eines Kindes, sondern umfasst eine Kapazität, die im Verlauf der Entwicklung im Kontext der Kind-Umwelt-Interaktion erworben wird (vgl. z.B. Kumpfer 1999; Luthar/Cicchetti/Becker 2000; Rutter 2000; Waller 2001). Resilienz bezieht sich auf einen dynamischen, transaktionalen Prozess zwischen Kind und Umwelt. Bedeutsam ist die bidirektionale Betrachtungsweise, d. h. die Beteiligung sowohl der Person als auch der  Umwelt an der Entwicklung resilienten Verhaltens“ (Wustmann, 2005, S. 14f).

Was sind die vermittelnden Faktoren dafür, dass wir Resilienz entwickeln?

In dieser langfristigen Studie wurden Faktoren herausgearbeitet auf der individuellen, der Familienebene und in der weiteren sozialen Umgebung, die eine gelingendere Entwicklung auch der Kinder mit einem hohen Risiko begünstigten:
  • Individuelle Ebene: Temperament, durch das Kinder eher positive Resonanz von einer Vielzahl von fürsorglichen Personen erhielten
  • Familiale Ebene: Merkmale und Charakteristiken der Eltern, die es ihnen ermöglichte, Kompetenz und Selbstwert, vor allem natürlich auch eine sichere Bindung der Kinder zu fördern. Eine Rolle spielten dabei auch Bildungsniveau der Mutter, Regeln und Strukturen im Alltagsleben und was die Mädchen betrifft eine Mutter, die berufstätig war.
  • Des Weiteren vor allem mindestens eine sichere Bindung zu einer signifikanten Person, wie bspw. auch Großeltern, ältere Geschwister usw.
  • Soziale Unterstützung im Nahraum: Weitere unterstützende Erwachsene, wie bspw. Großeltern, ältere Mentoren und Mentorinnen, LeiterInnen von Jugendgruppen, Mitglieder von Kirchengruppen, d.h. Personen, die als positive Verhaltensmodelle, Informations-, Interaktions-, undDiskussionspartner für Verhaltensregeln dienen konnten.
  • Institutionelle Förderung: Einen weiteren Vermittlungsaspekt stellten Ressourcen in Kita, Schule und der weiteren sozialen Umgebung dar, d.h. förderlich-anregend-forderndes Sozialklima (Kindertagesstätte, Schule, Vereine, Gleichaltrige), in dem Kinder intellektuelle, emotionale und soziale Kompetenzen entfalten konnten (Eingebundensein in einen Verein, oder auch in die kirchliche Jugend usw.) (Ungar & Liebenberg 2011; Zautra Hall, & Murray 2008; Ungar et al.2013).
  • Manchmal waren es auch besondere Übergänge in eine andere Lebenssituation, die Möglichkeiten der Entwicklung von Resilienz eröffneten, wie bspw. von der Highschool in dieArbeitswelt, vom Alleinleben in Elternschaft und Partnerschaft.
Wahl (2015, S 165) formuliert folgendermaßen „dass Kinder und Jugendliche, die in einer sicheren und ermunternden Umwelt (mit vielfältigen natürlichen, sozialen und kulturellen Erfahrungs- und Erprobungsmöglichkeiten) Sicherheits- und Selbstwertgefühle aufbauen, in einem förderlich-anregend-fordernden Sozialklima (Familie, Kindergarten, Schule, Gleichaltrige) intellektuelle, emotionale und soziale Kompetenzen entfalten,  von Personen umgeben sind, die als positive Verhaltensmodelle, Informations- Interaktions- und Diskussionspartner für Verhaltensregeln dienen, eher zu emotional sicheren, entspannten, gebildeten und sozial sensiblen Persönlichkeiten heranwachsen als ohne solche positiven Faktoren.
 
Michael Ungar (2011, 2012a, 2012b) betont, dass Resilienz immer eine Folge auch der Qualität der sozialen Umgebung der Kinder- und Jugendlichen ist; d.h. bpsw. ob angemessene Angebote der Kinder- und Jugendhilfe vorhanden sind für Eltern und Kinder in belasteten Lebenssituationen, und plädiert von daher für eine sozial-ökologisches Konzept der Resilienz.
 
Innerfamiliale Aspekte: Sichere Basis“. Dieser Aspekt weist auf das Ausmaß hin, mit dem Kinder ein Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit entwickeln. Eine sichere Bindung zu haben, ist auf jeden Fall ein Schutzfaktor für die Entwicklung; insofern ist das Konzept der Resilienz vereinbar mit der Bindungstheorie. Durch die frühen Beziehungen bauen Kinder einen Sinn für sich selbst und für die Interaktionen mit anderen auf. Es reicht nicht, dass Eltern ihr Kind lieben; wenn sie bspw. selber Probleme mit psychischer Gesundheit haben, zu viel Alkohol trinken, unberechenbar sind, dann ist es schwierig für Kinder, sich auf der Basis einer sichere Bindung zu entfalten. Aber selbst wenn die leiblichen Eltern eine große Bedeutung haben, ist es doch möglich, dass Kinder auch bspw. nach einer Inobhutnahme mit Pflegeeltern oder als Erwachsene durch Therapien/sehr gute Freunde usw. eine sichere Bindungspräsentation aufbauen können (vgl. Kindler 2011b).
 
Eine sichere Bindung entwickelt ein Kind, wenn Erwachsene feinfühlig auf es reagieren, d.h. die Fähigkeit haben, die Signale des Kindes wahrzunehmen und darauf angemessen antworten. Die Kinder machen so erste Selbstwirksamkeitserfahrungen, da ja auf ihre Signale reagiert wird; gleichzeitig lernen sie ihre Emotionen zu regulieren.
 
Elemente autoritativer, resilienzfördernder Erziehung: Erfolgreiche Eltern leben den so genannten autoritativen Erziehungsstil: Sie verbinden Wärme mit klaren Grenzen, aber dabei wird alles vermieden, was das Kind demütigen könnte. Dieser Aspekt beinhaltet, dass Grenzen gesetzt werden nicht um der Grenzen willen, um die eigene Autorität zu zementieren oder gar zelebrieren, sondern um des Wohls der Kinder willen: Grenzsetzung muss verknüpft sein mit Zuwendung, ansonsten wird sie zur Ausübung von Herrschaft. Diese Eltern rdern die Selbstständigkeit und begleiten sorgsam die Aktivitäten der Kinder außerhalb der Familie,indem sie z. B. die schulische Entwicklung fördern.
 
Den Kindern eine sichere Basis zu bieten, geht einher mit
  • Fürsorglichkeit/Responsivität, d.h. Ansprechbarkeit, Sensitivität für die Bedürfnisse der Kinder),
  • mit der Fähigkeit einer angemessenen Spiegelung der Affekte der Kinder, was eine Art Co Regulierung beinhaltet, d.h. die Affektsignale werden interpretiert, akzeptiert und gleichzeitig wird in Form einer modulierenden Reaktion eine beruhigende Antwort darauf gegeben. Die Affekte wie bspw. Angst oder Wut des Kindes werden von der betreuenden Person weder vergrößert noch verkleinert oder geleugnet werden.
  • Reflexive Selbstfunktion: Diese beinhaltet die Fähigkeit, das eigene Verhalten oder das Verhalten anderer Menschen durch Zuschreibung mentaler Zustände zu interpretieren, im Nachdenken darüber, welche Überzeugungen, Gefühle, Einstellungen, Wünsche dem Verhalten zugrunde liegen könnten (vgl. Fonagy et al. 1991).
  • Perspektivenübernahme: Signale der Kinder werden nicht fehlinterpretiert; Angst als Hunger bspw. oder Nörgeln aufgrund von Müdigkeit als Bosheit des Kindes.
  • Struktur, Vorhersehbarkeit
  • Flexible Problemlösung, Humor.
 
Um Eltern zu unterstützen, Feinfühligkeit zu entwickeln, und damit sozusagen von professioneller Seite aus die Resilienz wiederum von Kindern zu fördern, haben sich ja auch eine ganze Reihe von Ansätzen Früher Hilfen entwickelt (vgl. www.fruehehilfen.de). Gerade Mütter und Väter, die selbst massive Deprivations- und/oder Gewalterfahrungen in ihrem Leben gemacht haben, fällt es schwer, die Signale der Kinder angemessen zu interpretieren; sie empfinden bspw. Weinen aufgrund von Müdigkeit schnell als Aggression, als Boshaftigkeit ihnen selbst gegenüber, so dass destruktive Interaktionszirkel entstehen können zwischen Eltern und Kind. (vgl. dazu Kißgen/Heinen 2010; Ziegenhain/Derksen & Dreisörner 2004)