Über Schweißer
Im Jahre 1935 machte ich eine verblüffende Beobachtung. Ein Schweißer erlitt eine tödliche Kohlenmonoxidvergiftung. Mein Auftrag lautete, die Begleitumstände des Arbeitsunfalls zu untersuchen, um die Ursachen zu ermitteln und dann für die Zukunft auszuschließen. Doch nirgendwo konnte ich die Kohlenmonoxidquelle finden.
Auch danach ist es noch häufig zu solchen Unfällen gekommen, und nie fand ich Hinweise, die mir geholfen hätten, dem Ursprung des eingeatmeten Kohlenmonoxids auf die Schliche zu kommen. Das Wissen darüber blieb mir bis 1955 im Unbewußten haften. Erst dann erhielt ich Klarheit. In jenem Jahr starben innerhalb weniger Monate drei Schweißer bei der Benutzung eines Sauerstoff-Acetylen-Schweißgeräts. Mir gingen sämtliche Berichte mit allen Details darüber zu, einschließlich der Obduktionsbefunde. Das gesamte Beweismaterial deutete darauf hin, daß die Schweißer, die allesamt Stahlschneider waren, an einer Vergiftung mit Kohlenmonoxid und nicht mit nitrosen Gasen gestorben waren.
Die Analyse ergab, daß der Kohlenmonoxidgehalt der eingeatmeten Luft zu gering war, um gefährlich zu sein. Daraufhin wurde beschlossen, mit Hilfe der Werkärzte die Kohlenmonoxidwerte im Blut der Kollegen der Opfer zu ermitteln, auch wenn diese anscheinend bei guter Gesundheit waren. Wir fanden heraus, daß diejenigen, die dieselbe Arbeit taten, an schwerer chronischer Kohlenmonoxidvergiftung litten, bei manchen näherten sich die Werte dem tödlichen Niveau.
Ich zog aus allem mir vorliegenden Material meine Schlüsse und schob die Schuld auf die vorherrschenden Arbeitsbedingungen. Und dabei hatte die Analyse der von den Arbeitern eingeatmeten Luft ergeben, daß Kohlenmonoxid nirgendwo freigesetzt wurde. Es wurden Untersuchungen an verschiedenen Orten angestellt. Man fand Kohlenmonoxidvergiftungen überall. Nach vier Jahren des Forschens unter Zuhilfenahme der empfindlichsten Nachweismethoden konnte ich folgende Ergebnisse festhalten:
- Die starken Schweißbrenner, mit denen die Arbeiter das Metall schneiden, setzen kein Kohlenmonoxid frei, bringen dafür aber eisenhaltiges Metall großflächig zum Glühen.
- Diejenigen Arbeiter, die sich bei der Arbeit über ihr Werkstück bücken – nur diese, nicht ihre dabeistehenden Helfer -, atmen die Luft ein, die an dem glühenden Eisen entlanggestrichen ist.
- Die Analyse der eingeatmeten Luft zeigte keinerlei Kohlenmonoxidgehalt; sie war stets aus Sauerstoff und Stickstoff zusammengesetzt. Das stimmte mit der Tatsache überein, daß man trotz einer großen Zahl von Untersuchungen in der ganzen Welt in keinem Falle Kohlenmonoxid in der Atemluft nachgewiesen hatte.
- Das Kohlenmonoxid, das im Blut der Arbeiter, aber nicht der Helfer gefunden wurde, konnte nur endogen beim Einatmen gebildet worden sein. Mit anderen Worten, durch den Kontakt mit glühendem Eisen wurde die Luft in einen aktivierten Zustand versetzt. Damit wären auch die Beobachtungen bei der Benutzung gußeiserner Öfen in geschlossenen Räumen, die zur Rotglut erhitzt sind, erklärt.
Der in der Atemluft enthaltene Sauerstoff reichte nicht aus, die Bildung von CO im Organismus zu erklären. Es ist O vorhanden, doch man benötigt C. Woher stammt der Kohlenstoff?
Nach langem Forschen dachte ich mir, daß es aktivierter Stickstoff sein könnte, der im Organismus den Kohlenstoff bildete, und zwar auf der Ebene der roten Blutkörperchen, während diese die Lungenbläschen umspülen. Diese Frage ist noch nicht geklärt.
Der Stickstoff tritt nie atomar, sondern stets in Form von Elementmolekülen (N2) auf und enthält zwei Stickstoffatomkerne, die von den Elektronen der Molekülorbitale umgeben sind. Im Zentrum des Moleküls schwingen die beiden Kerne mit bekannter Frequenz.
Könnte es bei Zufuhr ähnlicher Schwingungsenergie von außen zu einer Resonanz kommen, die nach gewisser Zeit den Übergang eines Protons zusammen mit seinem Neutron von einem Kern zum anderen bewirkt? All dies läuft ohne Veränderung in den umgebenden Elektronen ab. Auf der einen Seite verbleibt ein Kern mit einem Proton weniger, also Kohlenstoff; der andere Kern nimmt ein Proton auf und wird zum Sauerstoff.
Es handelt sich also nicht um einen kernphysikalischen Prozess, denn der molekulare Zustand bleibt durchgängig erhalten. Es liegt vielmehr eine Umstrukturierung durch die Übertragung eines Protons von einem Kern auf den anderen vor.
Messungen ergaben, daß der Abstand der beiden Atomkerne im N2-Molekül 112 Pikometer beträgt, wogegen im CO-Molekül Kohlenstoff- und Sauerstoffkern 109 Pikometer auseinanderliegen. Diese Übertragung eines Protons samt seinem Neutron von einem Kern zum anderen ist anscheinend kein radioaktiver Vorgang; er könnte sich unter Mitwirkung eines bisher unbekannten Enzyms in den Lungenbläschen abspielen oder vielleicht in den Membranen der roten Blutkörperchen, wenn diese die Bläschen durchlaufen. Bisher bin ich noch nicht widerlegt worden.
Als ich diese Deutung im Jahre 1960 veröffentlichte, kam es zu kontroversen Auseinandersetzungen. Ein Experte trug folgende Ansicht vor: Durch die Erwärmung dehnt sich die Atemluft aus und wird verdünnt. Daraus ergibt sich eine Minderung des Sauerstoffpartialdrucks, der zu einer unvollständigen Verbrennung im Blut führt, weswegen sich CO bildet und nicht CO2. Es ist leicht einsichtig, daß diese Hypothese haltlos ist. Das Einatmen heißer Luft zeigt diese Wirkung nur, wenn sie zuvor in Kontakt mit glühendem Metall stand.
Dennoch führten im Jahr 1963 ein Freund von mir, Professor Desoille, und dessen Kollege Truffert eine systematische Studie* durch. Beide haben hohe Ämter inne. Sie wiesen nach, daß das Phänomen unabhängig vom Sauerstoffdruck ist. Im Jahre 1964 konnte ich zeigen, daß das Phänomen nicht auftritt, wenn das Blech lediglich auf 400 Grad erhitzt wird. Es ist zumindest dunkle Rotglut erforderlich; bei leuchtendem Rot zeigt sich schnelle Wirkung.
Die Ursache liegt nicht beim Sauerstoff. Insoweit wurden meine ersten Veröffentlichungen von 1960 bestätigt. Der Effekt tritt auch nicht auf, wenn man den Luftstickstoff durch Helium ersetzt. Ursache dieser endogenen Bildung von Kohlenmonoxid ist allein der Stickstoff. Nachdem ich dieses Phänomen dank meiner Stellung in der Welt der Wissenschaft aufklären konnte, unterrichtete ich die Inspektoren darüber, welche Maßnahmen zu ergreifen waren, um Kohlenmonoxidvergiftungen in den Fabriken ein für allemal zu unterbinden.
* H. Desoille: „Absence de corrélation entre la pression de l’oxygène et l’oxyde de Carbone dans le sang.“
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