IZ: 2.5 Das Einmaleins der Zellbiologie

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Bruce H. Lipton: Intelligente Zellen-Wie Erfahrungen unsere Gene steuern

Kapitel 2.5

Im Rückblick betrachtet hätten die Wissenschaftler ahnen können, daß die Gene nicht das Leben steuern. Definitionsgemäß ist das Gehirn das Organ für die Kontrolle und Koordination der Physiologie und des Verhaltens von Organismen.

 

Aber ist der Zell­kern wirklich das Gehirn der Zelle? Wenn unsere Annahme zutrifft, dass der Nukleus mit seinem DNS-haltigen Material das »Gehirn« der Zelle ist, dann müsste die Entfer­nung des Zellkerns, die so genannte Enukleation, zum sofortigen Tod der Zelle führen.

 

Also beginnen wir das große Experiment … (Maestro, die Trommelwirbel bitte!)

 

Der Wissenschaftler zerrt die unwillige Zelle in den mikroskopischen OP-Bereich und bindet sie fest. Mit einem Mikromanipulator führt der Wissenschaftler eine nadelartige Mikropipette über der Zelle in Position. Mit einem beherzten Stoss des Manipulators taucht die Pipette tief in das Zytoplasma der Zelle ein. Durch ein wenig Unterdruck wird der Zellkern in die Pipette gesaugt, und die Pipette wird wieder aus der Zelle ent­fernt. Zurück bleibt unsere arme Zelle – der gerade das Gehirn entnommen wurde.

 

Aber Moment mal! Sie bewegt sich noch! Mein Gott, sie lebt! Die Wunde hat sich geschlossen, und wie nach einer Operation erholt sich unsere Zelle langsam. Schon bald ist sie wieder auf den Beinen – pardon, auf den Scheinfüßchen. So schnell sie kann, verläßt sie die ungastliche Stätte und hofft, nie wieder eine Pipette zusehen.

 

Nach der Enukleation überleben viele Zellen bis zu zwei Monaten. Ohne Gene. Sie lie­gen nicht herum wie gehirntote Zytoplasmaklumpen, sondern nehmen aktiv Nahrung auf, verstoffwechseln sie, halten ein koordiniertes physiologisches System aufrecht (At­mung, Stoffwechsel, Ausscheidung, Bewegungsvermögen etc.), kommunizieren mit an­deren Zellen und können auf Wachstumsreize oder Bedrohungen aus ihrer Umgebung angemessen reagieren.

 

Es überrascht allerdings nicht, dass die Enukleation durchaus auch Nebeneffekte hat. Ohne ihre Gene können sich die Zellen nicht mehr teilen, und sie können keine Proteine mehr herstellen, die sie durch die normale Abnutzung des Zytoplasmas verbrauchen.

 

Die Unfähigkeit, beschädigte Zytoplasma-Proteine wieder herzustellen, führt zu mecha­nischen Fehlfunktionen, die schließlich zum Tod der Zelle führen. Unser Experiment sollte die Idee überprüfen, daß der Zellkern das »Gehirn« der Zelleist.

 

Wenn die Zelle sofort nach der Enukleation gestorben wäre, hätte das unsere Annah­me unterstützt. Doch die Ergebnisse sind eindeutig: Die enukleierten Zellen zeigen wei­terhin komplexe, koordinierte, lebenserhaltende Verhaltensmuster, die darauf schließen lassen, daß das »Gehirn« der Zelle noch immer intakt und funktionsfähig ist.

 

Die Tatsache, daß enukleierte Zellen ihre biologischen Funktionen auch ohne Gene auf­rechterhalten, ist keine neue Entdeckung. Schon vor über hundert Jahren haben die Em­bryologen routinemäßig aus sich teilenden Eizellen die Zellkerne entfernt und gezeigt,

dass sich eine einzelne enukleierte Eizelle bis zum Blastula-Stadium entwickeln kann, einem embryonalen Entwicklungsstadium von etwa vierzig Zellen.

 

Heutzutage werden enukleierte Zellen in der Industrie verwendet, zum Beispiel in der Impfstoffproduktion als lebendiger Nährboden für Zellkulturen. Wenn der Zellkern mit seinen Genen nicht dem Gehirn der Zelle entspricht, worin be­steht dann der Beitrag der DNS zum Zellleben? Enukleierte Zellen sterben, nicht weil sie ihr Gehirn, sondern weil sie ihre Reproduktionsfähigkeit verloren haben. Ohne Re­produktion ihrer Teile können sie keine fehlerhaften Proteinblöcke ersetzen und sich nicht vermehren.

 

Der Zellkern entspricht also nicht dem Gehirn, sondern den Keimdrü­sen! Man könnte die Verwechslung der Keimdrüsen mit dem Gehirn angesichts der Tat­sache, dass die Wissenschaft schon immer ein patriarchales Unternehmen war, in gewis­ser Weise verstehen.

 

Schon oft wurde gewitzelt, dass Männer anscheinend eher mit ihren Keimdrüsen denken als mit ihrem Gehirn, es kommt also nicht ganz überraschend, dass sie den Zellkern für das Gehirn der Zelle gehalten haben