21 Kolumbien: Eckpfeiler Lateinamerikas
Bekenntnisse eines Economic Hitman
- Siehe auch FT: John Perkins: Bekenntnisse eines Economic Hit Man
Saudi-Arabien, Iran und Panama boten faszinierende und verstörende Erkenntnisse, sie waren aber auch die Ausnahmen von der Regel. Wegen der riesigen Ölvorkommen in den ersten beiden Ländern und des Panamakanals entsprachen sie nicht der Regel. Die Situation in Kolumbien war eher typisch. MAIN plante und baute dort als Anlagenbauer ein riesiges Wasserkraftwerk.
Ein kolumbianischer Universitätsprofessor, der an einem Buch über die Geschichte der panamerikanischen Beziehungen schrieb, sagte mir einmal, Teddy Roosevelt habe die Bedeutung des Landes erkannt. Angeblich zeigte der US-Präsident und ehemalige Anführer der Rough-Rider-Brigade auf eine Karte und bezeichnete Kolumbien als »den Eckpfeiler für den Bogen nach Südamerika«. Ich habe die Geschichte nie überprüft; allerdings stimmt es auf jeden Fall, daß Kolumbien mit seiner Lage im Norden des Kontinents den Rest zusammenzuhalten scheint. Es bildet die Verbindung zwischen den südlicheren Ländern zum Isthmus von Panama und damit zwischen Mittel- und Südamerika.
Ob Roosevelt Kolumbien nun mit diesen Worten beschrieb oder nicht, er war nur einer von vielen US-Präsidenten, die die zentrale Rolle des Landes verstanden. Seit fast 200 Jahren betrachten die USA Kolumbien als Eckpfeiler – oder vielleicht besser als Portal zur südlichen Hemisphäre sowohl für die Wirtschaft als auch für die Politik. Das Land zeichnet sich durch große Naturschönheit aus: spektakuläre palmengesäumte Strände an der atlantischen und der pazifischen Küste, majestätische Berge, Pampas, die es mit den Great Plains des nordamerikanischen Mittleren Westens aufnehmen können, und ausgedehnte Regenwälder mit großem Artenreichtum. Auch die Menschen sind ein besonderer Schlag, sie vereinen körperliche, kulturelle und künstlerische Züge ganz unterschiedlicher Herkunft in sich, die von den einheimischen Taironas bis zu Vorfah-
ren aus Afrika, Asien, Europa und dem Nahen Osten geprägt werden. Historisch betrachtet spielte Kolumbien eine wichtige Rolle in der lateinamerikanischen Geschichte und Kultur. In der Kolonialzeit war Kolumbien Sitz des Vizekönigs für alle spanischen Gebiete nördlich von Peru und südlich von Costa Rica. Die großen Flotten der mit Gold beladenen spanischen Schiffe setzten ihre Segel im Hafen der Küstenstadt Cartagena und transportierten von dort kostbare Schätze aus Südamerika, sogar aus so weit südlich gelegenen Gebieten wie Chile und Argentinien nach Spanien. Viele Entscheidungen in den Unabhängigkeitskriegen fielen in Kolumbien; zum Beispiel besiegten die Truppen unter Simón Bolívar 1819 die spanischen Royalisten in der Schlacht von Boyacá.
Heute steht Kolumbien in dem Ruf, einige der brillantesten Schriftsteller, Künstler, Philosophen und andere Intellektuelle Lateinamerikas hervorgebracht zu haben, außerdem hat es finanziell zuverlässige und einigermaßen demokratische Regierungen. Kolumbien war das Modell für Präsident Kennedys »Nation-Building-Programm« in ganz Lateinamerika. Anders als Guatemala hatte die Regierung Kolumbiens nicht den zweifelhaften Ruf, eine Marionette der CIA zu sein. Und anders als in Nicaragua war die Regierung vom Volk gewählt und stellte damit eine Alternative zu rechtslastigen Diktaturen und den Kommunisten dar. Und schließlich mißtraute Kolumbien anders als viele andere Länder, darunter auch das mächtige Brasilien und Argentinien, nicht den USA. Das Image von Kolumbien als verläßlichem Verbündeten hat sich trotz den Problemen mit seinen Drogenkartellen erhalten.
Die Glanzpunkte der kolumbianischen Geschichte werden jedoch durch Haß und Gewalt überschattet. Der Sitz des spanischen Vizekönigs war auch Schauplatz der Inquisition. Der Bau der prächtigen Forts, Haciendas und Städte kostete indianische und afrikanische Sklaven das Leben. Die Kunstschätze auf den Goldschiffen, die für die Menschen nicht nur Meisterwerke, sondern auch Heiligtümer waren, hatte man den Einheimischen geraubt und für einen einfacheren Transport eingeschmolzen. Die stolzen Kulturen fielen den Schwertern und Krankheiten der Konquistadoren zum Opfer. In jüngerer Zeit führte eine umstrittene Präsidentenwahl zur Spaltung zwischen den politischen Parteien und schließlich zu La Violencia (1948–1957), einem Bürgerkrieg, in dem über 200.000 Menschen starben.
Trotz der Konflikte und Widersprüche betrachteten Washington und die Wall Street Kolumbien schon immer als wesentlichen Faktor bei der Umsetzung panamerikanischer politischer und wirtschaftlicher Interessen. Das liegt neben Kolumbiens geographischer Lage an verschiedenen Faktoren, unter anderem an der Erkenntnis, daß die Staatschefs der gesamten Hemisphäre nach Bogotá blickten, wenn sie Rat und Hilfe brauchten. Dazu kommt noch, daß das Land Produzent vieler Produkte ist, die in den USA gekauft werden (Kaffee, Bananen, Textilien, Smaragde, Blumen, Öl und Kokain), aber auch ein Markt für unsere Güter und Dienstleistungen. Eine der wichtigsten Dienstleistungen, die wir Ende des 20. Jahrhunderts an Kolumbien verkauften, war das Fachwissen im Bereich Anlagenbau. Kolumbien war ein typisches Beispiel für die Länder, in denen ich arbeitete. Es war relativ einfach zu zeigen, daß das Land enorme Kredite aufnehmen und diese dann leicht mit dem Geld zurückzahlen konnte, das mit den Projekten selbst und den Rohstoffen des Landes eingenommen werden sollte. Demnach sollten enorme Investitionen in Stromnetze, Schnellstraßen und die Telekommunikation Kolumbien helfen, seine riesigen Erdgas- und Erdölvorkommen und das größtenteils unterentwickelte Amazonasgebiet zu erschließen. Mit diesen Projekten wiederum würde das Einkommen erwirtschaftet werden, um die Kredite plus Zinsen zurückzuzahlen.
So weit die Theorie. Die Realität sah anders aus. Entsprechend unserer wahren Absicht sollte Bogotá abhängig gemacht werden, um das globale Imperium auszubauen. Meine Aufgabe war wie so oft, Argumente und Zahlen für die extrem hohen Kredite zu liefern. Kolumbien hatte keinen Mann wie Torrijos, daher hatte ich, zumindest dachte ich das, keine andere Wahl, als aufgeblähte Prognosen zur wirtschaftlichen Entwicklung und zum Strombedarf zu entwickeln.
Abgesehen von gelegentlichen Gewissensbissen wegen meiner Arbeit war Kolumbien ein Ort, an dem ich Ruhe und Entspannung fand. Ann und ich hatten dort Anfang der siebziger Jahre einige Monate verbracht und sogar eine Anzahlung für eine kleine Kaffeefarm in den Bergen an der karibischen Küste geleistet. Ich denke, die Zeit, die wir
dort verbracht haben, heilte ein wenig die Wunden, die wir einander in den Jahren zuvorzugefügt hatten. Letztendlich waren die Wunden jedoch zu tief, und unsere Ehe scheiterte. In den siebziger Jahren hatte MAIN mehrere Aufträge zur Entwicklung verschiedener Infrastrukturprojekte erhalten, darunter eine Reihe von Wasserkraftwerken und ein Leitungssystem, um den Strom aus dem Dschungel zu den Städten hoch in den Bergen zu transportieren. Ich hatte ein Büro in der Küstenstadt Barranquilla. Dort lernte ich 1977 eine schöne kolumbianische Frau kennen, die mein Leben verändern sollte. Erst dann lernte ich das Land richtig kennen.
Paula hatte lange blonde Haare und auffallend grüne Augen – nicht gerade das, was sich Ausländer unter einer Kolumbianerin vorstellen. Ihre Eltern waren aus Norditalien eingewandert. Paula folgte ihrem italienischen Erbe und wurde Modedesignerin. Sie ging sogar noch einen Schritt weiter und baute eine kleine Fabrik, wo ihre Kreationen geschneidert wurden. Die Kleider wurden in teuren Boutiquen im ganzen Land sowie in Panama und Venezuela verkauft. Paula war sehr einfühlsam und half mir, das persönliche Trauma meiner gescheiterten Ehe zu überwinden. Sie rückte mein Verhältnis zu Frauen ein wenig zurecht, das mein Leben so negativ beeinflußt hatte. Außerdem brachte sie mir viel über die Konsequenzen meines Tuns bei.
Wie schon gesagt, setzt sich das Leben aus einer Reihe von Zufällen zusammen, über die wir keine Macht haben. Bei mir waren das meine Erziehung als Sohn eines Lehrers in einer Jungenschule im ländlichen New Hampshire, das Zusammentreffen mit Ann und ihrem Onkel Frank, der Vietnamkrieg und die Begegnung mit Einar Greve. Allerdings liegt die Entscheidung, wie wir reagieren, wenn uns diese Zufälle treffen, immer bei uns. Wie wir handeln, was wir unternehmen, das macht den Unterschied. Meine hervorragenden Leistungen in der Schule zum Beispiel, meine Heirat, die Meldung zum Peace Corps und der Entschluß, ein Economic Hit Man zu werden – all diese Entscheidungen haben mich an den Punkt meines Lebens geführt, an dem ich heute stehe.
Paula war ein weiterer solcher Zufall, und ihr Einfluß brachte mich dazu, etwas zu unternehmen und den Kurs meines Lebens zu ändern. Bevor ich sie traf, hatte ich mich dem System gebeugt. Ich fragte mich zwar oft, was ich tat, und fühlte mich manchmal schuldig, fand aber stets einen Grund, weiterhin für das System zu arbeiten. Vielleicht kam Paula einfach zur rechten Zeit. Möglicherweise hätte ich den Absprung ohnehin gewagt oder meine Erfahrungen in Saudi-Arabien, im Iran und in Panama hätten mich zu dieser Entscheidung getrieben. Aber ich bin mir sicher: Genauso wie Claudine der Auslöser war, warum ich ein Economic Hit Man wurde, so war eine andere Frau, nämlich Paula, der Katalysator, den ich damals brauchte. Sie überzeugte mich, tief in mich zu gehen und zu erkennen, daß ich nicht glücklich werden konnte, solange ich diese Rolle spielte.
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