2010/03: Wisnewski: Hinter tausend Masken
So machte sich der berühmte Franz Xavier, ein enger Freund Loyolas und Mann der ersten Stunde, nach Indien auf, um die hinduistische Nuss zu knacken. Auch er hatte bereits gelernt, »wie oft man, um ein frommes Ziel zu erreichen, mit ›heiliger List‹ vorgehen müsse«, so Fülöp-Miller.
»Deshalb behandelte er auch gleich nach seiner Ankunft die ortseingesessene Geistlichkeit mit jener klugen Unterwürfigkeit, die sein Lehrer Ignatius in solchen Fällen meist geübt hatte.« Das war das eine. Das andere: Der Mann ging nicht etwa nur den brahmanischen Herren um den Bart, sondern – man höre und staune – auch und gerade deren Sklaven! »Besonders für die gedemütigten und misshandelten Sklaven wurden die mit dem Missionar geführten frommen Gespräche oft zum ganzen Inhalt ihres ferneren Daseins.«
Und siehe da:
»Darum halfen sie ihm auch nach Kräften bei seinen Bemühungen und berichteten ihm heimlich von dem Lebenswandel, von den Taten, Lastern und Verfehlungen ihrer Herren. Xavier hatte solcherart Gelegenheit, sich genaue Kenntnisse über das Wesen, den Charakter, die Interessen und die Eigenheiten jener Leute zu verschaffen, die er bekehren wollte. Er wusste nun, bevor er noch ein Haus betrat, wo er es mit Männern zu tun hatte, die mit ihren eingeborenen Frauen in Vielweiberei lebten, wo mit solchen, die Wucher trieben, Gewalttätigkeiten begingen, ihre Ämter zu schamlosen Erpressungen ausnutzten oder ihre Sklaven misshandelten. So verrichtete er sein Bekehrungswerk, indem er, getreu den Lehren seines Vaters Ignatius, allen alles wurde, am alle zu gewinnen.«
Das war die eigentliche Revolution der Mission. Wo Missionare der eingeborenen Bevölkerung sonst oft genug selbst mit Gewalt,
Unterdrückung und Verbrechen gegenübertraten, handelten die Jesuiten nach dem Motto: »Wenn Sie in Ihrer Seele und in der Seele des Nächsten gute Früchte erzielen wollen, dann gehen Sie mit den Sündern stets so um, dass diese Vertrauen gewinnen und Ihnen ihr Herz öffnen. Das sind die lebenden Bücher, die beredter sind als alle toten Bücher und in denen Sie studieren müssen …«, so eine Anweisung von Franz Xavier an seinen Nachfolger Barzäus.
Kurz: Die Jesuiten revolutionierten das Verhältnis von Aktion und Reaktion in der Mission. Wo jede Aktion normalerweise eine (Gegen-)Reaktion hervorruft, entwickelten die Jesuiten einen Stil, der jede Verteidigung unterlief und Gegenreaktionen erst gar nicht entstehen ließ. Wehren kann man sich nur gegen etwas, das man als feindlich wahrnehmen und benennen kann. Genau hier setzten die Jesuiten an und lösten diese alte Dialektik in ihrer Missionsarbeit auf. Die Aktion war fast in jedem Fall darauf angelegt, keine feindliche Gegenreaktion hervorzurufen. Die Jesuiten entwickelten regelrecht geheimdienstliche Methoden und waren damit einer der ersten gut organisierten Geheimdienste der Welt. Ja, sie benutzten Agenten genauso wie Techniken der Mimikry und der Verkleidung:
»Der Jesuitenmissionar Robert de Nobili, Neffe des Kardinals Bellarini und Spross einer alten italienischen Adelsfamilie, unternahm es nun als Erster, auch die Brahmanen zu bekehren, indem er ihnen selbst als Brahmane entgegentrat. Als er nach langer Vorbereitung in der südindischen Stadt Madure erschien, glich er in nichts jenen Ordensbrüdern, die in zerlumpten Kutten durch das Land zogen, in den Spitälern die Beichte von Armen und Sklaven entgegennahmen und mit der Schelle durch Fischerdörfer eilten. Gleich den Hindus von hoher Kaste trug er ein langes Gewand aus gelblichem Leinen, einen Turban auf dem Haupt und hölzerne Sandalen an den Füßen.«
Der Mann gab sich so lange als perfekter Brahmane, bis die anderen ihn anerkannten und bereit waren, seine vorsichtig vorgetragenen christlichen Lehren anzuhören und sich schließlich
sogar taufen zu lassen. Dem Problem der Isolation begegnete der »jesuitische Brahmane«, indem er auch die Klasse der Yogis, der »Büßer«, unterwandern ließ, denn diese durften mit allen Kasten in Berührung kommen, ohne sich zu verunreinigen:
»Er schlug daher seinen Ordensbrüdern vor, es sollten von nun an zwei getrennte Gruppen von Missionaren geschaffen werden, von denen die eine als Brahmanen und die andere als Yogis aufzutreten hätte.«
Die Taktik erwies sich als wirksamer denn jede Form aggressiverMission:
»Als Nobili sein Arbeitsfeld verließ, gab es in diesen Gegenden bereits mehr als vierzigtausend bekehrte Eingeborene, unter ihnen eine große Zahl von Brahmanen«, so Fülöp-Miller.
Noch heute verzichtet der Orden »auf eine eigene Ordenskleidung, auf das Leben in Klöstern und auf das gemeinsame Chorgebet, um größere Flexibilität und ungehinderten Einsatz in den unterschiedlichsten Bereichen der Seelsorge zu ermöglichen«, heißt es im »Ökumenischen Heiligenlexikon« auf heiligenlexikon.de.
Kurz: Die Jesuiten verwandelten den Missionar alter Schule in einen Agenten, der sich anpasste und verkleidete, infiltrierte und unterwanderte, täuschte und trickste, Informationen sammelte (Spion) und Einfluss ausübte (Einflussagent).
Nach und nach eroberten die Jesuiten mit dieser Methode ganz Asien. Aber nicht nur Asien. Auf der ganzen Welt durchdrangen sie mit ihrem »jesuitischen Stil« ganze Gesellschaften und machten sich auch an königlichen Höfen unentbehrlich. Asiatischen Herrschern standen sie ebenso zur Seite wie europäischen. Und weil jeder Orden auch für Nachwuchs sorgen muss, gründeten die
Jesuiten auch Schulen und Universitäten, mit denen sie sich einerseits große Verdienste erwarben, andererseits aber auch ihre Macht und ihren Einfluss mehrten.