Desinformation Die „Schaffung eines Nebels von Verwirrung“, wie er durch den von oben verordneten Kampf gegen eine populistische Rhetorik und gegen fake news erzeugt wird, ist eine wirksame Methode.

Rainer Mausfeld

Die aktuellen „Dammbruch“-Empörungen zu Thüringen sind in weiten Teilen vorgeschoben, sagt Rainer Mausfeld. Denn rechte bis rechtsextreme Haltungen sind seit Beginn der Bundesrepublik in den Parteien der sogenannten Mitte fest verankert. Der Kampf der politischen Zentren der Macht gegen Rechts war und ist in Wahrheit immer ein Kampf gegen Links. Es ist beschämend, wie eilfertig weite Teile der Linken auf die ausgelegten Wortköder hereinfallen und Arm in Arm mit Merkel und Seehofer ihre Entschlossenheit im Kampf gegen Rechts bekunden – jeder wirklich Linke müsste es als eine Beleidigung empfinden, wenn ihn die Mächtigen zum Kampf gegen Rechts auffordern! Mit dieser Strategie hat es die neoliberale Mitte geschafft, die Linke in permanente Angst zu versetzen, als rechtsoffen zu erscheinen, und sie wichtiger Kernthemen beraubt. Doch in Thüringen wendet sich dies nun gegen die Politstrategen selbst.

Die heute als populistisch deklarierten politischen Erscheinungsformen lassen sich verstehen als eine Reaktion des Volkes auf die stete erlittene Verachtung durch die Eliten. Heftige Affekte, die aus der erfahrenen Verachtung resultieren, entladen sich nun mit populistischer Wucht und Unberechenbarkeit, oft auch in Formen, die mit dunkleren Seiten der menschlichen Natur verbunden sind. Diese Affekte sind oft als Abwehr gegen die eigenen Ohnmachtsgefühle zu verstehen und richten sich nun vor allem gegen die sozial Schwächsten. Ohnmachtsgefühle wurden und werden seit Jahrzehnten in systematischer Weise erzeugt, um das Volk von einer politischen Partizipation fernzuhalten. Das Aufblühen des sogenannten Rechtspopulismus ist also eine direkte Folge der vorhergegangenen Jahrzehnte neoliberaler Politik und Ideologie der Alternativlosigkeit und der damit verbundenen Entleerung des politischen Raumes. Zugleich sucht die neoliberale „Mitte“ den von ihr erst mit hervorgebrachten Rechtspopulismus für eine weitere Angsterzeugung zu nutzen, um sich durch eine solche Drohkulisse bei Wahlen zu stabilisieren.

Der von oben verkündete Kampf gegen den Rechtspopulismus verdeckt, wie groß tatsächlich die Gemeinsamkeiten sind mit dem, was es angeblich abzuwehren gilt. Dies betrifft sowohl die Form einer populistischen Rhetorik als auch die den Rechtspopulismus kennzeichnenden Aspekte rassistischer und kulturrassistischer Ressentiments.

Politik und Medien bedienen sich, wenn es darum geht, ihre politische Agenda zu vermitteln, seit jeher einer Form kommunikativer Mittel, durch die sich die adressierten Teile der Bevölkerung besonders wirksam mobilisieren lassen. Zu diesen Mitteln gehören insbesondere unzulässige und auf schnell aktivierbare Affekte zielende Vereinfachungen, wie sie für eine populistische Sprache charakteristisch sind. Ein Blick auf die Wahlplakate der vergangenen Jahrzehnte sollte genügen, um sich davon zu überzeugen, wie aufrichtig und entschlossen sich die Parteien um die Vermeidung populistischer Rhetorik und populistischer Komplexitätsreduktion bemühen.

Die alltägliche politische Sprache von Politikern und Journalisten geht jedoch in der Regel weit über traditionelle Formen populistischer Kommunikation hinaus. Diese politisch-journalistische Alltagssprache fällt in eine gänzlich andere Kategorie als in die Kategorie volkstümlicher Vereinfachungen und volkstümlicher Affektnähe. Sie fällt überhaupt nicht mehr in eine Kategorie rationaler Kommunikation, denn die Sprache hat hier alle argumentative Struktur eingebüßt. Sie dient gar nicht mehr einer möglichst rationalen Vermittlung von Überzeugungen und Gesichtspunkten, also argumentativen Bemühungen einer Objektivierung subjektiver Interessen, um auf diese Weise eine gemeinsame Basis zur Kommunikation über unterschiedliche Denkwelten bereitzustellen.

Vielmehr artikuliert sich in der von Politikern und Journalisten zumeist favorisierten Sprache ein tiefer Anti-Intellektualismus und mit ihm eine Geringschätzung, wenn nicht gar eine Verachtung für das Argument überhaupt. In derartigen Diskurssimulationen, wie sie die Medien tagtäglich inszenieren, gibt es nichts mehr, das sich durch Argumente oder empirische Befunde widerlegen ließe. Jeder Widerlegungsversuch würde nur ein neues Rauschen an Wörtern hervorrufen, bei denen längst die Frage bedeutungslos geworden ist, was sie und ob sie überhaupt etwas bedeuten. […]

Zugleich dient die durch eine Verwendung bedeutungsleerer, doch effektstarker Worthülsen hervorgebrachte politische Diskursvermüllung – der gegenüber sich jedes altmodische Reden über fake news nur noch als lächerlich erweist – einem weitergehenden machtstrategischen Ziel. Es geht nämlich um das machtstrategisch sehr viel tiefere psychotechnische Ziel, bei der Bevölkerung – in Hannah Arendts Worten – grundsätzlich die Befähigung zu blockieren oder zu zerstören, überhaupt irgendwelche Überzeugungen ausbilden zu können. Der US-amerikanische Medienwissenschaftler Neil Postman hat 1985 in seinem Klassiker Wir amüsieren uns zu Tode prägnant aufgezeigt, mit welchen Mitteln die Massenmedien dazu beitragen, grundsätzlich die Befähigung zur Ausbildung politischer Überzeugungen zu unterminieren. „Wir stehen hier vor der Tatsache, dass das Fernsehen die Bedeutung von ‚Informiertsein‘ verändert, indem es eine neue Spielart von Information hervorbringt, die man besser als Desinformation bezeichnen sollte. […] Desinformation ist nicht dasselbe wie Falschinformation. Desinformation bedeutet irreführende Information – unangebrachte, irrelevante, bruchstückhafte oder oberflächliche Information -, Information, die vortäuscht, man wisse etwas, während sie einen in Wirklichkeit vom Wissen weglockt.“

Die gegenwärtigen Formen politischer Kommunikation sind also keineswegs neue Entwicklungen, sondern nur konsequente Steigerungen der politischen Funktionen von Massenmedien in „kapitalistischen Demokratien“. Bereits 1956 hatte Günther Anders in seinem kulturkritischen Werk Die Antiquiertheit des Menschen aufgezeigt, dass das Fernsehen seine Nutzer – „vereinzelte Masseneremiten“ – dazu verführt, ein medial vermitteltes Zerrbild für die Realität zu halten. Wenn sich das Geschehen der Welt nur noch als medial „arrangiertes Schauspiel abspielt“, wird „ausdrückliche Ideologie überflüssig“: „Wo sich die Lüge wahrlügt, ist ausdrückliche Lüge überflüssig.“

Für die Stabilisierung der sich im Neoliberalismus herausgebildeten Machtverhältnisse ist ein Verfall des öffentlichen politischen Diskurses von enormen Vorteil. Da sich das Spannungsverhältnis von Kapitalismus und Demokratie in der neoliberalen Extremform des Kapitalismus nicht mehr durch bewährte orwell‘sche Strategien einer Meinungsmanipulation verdecken lässt, ist der Neoliberalismus darauf angewiesen, dass die Befähigung blockiert wird, überhaupt noch irgendwelche Überzeugungen ausbilden zu können. Auf diese Weise lässt sich der gesamte politische Raum entleeren und somit der Demokratie ein für alle Mal das Fundament entziehen. Die „Schaffung eines Nebels von Verwirrung“, wie er auch durch den von oben verordneten Kampf gegen eine populistische Rhetorik und gegen fake news erzeugt wird, ist eine wirksame Methode, dies zu erreichen.

Zum zweiten Aspekt: Die permanente Erzeugung von Rassismus ist historisch tief in unserer Gesellschaft angelegt. Der westliche Kapitalismus erzeugt strukturell rassistische Mechanismen von Ausgrenzung, sei es kulturell oder Klassenrassismus – er ist, in den Worten von Immanuel Wallerstein, angewiesen auf einen „konstanten, bezüglich der Grenzziehungen aber einigermaßen flexiblen Rassismus“. Insbesondere kann der globalisierte Kapitalismus nur rassistisch sein, weil er extreme Ungleichheit rechtfertigen muss.

Dieser mit dem Kapitalismus eng verwobene Rassismus hat zwar unter dem Druck einer stärker sensibilisierten Öffentlich sein äußeres Erscheinungsbild geändert, wird jedoch unter dieser dünnen Decke regelmäßig wieder sichtbar, sei es in roher Form oder in den mannigfaltigen indirekten Formen des politischen Umgangs mit Entwicklungsländern. Für die rohen Formen sei hier nur an die Hetze gegen „Asylanten und Scheinasylanten“ zur Zeit des sogenannten Asylkompromisses Anfang der 1990er Jahre erinnert, die rassistische Ausschreitungen in Hünxe 1991, in Hoyerswerda 1991, in Mölln 1992, in Rostock-Lichtenhagen 1992 und in Solingen 1993 zur Folge hatten. Damals erklärte der damalige SPD-Vorsitzende Björn Engholm „Asylanten“ zu einer „Existenzfrage für die Bundesrepublik“ (WELT, 3.8.1991) und Wolfgang Schäuble forderte, „Asylantenflut stoppen“ (WELT, 8.8.1991). Beispiele gibt es zur Genüge, die illustrieren, wie Politiker systematisch Angst durch rassistische Sprachbilder erzeugen, sei durch Warnung vor einer „Asylantenschwemme“, vor „Ausländischen Sozialschmarotzer“ (Edmund Stoiber, 2006) oder „Asyltouristen“ (Markus Söder, 2018), durch die unser Untergang drohe und die nur mit äußersten Mitteln abgewehrt werden könnten. Dies sind keine rassistischen Ausrutscher, sondern Artikulationen einer Haltung, die tief verwurzelt ist.

Der von oben verordnete Kampf gegen den Rechtspopulismus ist also heuchlerisch, da Rassismus und Nationalismus tief im Denken der politischen Kaste verankert sind. Rechtspopulistische Formen politischer Kommunikation wie auch inhaltliche Positionen rechtspopulistischer Strömungen, vor allem kulturrassistische wie auch autoritäre Positionen, finden sich auch in breiten Teilen des politischen Spektrums. Der von oben verordnete Kampf gegen den Rechtspopulismus dient wesentlich zur Erzeugung von Angst, die sich dann – vor allem bei Wahlen – für politische Belange einer Stabilitätssicherung herrschender politischer Gruppierungen nutzen lässt.