1956: Der Nachkriegsboom Die Gewährung von Krediten wurde an Bedingungen geknüpft, die weit über die Festlegung von Laufzeiten und Zinsätzen hinausgingen.
Der IWF wirft sein Netz aus
Ivar Rooth (1888–1972)
Die Nachkriegsjahre waren von einem – in Deutschland als »Wirtschaftswunder« bezeichneten – rasanten wirtschaftlichen Aufschwung der führenden Industrienationen gekennzeichnet, in dessen Verlauf die Kreditvergabe durch den IWF nur eine untergeordnete Rolle spielte. Von 1947 bis 1948 beanspruchten ganze elf Länder seine Gelder, 1950 wurden gar keine Kredite angefordert und auch in den folgenden Jahren nur sehr wenige. Das heißt aber nicht, dass man in der Washingtoner Zentrale des IWF untätig war. Ganz im Gegenteil: Unter der Leitung des zweiten IWF-Chefs Ivar Rooth, eines ehemaligen Gouverneurs der Schwedischen Zentralbank und Ex-Direktors der Basler Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) (5), setzte eine Entwicklung ein, die in der späteren Geschichte der Organisation eine herausragende Bedeutung gewinnen sollte – die Bindung der Kreditvergabe an Bedingungen.
Harry Dexter White hatte bereits auf der Bretton-Woods-Konferenz einen Vorschlag in dieser Richtung gemacht, war aber am Widerstand der Briten gescheitert. Inzwischen hatte sich Großbritanniens Lage jedoch weiter verschlechtert. Ehemalige Kolonien, vor allem in Afrika, kämpften um ihre Unabhängigkeit und im Nahen Osten zeichnete sich die Suezkrise (6) ab – eine günstige Gelegenheit für die USA, die eigenen Interessen im IWF noch stärker durchzusetzen.
Mit den Stand-by-Arrangements (Bereitschaftskrediten), deren Regelungen nach der Niederlage der Briten im Suez-Konflikt und der Zunahme von Spannungen im britisch-amerikanischen Verhältnis noch weiter verschärft wurden, hielt das Prinzip der »Konditionalität« im IWF Einzug. D. h. die Gewährung von Krediten wurde an Bedingungen geknüpft, die weit über die Festlegung von Laufzeiten und Zinsätzen hinausgingen.
Bei der Durchsetzung dieser Regelung arbeiteten die Strategen des IWF mit einer geschickten Täuschung der Öffentlichkeit. Ab 1958 wurden die Regierungen von Schuldnerstaaten verpflichtet, mit einem »Letter of Intent« eine Absichtserklärung zu verfassen, mit der sie sich zu »angemessenen Bemühungen« bereiterklärten, um ihre Zahlungsbilanzprobleme in den Griff zu bekommen. Auf diese Weise entstand nach außen der Eindruck, das jeweilige Land habe dem IWF die Maßnahmen vorgeschlagen, die er in Wirklichkeit selbst einforderte.
Doch selbst das ging dem IWF noch nicht weit genug. So erfolgte die Auszahlung des Kredites nur noch in Etappen (»Phasing«) und war damit an das Wohlverhalten des Schuldnerlandes gebunden. Außerdem bestand (und besteht) der IWF darauf, dass Abkommen zwischen ihm und seinen Schuldnern nicht als internationale Verträge gelten und deshalb nicht parlamentarisch abgesegnet werden müssen. Schließlich verfügte er, dass sie darüber hinaus nicht für die Augen der Öffentlichkeit bestimmt, sondern als Geheimsache zu behandeln sind – eine Regelung, die ebenfalls heute noch gilt.
Die Konditionalität sollte im Verlauf der Geschichte des IWF ständig gesteigert und verschärft werden und sich als entscheidender Mechanismus für die immer größere Fremdbestimmung der betroffenen Länder erweisen. Außerdem trug sie durch eine Art von Hebelwirkung entscheidend zum Machtzuwachs des IWF bei, denn die Weltbank, die meisten Regierungen und die überwiegende Mehrzahl internationaler kommerzieller Banken gewährten von nun an nur noch solchen Ländern Kredite, denen der IWF – auf Grund der Erfüllung der Kriterien – sein »Gütesiegel« verpasste.
1956 fand in Paris ein Treffen statt, das für die spätere Entwicklung des IWF richtungsweisende Bedeutung gewinnen sollte. Argentinien hatte Probleme, einen Kredit zurückzuzahlen, und musste sich mit seinen Gläubigerländern und Vertretern des IWF zusammensetzen, um sich neue Bedingungen diktieren zu lassen. Das Treffen fand in den Amtsräumen und unter Vorsitz des damaligen französischen Finanzministers Pierre Pflimlin statt und blieb nicht das einzige seiner Art. In den kommenden Jahren wurden am selben Ort des Öfteren Treffen zwischen IWF-Repräsentanten, Gläubigern und Schuldnern abgehalten, aus denen sich nach und nach eine feste allmonatliche Zusammenkunft von IWF und staatlichen Gläubigern entwickelte, die als »Pariser Club« bekannt geworden ist und in deren »informellem« Rahmen überaus wichtige Entscheidungen getroffen wurden und werden – abseits von Parlamenten und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Schon bald erkannten auch die kommerziellen Banken in aller Welt die Bedeutung dieses Treffens, zogen nach und hielten (und halten auch heute noch) zeitgleich mit dem Pariser Club Treffen ihres »Londoner Clubs« ab.
Von der Weltöffentlichkeit kaum beachtet, wandte sich der IWF in der Folgezeit einem Betätigungsfeld zu, das ihm innerhalb kurzer Zeit zu einem gewaltigen Machtschub verhelfen sollte. Die Welle von Unabhängigkeitserklärungen afrikanischer Staaten Anfang der sechziger Jahre (7) führte dazu, dass Länder, die jahrzehntelang durch den Kolonialismus ausgeplündert worden waren und wirtschaftlich am Boden lagen, nun unter veränderten Bedingungen ihren Platz in der Welt und vor allem in der Weltwirtschaft finden mussten. Dazu brauchten ihre Regierungen – Geld. Da die meisten dieser Länder den kommerziellen Banken aber wegen sozialer Spannungen, politischer Unruhen und kaum vorhandener Infrastruktur zu wenig Sicherheit boten, nutzte der IWF die Gunst der Stunde und diente sich ihnen als Gläubiger an.
Zwar waren die afrikanischen Länder durchweg so arm, dass ihnen nur relativ bescheidene Summen zugebilligt wurden, aber auch diese hatten Folgen. Die Fälligkeit von Zins- und Tilgungszahlungen sorgte mit unerbittlicher Regelmäßigkeit dafür, dass sich die gerade der Kolonialabhängigkeit entkommenen Staaten übergangslos in einem neuen Netz von Abhängigkeit verfingen – der finanziellen Abhängigkeit vom IWF.
Da die Gewährung eines Kredites die Mitgliedschaft des Schuldners im IWF voraussetzte, schlossen sich der Organisation, zu deren Gründungsmitgliedern nur drei afrikanische Staaten – Ägypten, Äthiopien und Südafrika – gehört hatten, zwischen 1957 und 1969 mehr als vierzig weitere an. 1969 waren 44 von 115 Mitgliedern afrikanisch. Obwohl ihr Anteil an der Gesamtorganisation damit über einem Drittel lag, betrug ihr Stimmrecht im selben Jahr unter fünf Prozent.
- (5) Dachorganisation der nationalen Notenbanken
- (6) Nach der Verstaatlichung des Suezkanals durch Ägypten griffen Großbritannien und Frankreich, unterstützt von Israel, militärisch ein, wurden aber durch die USA und die Sowjetunion zum Waffenstillstand gezwungen.
- (7) 1960 wird das »afrikanische Jahr« genannt, weil allein in diesem Jahr 18 ehemalige Kolonien (14 französische, zwei britische, je eine belgische und italienische) ihre Unabhängigkeit erklärten.