1948/06: Sechsmächte-Konferenz in London - Weichen für einen westdeutschen Teilstaat Ein kurzer Überblick zur Entstehung der Bundesrepublik Deutschland.
Im Juni 1948 werden auf der Sechsmächte-Konferenz in London die Weichen für einen westdeutschen Teilstaat gestellt. Knapp ein Jahr später tritt am 24. Mai 1949 das Grundgesetz in Kraft: Die Bundesrepublik Deutschland ist geboren. Manfred Görtemaker fasst die Ereignisse kurz zusammen.
Ausgangspunkt der Einrichtung des Parlamentarischen Rates, der 1948/49 das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland erarbeitete, war eine Sechs-Mächte-Konferenz der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der drei Benelux-Länder, die vom 23. Februar bis 2. Juni 1948 in London stattfand. Die dort verabschiedeten „Londoner Empfehlungen“ enthielten den Auftrag an die drei westlichen Militärgouverneure in Deutschland, die Ministerpräsidenten der elf westdeutschen Länder zu ermächtigen, eine „Verfassungsgebende Versammlung“ einzuberufen, um die Gründung eines westdeutschen Staates mit „einer freien und demokratischen Regierungsform“ vorzubereiten. Dem deutschen Volk sollte allmählich die „volle Regierungsverantwortung“ übertragen werden – allerdings mit der Einschränkung, dass die Alliierten sich eine internationale Kontrolle der Ruhr vorbehielten und die Errichtung einer Sicherheitsbehörde vorsahen, um notfalls militärisch eingreifen zu können, falls sich die Lage in Deutschland erneut zuspitzen sollte.
Der Weg zum Grundgesetz
Hintergrund dieser Entwicklung war der Kalte Krieg zwischen Ost und West, der eine gemeinsame Deutschlandpolitik der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges unmöglich gemacht hatte. In Verbindung mit einer Währungsreform und der Beteiligung Westdeutschlands am Marshall-Plan sollte die Gründung eines westdeutschen Staates nun dazu beitragen, die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Nachkriegsdeutschland zu stabilisieren. Dies war vor allem nach Auffassung der USA erforderlich, um den Boden für eine freiheitlich-demokratische Entwicklung zu bereiten und eine Radikalisierung der politischen Kräfte in Deutschland zu verhindern, die nach dem Ersten Weltkrieg die Weimarer Demokratie zerstört und den Aufstieg Hitlers ermöglicht hatte.
In Ausführung der Londoner Empfehlungen übergaben die Militärgouverneure der drei Westmächte – Lucius D. Clay (USA), Sir Brian Robertson (Großbritannien) und Pierre Koenig (Frankreich) – den westdeutschen Ministerpräsidenten am 1. Juli 1948 in Frankfurt am Main drei Dokumente, die das weitere Vorgehen festlegten:
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die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung spätestens zum 1. September 1948 mit dem Ziel, eine Verfassung für den zu gründenden Weststaat auszuarbeiten;
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die Überprüfung der Ländergrenzen durch die Regierungen der westdeutschen Länder und gegebenenfalls die Einreichung von Änderungsvorschlägen;
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die Verabschiedung eines Besatzungsstatuts durch die Alliierten, das die Beziehungen der Drei Mächte zu einer künftigen deutschen Regierung regeln sollte.
Erste Schritte auf dem Weg zu einer Verfassung
Über diese „Frankfurter Dokumente“ wurde vom 8. bis 10. Juli 1948 im Koblenzer Hotel Rittersturz von den Ministerpräsidenten beraten, die sich zunächst weigerten, den Forderungen der Alliierten zu entsprechen. Man befürchtete, dass die Errichtung eines westdeutschen Staates die deutsche Teilung vertiefen werde, und lehnte vor allem das Besatzungsstatut ab, das mit einer freiheitlichen Verfassung und der Gründung eines neuen, unabhängigen Staates unvereinbar schien. Wenn es überhaupt einen solchen Staat geben müsse, dann dürfe dieser nur ein „Provisorium“ sein. Schon in der Namensgebung solle dies zum Ausdruck kommen. Der Hamburger Bürgermeister Max Brauer regte daher an, die Verfassung „Grundgesetz“ zu nennen. Und die Versammlung zur Ausarbeitung dieses Grundgesetzes sollte nicht „Nationalversammlung“, sondern „Parlamentarischer Rat“ heißen. Der stellvertretende Staatspräsident von Württemberg-Hohenzollern, Carlo Schmid, erklärte sogar, dass es sich bei der neuen Verfassung nicht um „die Verfassung für einen Staat in Westdeutschland“, sondern lediglich um „ein Organisationsstatut für ein die drei Zonen umfassendes Verwaltungsgebiet Westdeutschland“ handeln solle.
Für die Westmächte war derartige Vorstellungen unannehmbar. Sie beharrten auf ihrer Forderung nach einem funktionsfähigen Staat und einer regulären, im Rahmen des Besatzungsrechts mit allen Hoheitscharakteren ausgestatteten Verfassung. Die Ministerpräsidenten waren somit gezwungen, erneut zu beraten und trafen sich am 21./22. Juli zu einer zweiten Besprechungsrunde im Jagdschloss Niederwald bei Rüdesheim. Die Grundforderung der Alliierten, dass das neue Gebilde ein „Staat“ und nicht nur ein „Verwaltungsgebiet“ sein müsse, wurde jetzt nicht mehr in Frage gestellt. Jedoch beharrte man darauf, dass der Provisoriumscharakter des neuen Staates durch eine entsprechende Namensgebung zum Ausdruck kommen müsse. Dem stimmten schließlich auch die Alliierten zu, obwohl ihre Bedenken keineswegs ausgeräumt waren.
Die Regierungen der elf westdeutschen Länder beriefen danach einen vorbereitenden Verfassungskonvent ein, der vom 10. bis 23. August 1948 auf Schloss Herrenchiemsee tagte. Innerhalb von zwei Wochen entwarfen die Bevollmächtigten, die nicht nach Parteizugehörigkeit, sondern nach ihrer Sachkompetenz ausgewählt worden waren, Richtlinien für das Grundgesetz eines „Bundes Deutscher Länder“ auf föderalistischer und liberaler Grundlage. Ihr Abschlussbericht, der 95 Druckseiten umfasste, bildete die Basis für die Beratungen des Parlamentarischen Rates, der sich am 1. September 1948 mit einem Festakt im Lichthof des Museum Koenig in Bonn feierlich konstituierte. Die eigentliche Eröffnungssitzung fand anschließend in der Pädagogischen Akademie statt.
Die verfassungsgebende Versammlung
Der Parlamentarische Rat bestand aus 65 Abgeordneten, die von den elf westdeutschen Landtagen gewählt worden waren. CDU/CSU und SPD stellen je 27 Abgeordnete, die FDP fünf, DP, KPD und Zentrum je zwei Delegierte. Zum Präsidenten des Parlamentarischen Rates wurde Konrad Adenauer (CDU) gewählt. Ihm zur Seite standen zwei Vizepräsidenten: Adolph Schönfelder (SPD) und Hermann Schäfer (FDP). Vorsitzender des Hauptausschusses, dem maßgebliche Bedeutung bei der Textgestaltung zukam, wurde Carlo Schmid (SPD). Der in der 1. Sitzung eingebrachte Antrag des kommunistischen Abgeordneten Max Reimann, die Beratungen einzustellen und den Siegermächten gemeinsam mit dem Ost-Berliner „Deutschen Volksrat“ die Bildung einer „Deutschen Demokratischen Republik“ vorzuschlagen, wurde nur von den beiden KPD-Abgeordneten unterstützt, von allen anderen jedoch verworfen.
Inhaltlich lehnte sich der Parlamentarische Rat eng an den Herrenchiemseer Entwurf an, in dem die Umrisse des späteren Grundgesetzes bereits deutlich erkennbar waren. Selbst die Benennung der Bundesorgane durch den Herrenchiemseer Konvent (Bundestag, Bundesrat, Bundespräsident, Bundesregierung, Bundesverfassungsgericht) konnte vom Parlamentarischen Rat problemlos übernommen werden. Dies galt ebenso für bestimmte Neuerungen gegenüber der Weimarer Verfassung, die die Stabilität der zweiten deutschen Republik erhöhen sollten: den nahezu vollständigen Verzicht auf plebiszitäre Elemente; die Stärkung des Parlaments und des Bundeskanzlers gegenüber dem (weitgehend entmachteten) Bundespräsidenten; die Einführung des „konstruktiven Misstrauensvotums“ (Artikel 67 GG), demzufolge ein amtierender Bundeskanzler vom Bundestag nur dann gestürzt werden kann, wenn zugleich ein neuer Kanzler gewählt wird; sowie die Formulierung des Grundsatzes der „streitbaren Demokratie“, wonach die Demokratie bereit und in der Lage sein muss, sich gegen ihre Feinde zur Wehr zu setzen.
Strittig blieb dagegen bis zum Schluss die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Dies galt vor allem für die Finanzfrage. Die extremen Föderalisten, darunter große Teile von CDU und CSU, wollten den Ländern mehr Einfluss zuerkennen. SPD und FDP dagegen forderten eine starke Bundesgewalt mit weitreichenden Steuererhebungskompetenzen und einem Finanzausgleich zwischen den Ländern. Nach Vermittlungsbemühungen des Ratspräsidenten Adenauer, der sich gegen erhebliche Widerstände in seiner eigenen Partei und auch bei den Militärgouverneuren, die ebenfalls den Föderalismus zu stärken suchten, behaupten musste, setzten sich am Ende die Vorstellungen von SPD und FDP weitgehend durch.
Inkrafttreten des neuen Grundgesetzes
Am 8. Mai 1949 wurde das Grundgesetz vom Parlamentarischen Rat mit 53 gegen 12 Stimmen in 3. Lesung gebilligt. Die Gegenstimmen kamen von den Abgeordneten des Zentrums, der DP und der KPD. Aber auch sechs der 13 CSU-Vertreter lehnten das Grundgesetz ab, das ihrer Meinung nach den Föderalismus nicht ausreichend stärkte und sich nicht eindeutig genug zur christlichen Soziallehre bekannte. Nachdem das Gesetzeswerk am 12. Mai von den Militärgouverneuren der drei Westmächte genehmigt und von 10 der 11 Landtage (außer Bayern) gebilligt worden war, wurde es am 23. Mai 1949 vom Parlamentarischen Rat verkündet und trat am folgenden Tag in Kraft.
Zuvor hatte der Parlamentarische Rat am 10. Mai auch über die Hauptstadtfrage entschieden. Mit 33 Stimmen wurde Bonn zur „vorläufigen Bundeshauptstadt“ gewählt; 29 Abgeordnete votierten für Frankfurt am Main, das als Ort der Paulskirche eine große demokratische Tradition besaß. Die Gründe für die Entscheidung waren vielfältig. Für Bonn sprach vor allem die Tatsache, dass dadurch der Provisoriumscharakter der neuen Republik betont wurde, während ihr bei einer Wahl Frankfurts von vornherein ein größeres Maß an Kontinuität und Dauerhaftigkeit unterstellt worden wäre.
Nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes fanden am 14. August 1949 die Wahlen zum 1. Bundestag statt, der sich am 7. September 1949 – gemeinsam mit dem Bundesrat – in Bonn konstituierte. Die erste Bundesversammlung wählte am 12. September Theodor Heuss zum Bundespräsidenten, der Bundestag am 15. September Konrad Adenauer zum ersten Bundeskanzler. Die Alliierten setzten ihrerseits am 21. September das Besatzungsstatut in Kraft, aus dem sich wesentliche Einschränkungen der Souveränität des neuen Staates ergaben; vier Jahre nach Kriegsende war das Misstrauen in die demokratische Verlässlichkeit der Deutschen immer noch groß. Die Rechtsordnung der Bundesrepublik – einschließlich des Grundgesetzes – wurde damit vom Besatzungsrecht überlagert, und Bundeskanzler Adenauer verwandte in den kommenden Jahren viel Zeit darauf, die Souveränität der Bundesrepublik schrittweise zu erweitern.
Die Entwicklung im Bereich der sowjetischen Besatzungszone
In der sowjetischen Besatzungszone reagierte man auf die Gründung der Bundesrepublik am 7. Oktober 1949 mit der Errichtung der Deutschen Demokratischen Republik. Wilhelm Pieck wurde ihr erster Präsident, Otto Grotewohl ihr erster Ministerpräsident. Vorausgegangen waren seit Dezember 1947 Bemühungen des „Deutschen Volkskongresses für Einheit und gerechten Frieden“,
die Gründung eines separaten Weststaates zu verhindern und den Weg für ein gemeinsames Deutschland offen zu halten. Diesem Ziel sollte auch die Wahl eines „Deutschen Volksrates“ durch den Volkskongress am 17./18. März 1948 dienen, der am 14. November 1948 einen Verfassungsentwurf für eine deutsche demokratische Republik in ganz Deutschland vorlegte.
Dieses ostdeutsche Vorgehen war eng mit der Sowjetunion abgestimmt, die von Juni 1948 bis Mai 1949 sogar die Zugangswege nach West-Berlin blockieren ließ („Berliner Blockade“), um Druck auf die Westmächte auszuüben und damit die Gründung des westdeutschen Staates zu verhindern. Von einem Offenhalten der „deutschen Frage“ versprach sich die UdSSR nicht nur Reparationslieferungen aus dem Ruhrgebiet, sondern auch eine Mitentscheidung über die weitere politische Entwicklung in Westdeutschland. Erst als mit der Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 die Weichen eindeutig gestellt waren, gab die Sowjetunion diese Linie ihrer Politik auf und ließ ihrerseits durch den 3. Deutschen Volkskongress in Ost-Berlin am 29./30. Mai 1949 einen Verfassungsentwurf für die Deutsche Demokratische Republik beschließen. Diese Verfassung, die den Boden für die Gründung der DDR auf dem Territorium der SBZ bereitete, wies nur vordergründig demokratische Strukturen auf. In Wirklichkeit war der neue Staat in Ostdeutschland ganz der Kontrolle der SED und ihrer sowjetischen Verbündeten unterworfen. Von der Entwicklung einer pluralistischen Demokratie im westlichen Sinne, wie sie in der Bundesrepublik entstanden war, konnte hier deshalb bis zum Ende der DDR 1989/90 keine Rede sein.