Neue Glaubenssätze und ein neues Lebensgefühl

Wenn Klientinnen und Klienten ihre alten Glaubenssätze und Überzeugungen auflösen, dann stellt sich manchmal eine gewisse Verunsicherung ein, die sich in der Frage ausdrückt: Wer bin ich denn, wenn nicht das Schattenkind? Die alten Prägungen stifteten schließlich bislang einen Teil ihrer Identität. Insbesondere überangepasste Menschen, die naturgemäß einen schlechten Kontakt zu ihren Gefühlen haben, können bezüglich der »wahren Natur« ihrer eigenen Bedürfnisse und Eigenschaften ins Schwimmen geraten, wenn sie sich von ihrer alten Prägung verabschieden.

Aus diesem Grunde habe ich der Metapher des Schattenkindes jene des Sonnenkindes entgegengesetzt. Dieses repräsentiert die gesunden Prägungen der Persönlichkeit, die persönlichen Stärken und Ressourcen, positive Glaubenssätze und konstruktive Verhaltensweisen.

Wichtig ist, dass die Klientinnen und Klienten ihre dysfunktionalen in funktionale Glaubenssätze verwandeln. So kann aus einem »Ich genüge nicht« ein »Ich genüge« werden. Wenn das als zu hoch gegriffen erscheint, kann der Glaubenssatz modifiziert werden, beispielsweise so: »Ich genüge meinen Freunden« oder »Ich genüge meiner Chefin«. Damit die neuen Glaubenssätze eine Veränderung im Denken und Fühlen bewirken, gilt die Regel: Sie müssen annehmbar sein. Zumindest muss der Klient, die Klientin ihnen verstandesmäßig zustimmen, selbst wenn er/sie den Wahrheitsgehalt noch nicht fühlen kann. Wie bereits gesagt, ist eine ganz klare kognitive Repräsentation sehr hilfreich für die Veränderung des emotionalen Erlebens.

Wenn die Klientin beispielsweise einen Glaubenssatz aufweist, der lautet: »Ich bin hässlich«, dann würde es ihr nichts nützen, wenn sie ihn in ein »Ich bin schön« transformierte. Damit könnte sie sich nicht identifizieren. Der Schritt wäre zu groß und der neue Glaubenssatz damit nicht annehmbar. Wir können uns nicht eine neue Identität einreden, aber wir können unsere Identität modifizieren. Der Glaubenssatz »Ich bin schön genug!« wäre eine solche Modifizierung. Dieser Glaubenssatz ist für die meisten Betroffenen gut annehmbar, zumal er auch humorig ist.

Eine weitere Regel für die Konstruktion neuer Glaubenssätze ist, dass sie realistisch sein sollten. Manche Menschen möchten sich beispielsweise mit dem neuen Glaubenssatz »Ich kann alles schaffen« motivieren, aber das ist nicht realistisch. Es gibt Grenzen der Machbarkeit für jeden Menschen, und leider können wir nicht alles schaffen. »Ich kann vieles schaffen« könnte hingegen eine realistische Vorstellung sein. Entsprechend sollten auch narzisstische Überkompensierungen vermieden werden, wie »Ich bin die Größte« oder »Ich bin der Beste«. Eine Übertreibung in die andere Richtung verändert nur das Problem des Klienten, aber löst es nicht.

Hilfreich ist, wenn die neuen Glaubenssätze keine Verneinung aufweisen. Der weit verbreitete Glaubenssatz »Ich bin schuld« wäre hierfür ein gutes Beispiel. »Ich bin nicht schuld« ist psychologisch keine gute Umkehrung, weil das Wort Schuld darin steckt und deswegen im Bewusstsein der Klienten präsent bleibt. Menschen, die sich chronisch schuldig fühlen, haben sich als Kinder für die Stimmung und das Verhalten ihrer Eltern verantwortlich gefühlt. Deswegen haben sie sich den elterlichen Erwartungen überangepasst und entsprechend schlechte Abgrenzungsfähigkeiten erworben. »Ich darf mich abgrenzen« ist deswegen für viele Betroffene ein hilfreicher neuer Glaubenssatz.

Beispiele für positive Glaubenssätze sind: Ich genüge. Ich bin wertvoll (oder liebenswert). Ich darf meine Gefühle fühlen. Ich darf Fehler machen. Ich befinde mich mit meinen Mitmenschen auf Augenhöhe. Ich bin wichtig (für meine Kinder/Freunde/Kollegen). Ich darf mich wehren. Ich darf ich sein. Ich kann mich jederzeit verbinden (anstatt: Ich bin allein). Ich darf mir Hilfe suchen (anstatt: Ich muss es allein schaffen). Ich bin willkommen. Ich darf leben.

Ich werde nicht müde, es zu betonen: Es ist beim Erlernen neuer mentaler Repräsentationen sehr wichtig, wie beim Lernen allgemein, dass die Inhalte wiederholt und idealerweise an positive Emotionen geknüpft werden. Meditationen und Imaginationstechniken sind hilfreich, um die neuen Inhalte tiefer im Bewusstsein der Betroffenen zu verankern. Kleine Vorstellungsübungen wie die folgende können da bereits helfen:

LIEBLINGSSITUATIONEN IMAGINIEREN

Stellen Sie sich bitte eine Situation vor, in der diese neuen Glaubenssätze bereits wahr sind. Eine Lieblingssituation sozusagen. Sei es, wenn Sie mit Ihrem Hund im Wald spazieren. Sei es, dass Sie mit Ihrer Familie einen Tag am Strand verbringen oder einfach mit Ihren Freunden in geselliger Runde sitzen. Imaginieren Sie eine Situation, in der es Ihnen rundum gut geht. Falls Sie sich so belastet fühlen, dass Ihnen keine Situation einfällt, dann nehmen Sie Ihre Fantasie zu Hilfe und malen sich eine Situation aus, in der es Ihnen richtig gut ginge. Tauchen Sie tief in die Situation ein und geben Sie den guten Gefühlen, verknüpft mit ihren neuen Glaubenssätzen, innerlich Raum.

Diese Übung kann man auch noch weiter ausbauen und hierbei in der Vorstellung gezielt alle Sinne mit einbeziehen, was zu einer noch tieferen Verarbeitung führt. Beispielsweise so:

EINTAUCHEN MIT ALLEN SINNEN

Nun tauchen Sie bitte in diese Situation mit all Ihren Sinnen (in Ihrer Vorstellung) ein. Sehen Sie sich dort um, hören Sie …, schmecken/riechen Sie …, fühlen Sie taktil, also mit den Händen, Füßen, dem Körper, und schließlich fühlen Sie emotional, wie gut es Ihnen dort geht, wie schön das Leben sein kann. Geben Sie diesem Gefühl ganz viel Raum in Ihrem Inneren. Atmen Sie tief ein und aus.

Jetzt denken Sie bitte an Ihre Stärken: Was können Sie alles gut, worauf dürfen Sie stolz sein? Sind Sie vielleicht kreativ, intelligent, ehrlich, loyal, fleißig, sportlich, handwerklich geschickt, witzig, gut aussehend – was haben Sie gut drauf? Was mögen Ihre Freunde und Freundinnen an Ihnen? Bitte spüren Sie Ihre Stärken, lassen Sie diese durch Ihren ganzen Körper strömen.

Nun stellen Sie sich bitte vor, Ihr Lieblingsmensch stünde hinter Ihnen und legte ganz liebevoll seine Hände auf Ihre Schultern. Ihr Lieblingsmensch flüstert Ihnen jetzt Ihre neuen Glaubenssätze ins Ohr. Falls Sie zu keinem Menschen ein ungestörtes Verhältnis haben, so können Sie sich auch gern ein Fantasiewesen vorstellen. Fühlen Sie Ihre neuen Glaubenssätze, lassen Sie sie durch Ihren ganzen Körper strömen.

Derartige Imaginationsübungen sind für die Klientinnen und Klienten leicht in ihren Alltag zu integrieren. Am effektivsten sind sie bei regelmäßiger, am besten täglicher Anwendung. Zudem können sie auch zum schnellen Auftanken in stressbeladenen Alltagssituationen dienen, indem man innerlich kurz einmal in ein Vorstellungsbild eintaucht.

Die Imagination, die ein Mensch wählt, kann man als dessen persönliche Kraftquelle bezeichnen. Er oder sie sollte sie so oft wie möglich in seinen Alltag einbauen. Ich habe diese kleine Übung während meiner Ausbildung zum Neurolinguistischen Programmieren (NLP ) erlernt. Einige Techniken aus dem NLP verwende ich in meiner Arbeit bis heute ganz gern.

Kleiner Exkurs: Neurolinguistisches Programmieren

Das Neurolinguistische Programmieren, kurz NLP, wurde bereits in den 1970er Jahren an der University of California in Santa Cruz von einigen namhaften Psychotherapeuten und Linguisten entwickelt; dazu gehören beispielsweise die US-Amerikaner Richard Bandler und John Grinder. NLP ist ein Motivations- und Kommunikationsmodell, es ist ein Vorreiter der Neuropsychologischen Psychotherapie. Beim Neurolinguistischen Programmieren werden gesprächs-, verhaltens-, hypno- und körperorientierte Ansätze zusammengeführt.

»Neuro« steht für das Nervensystem, das wir brauchen, um Informationen aus der Umwelt mittels unserer Sinnesorgane aufzunehmen und dann zu verarbeiten. »Linguistik« nimmt Bezug auf die Sprache, die wir benutzen, um mit anderen Menschen zu kommunizieren. Wir kommunizieren aber auch innerlich mit uns selbst. Unsere Worte und Sätze prägen unsere innere Wirklichkeit. »Programmieren« steht für die zielgerichtete Veränderung unseres Systems.

NLP fördert die Selbstreflexion, hilft, zielorientierte Lösungsansätze zu finden. Unser Denken, Fühlen und Verhalten (Neuro) wird mittels Sprache (Linguistik) systematisch verändert (programmiert). Viele Techniken, die im NLP entwickelt wurden, wurden zu meiner Studentenzeit noch belächelt, im Zuge neuer Erkenntnisse der Hirnforschung haben sie sich jedoch rückblickend als völlig richtig erwiesen.

Im folgenden Abschnitt geht es um einen sehr zentralen Bestandteil einer jeden Psychotherapie, nämlich um das Gefühlsleben der Klientinnen und Klienten und dessen Regulation.