Emotionale Problemanalyse

Mit der emotionalen Problemanalyse können Klientinnen und Klienten ihre Probleme und deren Ursachen analysieren und somit besser verstehen. Das Problemverständnis, mit anderen Worten die richtige Diagnose stellt die beste Voraussetzung zur Lösung/Therapie der Probleme dar.

Die emotionale Problemanalyse möchte ich exemplarisch am Beispiel einer ehemaligen Klientin von mir erläutern. Die Klientin, Nina, war zum Zeitpunkt der Problemanalyse unglücklich in ihre Beziehung zu ihrem Partner Shem verstrickt und drehte sich mit ihren Lösungsversuchen, Shem enger an sich zu binden, immer wieder im Kreis.

Erster Schritt: Problemdefinition

Natürlicherweise beschreibt die Klientin zunächst ihr Problem, das sie mit mir bearbeiten möchte. Zusammengefasst lautet das bei Nina so: »Ich schaffe es nicht, meine Wünsche in meiner Beziehung mit Shem angemessen auszudrücken: Ich passe mich ihm ewig an, und wenn es mir irgendwann zu viel wird, dann raste ich aus.«

Zweiter Schritt: Bedürfnisanalyse

Hier analysiere ich gemeinsam mit der Klientin, welche verborgenen Bedürfnisse bei diesem Problem eine wichtige Rolle spielen.

Nina: »Ich sehne mich nach Bindung und Nähe, ich möchte aber auch meine eigenen Bedürfnisse in die Beziehung mit einbringen.«

Wie wir sehen, sind Ninas Bedürfnisse völlig angemessen, also adaptiv. Allerdings bringt sie diese auf eine maladaptive Weise zum Ausdruck, indem sie sich Shem zunächst stark anpasst und dann wütend wird. Daraus ergibt sich die Frage, welches motivationale Schema, also Schattenkind, sie erworben hat.

Dritter Schritt: Wie ist das Schattenkind geprägt?

Welche lebensgeschichtlichen Prägungen hat die Klientin in Bezug auf ihr Selbstwertgefühl und ihre Beziehungsgestaltung erworben, die sie auf ihre gegenwärtige Beziehung projiziert?

Nina: »Meine Eltern waren ziemlich streng und hatten sehr hohe Erwartungen an mich. Vor allem schulisch musste ich gut abliefern. Mein Anpassungsdruck war hoch. Wenn ich die Erwartungen meiner Eltern nicht erfüllt habe, haben sie mich sofort mit Liebesentzug bestraft.«

Vierter Schritt: Welche Glaubenssätze existieren?

Nun werden die Glaubenssätze erarbeitet, die die Klientin aufgrund ihrer Prägung erworben hat. Ninas Glaubenssätze: Ich muss leisten, um geliebt zu werden. Ich darf nicht ich sein. Ich muss mich anpassen.

Fünfter Schritt: Maladaptive Emotionen benennen

Glaubenssätze und Emotionen sind aufs Engste miteinander verbunden. Aus negativen Glaubenssätzen resultieren in der Regel maladaptive Emotionen, die der aktuellen Realität der Klienten nicht angemessen sind. Nina formuliert hier eine starke Angst vor Ablehnung und Verlust. Die Verlustangst ist ihre primäre Emotion. Sie ist ein Ergebnis ihrer Kindheitsprägung, nämlich des Gefühls, nicht um ihrer selbst willen geliebt zu werden, sondern nur für gute Leistungen. Hieraus resultiert maladaptives Verhalten.

Sechster Schritt: Welches maladaptive Verhalten (Selbstschutzstrategie) resultiert aus dem primären Gefühl?

Nina: »Ich versuche alle Erwartungen von Shem (und anderen) zu erfüllen. Das ist die Reaktion auf meine primäre Emotion, die Verlustangst. Hierdurch enge ich meine eigenen Bedürfnisse zu stark ein, was ich letztlich Shem verüble und wütend werde.«

Die Wut stellt sich ein, weil Nina ihre eigene Autonomie beschneidet, um Shem zu gefallen. Den persönlichen Freiheitsverlust, den sie selbst durch die Hintanstellung ihrer Bedürfnisse herbeiführt, projiziert sie auf Shem, indem sie ihn für ihre Überanpassung verantwortlich macht.

Siebter Schritt: Welche Konsequenzen erfolgen aus dem Verhalten?

Nina: »Ich kann meine Bedürfnisse nicht ewig unterdrücken. Ich bin deswegen unzufrieden und reagiere manchmal bei Kleinigkeiten viel zu aggressiv. Shem weiß nicht, woran er mit mir ist. Weil ich meine Wünsche nicht angemessen formuliere, hat Shem wenig Möglichkeiten, es richtig zu machen. Die Beziehung ist durch mein Verhalten längst nicht so schön, wie sie sein könnte.«

Ninas Überzeugungen, nicht zu genügen, und ihre Verlustangst gehen Hand in Hand. Sie hat deswegen ein hohes Vermeidungsmotiv entwickelt: Sie will es Shem (und anderen) recht machen, um nicht auf Ablehnung zu stoßen. Damit bringt sie sich jedoch selbst in die Klemme, weil sie auf Dauer nicht ihre eigenen Bedürfnisse unterdrücken kann und dann unangemessen aggressiv reagiert. Ich erinnere: Aggression ist die Emotion unserer autonomen Bedürfnisse. Durch ihre Überanpassung an Shems vermeintliche Erwartungen boykottiert Nina ihre eigene Autonomie. Ihre Verlustangst, die ihr auf der Verhaltensebene vorschlägt, sich Shem quasi unterzuordnen, verwandelt sich in Aggression, wenn sie ihre eigenen Bedürfnisse hierdurch zu kurz kommen lässt. Will Nina aus diesem Muster aussteigen, ist es also zum einen wichtig, dass sie ihre Prägungen erkennt und ihr Schattenkind von der erwachsenen Nina unterscheidet. Sie muss ihre gegenwärtige Realität von der vergangenen Realität trennen. Außerdem ist es essenziell, dass sie ihre Emotionen, die häufig aus ihrem Schattenkind entspringen, regulieren kann.

Hierum soll es im nächsten Abschnitt gehen.