Wws-T3: Metastrategien für Überangepasste Stephanie Stahl - Wer wir sind: Wie wir wahrnehmen, fühlen und lieben. Alles, was Sie über Psychologie wissen sollten
Metastrategien für Überangepasste
Unser Selbstwertgefühl ist stark mit unseren psychischen Grundbedürfnissen nach Bindung und Autonomie vernetzt (siehe dazu »Die vier psychischen Grundbedürfnisse«). Wenn wir davon ausgehen, dass sich der psychisch gesunde Mensch in einer guten Balance zwischen Bindung und Autonomie befindet und folglich ein recht stabiles Selbstwertgefühl aufweist, so liegt es auf der Hand, dass ich meinen Klientinnen und Klienten helfe, in die Balance zu kommen.
Menschen, deren innere Balance zugunsten der Bindung aus dem Gleichgewicht ist, dürfen als Erstes lernen, sich selbst zu spüren, so, wie ich es bereits unter dem Abschnitt »Zugang zu den Gefühlen schaffen« erklärt habe. Solange sie nämlich nicht ihre Bedürfnisse und damit auch ihre Belastungsgrenzen spüren, können sie ihre Beziehungen nicht angemessen mitgestalten. Ein weiteres Thema aufseiten der Überangepassten ist, dass sie sich ihre Beziehungen gern schönreden und schmerzliche Realitäten des Öfteren verdrängen. Als Psychotherapeutin unterstütze ich meine Klientinnen und Klienten dabei, ihr Wunschdenken als solches zu erkennen und durch eine Sicht auf die Realität zu ersetzen, die adaptive Gefühle und Handlungen ermöglicht. Schließlich liegt es in der Natur der Wahrnehmungsverzerrung, dass die Betroffenen sie selbst nicht bemerken.
Dabei beanspruche ich selbstverständlich nicht für mich, »die Realität« einer Beziehung oder Situation immer richtig einschätzen zu können. Ich kann jedoch offensichtliche Widersprüche in den Schilderungen meiner Klientinnen und Klienten feststellen oder bemerken, wenn ein Klient die Handlungen seines Interaktionspartners über- oder unterbewertet, wie dies zum Beispiel bei Stefan der Fall war, der sich nicht eingestanden hat, dass die Mutter seines Kindes seine Rolle als Vater kleinredet (siehe hier).
Eine möglichst realitätsnahe Wahrnehmung ist die Grundlage für gute Entscheidungen. Die Entscheidung kann entweder aus einer adaptiven Emotion getroffen werden oder auch rein rationaler Natur sein. So kommt es nicht selten vor, dass eine Klientin die Entscheidung trifft, sich von einer Person zu trennen, weil alle vernünftigen Argumente dafür sprechen, auch wenn die Emotion für diese Person noch nicht abgekühlt ist. Unser Verstand weiß häufig die richtige Lösung. Deswegen bestärke ich meine Klientinnen und Klienten, dessen Ratschläge zu befolgen und nicht auf ihre maladaptiven Emotionen, wie beispielsweise übermäßige Verlustangst, zu hören. Die Emotionen hinken dem Verstand häufig hinterher, aber wenn der Mensch hinreichend konsequent ist, dann verändern sie sich mit der Zeit auch in eine positive Richtung.
Entscheidungen benötigen je nach Situation auch ein gewisses Maß an Selbstbehauptung. Da Überangepasste in der Regel wenig geübt im Argumentieren sind, besteht hier Trainingsbedarf. Tipps und notwendige Techniken vermittle ich entweder mündlich und/oder verweise auf meine Bücher wie beispielsweise »So stärken Sie Ihr Selbstwertgefühl«.
Je besser es den Klientinnen und Klienten gelingt, ihre Gefühle wahrzunehmen und eigene Bedürfnisse zu spüren, desto besser gelingt es ihnen auch, Nein zu sagen, wo ein Nein angebracht ist. Sich angemessen abzugrenzen und die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, ist ein zentrales Lernfeld für notorische Erwartungserfüller. Indem ein Mensch nämlich die Erwartungen seiner Mitmenschen erfüllt, übergibt er diesen die Verantwortung für sein eigenes Handeln. Wenn A macht, was B will, und zwar aus dem einzigen Grund, weil B das will und nicht, weil A das auch will, dann handelt A nach Bs Wünschen und Vorstellungen. A lebt also fremdbestimmt und gibt seine Verantwortung ab. Wenn A als Belohnung für seine Artigkeit erhofft, Bs Anerkennung zu erhalten, dann übergibt er B auch die Verantwortung für sein Selbstwertgefühl. Er legt seinen Wert bildlich gesprochen in Bs Hände. Ein zentrales Thema jeder gelingenden Psychotherapie ist deshalb, dass die Klientinnen und Klienten die Verantwortung für ihre Gefühle und ihr Handeln übernehmen. Hierauf gehe ich im nächsten Abschnitt »Sich aus der Verstrickung lösen« noch näher ein.
Ein weiteres Thema von Überangepassten ist ihre geringe Trennungskompetenz, die aus ihren schlechten Abgrenzungsfähigkeiten resultiert. Zumeist hat auch keine angemessene Lösung vom Elternhaus stattgefunden. Viele sind verstrickt mit den Erwartungen und Bedürfnissen ihrer Eltern. Unter dem Abschnitt »Festhalten am geringen Selbstwert« habe ich bereits erklärt, wodurch diese Loyalitätskonflikte zustande kommen können. Häufig hilft die Erkenntnis allein, um einen Loyalitätskonflikt zu lösen, aber auch die Übungen, die ich im nächsten Abschnitt vorstelle.
Nicht selten kommen Menschen zu mir, die es nicht schaffen, sich aus einer ungesunden Liebesbeziehung zu lösen. Die Mechanismen des gespiegelten Selbstwertempfindens, die unermüdliche Hoffnung auf ein Happy End und tief sitzende Verlassenheitsängste behindern ihren Weg in die Freiheit. Entsprechend helfen die oben beschriebenen Maßnahmen: Die Betroffenen benötigen Zugang zu angemessenen Gefühlen, wie Trennungsaggression. Ich helfe ihnen, eine realistische Sicht auf die Beziehung zu entwickeln. Sie lernen auch, die Überanpassung an die
Erwartungen des Partners, der Partnerin durch die Übernahme von Verantwortung für den eigenen Selbstwert und die Lebensgestaltung zu ersetzen.