TA-PE: 3. Welche andauernden Symptome können sich nach einer traumatischen Erfahrung entwickeln? TA-PE von Dr. Marion Koll-Krüsmann: "Wissen schützt vor Belastung - Informationen über mögliche Traumafolgen und Möglichkeiten Symptome zu bewältigen - Hilfreiches im Umgang mit geflüchteten Studentinnen und Studenten"

3. Welche andauernden Symptome können sich nach einer traumatischen Erfahrung entwickeln?

Neben der Dissoziation gibt es eine Reihe von unmittelbaren körperlichen Reaktionen, die durch Angst, Aktivierung, Überlastung oder Hyperventilation (veränderte Atmung) ausgelöst werden können. Diese Reaktionen können in der Folge zum Symptom der ständigen vegetativen Übererregung führen (Hyperarousal). Das ist das erste von drei Hauptsymptomen der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTB).

Diese permanente vegetative Übererregung erklärt eine Reihe von beobachtbarem Erleben und Verhalten. Hier sind Schreckhaftigkeit, Unruhe, Zittern, Überwachsamkeit und eine erhöhte Grundanspannung zu nennen. Die oftmals beschriebenen Schlafstörungen sind für die Betroffenen genauso qualvoll wie extreme Konzentrationsschwierigkeiten, die die berufliche oder schulische Leistungsfähigkeit vermindern. Hyperarousal verunsichert die Betroffenen stark. Die meisten Symptome der Übererregung sind reversibel und können heilen, gerade die Schreckhaftigkeit aber ist eine der Verletzung der Hirnstrukturen geschuldete Reaktion, die oft auch nach einem Abklingen aller anderen Symptome bestehen bleiben kann.

Zudem kann es auch zum Auftreten von Panikattacken kommen. Diese werden immer ausgelöst durch ein zu tiefes oder zu schnelles Atmen (Hyperventilation) und einem Realitätsverlust, der durch die ansteigende Angst ausgelöst wird. Jegliche Sicherheit geht verloren, viele Betroffene glauben, einen Herzanfall zu erleben oder ersticken zu müssen und rufen den Notarzt oder verlangen nach medizinischer Hilfe. Hyperventilation tritt auf, wenn zu viel Kohlendioxid abgeatmet wird.

Ein Trauma wird anders als normale oder auch sehr stressige Ereignisse gespeichert, es wird quasi ins Gedächtnis eingebrannt und in der Folge auch anders erinnert als gewohnt. Quälende Erinnerungen (Intrusionen) können schon in der ersten Nacht nach dem Trauma, aber auch noch Monate oder Jahre später zum ständigen, belastenden Begleiter werden.

Quälende Erinnerungen, das zweite Hauptsymptom, sind häufig nicht im »sprachlichen Gedächtnis« verankert. Sie werden als fragmentiertes Erinnern oder Wiedererleben von Inhalten oder Sequenzen der traumatischen Erfahrung beschrieben. Dies kann sowohl in Form von Geräuschen, Gerüchen oder Bildern, aber auch in Form von Gedankenfetzen, vor dem inneren Auge ablaufenden Filmen oder im Extremfall als »Flashback« auftreten. Bei einem Flashback erlebt man sich, als sei man in die traumatisierende Situation zurückversetzt, man kann dabei auch den Realitätsbezug verlieren und dissoziieren. Viele Betroffene durchleben die Ereignisse auch, oft über Jahre hinweg, in quälenden Albträumen. Dazu kommen starke psychische und körperliche Stressreaktionen bei Konfrontation mit solchen Reizen, die an das traumatische Ereignis erinnern. Diese werden zum Teil gar nicht bewusst wahrgenommen. Menschen können durch unbewusst verlaufende Reaktionen auf Triggerreize, die meist entfernt einen Bezug zu der traumatischen Erfahrung haben, hoch belastet sein, ohne zu verstehen, was die Stressreaktionen, die im Extremen dissoziativen Charakter haben können, ausgelöst hat.

Das Erleben einer traumatischen Erfahrung, oder wie im Falle von geflüchteten Menschen häufig auch vielen traumatischen Erfahrungen in Folge, kann große Angst und Verunsicherung hinterlassen. Der Eindruck entsteht, nichts im Leben ist mehr sicher, der Zufall entscheidet oft über Leben und Tod. Akut traumatisierte Menschen können alles Denkbare unternehmen, um sich wieder halbwegs sicher zu fühlen. Sie schlafen bei Licht, rollen einen Teppich vor die Schlafzimmertür, verlassen die Wohnung nur noch wenn es unabdingbar ist, gehen im Dunkeln nicht mehr auf die Strasse und vieles mehr. Gleichzeitig wird alles vermieden, was an die traumatische Erfahrung erinnern könnte. Die nicht beeinflussbaren Intrusionen sind für viele schon Qual genug.

Vermeidungsverhalten, das dritte Hauptsymptom, bezieht sich auf das Vermeiden von inneren und äußeren Erinnerungsauslösern, also von traumabezogenen Gedanken und Gefühlen (z.B. Aufregung), aber auch generell auf die Vermeidung, über das Ereignis zu sprechen, die Vermeidung von Orten, Situationen und Tätigkeiten, die an die traumatische Erfahrung erinnern. Daneben kann es zu einer allgemeinen Abstumpfung, einem »In-sich-Zurückziehen« (Numbing) kommen. Betroffene können das Interesse an Dingen verlieren, die ihnen früher Freude gemacht haben und fühlen sich ihren Mitmenschen gegenüber entfremdet.

Einige dieser Symptome können in der Folge, meist ausgelöst durch spezifische, mit dem Trauma verknüpfte Reize, sogenannte Trigger (wie z.B. das Umfallen der Wasserflasche), dann immer wieder auftreten und zu Reaktionen führen, die die Betroffenen selbst zusätzlich belasten, weil sie diese nicht verstehen und einordnen können. Diese Fähigkeit zum Verstehen und Einordnen sowie darüber hinaus das Wissen, welche Skills bei der Linderung oder Bewältigung der Symptome helfen, ist das wichtigste Ziel von Psychoedukation. Wenn die betroffenen Menschen nicht verstehen, was mit ihnen passiert, warum sie so ungewohnte und unkontrollierbare Reaktionen haben, kann diese Verunsicherung und die damit verbundene Angst zu einem weiteren starken Stressor werden und zu einer massiven Verstärkung der Symptome führen.

Was sind Traumafolgestörungen?

Unter Traumafolgestörungen versteht man alle psychischen und körperlichen Erkrankungen, die in Folge einer Traumatisierung zum einen durch die Schwere des Ereignisses selbst, zum anderen durch eine Überforderung der persönlichen und sozialen Ressourcen auftreten können. Ein Trauma ist definiert als ein extremes Erlebnis, das die Verarbeitungskapazitäten der Betroffenen übersteigt. Es können sich verschiedene Krankheiten entwickeln. Die häufigste Traumafolgestörung ist die Posttraumatische Belastungsstörung (PTB). Des Weiteren können Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen auftreten. Hauptsymptome einer PTB sind das quälende Wiedererleben (Intrusionen), Vermeidung und gefühlsmäßige Betäubung (Numbing) sowie eine anhaltende körperliche und psychische Übererregung (Hyperarousal).

In vielen Kulturen werden psychische Belastungen durch Berichte von körperlichen Schwierigkeiten oder Schmerzen zum Ausdruck gebracht. Durch das erhöhte Arousal und das gleichzeitige Wie-betäubt-Sein (bildlich gesprochen: mit gezogener Handbremse auf Hochtouren fahren) kommt es oftmals zu körperlichem Stress und Erkrankungen. Psychosomatische Beschwerden finden sich bei Menschen mit Migrationshintergrund daher häufig, auch dann wenn es kulturell nicht erwünscht ist, über Probleme zu sprechen. Darum ist es wichtig, zu wissen, dass auch körperliche Beschwerden als Ausdruck einer Traumafolgestörung interpretiert werden können. Hier muss man immer darauf achten, die Gesundheitsstatur abzuklären.

Es ist grundsätzlich wichtig zu wissen, dass ein Trauma nicht immer krank macht. Es kann bei guten Bedingungen häufig von Betroffenen verarbeitet werden und zudem auch zu posttraumatischem Wachstum und seelischer Reifung führen. Je rascher Betroffene Psychoedukation und weitere Unterstützung erhalten, desto günstiger ist die Prognose. Eine Traumafolgestörung kann aber auch noch nach Jahren therapeutisch gut aufgearbeitet werden.