Geheimes Pflanzen-Bewusstsein: Big Bang der Biologie

Der technologische Big Bang der Biologie

Mit neuartigen Elektroenzephalogrammen (EEG) lassen sich elektrische Ströme aufzeichnen, die eine Billion Mal kleiner sind als jene einer Taschenlampenbatterie. So entdeckten die Forscher in Pflanzen elektrochemische Mechanismen, die denen in unserem Gehirn ähneln.

 

Moderne Gas-Chromatographen spüren flüchtige Pflanzenduftstoffe noch in einer Verdünnung auf, die so gering ist, als hätte man einen Fingerhut davon in einen Baggersee gekippt. Und obwohl diese Kommunikationsmoleküle erst seit weni-gen Jahren erforscht werden, haben sie eine phantastische Welt molekularen Quasselns erschlossen – mit grünen Plaudertauschen, schreienden Maispflanzen oder Tomaten, die Selbstgespräche führen.

 

Viele Durchbrüche gelangen erst, als die Ära der Gentechnik heraufdämmerte. Sie führte die Forscher auf die Spur genetisch beeinflusster biochemischer Synthesewege, etwa für die Blütenbildung, die Wahrnehmung von Licht. Die grünen Genforscher verfolgen ein ehrgeiziges Ziel: Nutzpflanzen so fit gegen Schädlinge zu machen, dass Äcker und Wiesen pestizidfrei bleiben können. Viele neue Erkenntnisse sind einem unscheinbaren Wildkraut zu verdanken, das in den Laboren heimisch geworden ist: die Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana). Sie ist die erste Pflanze, deren komplette Bauanleitung entziffert ist – und hat eine steile Karriere als Modellorganismus hingelegt. An ihr werden gentechnische Kunststücke ausprobiert.

 

Den faszinierendsten und zugleich bedeutsamsten Blick ins Mysterium der Pflanzenwelt eröffnete eine Innovation, die als Big Bang der Biologie gilt: das molekulare Bildgebungsverfahren. Diese Technik ermöglicht erstmals »Live-Kino« – mit bewegten Bildern aus intakten Zellen!

 

Dynamische Prozesse werden jetzt als Film zugänglich. Bisher musste man sich mit toten Objekten und statischen In-vitro-Bildern begnügen. Mit dem Kameramikroskop ist der Sprung in eine höhere Dimension gelungen – der Durchbruch in die vierte Dimension: die Zeit. Jetzt entblößt sich das hochdynamische Regelnetzwerk einer Zelle, wo ständig Enzyme aktiviert, Proteine gebildet, Erbanlagen abgelesen werden – und die Forscher schauen wie in einer Peep-Show zu.

 

Wohin sie ihren Blick auch richten, immer stoßen sie auf Erkenntnisse, die mit der konventionellen Denkweise nicht mehr bewältigt werden können. Eine neue Forschungsplattform war längst überfällig, als im Jahr 2005 der Bonner Molekularbiologe Frantisek Baluska zusammen mit Anthony Trewavas und anderen Kollegen aus Europa, Amerika und Asien eine neue Disziplin begründete: die Pflanzenneurobiologie.

 

Neurobiologie? Schon in diesem Wort steckt Potenzial für Missverständnisse – und auch eine Überraschung: »Neuro«, dieses Wort für die Nervenzellen von Mensch und Tier (Neuronen), wurde ursprünglich dem Pflanzenreich entlehnt und meint »Faser«. Heißt das, Pflanzen haben Nerven?