Heilen mit Worten
Heilen mit Worten
Ich wurde Zeuge einer ganzen Reihe von Heilungen, von kleinen Beschwerden bis zu schwerwiegenden, chronischen Symptomen. Wie die Schulmediziner zielte Grete Flach zunächst auf die Symptome selbst, ihr Ziel war, alle Beschwerden zum Verschwinden zu bringen. Aber was sie tat, hatte eine ganz besondere Nebenwirkung: Es öffnete die Herzen ihrer Patienten für das Wunderbare, für eine Heilung des ganzen Menschen, für eine spirituelle Dimension. Denn neben den Pflanzen setzte Grete Flach, wie schon gesagt, auch Worte ein, heilige Worte, Gebete und Zaubersprüche aus der fernen Vergangenheit. Wenn sie Warzen besprach oder eine Gürtelrose, dann rief sie göttlichen Beistand an, jedenfalls sprach sie in Jesu Namen, wenn sie auch keine Kirchgängerin war und keine Verpflichtung gegenüber den Forderungen und Moralvorstellungen der christlichen Konfessionen zu fühlen schien. Jedenfalls sprach sie nie darüber. Sie wollte heilen und nichts anderes.
Natürlich war auch Grete Flach nicht zu Wundern fähig, und nicht alle ihre Behandlungen halfen. Auch sie stand immer wieder vor der Frage, warum ihre Kunst einmal Wunder zu bewirken schien und am nächsten Tag versagte. Lag dies an ihrer Arbeit, vielleicht an der unterschiedlichen Tiefe ihrer Konzentration (manchmal schien sie wie in einer anderen Welt zu sein) oder kam es auf den Patienten an?
In dieser Zeit meiner wochenlangen Beobachtung konnte ich keine Lösung des Rätsels finden. Eines Tages, als ich sie wieder einmal nach ihren Erfolgen fragte, gab sie mir den Schlüssel zu ihrer Wohnung, die sie schon seit Jahren nicht mehr nutzte und sagte: In der Badewanne hebe ich die Briefe meiner Patienten auf, ich brauche die Wohnung und das Badezimmer nicht, ich bin lieber hier unten, und mir genügt die Regentonne am Haus, um mich zu waschen. In der Wohnung, die sauber und unberührt war, fand ich viele hundert, vielleicht über tausend Briefe dankbarer Patienten. In manchen Umschlägen steckte noch Geld, das Grete Flach tatsächlich nicht zu interessieren schien,
dann sie hatte es nicht herausgenommen und wohl auch längst vergessen. In den Briefen bedankten sich Patienten aus allen Teilen des Landes für wunderbare und überraschende Heilungen kleiner und großer Erkrankungen. Alle waren voller Freude und Wertschätzung und schienen gleichzeitig noch immer zu staunen über das, was geschehen war. In gewisser Weise waren sie wie verwandelt, weil sie für eine kurze Zeit aus den festgefügten Glaubensvorstellungen unseres mechanistischen
Weltbildes herausgerissen waren, und weil die Rückkehr in das gewohnte Denken jetzt schwer fiel.
Einzelne dieser Heilungsgeschichten können Zufälle gewesen sein. Aber in der großen Zahl hatten sie die Macht eines Beweises. So schreibt eine Patientin:
Liebe Frau Flach, ich hatte versprochen mitzuteilen, was der Augenarzt feststellen wird bei der Untersuchung. Das Ergebnis: Er sagte ganz verblüfft, so etwas habe er noch nicht erlebt: Es ist der Graue Star, und doch könne ich alle Zahlen klar lesen bis auf zwei ganz kleine. Die Untersuchung ergab dann: Das linke Auge ist wieder gesund, nur auf dem rechten ist noch leicht der Graue Star.
Und ein anderer Patient schreibt:
Ich will Ihnen von ganzem Herzen danken, dass sie mir ein so gutes Rezept für meine Krankheit gegeben haben. Der Knoten in meinem Hals ist so weit zurückgegangen, dass ich an einer Operation vorbeikomme. Erst in einem Jahr muss ich wieder zur Untersuchung.[9]
Viele Patienten schickten ausführliche Beschreibungen, ganze Krankengeschichten, um zu zeigen, dass Grete Flach eine Heilung ermöglichte, mit der sie nicht mehr gerechnet hatten. Eine Frau berichtet, sie sei mit einer schwere Verbrennung am Rücken und unerträglichen Schmerzen von Arzt zu Arzt gelaufen, jeder habe ihr etwas anderes verschrieben, aber kein Mittel habe geholfen. Dann sei sie zu Grete Flach gekommen, und die habe ihr Pfefferminzöl verordnet, damit keine Narben
zurückblieben, und Weißkrautblätter, die sie auf den Rücken legen sollte. Die Blätter, habe die Heilerin gesagt, würden die Verbrennung aus dem Körper herausziehen. Und tatsächlich: Nach wenigen Tagen hätten die Schmerzen nachgelassen, die Haut habe sich zu schälen begonnen, und darunter sei gesunde Haut sichtbar geworden, ohne Spuren der Verbrennung, wie es die Heilerin versprochen hatte. Der Arzt, dem die Patientin ihren Rücken gezeigt habe, sei sehr erstaunt gewesen und könne
sich bis heute nicht erklären, wie schnell die Wunde geheilt sei.
Eine andere Frau schreibt, sie habe unter einer Nervenwurzelentzündung am Rücken gelitten und sei ein dreiviertel Jahr krumm gegangen, unter starken Schmerzen. Vierzehn Tage, nachdem ihr Grete Flach einen bestimmten Tee verordnet habe, seien die Schmerzen verschwunden, und seitdem könne sie wieder aufrecht gehen.
In der Medizin gelten Fallgeschichten wenig. Die »Kasuistik«, wie das in der Forschung heißt, bedeutet keinen wissenschaftlichen Wirkungsnachweis. Eine der Bedingungen, Heilverfahren als wirksam anzuerkennen, ist die Wiederholbarkeit durch jeden, der sie korrekt anwendet. Ein Medikament und jeder andere medizinische Eingriff muss zum Erfolg führen, ganz gleich, welcher Arzt sie verordnet, und auch wenn sich der Patient die Arznei selbst verabreicht.
Die moderne Forschung erkennt immerhin schon an, dass die Person des Arztes nicht unwichtig ist für den Erfolg, schreibt aber doch der biologischen Wirkung der Substanzen die entscheidende Rolle zu, verlangt sogar, den persönlichen Einfluss des behandelnden Arztes möglichst vollständig auszuschließen. So werden selbst umfangreiche Fallsammlungen nicht als Beweismittel akzeptiert, wenn auch in der täglichen Praxis niedergelassene Ärzte solche Erfahrungswerte durchaus
ernst nehmen.
Grete Flach maß sich selbst keine große Bedeutung zu, sie glaubte bis zuletzt, dass es genüge, ihre Rezepte anzuwenden und dass letztlich jeder heilen könne, der das richtige Rezept kennt. Vielleicht hat wirklich jeder von uns das Potenzial, Heilung auszulösen und anderen Menschen, vielleicht auch sich selbst, unmittelbar zu helfen. Aber die Erfahrung zeigt, dass besondere, noch nicht entschlüsselte Fähigkeiten offenbar über Erfolg und Misserfolg entscheiden. In allen Überlieferungen der Welt wird der Begabung der Heiler ein großer Wert beigemessen, in zweiter Linie erst scheint die Ausbildung wichtig zu sein. Wie bei jeder Kunst, ist die Begabung sicherlich die notwendige Basis.
Und natürlich dürfen wir auch die unmittelbare biologische Wirkung der pflanzlichen Mittel nicht gering schätzen. Die Erfolge einer anderen Heilerin, die in ganz Europa berühmt wurde, sprechen dafür:
Maria Treben
berichtet in ihrem Buch[10] von zahlreichen Fällen, und auch ich selbst konnte mich von der Wirkung ihrer Tees in mehreren Fällen überzeugen. Besonders eindrucksvoll war die Geschichte einer älteren Frau, die mit einer Leberzirrhose als unheilbar aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Die Ärzte gaben ihr nur noch wenige Tage, denn die Leber war weitgehend zerstört. Ihre Tochter erinnerte sich an das Buch von Maria Treben und fand das Rezept für einen Heiltee: einen Aufguss von Bärlapp
(Lycopodium clavatum). Sie gab ihrer Mutter täglich zwei Tassen zu trinken, und erstaunlicherweise besserte sich der Zustand der alten Dame.
Nach einigen Wochen, als es ihr offenkundig wieder gut ging, untersuchten die Ärzte noch einmal die Leber und stellten fest, dass sie sich vollständig regeneriert hatte. Sie sahen dieses Wunder als unerwartete Spontanheilung an und legten es zu den Akten, auch deshalb, weil die Tochter von ihrer
persönlichen Rettungsaktion nichts erzählt hatte.[11]
Dieses Beispiel enthält aber auch eine zweite, wichtige Komponente: Die persönliche Haltung der Tochter könnte eine Rolle bei der Heilung gespielt haben, ihr tiefer Wunsch, der Mutter zu helfen, ihre Intention also. Und genau diese Haltung scheint ein wesentliches Moment jeder Heilung zu sein: der klare, unmissverständliche, mit der Kraft des Willens und der Wärme des Herzens vorgetragene Wunsch zu helfen. Wäre es also denkbar, dass erst die Intention der Pflanze jenen Schub gibt, der ihre Wirkung zur Entfaltung bringt?
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