Steuervermeidung

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Der Staat braucht Geld, um zu funktionieren. Das treibt er von seinen Bürgern ein, indem er sie Steuern zahlen lässt – und zwar anteilig, so dass die, die mehr haben oder mehr einnehmen, auch mehr zahlen. Das sollte man zumindest meinen.


In der realen Welt sieht das allerdings anders aus. Da zahlen die, die am meisten einnehmen am wenigsten und die, die am meisten haben häufig gar nichts, und das ganz legal.


Woran das liegt? Zuerst einmal an den bestehenden Gesetzen. Das Vermögensrecht sorgt dafür, dass Vermögen geringer besteuert werden als Einkommen. Das Erbrecht sorgt dafür, dass den Erben riesiger Vermögen anteilig wesentlich weniger abverlangt wird als den Erben kleiner Vermögen.


Und das Stiftungsrecht bietet Reichen und Ultrareichen jede Menge Möglichkeiten, ihre Steuerlast zu reduzieren – und das nicht nur im eigenen Land.


Zusätzlich gibt es die Steuerparadiese oder Steueroasen. Dazu zählen Länder wie die Schweiz, Irland oder die Niederlande, Stadtstaaten wie Singapur oder Hongkong, Inseln wie Guernsey, die Cayman Islands oder Mauritius – um nur eine kleine Auswahl zu nennen.


Diese Steueroasen bieten sehr wohlhabenden Privatpersonen an, ihren Wohnsitz dorthin zu verlegen und entweder sehr geringe oder gar keine Steuern zu zahlen. Finanzstarken Konzernen bieten sie an, dort Zweigniederlassungen in Form von Briefkastenfirmen zu gründen und so Steuerzahlungen auf Gewinne in den Ländern, in denen sie erzielt werden, zu vermeiden.


Die Steueroasen helfen also, den Ländern Steuern vorzuenthalten, in denen das Geld verdient und deren Infrastruktur, deren Ressourcen und deren Arbeitskräfte dabei genutzt werden. Vor allem aber schaden sie den schwächsten Teilen der Gesellschaft, und zwar aus folgendem Grund: Der größte Posten in allen Staatshaushalten sind die Sozialausgaben, und wann immer gespart werden muss, wird bei ihnen angesetzt, und zwar bei dem Teil der Bevölkerung, von dem am wenigsten Widerstand zu erwarten ist – und das sind die Armen, die Alten, die Kranken und die Auszubildenden.


Diese Gruppen sind aber nicht die einzigen Opfer der Steuervermeidung. So haben während der Weimarer Republik viele vermögende Deutsche das Bankgeheimnis der Schweiz genutzt, um Steuerzahlungen in Deutschland zu vermeiden. Hätten sie das nicht getan, wäre mehr Geld für soziale Zwecke vorhanden gewesen, was den Nationalsozialisten den Aufstieg zumindest erschwert und Deutschland möglicherweise zwölf Jahre Faschismus erspart hätte.


Was tun Regierungen und Politiker gegen diese Art von Geldentzug? Sie empören sich zwar gern öffentlich über das Thema Steueroasen, aber statt sie auszutrocknen und Steuerschlupflöcher zu stopfen, haben sie in den vergangenen Jahrzehnten genau das Gegenteil getan. Sie haben dafür gesorgt, dass es heute noch mehr davon gibt.


Außerdem hat die seit Jahrzehnten von der Politik betriebene Deregulierung dafür gesorgt, dass es zu einem wahren Steuervermeidungswettkampf gekommen ist. Einzelne Länder  unterbieten die Steuersätze anderer Länder und versuchen so, ausländische Investoren und ausländisches Geld anzulocken – oft unter dem Vorwand, man müsse die lahmende Wirtschaft ankurbeln und „Investitionsanreize“ schaffen oder international wettbewerbsfähig bleiben.


Aber nicht nur die Politik ist in diesem Bereich höchst aktiv. Weltweit gibt es hunderttausende Kanzleien, die sich auf Steuervermeidungsstrategien spezialisiert haben. Darüber hinaus gibt es einen ganzen Industriezweig, für den sich die Steuervermeidung in den vergangenen Jahren immer mehr zu einem Schwerpunkt seiner Aktivitäten entwickelt hat: Die Unternehmensberatungen und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften.


Allein in den vier größten Wirtschaftsprüfungsunternehmen der Welt arbeiten 800.000 Menschen Tag für Tag daran, dass diejenigen, die sich ihre Hilfe leisten können, jede legale Möglichkeit nutzen, um Steuern zu vermeiden. Wie erfolgreich sie das tun, zeigt das Beispiel des teuersten Unternehmens der Welt: Der Konzern Apple hat es geschafft, seine Steuerlast in Europa zwischen 2003 und 2014 von 1 Prozent auf 0,005 Prozent (das sind 50 Euro auf eine Million) zu senken. Dass das noch zu toppen ist, hat der Internet-Riese Amazon gezeigt: Der Konzern zahlte in den Jahren 2017 und 2018 in seinem Heimatland USA auf Reinerträge von 5,6 und 11,2 Milliarden US-Dollar – gar nichts.


Was aber tun die Konzerne mit den riesigen Summen, die sie auf diese Weise sparen? Investieren sie das Geld, schaffen sie damit neue Arbeitsplätze? Nein, sie benutzen den Löwenanteil der eingesparten Summen, um einerseits an den Finanzmärkten zu spekulieren und andererseits eigene Aktien zurückzukaufen, um so ihre Kurse und die daran gekoppelten Bonuszahlungen für das Management in die Höhe zu treiben.


Während die arbeitende Bevölkerung und insbesondere mittelständische Betriebe die Hauptlast der Steuern tragen, entziehen die großen Nutznießer der Steuervermeidung also nicht nur dort Gelder, wo sie dringend gebraucht würden, sie tragen mit den entzogenen Summen auch noch dazu bei, das globale Finanzcasino anzuheizen und das schlimmste Problem unserer Zeit – die Explosion der sozialen Ungleichheit – weiter zu verschärfen.