2022/04: Der WDR säubert die Salzburger Festspiele von Russen
von Dagmar Henn
„Verschwörungstheorie“ ist ein Begriff, hinter dem sich zu viele redliche Bemühungen der Aufklärung verbergen, um ihn auf das anzuwenden, was westliche Propagandaschleudern absondern, wenn es darum geht, jede Spur, die irgendwie nach Russland führt, aus dem sichtbaren Leben zu entfernen.
Wie sagte das der Vorsitzende des Allenglischen Rasentennisklubs AELTC zur Begründung, warum man russische Tennisspieler von Wimbledon ausschließen müsse? „Russlands globalen Einfluss zu beschränken, einschließlich jedes Vorteils aus Handel oder kulturellen oder sportlichen Vorführungen von Stärke. (…) Wir würden Gefahr laufen, dass ihr Erfolg oder ihre Teilnahme in Wimbledon zum Nutzen der Propagandamaschine des russischen Regimes genutzt würde.“
Klar, der Russe, finster wie er ist, denkt bei allem, was er tut, nur an Welteroberung. Auch mit dem Tennisschläger oder dem Geigenbogen. Und wenn gar die Gefahr besteht, dass er siegen oder sonst wie beeindrucken könnte, dann werden ihm die hilflosen Bürger des Westens folgen wie einst die Kinder dem Rattenfänger von Hameln.
Stimmt das so? Habe ich da das Denkschema richtig erfasst? Ich fürchte ja. Der WDR hat sich jüngst die Klassikszene vorgenommen mit einem Stück, das in dieser öffentlich-rechtlichen Großanstalt wohl inzwischen als investigativer Journalismus durchgeht unter dem Titel „Putins korruptes Klassik-Netzwerk“.
Eines der Ziele der Bemühungen ist der Dirigent Teodor Currentzis, ein gebürtiger Grieche mit russischem Zweitpass, der den erforderlichen Kotau bisher nicht geleistet hat. Wobei er, sollte er das tun, nicht nur in Russland auf wenig Gegenliebe stieße. Seit Wladimir Selenskij das griechische Parlament mit dem Auftritt eines griechischstämmigen Asow-Nazis beglückte, ist die heutige Ukraine in Griechenland ebenfalls nicht mehr allzu populär. Die Griechen mögen keine Nazis, was irgendwie mit der Besetzung zu tun hat, und mit Stichworten wie Distomo und Kalavrita.
Currentzis sollte mit seinem Ensemble MusicAeterna ein Solidaritätskonzert für die Ukraine geben. Was eigentlich schon Unterwerfung unter das westliche Narrativ genug sein müsste. Aber, und das präsentiert der WDR-Journalist Axel Brüggemann ganz stolz, das Orchester sitzt in Petersburg und wird unter anderem von der russischen VTB-Bank gesponsert. Wohlgemerkt, das ist ein Sponsor von mehreren. Nun die tolle Erkenntnis Brüggemanns: „Die VTB-Bank ist halb staatlich, da gibt es keinen Rubel, wenn nicht Putin zustimmt.“
Was soll der arme Mann denn noch alles machen? Jedes Sponsoring jedes halb oder ganz staatlichen Unternehmens in Russland persönlich abnicken? Während er jedem russischen Soldaten in der Ukraine persönlich den Tagesbefehl ausstellt und nebenbei noch nicht zu vergessen, uns hier bei RT die täglichen Artikel diktiert?
„Wäre alles nicht so schlimm gewesen“, so Brüggemann. „Er hätte sich nur hinstellen müssen und sagen müssen, dieser Angriffskrieg von Putin ist wirklich nicht das, wofür wir hier stehen.“ Kann man ja mal verlangen nach dem konsequenten Abbruch aller kulturellen Verbindungen zu den USA während deren völkerrechtswidrigen Kriegen, zuletzt wegen ihrer Beteiligung an der Aushungerung des Jemen. Oder ist mir da etwas entgangen? Und verlangt da wirklich ein Deutscher von einem Griechen, er solle gefälligst lautstark seine Unterstützung für die Ukraine bekunden, Asow eingeschlossen.
Die griechische Presse ist da so ein Problem. In Mariupol lebt eine beträchtliche griechischstämmige Bevölkerung, die auch noch Griechisch spricht und die unangenehme Eigenschaft hat, sogar mit griechischen Zeitungen in Griechenland zu kommunizieren. Weshalb man dort sehr wohl weiß, wer auf die Bürger der Stadt geschossen hat, die flüchten wollten. Und seit der Vorführung, die Selenskij per Video im griechischen Parlament ablieferte, auch genau weiß, dass diese Truppen eine zentrale Rolle spielen. Nicht umsonst haben griechische Hafenarbeiter sich geweigert, Waffen für die Ukraine zu verladen. Currentzis muss keine russische Presse lesen, um eine klarere Sicht auf die Vorgänge in der Ukraine zu haben.
Egal. Das Konzert fand letztlich ohnehin nicht statt, weil das ukrainische Rote Kreuz und die Caritas beide ein Abschwören des Dirigenten verlangten (irgendwann muss man doch wieder einen Blick auf die Rolle des vatikanischen Geheimdienstes bei der Entstehung des ukrainischen Nationalismus werfen) und der Botschafter der Ukraine in Österreich, wohl ein ähnliches Exemplar wie das in Berlin, ebenfalls gegen das Konzert war. Immerhin hat das Currentzis die Peinlichkeit erspart, sich in Griechenland rechtfertigen zu müssen, warum er sich zwar nicht äußere, aber dennoch ein solches Konzert gibt. Brüggemann allerdings macht dem Veranstalter des geplatzten Wiener Konzerts Vorwürfe, weil er überhaupt Currentzis gebucht hatte, und droht mit Enthüllungen über die Stiftung von MusicAeterna in Lichtenstein.
Besonders empört gibt sich Brüggemann, weil der Chef des Wiener Konzerthauses, Matthias Naske, es gewagt hatte, am 24. Februar mit Currentzis in Petersburg dessen Geburtstag zu feiern. Den Fünfzigsten. Dessen Begehung für Brüggemann schon allein deshalb zutiefst unmoralisch war, weil an diesem Tag die russische Militäroperation begann. „Ich habe die Videos“, erklärt er stolz und raunt hinterher, Naske sei danach nach Moskau geflogen und keiner wisse warum eigentlich. Man ist versucht, ihm den Unterschied zwischen der Berufsbeschreibung für Journalist und der für Inquisitor darzulegen. Aber das dürfte vergebene Liebesmüh sein.
Dabei ist Naske ganz harmlos. Hat auf der Seite des Konzerthauses Wien eine Erklärung stehen, die voll und ganz dem NATO-Narrativ folgt, obwohl er als Österreicher schlicht auf das Viermächteabkommen hätte verweisen können, das zur Wiedergründung der Republik Österreich nach dem zweiten Weltkrieg führte. Nein, es reicht nicht, zu kriechen. Brüggemann misst noch mit dem Zentimetermaß nach, ob auch tief genug gekrochen wird und der NATO-Glaube ehrlich und von ganzem Herzen ist. Wenn nicht, so brenne Ketzer.
Vermutlich ruft bei ihm das Stichwort Wien gleich Orson Welles‘ „Der dritte Mann“ und die Zithermelodie hervor. Jedenfalls wittert er fast geheimdienstliche Absichten hinter Kulturförderung mit russischem Absender.
„Wir sehen, wenn wir den europäischen Kulturbetrieb anschauen, dass es schon eine lange Tradition und wahrscheinlich auch ein System hat, dass die russische Regierung und die Institutionen, auf die die russische Regierung Einfluss hat, nämlich eben Banken zum Beispiel, sich ganz bewusst als Sponsoren in den europäischen Kulturbetrieb einkaufen. Um in diesem Umfeld von klassischer Musik, in dem sich hochrangige Politiker bewegen, in dem sich Wirtschaftsführer bewegen, tatsächlich auch Einfluss zu nehmen.“
Hinter jedem Rubel lauert das KGB. Nun erschafft Sponsoring tatsächlich einen Sumpf. Aber es ist die Struktur, die dies tut. Dass Kulturereignisse gesponsert werden und damit allen möglichen Firmen einen Werbeauftritt und womöglich mehr verschaffen, ist das Ergebnis einer staatlichen Kulturpolitik, die die öffentliche Finanzierung im Lauf der Jahrzehnte immer weiter heruntergefahren hat. Wenn man an dieser Stelle ein Problem sieht, kann man das dadurch lösen, dass man die öffentliche Finanzierung angemessen heraufsetzt und dafür die Firmen angemessen besteuert. Aber so zu tun, als sei das nur dann problematisch, wenn es russische Sponsoren sind, ist absurd. Dann bei diesen Sponsoren den Nebennutzen des Kontaktens, den alle Sponsoren suchen, gleich mehr oder weniger zur geheimdienstlichen Tätigkeit zu erklären, bei anderen das gleiche Handeln aber nicht wahrnehmen zu wollen, ist dann nur noch ehrenrührig. Für Brüggemann.
Nur geht es noch weiter. Er erklärt Klassik-Festspiele zu Gelegenheiten der Geldwäsche. Das ist ein wenig seltsam, weil Geldwäsche voraussetzt, dass das Geld nicht nur hineingesteckt wird, sondern auch wieder herauskommt, was mir in diesem Bereich neu wäre. Und Nord Stream 2, das er als Beispiel nennt, hätte ganz legales Geld verdient. Aber vielleicht sieht Brüggemann ja in die europäische Zukunft, in der womöglich Gaskartuschen ähnlich interessante Schwarzmarktwaren sind wie in Welles‘ Drittem Mann das Penicillin.
Naske ist aber immer noch nicht das Hauptziel Brüggemanns. Das sind die Salzburger Festspiele, die zeigen, „wie europäische Kultur von russischen Interessen unterwandert wird“. Was natürlich schrecklich ist, wenn nach Genuss eines russisch finanzierten Konzertes die Besucher der Salzburger Festspiele mit glühenden Mongolenaugen durch die Salzburger Gassen ziehen, Wodka saufen und kleine Kinder verspeisen.
„Die Klassik ist das beste Schattenreich, um solche Geschäfte abzuwickeln, weil es keinen investigativen Journalismus gibt.“ Fantasie hat der Mann, das muss man ihm lassen. Natürlich sind die großen Veranstaltungen im Bereich klassischer Musik ein Schaulaufen der Reichen und Mächtigen. Auch das ließe sich einfach ändern. Ein erster Schritt wären schon einmal erschwingliche Eintrittspreise überall und eine Abschaffung der Klassengesellschaft zwischen Parkett und Loge. Nein, das will er nicht, nur wenn es um Russen geht.
Er könnte natürlich schlicht zugeben, dass der Aufwand, der für kulturelle Bildung getrieben wird, in Russland heute noch etwas höher ist als in Westeuropa, wo gerade die Studenten in künstlerischen Bereichen, egal, ob Malerei oder Musik, ein ganz besonders elitärer Haufen sind, weil man sich die Ausbildung, die davor erforderlich ist und die vielen Jahre mit wenig oder keinem Einkommen danach als Normalsterblicher nicht leisten kann. Sich also im Grunde bei den großen Klassik-Veranstaltungen die herrschende Klasse selbst bespaßt. Aber das würde erfordern, die Zusammenhänge zwischen Gesellschaft und Kulturbetrieb im Blick zu haben. Dafür hat Brüggemann keine Zeit. Er muss Russen jagen und deren gefährliche Netzwerke enttarnen.
Und „das größte dieser Netzwerke ist in Salzburg“. Festspiele, die vor über hundert Jahren von Max Reinhardt erdacht wurden, weil „das Theater nicht entbehrlicher Luxus für die oberen Zehntausend, vielmehr ein unentbehrliches Lebensmittel für die Allgemeinheit ist“, so Reinhardt in einem Brief. Brüggemann muss bemerkt haben, dass die Festspiele dieser Absicht nicht mehr entsprechen. Das allerdings stört ihn nicht. Übrigens ist die Donezker Oper ein gegenwärtiges Beispiel für diese Sicht auf Kultur. Sie stellte selbst unter schwerstem Beschuss im Sommer 2014 den Betrieb nicht ein. So, wie es auch die Leningrader Theater während der Belagerung nicht taten. Reinhardts Kulturverständnis ist augenblicklich in Europa, wenn überhaupt, nur noch in Russland am Leben.
Brüggemann kritisiert weder die Besetzung eines für das Volk erdachten Festivals durch die Reichen und Mächtigen, noch das Sponsoring an sich. Er stößt sich auch nicht an einem der Hauptsponsoren der Festspiele, der Kühne-Stiftung, ein Ableger der Spedition Kühne und Nagel. Eine Spedition, die im Jahr 1933 sich ihres jüdischen Teilhabers entledigte und später für die Wehrmacht arbeitete, aber auch viel Geld mit dem Transport der Möbel ermordeter Juden und anderer Raubwaren ins Reich verdiente. Deren Chef nach 1945 die Firma nur deshalb weiter leiten konnte, weil die CIA dafür sorgte, ihn trotzdem als „unbelastet“ einzustufen, da er für die Organisation Gehlen arbeitete, aus der dann später der BND entstand.
Nein, Brüggemann verlangt vom Intendanten der Festspiele, Markus Hinterhäuser, auf jedes Sponsoring aus russischen Quellen zu verzichten. Obwohl keine davon zu den Hauptsponsoren zählt.
Übrigens führten die Nazis heftige Auseinandersetzungen um diese Festspiele, ehe sie sie durch den Einmarsch in Österreich im Jahr 1938 in Besitz nahmen. Der Dirigent Wilhelm Furtwängler und der Komponist Richard Strauss, beide den Nazis durchaus gewogen, erhielten im Jahr 1934 Briefe folgenden Inhalts:
„Herr Reichsminister Dr. Goebbels hat mich beauftragt, Ihnen mitzuteilen, dass dies [die beabsichtigte Teilnahme an den Festspielen] der Politik des Führers Österreich gegenüber zuwiderlaufe und daß er sie bittet, von einer Mitwirkung bei den Salzburger Festspielen im politischen Interesse abzusehen.“
Ähnlichkeiten mit aktuellen Begebenheiten und lebenden Personen sind rein zufällig.
Nur eines muss ich doch noch erwähnen. Im Anschluss an diesen Wortbeitrag, das kann man in der Aufzeichnung noch hören, wurde ausgerechnet ein Stück von Hanns Eisler gespielt. So erfreulich es ist, wenn die Musik dieses großen Komponisten, der im Westen Deutschlands nicht nur während der Nazizeit, sondern auch danach ein Vierteljahrhundert lang nicht gespielt wurde, weil er Kommunist war, in einer Rundfunksendung auftaucht, möchte man sich nicht vorstellen, wie Eisler darauf reagiert hätte, nach einem solchen Beitrag gespielt zu werden. Eisler, dessen Gespräche mit Hans Bunge eines der klügsten Bücher sind, das ich kenne, dessen Scharfzüngigkeit legendär war, hätte vermutlich eine längere Tirade über Dummheit im Journalismus vom Stapel gelassen.
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