Vorwort.
Die Natürliche Wirtschaftsordnung (1919 - 3. Auflage)-Fotokopie
- Siehe auch FT: Die natürliche Wirtschaftsordnung
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Das heutige Metallgeld ist seinem Wesen nach vollkommen dem Geld gleich, das schon im Altertum den Austausch der Waren vermittelte. Gräbt man aus dem Schutte Achens, Roms oder Karthagos Münzen aus, so hat man allgemein gültiges, gleichwertig mit dem Gelde Europas oder Amerikas umlaufendes Geld in Händen. Sieht man ab von der etwaigen Verschiedenheit im Feingehalt der Münzen, so ist ein Kilo Münzen mit dem Stempel römischer Kaiser = einem Kilo Münzen mit dem Stempel deutscher Prägeanstallen. Alle Eigenschaften des Geldes das Lykurg aus Sparta ächtete, haften in unveränderter Form unserem Gelde an, und vielleicht ist dieses Geld die einzige staatliche Einrichtung, die sich aus dem grauen Altertume unangetastet bis auf uns herübergerettet hat.
Diesem ehrwürdigen Alter unseres Geldes entspricht jedoch in keiner Weise unsere Kenntnis vom Wesen des Geldes. Wir wollen an dieser Stelle nicht darüber rechten, ob Lykurg wohl daran tat, als er, in der Erkenntnis, daß das aus Edelmetall hergestellte Geld das Volk in arm und reich trennt und durch solche Zersetzung die Volkskraft bricht, nun das Kind mit dem Bade ausgoß. Aber tiefer als Lykurg ist man auch heute nicht in das Wesen der dem Golde nachgejagten Übel eingedrungen. Immer noch begnügt man sich damit, mit Pythagoras aus zuzurufen: Ehret Lykurg, er ächtete das Gold und Silber, die Ursache aller Verbrechen, immer nur fluchen wir: Auri sacra fames, immer nur seufzen wir verzweifelt mit Goethe: „Am Golde hängt, nach Golde drängt doch alles – ach wir Armen!“
Aber mit diesen Verwünschungen hat es sein Bewenden. Auf die Frage, was denn eigentlich am Gold verkehrt ist, warum das Gold der Menschheit zum Fluch wird — sind alle still. Sogar die Gelehrten vom Fach werden durch diese Frage so sehr in Verlegenheit gebracht, daß sie es vorziehen, Lykurg und Pythagoras einfach zu verleugnen und die dem Gold nachgesagten Übel auf ungenaue Beobachtung zurückzuführen. So wird der spartanische Moses zum Währungspfuscher, und der große Mathematiker zum moralischen Schwärmer gestempelt.
Dieses Versagen der Wissenschaft ist jedoch weniger eine Folge mangelnder Erkenntniskraft des menschlichen Geistes als ein Ergebnis der äußeren Verhältnisse, die hier mitspielen und die der wissenschaftlichen Durcharbeitung der Lehre vom Geld nicht günstig sind.
Zunächst ist es der Gegenstand selber, der die meisten von vornherein abstößt. Es gibt anziehendere Gegenstände der Forschung als das Geld, besonders für hochfliegende Geister und vornehme Naturen. Religion, Biologie, Astronomie usw, alles das ist unendlich viel an- und emporziehender als das Forschen nach dem Wesen des Geldes. Nur ein nüchtemer Rechenkünstler wird sich zu diesem
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Stiefkind der Wissenschaft hingezogen fühlen, und so ist es verständlich und es gereicht der Menschennatur eigentlich zur Ehre, daß man die Forscher immer noch an den Fingern zählen kann, die liefer in diesen schwarzen Kontinent eingedrungen sind.
Hierzu kommt, daß die unglückliche Art der bisherigen wissenschaftlichen Behandlung des Geldwesens und die Verquickung dieser Behandlung mit dem nun endlich aussterbenden Wertglauben die natürliche Abneigung gegen diesen Zweig der Wissenschaft nur noch verstärkt haben. Die Währungsfrage ist geradezu verrufen als Muster verworrener Gelehrsamkeit, wobei noch zu bemerken ist, daß die Bedeutung, die der Gegenstand für die Entwickung der Menschheit hat, durch die Währungsliteratur in der öffentlichen Meinung stark herabgesetzt wurde. (Die heute begrabene bimetallistische Literatur macht hier eine lobenswerte Ausnahme.) Für die große Mehrheit des Volkes ist die Mark d. R.-W. heute tatsächlich nicht mehr als der 1/1375. Teil von einem Pfund Feingold; und für das Volk ist das Gold als Metall doch ein ziemlich bedeutungsloser Stoff. Diese Herabsetzung, die der Gegenstand der Währungsliteratur in der öffentlichen Meinung erfahren hat, hat aber wieder zur Folge, daß niemand die betreffenden Bücher kauft und daß kein Verleger die Druckkosten dafür wagen will. So mag es sein, daß Vieles und Gutes über das Geldwesen geschrieben, aber nicht veröffentlicht wurde — weil sich kein Verleger dafür fand. Wieder ein Umstand, der die Forscher vom Geldwesen fernhält. Wer die Mittel nicht besitzt, um das Geschriebene auf eigene Kosten drucken zu lassen, der darf sich nicht mit dem Geldwesen befassen.
Freilich gibt es in letzterer Beziehung Ausnahmen. Unsere Hochschullehrer, deren Veröffentlichungen immer wenigstens von Studenten und staatlichen Bibliotheken gekauft werden, mögen für ihre Literatur auch willige Verleger finden, aber diesen für die Schule bestimmten Schriften steht der Satz im Wege, daß Hadersachen von der Schule ferngehalten werden müssen. So dürfen diese Schriften aus Rücksicht auf ihre Bestimmung niemals tiefer in das Wesen des Geldes eindringen. Vom hadrigen Kern der Frage prallt die Sonde der Schulwissenschaft immer zur Obersfläche zurück. Es steht hier mit dem Geld nicht anders wie mit der Lehre von der Grundrente, vom Zins, vom Lohne, und ein Hochschullehrer, der den politischen Kern all dieser Probieme nicht beachten wollte, würde seinen Hörsaal bald in einen „Campo de Agramonte“ verwandeln, wo alle blindlings auf Freund und Feind einschlagen. Nein, Hadersachen, Politik, die Lehre vom Lohn, von der Grundrente, vom Zins und vom Geld gehören wirklich nicht in die Hochschulen. Notwendigerweise muß aber darum auch diese Wissenschaft in den Händen unserer Professoren verkümmen: das „ne plus ultra“ starrt dem Professor ja immer gleich nach den ersten Spatenstichen entgegen.
Zu diesen äußeren Schwierigkeiten tritt noch der Umstand, daß die Theorie dieses heiklen Stoffes Kenntnisse voraussetzt, die man eigentlich nur im praktischen Handel erwerben kann, und daß der Handel zumeist solche Naturen anzieht und fesselt, die theoretischen Untersuchungen abhold sind. Männer der Tat fordert der Handel, keine Theoretiker und Ideologen. Wie lange ist es übrigens her, daß der Handel zudem als anrüchig angesehen wurde (Merkur, „Gott der Kaufleute und Diebe„) und sich ihm vorzugsweise solche Elemente zuwandten, die auf den Schulen nicht mitkamen? Die intelligenten Söhne mußten, studieren, der Rest war für den Handel bestimmt.
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So ist also die Tatsache nicht so befremdlich, daß wir zu unserem, 4000 Jahre alten Metallgeld, das sich durch 100 Generationen und durch die Hände von Milliarden und aber Milliarden Menschen gewälzt hat, heute in der Zeit des wissenschaftlichen Vorgehens auf allen Gebieten noch keine stichhaltige Theorie haben und daß noch überall in der Welt die Routine die Nichtlinien für die öffentliche Behandlung des Geldes ziehen muß.
Dieser Mangel an einer stichhaltigen Geldtheorie ist aber der Grund, warum wir bis heute auch für die Zinserscheinung keine genügende Erklärung zu geben vermochten. Sonderbar, wir bezahlen und erheben seit 4000 Jahren Kapitalzins in ungezählten Milliarden, ohne daß die Wissenschaft die Frage zu beantworten vermöchte, woher und warum der Kapitalist den Zins erhält (*).
(* v. Boehm-Bawekl, Geschichte und Kritik der Kapitalzins-Theorien.)
Zwar an Versuchen hat es nicht gefehlt. Dafür sorgte schon der Gegenstand selbst, der den Charakter eines allgemeinen Störenfrieds ganz öffentlich zur Schau trägt und der darum auch ganz anders als das Geld das öffentliche und wissenschaftliche Interesse auf sich zog. Jeder namhafte Volkswirt hat sich mit dem Zinsproblem befaßt, namentlich die Sozialisten, deren ganzes Streben im Grunde nur gegen den Zins gerichtet ist.
Aber wie viele sich auch redlich abgemüht haben, die Frage nach der Natur des Zinses blieb unbeantwortet.
Der Grund dieses Fehlschlagens liegt nicht in der Schwierigkeit des Stoffes, sondern einfach darin, daß der Kapitalzins (der Zins der Darlehen sowohl wie der Zinsertrag der Realkapitalien) ein Geschöpf oder Nebenerzeugnis des herkömmlichen Geldes ist und darum auch nur mit Hilfe der Geldtheorie wissenschaftlich erklärt werden kann. Wie uns Zins und Geld äußerlich schon als unzertrennliche Freunde begegnen, so innig vereint sind sie auch seelisch, d. h. in der Theorie. Ohne Geldtheorie ist es unmöglich, den Zins zu erklären. Die Lehre vom Zins kann nur von der Lehre vom Geld abgeleitet werden.
Die Zinsforscher haben aber (aus den schon erwähnten Gründen) regelmäßig das Studium des Geldes vernachlässigt. Marx z. B. hat der Theorie des Geldes keine fünf Minuten Überlegung gewidmet, dafür zeugen seine drei dicken Bände, die sich mit dem Zins (Kapital) befassen. Proudhon dagegen, der das Geld weniger mißachtete, ist auch der Lösung des Zinsproblems am nächsten gekommen.
In nachfolgender Untersuchung, die durch Zufall angeregt und durch glückliche äußere Verhältnisse geleitet und gefördert wurde, biete ich nun der Wissenschaft, dem Handel und der Politik die so lange gesuchte Theorie des Geldes und des Zinses.
Es war Haderstoff, was ich untersuchte. Konnte ich wissen und vermeiden, daß das, was ich finden sollte, ein revolutionärer Brander sein würde?
Im Sommer 1911
Silvio Gesell.
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