11. Das Gesetzmäßige im Umlauf des heutigen Geldes.
Die Natürliche Wirtschaftsordnung (1919 - 3. Auflage)-Fotokopie
- Siehe auch FT: Die natürliche Wirtschaftsordnung
Wenn man Nachfrage und Angebot als obersten, als einzigen Preisrichter einsetzt, wenn man den Gegenstand der Wertlehre als ein Hirngespinst erkannt hat, wenn man eingesehen hat, daß die Erzeugung um den Preis als Schwerpunkt pendelt und nicht umgekehrt, so wird der Preis und alles, was auf ihn einwirkt, zum Brennpunkt unseres Interesses, und Dinge, die wir bis dahin als Nebensache betrachteten, gewinnen mit einem Schlage ganz außerordentliche Bedeutung.
Und als einen solchen, bisher gänzlich unbeachteten Umstand erwähne ich die Tatsache, daß man, dank der Beschaffenheit des herkömmlichen Geldes, die Nachfrage (also das Angebot des Geldes) von einem Tage, von einer Woche, von einem Jahre zum andern verschieben kann, ohne unmittelbare Verluste zu erleiden — während das Angebot (das Angebot der Waren) durchweg nicht um einen Tag zurückgehalten werden kann, ohne daß der Besitzer Unkosten aller Art erleidet.
Die im Juliusturm aufgespeicherte Nachfrage von 180 Millionen z. B. ist in 40 Jahren nicht einmal betätigt worden, und die Unkosten, die dem Staat dieser sogenannte Kriegsschatz verursacht hat, kamen allein von außen, nicht vom Innern des Turmes. Menge und Güte des Goldes waren durchaus unverändert geblieben. Nicht ein Pfennig war durch Stoffverlust verloren gegangen. Der Soldat, der dort Wache hielt, fahndete nicht nach Motten und Schimmel, sondern nach Einbrechern. Er wußte, daß, solange die Tür nicht erbrochen< war, dem Schatz durchaus nichts geschehen konnte.
Dagegen kostet der in Bern aufgehäufte wirkliche Kriegsschatz, der sogenannte Bundes-Weizen, jährlich neben den Kosten der Bewachung, Wartung, Ausspeicherung noch 10% Stoffverlust. (Ohne den Zins, auf den auch der Eigentümer des Spandauer Schatzes verzichtet.)
Die Gegenstände, die das Angebot vertreten, verderben, sie werden leichter, schlechter, fallen gegenüber den frischen Erzeugnissen ständig im Preise.
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Bruch, Rost, Fäulnis, Nässe, Hitze, Kälte, Wind, Blitz, Staub, Mäuse, Motten, Fliegen, Spinnen, Feuer, Hagel, Erdbeben, Krankheiten, Unglücksfälle, Überschwemmungen und Diebe nagen nachdrücklich und ohne auszusetzen an der Güte und Menge der Waren, und nicht viele unter ihnen gibt es, die nicht bereits nach wenigen Tagen oder Monaten deutliche Spuren dieser Angriffe zeigen. Und gerade die wichtigsten und unentbehrlichsten unter den Waren, die Lebensmittel und Kleider, widerstehen ihren Feinden am schlechtestent;
Wie alles Irdische, so ist die Ware in steter Umwandlung begriffen. Wie der Rost sich im Feuer in reines Eisen zurückverwandelt, so verwandelt sich das reine Eisen im langsamen Feuer der Luft wieder in Rost. Der schöne Pelz fliegt in Gestalt von tausend Motten zum Fenster hinaus, das Holzwerk des Hauses verwandeln die Würmer in Staub, und selbst das Glas, das dem Zahn der Zeit besser als andere Waren widersteht, sucht die Umgestaltung wenigstens als Scherbe mitzumachen.
So hat jede Ware ihren besonderen Feind, den Bruch für Glaswaren, die Motten für Pelzwaren, Rost für Eisenwaren, die Krankheiten für Tiere, und zu diesen Einzelfeinden gesellen sich noch gemeinsame Feinde, die für alle Warengelten — Wasser, Feuer, Diebe usw. und der Sauerstoff der Luft, der langsam aber sicher alles verbrennt.
Wer die Waren gegen alle diese Verluste versichern wollte, wieviel Versicherungsgeld müßte er wohl bezahlen? zahlt der Ladenbesitzer allein an Miete für den Platz, wo seine Waren lagern?
Aber die Ware verdirbt nicht allein, sondern sie veraltet auch. Wer würde heute noch einen Vorderlader, ein Spinnrad kaufen? Wer würde für solche Gegenstände auch nur die Rohstoffkosten bezahlen? Die Warenerzeugung wirft ständig neue, bessere Muster auf den Markt, und kaum hatte der Zeppelin seine Lenkbarkeit gezeigt, so wurde er schon überflügelt, figürlich sowohl wie tatsächlich.
Wie kann sich nun der Warenbesitzer gegen solche Verluste schützen? Nur dadurch, daß er seine Ware so schnell wie möglich verkauft. Und um sie zu verkaufen, muß er sie anbieten. Die Waren, sein Eigentum, zwingen ihn geradezu zum Angebot. Widersteht er diesem Zwange, so wird er bestraft, und die Strafe vollstreckt sein Eigentum, die Ware.
Dabei ist zu bedenken, daß unausgesetzt neue Waren auf den Markt kommen, daß die Kuh regelmäßig alle Tage gemolken werden muß, daß der Besitzlose durch den unmittelbaren Hunger gezwungen ist, täglich zu arbeiten. Das Angebot muß also größer, dringender werden in demselben Maße wie etwa der Verkauf, der Absatz stockt. Der Regel nach ist darum auch der Zeitpunkt, wo die Ware die Fabrik verläßt, der günstigste für den Verkauf, und je länger der Verkauf hinausgeschoben wird, um so ungünstiger werden die Marktverhältnisse.
Warum läuft und schreit der Zeitungsverkäufer? Weil seine Ware wenigeStunden nach der Geburt schon wertlos wäre. Der Milchhändler hat eine helltönende Glocke an seinem Wagen angebracht, er darf den Tag, will sagen, die Stunde und Minute nicht für den Verkauf verpassen. Die Gemüsefrau steht von allen Bürgern zuerst auf, sie weckt den Haushahn regelmäßig aus seinem Schlaf.
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Der Metzger darf die Zeit auch nicht verschlafen, er kann nicht wegen der Pfingstfeier den Laden schließen — denn 24 Stunden würden genügen, um seinen ganzen Fleischvorrat in Fäulnis zu bringen. Der Bäcker gar kann seine Ware zum regelrechten Preis nur absetzen, solange die Brötchen noch warm sind. Er hat es jahraus jahrein ebenso eilig wie die braven Züricher, die den heißen Hirsebrei nach Straßburg bringen. Und der Bauer, der mit der Pflugschar die Kartoffeln aus der Erde geworfen und sie nun den Nachtfrösten ausgesetzt hat? Er sammelt sie eilig und bringt sie mit gleicher Eile auf den Markt — um das schöne Wetter auszunutzen und um das mühsame Auf- und Abladen seiner billigen und schweren Ware möglichst zu verhüten.
Und das Heer von Arbeitern, die 10000 Arbeiterbataillone? Haben es diese nicht ebenso eilig wie der Zeitungsmann, die Gemüsefrau, der Bauer? Wenn sie nicht arbeiten, geht mit jedem Pendelschlag der Uhr ein Teil ihre Habe, ihrer Arbeitskraft, verloren.
So sehen wir, wie die Natur der Ware, ihre Vergänglichkeit, die große Mehrheit des Volkes aus dem Schlafe rüttelt, sie zur Eile anspornt und sie zwingt, regelmäßig zu einer bestimmten Stunde auf dem Markte zu erscheinen. Die Eigentümer erhalten von der Ware den Befehl, sie zu Markte zu führen, unter Androhung von Strafe, die die Ware auch selbst vollstreckt. Das Angebot der Ware geht also von der Ware aus, nicht vom Eigentümer; einen Willen läßt die Ware ihrem Eigentümer nur in seltenen Ausnahmen und dann noch in beschränktem Maße. So könnte der Bauer z. B. das Korn nach erfolgtem Drusch in seiner Scheune ausspeichern, um eine bessere Verkaufsgelegenheit abzuwarten. Die Natur des Kornes läßt dem Eigentümer mehr Muße zum Überlegen als die Natur des Salats, der Eier, der Milch, des Fleisches, der Arbeitskraft. Aber lange darf der Bauer auch nicht überlegen, denn das Korn verliert an Gewicht und Güte, wird von Mäusen und Gewürm angegriffen und muß vor Feuer und anderen Gefahren geschützt werden. Übergibt der Bauer den Weizen einem Lagerhaus, so kostet ihn die Sache, abgesehen vom Zins, in 6 Monaten einen bedeutenden Teil des Weizens.
Auf alle Fälle muß aber der Weizen verkauft werden vor der nächsten Ernte, die durch die Zufuhren von der südlichen Halbkugel jetzt alle 6 Monate eintritt.
Frl. Zelie, vom Théatre Lyrique Paris (1860) erhält für ein Konzert auf der Insel Makea im Stillen Ozean als Eintrittsgeld für 860 verkaufte Billets: 3 Schweine, 23 Welschhühner, 44 Hühner, 500 Kokosnüsse 1200 Ananas, 120 Maß Bananen, 120 Kürbisse, 1500 Orangen. Sie schätzt nach Pariser Marktpreisen die Einnahme auf 1000 Franken. Sie fragt: wie soll ich das Zeug zu Geld machen? Soll ich es verzehren? Man sagt, daß ein Spekulant von der benachbarten Insel Manyea mir Kaufangebote in klingender Münze machen wird, Inzwischen gebe ich meinen Schweinen, um sie am Leben zu erhalten, die Kürbisse zu fressen, und die Puten und Hühner verzehren die Bananen und Orangen, so daß ich, um den aus Tieren bestehenden Teil meines Kapitals zu erhalten, die Früchte opfern muß(*).
(*) Wirth: Das Geld S.7)
Man kann also sagen, ohne Widerspruch befürchten zu müssen, daß das Angebot durchweg einem mächtigen, täglich wachsenden alle Hindernisse überwindenden, im Stoff liegenden Zwang unterliegt, einem Zwang, der der Natur der das Angebot darstellenden Dinge anhaftet. Das Angebot kann
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nicht hinausgeschoben werden. Unabhängig vom Willen der Warenbesitzer muß das Angebot täglich auf dem Markte erscheinen. Ob es regnet, schneit oder ob die Sonne brennt, ob politische Gerüchte die Börse beunruhigen, das Angebot ist immer gleich dem Vorrat an Waren. Und selbst dann noch ist das Angebot gleich dem Warenbestand, wenn der Preis der Waren unbefriedigend ist. Ob der Preis dem Erzeuger Gewinn oder Verlust bringt — einerlei, die Waren werden angeboten, müssen angeboten werden, und zwar in der Regel sofort.
Darum können wir das Angebot von Waren, d. i. die Nachfrage nach Geld, mit der Ware selbst als wesenseins ansehen, sie von menschlichen Handlungen unabhängig erklären. Das Angebot ist eine Sache, ein Gegenstand, ist Stoff, keine Handlung. Das Angebot ist immer gleich dem Warenbestand.
Die Nachfrage ist dagegen, wie schon gesagt, von solchem Zwange befreit. Aus Gold hergestellt, einem Edelmetall, das, wie schon diese Bezeichnung andeutet, eine Ausnahmestellung unter den irdischen Stoffen einnimmt und sozusagen als Fremdkörper dieser Erde betrachtet werden kann, widersteht es siegreich allen Zerstörungskräften der Natur.
Das Gold rostet nicht und fault nicht, es bricht nicht und stirbt nicht. Frost, Hitze, Sonne, Regen, Feuer — nichts kann ihm schaden. Das Geld, das wir aus Gold machen, schützt seinen Besitzer vor jedem Stoffverlust. Auch die Güte ändert sich nicht. Vergraben wir einen goldenen Schatz, meinetwegen in einem Morast, ohne irgendwelche Hülle, so wird dieser Schatz noch nach 1000 Jahren ganz unversehrt sein.
Dabei ist auch die Neuförderung des Goldes, im Verhältnis zu der seit Urzeiten aufgespeicherten Goldmasse, unerheblich, sie wird in 3 oder 6 Monaten, ja in einem Jahre kaum 1 % des Goldbestandes betragen.
Auch vom Modenwechsel wird das Goldgeld nicht berührt, denn der einzige Modenwechsel, der hier in 4000 Jahren stattfand, war der Übergang von der Doppelwährung zur einfachen Goldwährung.
Das einzige, was das Gold vielleicht zu fürchten hat, wäre die Erfindung eines brauchbaren Papiergeldes, aber selbst gegen solche Möglichkeit ist der Goldbesitzer dadurch geschützt, daß solches Papiergeld nur durch den Willen des Volkes zustande kommen kann — ein schwerfälliger Feind, der ihm Zeit zur Flucht läßt.
So ist der Besitzer des Goldes vor jedem Stoffverlust durch die eigentümlichen Eigenschaften dieses Fremdkörpers geschützt. Die Zeit geht am Gold spurlos vorüber, der Zahn der Zeit kann ihm nichts anhaben.
Der Besitzer des Goldes wird nicht von seinem Eigentum zum Verkauf gedrängt. Er kann warten; freilich verliert er den Zins, solange er wartet. Aber gewinnt er den Zins vielleicht nicht gerade darum, weil er warten kann? Auf alle Fälle verliert der Besitzer der Ware, der auf den Verkauf warten muß, auch den Zins. Er verliert den Zins und hat den Stoffverlust, dazu noch die Unkosten der Lagerung und Wartung, während der Besitzer des Goldes nur den Verlust eines Profites hat.
Der Besitzer des Goldes kann also die Nachfrage nach Waren hinausschieben; er kann seinen Willen geltend machen. Freilich wird er früh oder spät
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das Gold anbieten, denn an sich ist es ihm nutzlos, aber den Zeitpunkt, wo das geschieht, kann er auswählen.
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Wenn Meyer statt Gold irgend eine andere Ware als Tauschmittel besäße, meinetwegen Tee, Pulver, Salz, Vieh oder Freigeld, so würden die Eigenschaften dieser Tauschmittel ihm die Freiheit einer Verschleppung der Nachfrage und damit auch die Macht nehmen, eine Abgabe von den anderen Waren zu erheben.
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- geenügende Sicherheit gegen Verluste und
- dem Geld einen Tribut bieten.
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- Wenn die Ernte gut ausfällt, werde ich eine Säemaschine kaufen, sagt der Bauer.
- Wenn ich Glück im Stalle habe, werde ich den Sumpf entwässern, sagt der Gutsbesitzer.
- Wenn meine Erfindung den Erwartungen entspricht, werde ich eine Fabrik gründen, sagt der Chemiker.
- Wenn das Werk dieses Jahr gut arbeitet und der Streik beigelegt wird, werde ich eine Mietskaserne bauen, sagt der Rentner.
- Also, je mehr Ware erzeugt wird, desto mehr wachsen die Anlagen zur Erzeugung von mehr Ware (das sogenannte Realkapital).
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Aber von diesen Anlagen, vom Realkapital, erwartet man Zins, und der Zins fällt in dem Maße, wie das Realkapital im Verhältnis zur Bevölkerung wächst. Viele Wohnungen, wenig Mieter, niedriger Hauszins. Viele Fabriken und wenig Arbeiter, niedriger Fabrikzins.
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Fällt also der Zins der Realkapitalien infolge der neuen Anlagen unter das herkömmliche Maß, so wird kein Geld mehr für solche Anlagen hergegeben. Kein Zins, kein Geld (*)!
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Geldzins ginge mit dem Zins der Realkapitalien zurück, und daß darum auch bei niedergehendem Realkapitalzins das Geld für neue Realkapitalien nicht fehlt, auf Irrtum beruht. Also auch aus diesem Grunde kann die Volkswirtschaft sich nur von einer Krise zur andern entwickeln. Unter der Herrschaft des Metallgeldes muß das Volk gesetzmäßig obdachlos als Bettler sein Leben fristen. Das Gold — das ist unser angestammter König, der wahre „roi des gueux.“
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