6. Wie das Freigeld beurteilt wird: Der Sparer
Die Natürliche Wirtschaftsordnung (1919 - 3. Auflage)-Fotokopie
- Siehe auch FT: Die natürliche Wirtschaftsordnung
Das Freigeld wirft alle Vorhersagungen über den Haufen; alles, was man von ihm erwartet hatte, erweist sich als falsch. Man hatte gesagt, niemand könne mehr sparen, und der Zins würde, Gott weiß wie hoch, steigen. Das Gegenteil ist eingetreten!
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Wenn ich jetzt eine Summe Geld erübrigt habe, so mache ich es genau wie früher —ich bringe sie zur Sparkasse, und die Sparkasse schreibt mir die Summe in mein Buch ein. In dieser Beziehung hat sich nichts geändert. Man sagte, das Geld würde auch im Sparkassenbuch den Umlaufsverlust mitmachen: aber das ist Unsinn. Die Sparkasse schuldet mir so und soviel Mark deutscher Reichswährung, nicht aber die Zettel, die ich ihr lieferte. Und die Mark der Reichswährung steht über den Zetteln. Wenn ich jemandem einen Zentner Karloffeln für ein Jahr borge, so wird er mir doch nicht dieselben, inzwischen verfaulten Karloffeln zurückgeben, sondern einen Zentner neue. Ebenso ist es mit der Sparkasse. Ich borge ihr 100 Mark und sie verpflichtet sich, mir 100 Mark zurückzuerstatten, Und das kann die Sparkasse auch tun, denn auch sie gibt das Geld zu den gleichen Bedingungen wieder aus, und auch die Handwerker und Bauern, die sich in der Spartasse mit Geld für ihr Gewerbe versehen, behalten das Geld nicht zu Hause. Sie kaufen damit das, was sie brauchen, und der Umlaufsverlust verteilt sich auf diese Weise auf sämtliche Personen, durch deren Hände das Geld im Laufe des Jahres gegangen ist.
Also inbezug auf die zurückzuerstattende Summe ist alles beim Alten geblieben. Aber ich sehe, dass ich jetzt bedeutend mehr sparen kann, als früher.
Der Sozialdemokrat erklärte die Erscheinung mit einem allgemeinen Rückgang des Mehrwertes, der, mit dem Rückgang des Zinsfußes schritthaltend, das gesamte Kapital (Mietskasernen, Eisenbahnen, Fabriken usw.) betroffen habe. Der Konsumvereinsbeamte erkärte mir, dass mit dem Freigeld die Handelskosten merkwürdigerweise von durchschnittlich 40 % auf krapp 10 % gefallen seien, so dass ich dadurch allein bei meinen Einkäufen 30 % spare. Der Sozialpolitiker wiederum wollte meine größere Sparkraft mit der Beseitigung der Wirtschaftsstörungen erklären. Sie mögen wohl alle drei recht haben. Tatsache ist nun einmal, daß ich statt 100 M. jezt 2000 M. spare und besser lebe als früher. Tatsache ist also, dass das Freigeld das Sparen überhaupt für viele erst möglich gemacht hat.
Wie ging es mir früher mit meinem Sparkassenbuch? Bei jedem politischen Gerüchte stockte der Absatz, fehlte die Arbeit; dann mußte ich zur Sparlasse gehen und Geld abheben. Das warf mich dann immer weit zurück, und manchmal waren Jahre nötig um die Lücken auszufüllen, die eine Geschäftsstockung in mein Sparkassenbuch gerissen hatte. Die reine Sisyphus Arbeit! Jetzt habe ich regelmäßige Arbeit, und es kommen keine Rückschläge mehr vor, die mich zwingen, das sauer ersparte Geld wieder von der Sparlasse abzuholen.
Mit erstäunlicher Regelmäßigkeit bringe ich jetzt monatlich meinen Überschuß zur Kasse. Aber wie es mir ergeht, so scheint es allen zu ergehen, denn es herrscht immer ein ganz ungewöhnliches Gedränge an der Kasse. Die Spark asse hat schon wiederholt den Zinsfuß herabgeseht, und sie kündigt eine neue Ermäßigung für nächsten Monat an. Sie begründet das damit, daß die Eingänge die Abgänge fortgesetzt übersteigen. Von 4 % ist der Zinsfuß in dieser kurzen Zeit seit Einführung des Freigeldes schon auf 3 % gefallen, und es heißt, dass bei Einführung unseres Freigeldes im Weltverlehr der Zins auf Null fallen wird — und es wird wohl auch so kommen, wenn die jetzigen Verhältnisse andauern.
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Denn während die Eingänge an der Sparkasse fortgesetzt zunehmen, gehen die Gesuche um Darlehn zurück, weil die Handwerker, Bauern und Unternehmer aus denselben Gründen, die mir das Sparen erleichtern, jetzt mit den eigenen Überschüssen ihren Wirtschaftsbetrieb erweitern können.
Die Nachfrage nach Leihgeld geht zurück, das Angebot wächst, — natürlich muß da der Zins fallen. Denn der Zins gibt uns das Verhältnis an, in welchem bei Darlehen das Angebot zur Nachfrage steht.
Der Rückgang des Zinsfußes ist ja bedauerlich vom Standpunkt der schon beschriebenen Seiten meines Sparkassenbuches, aber um so erfreulicher ist ein vom Standpunkt der schon beschriebenen. Und diese sind bei weitem in der Mehrzahl. Denn Zins, — was ist denn Zins? Wer bezahlt den Zins? Was ich heute spare, das ist das, was mir von meinem Lohn übrigbleibt, nachdem ich in meinen persönlichen Ausgaben meinen Teil entrichtet habe von den Zinsen, die der Staat und die Gemeinde ihren Gläubigern zahlen müssen und die von den Kapitalisten gefordert werden für die Benutzung der Häuser, Maschinenanlagen, Vorräte, Rohstoffe, Eisenbahnen, Kanäle, Gas und Wasser-Anlagen usw. Fällt der Zins, so wird alles entsprechend billiger, und ich werde entsprechend größere Summen sparen können.
Meinen Verlust an Zinsen auf die schon gesparten Summen werbe ich also tausendjach wiedergewinnen durch meine größeren Ersparnisse. Meine Wohnungsmiete beträgt 25 % meines Lohnes und besteht zu zwei Dritteln aus Zins für das Baugeld. Geht nun der Zinsfuß von 4 auf 3 — 2— 1 oder 0 v. H. zurück. so sparen ich dann 1/4-1/2-3/4 usw. der Wohnungsmiete, oder 4-16 % meines Lohnes – allein am Hauszins! Das Häuserkapital macht über kaum ein Viertel aller Kapitalien aus, deren Zins ich mit meiner Arbeit aufbringen muß (*). Durch den Rückgang des Zinses auf O würde ich also 4 X 16 % = 64 % meines Lohnes sparen können. Was geht mich da noch der Zins an? Statt M. 100 werde ich ja M. 640 von meinem Lohn jährlich allein schon dadurch, daß der Zins auf 0 gefallen ist, sparen können. Von meinem Einkommen von M. 1000 konnte ich jährlich M. 100 sparen. Das machte bei 4 % mit Hilfe von Zinzeszins in 10 Jahren M. 1236.72.
(*) Industrie, Handels-und landwirtschaftliches Kapital, Staatsschuldenkapital, Verkehrsmittelkapital.)
Seit Wegfall des Zinses stieg mein Lohn auf das Doppelle, und so kann ich statt M. 100 nun M. 1100 sparen. Das macht in 10 Jahren M. 11000 (**)
(**) Hier wird vorausgesetzt, daß die Warenpreise vom Währungsamt auf gleicher Höhe erhalten werden. Die Ersparnis an den Zinsen, die heute die Preise belasten, drückt sich dann nicht in niedrigen Warenpreisen aus, sondern in steigenden Lohnsätzen. Würden degegen mit dem Zins auch die Warenpreise fallen, so würden die Löhne auf gleicher Höhe bleiben. Wegen der fallenden Preise könnten dann die Ersparnisse sich mehren. Aber die so gesparte Summe ließe sich nicht unmittelbar mit der früheren Sparsumme vergleichen, da letzterer höhere Warenpreise gegenüberstanden.)
Also weit entfernt, mir zu schaden, würde mir der völlige Wegfall des Zinses das Sparen ganz außerordentlich erleichtern. Rechne ich, daß ich 20 Jahre lang arbeite und spare, um dann in den Ruhestand zu treten, so würde ich
- mit 4 % Zins und Zinzeszins….M. 3024,48
- nach Wegfall des Zinses aber…M. 38000,00
besitzen. Und wenn ich nun von dem ersteren Betrage 4 % beziehe, so macht das
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120 Mark im Jahre aus. Überschreite ich diese Summe und greife das Vermögen an, so ist bei einer jährlichen Ausgabe von 360 Mark in 10 Jahren das Vermögen erschöpft, während ich mit den M. 28000 zehn Jahre lang M. 3000 jährlich ausgeben kann.
So erweist sich also die alte Anschauung, daß das Gold und der Zins das Sparen erleichtern, als Schwindel. Der Zins macht das Sparen für die große Mehrzahl unmöglich. Fällt der Zins auf Null, so wird jeder sparen können, während jetzt nur besonders Befähigte oder Entsagungsmutige diese bürgerliche Tugend üben konnen.
Genau umgelehrt verhält es sich natürlich bei reichen Leuten oder Rentnern, wenn der Zins auf Null fällt. Da ihr Eigentum keine Zinsen mehr einträgt, und da sie gleichzeitig von den durch die Beseitigung des Zinses erhöhten Löhnen keinen Vorteil haben (weil sie ja nicht arbeiten), so müssen sie notgedrungen von ihrem Besitze zehren, bis er aufgezehrt ist. Zwischen Sparer und Rentner liegt eben ein großer Unterschied. Der Arbeiter spart, und der Zins muß von der Arbeit aufgebracht werden. Rentner und Sparer sind keine Berufsgenossen, sondern Gegner.
Um Zinsen von meinen Erspamissen von M. 3024.48 beziehen zu können, nuß ich meinerseits erst N. 34967.— (also 38000 — 3024.00) Zinsen an die Rentner bezahlen!
Die Rentner mögen den Ruckgang des Zinses beklagen; wir Sparer oder sparenden Arbeiter müssen dagegen ein solches Ereignis freudig begrüßen. Wir werden niemals von Renten leben können, wohl aber von unseren Ersparnissen, und zwar mit Behaglichkeit bis an unser Lebensende. Wir werden unsern Erben auch keinen Quellsatz (Kapital) hinterlassen; aber haben wir für unsere Nachkommen nicht genug gesorgt, wenn wir ihnen wirtschaftliche Einrichtungen hinterlassen, die ihnen den vollen Arbeitsertrag sichern? Allein die Freilandreform verdoppelt das Einkommen des Arbeiters, und Freigeld verdoppelt das Einkommen noch einmal. Dadurch allein, daß ich für die Einführung dieser beiden Neuerungen gestimmt habe, erschloß ich meiner Nachkommen einen Schatz, der ihnen so viel einbringt wie ein Kapital, das dreimal meinen früheren Lohn abwirft.
Im übrigen möge man folgendes nicht vergessen: wenn die Sparsamkeit eine Tugend ist, die man vorbehaltlos allen Menschen predigen kann und soll, so muß diese Tugend auch von allen Menschen geübt werden können, ohne daß daraus jemandem ein Schaden erwachse, oder Widersprüche sich in der Volkswirtschaft zeigen.
Nun heißt in der Einzelwirtschaft sparen viel arbeiten, viele Waren erzeugen und zum Markte tragen, aber nur wenig Waren kaufen. Der Unterschied zwischen dem Erlös der verkauften eigenen Erzeugnisse und dem Betrag der gekauften Waren bildet die Ersparnisse, das Geld, das man zur Sparlasse bringt.
Rechne nach, was geschehen muß, wenn jeder für M. 100 Arbeitsprodukte auf den Markt wirft, aber nur für M. 90 kauft, also M. 10 zu sparen wünscht. Wie kann man diesen Widerspruch lösen und allen Menschen die Möglichkeit geben, zu sparen?
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Jetzt ist die Antwort da, der Widerspruch ist durch das Freigeld gelöst. Das Freigeld bringt den christlichen Satz: tue anderen, was du willst, daß man dir tue, auf seinem Gebiet zur Anwendung. Es sagt: willst du deine Sachen verkaufen, so kaufe deinem Nächsten seine Sachen ab. Hast bu für 100 verkauft, so laufe auch für 100. Wenn alle so handeln, wird jeder sein volles Erzeugnis verkaufen, und sparen können. Sonst aber nehmen sich die Sparer gegenseitig die Möglichkeit, ihr Vorhaben auszuführen.
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