Einleitung Verbogene Raum-Zeit von Harald Fritsch
Dem Zauber dieser Theorie wird sich
kaum jemand entziehen können, der sie
wirklich erfaßt hat.Albert Einstein
Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts deuteten sich die großen weltpolitischen Veränderungen an, die letztlich zu einer Neugestaltung der politischen Strukturen in Europa nach dem Ersten Weltkrieg führen sollten. Etwa um dieselbe Zeit nahm auch eine revolutionäre Umgestaltung der Naturwissenschaften ihren Anfang. So entwickelte der eher konservativ eingestellte deutsche Physiker Max Planck die ersten Ideen zur Quantentheorie, die letztlich zu einem radikalen Umbau der Physik und, mehr noch, der Fundamente der Naturwissenschaften führten. Kurz nach dem Beginn des neuen Jahrhunderts gab ein junger Beamter des Eidgenössischen Patentamtes in Bern, Albert Einstein, den seit dem ausgehenden Mittelalter festgefügten Begriffen von Raum und Zeit eine neuartige Interpretation, indem er um 1905 die Grundlagen der Relativitätstheorie, genauer der Speziellen Relativitätstheorie, schuf.
Zur Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts war die klassische Physik das Modell und Vorbild für die Naturwissenschaften schlechthin. Sie war von der klassischen Mechanik Isaac Newtons (1643 -1727) beherrscht. Die Gesetze der Mechanik interpretierte man als eherne Naturgesetze, die universell im Kosmos ihre Gültigkeit hatten, ganz gleich, ob man die Bewegung von Körpern auf der Erde untersuchte oder aber den Bewegungsablauf der Planeten und Sterne im Weltraum. Der Kosmos wurde als ein riesiges Uhrwerk betrachtet, dessen Bewegungsabläufe von der klassischen Physik bestimmt wurden. Die Grundpfeiler der Newtonschen Mechanik waren die Stabilität und Unveränderlichkeit von Raum, Zeitablauf und Materie im Kosmos.
Mit Einsteins Spezieller Relativitätstheorie erfuhren diese Begriffe eine neue Deutung, die überraschende Konsequenzen nach sich zog. So erwiesen sich Raum und Zeit als Phänomene, die vom Zustand des Beobachters abhängig sind. Auch von der Universalität der Masse, einem wichtigen Aspekt der Newtonschen Physik, mußte man Abschied nehmen: Masse konnte sich unter gewissen Bedingungen in Energie verwandeln und umgekehrt, entsprechend der Einsteinschen Gleichung E = mc2, eine Folge der Speziellen Relativitätstheorie. Diese Relation besagt, daß jedem Stück Materie eine enorme Energie entspricht, die man erhält, wenn man die entsprechende Masse mit dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit c (c = 300.000 km/s) multipliziert. Allerdings läßt sich diese Energie nur in Ausnahmefällen freisetzen, etwa bei Kernreaktionen oder bei der Explosion eines Sterns im Kosmos (»Supernova«).
Eine der interessanten Konsequenzen der Speziellen Relativitätstheorie, deren Grundlagen Einstein im Jahre 1905 konzipiert hatte, ist die Vereinheitlichung von Raum und Zeit. Es erwies sich, daß es nicht möglich ist, Raum und Zeit als zwei völlig getrennte Phänomene zu betrachten, wie es einst Newton gelehrt hatte. In Einsteins Theorie verschmolzen Raum und Zeit zu einer Einheit, zur Raum-Zeit. Eine der Folgen dieser Einheit ist die Abhängigkeit des Ablaufs der Zeit vom Bewegungszustand. In einem schnell bewegten System läuft die Zeit langsamer ab als in einem ruhenden, was beispielsweise zum sogenannten Zwillingsparadoxon führt – zwei Zwillinge, der eine in Ruhe auf der Erde, der andere in schneller Bewegung etwa in einem Raumschiff im Weltraum, altern verschieden rasch.
Diese und andere Konsequenzen der Relativitätstheorie scheinen im Widerspruch zur Erfahrung zu stehen, zu den intuitiven Vorstellungen über den uns umgebenden Raum und den anscheinend universell dahinfließenden Strom der Zeit, die in jedem Menschen von Geburt an entwickelt sind. Aus diesem Grunde spricht man oft auch davon, daß die Relativitätstheorie zu einem radikalen Umsturz der Begriffe von Raum und Zeit führte. Dies ist jedoch nicht der Fall: Vielmehr handelt es sich vornehmlich um eine Erweiterung dieser Begriffe für Situationen, die man im täglichen Leben praktisch nicht antrifft – für Prozesse, bei denen sich Körper, etwa Atomkerne oder Elementarteilchen, mit Geschwindigkeiten bewegen, die der Geschwindigkeit des Lichtes von etwa 300 000 Kilometer pro Sekunde nahekommen.
Eines aber hatte die Spezielle Relativitätstheorie mit der Newtonschen Lehre von Raum und Zeit gemeinsam: Raum und Zeit waren nach Newtons Vorstellungen fest vorgegebene Erscheinungen – sie waren die Bühne, auf der die dynamischen Prozesse der Welt stattfanden. Nichts vermochte die Struktur des Raumes und den Ablauf der Zeit zu beeinflussen. In der Speziellen Relativitätstheorie werden Raum und Zeit durch die Einheit von Raum und Zeit – die Raum-Zeit – ersetzt. Aber auch bei letzterer handelt es sich um einen festgefügten, ehernen Rahmen, unwandelbar und unbeeinflußbar durch äußere Einflüsse.
Zwei Jahre nach seiner ersten Arbeit über die Spezielle Relativitätstheorie, im Herbst 1907, beschäftigte sich Einstein erstmals damit, das Phänomen der Schwerkraft, also der Gravitation, auf der Grundlage der von ihm geschaffenen neuen Interpretation des Raumes und der Zeit näher zu verstehen. Bald wurde ihm klar, daß die Relativitätstheorie einer beträchtlichen Erweiterung bedurfte, um die Gravitation mit einzubeziehen.
Als universelle physikalische Kraft war die Gravitation im Jahre 1666 von dem damals 23 Jahre alten Isaac Newton in seinem Heimatort Woolsthorpe entdeckt worden. Der Überlieferung nach war es ein vom Obstbaum in seinem Garten auf den Erdboden fallender Apfel, der Newton zu der Überlegung führte, daß diejenige Kraft, die den Apfel nach unten zieht, dieselbe Kraft sein muß wie die, welche den Mond auf seine Bahn um die Erde zwingt, oder die Kraft, die von der Sonne auf die Erde ausgeübt wird, damit sie ihre jährlichen Kreise um die Sonne zieht. Aus dieser Idee entstand das Newtonsche Gravitationsgesetz, nach dem jeder massive Körper auf einen anderen eine anziehende Kraft ausübt, die um so stärker ist, je größer die Masse des Körpers ist.
Newton hat seine Theorie der Gravitation in seinem Hauptwerk »Philosophiae naturalis principia mathematica« (»Mathematische Prinzipien der Naturlehre«), meist kurz »Principia« genannt, dargelegt, das im Jahre 1687 erschienen war. Mit seinem Werk legte Newton die Fundamente der physikalischen Wissenschaften, insbesondere der klassischen Mechanik. Im Vorwort der »Principia« schildert Newton seine Methode zur Beschreibung der physikalischen Erscheinungen kurz so: »Aus den Erscheinungen der Bewegung die Kräfte der Natur zu erforschen und hierauf durch die Kräfte die übrigen Erscheinungen zu erklären«. Die dreihundert Jahre seit dem. Erscheinen der »Principia« bezeugen den bemerkenswerten Erfolg dieser Forschungsmethode Newtons.
Die Gravitation behandelt Newton im dritten Buch seiner »Principia«, das den Titel »Vom Weltsystem« trägt; es ist vor allem den astronomischen Erscheinungen gewidmet. Newton gibt hier seine berühmte Erklärung der Bewegungen der Planeten um die Sonne auf der Grundlage der universellen Massenanziehung, also der Gravitation. Die damit begründete Mechanik der Himmelskörper erlaubte es Newton, alle Einzelheiten der Planetenbewegungen zu beschreiben und zu erklären. Insbesondere konnte er ableiten, warum sich die Planeten um die Sonne auf Ellipsen bewegen, was bereits von Johannes Kepler (1571-1630) entdeckt worden war.
Auf diese Weise beeindruckte er seine Zeitgenossen wie kein anderer Naturforscher der Weltgeschichte, mit Ausnahme Einsteins. Einen bemerkenswerten Erfolg feierte die Newtonsche Theorie mehr als ein Jahrhundert nach dessen Tod. Für einige Zeit sah es so aus, als wäre es nicht möglich, die Bahn des Planeten Uranus mit Hilfe der Newtonschen Gravitationstheorie zu beschreiben. Beim genauen Vermessen der Uranusbahn entdeckte man kleine Abweichungen, die im Widerspruch zur Newtonschen Theorie standen, und einige Astronomen und Physiker dachten bereits über Modifizierungen des Gravitationsgesetzes nach. Im Jahre 1846 bemerkten jedoch die Astronomen Urbain Jean Joseph Le Verrier und John Couch Adams unabhängig voneinander, daß man die Unstimmigkeiten der Uranusbahn erklären konnte, wenn man annahm, daß sich jenseits des Uranus noch ein weiterer Planet befindet, dessen Gravitationswirkungen die Bahn des Uranus beeinflussen. Sie konnten zudem die Position des neuen Planeten einigermaßen genau angeben. Noch im selben Jahr wurde der neue Planet, der den Namen »Neptun« erhielt, von dem Berliner Astronomen Johann Gottfried Galle entdeckt. Aus einem Problem für die Newtonsche Theorie der Gravitation war letztlich ein triumphaler Erfolg geworden.
Le Verrier entdeckte im Jahre 1859 einen anderen Schönheitsfehler in der Newtonschen Himmelsmechanik, diesmal bei dem sonnennächsten Planeten Merkur. Zwar bewegt sich Merkur auf einer Ellipsenbahn um die Sonne, jedoch handelt es sich beim genaueren Beobachten nicht um eine stationäre Ellipse, wie man es im Rahmen der Newtonschen Theorie erwarten würde, vielmehr verändert sich die Ellipse stetig, wobei der sonnennächste Punkt der Bahn, das sogenannte Perihel der Ellipse, langsam um die Sonne wandert. Genaugenommen ist also die Bahn des Merkur gar keine richtige Ellipse; sie sieht eher wie eine Rosette aus. Allerdings ist der Unterschied zu einer stationären Ellipse nicht sehr groß. Das Perihel verändert sich beim Merkur pro Jahrhundert nur um etwa 43 Bogensekunden (genau 43,11″). Trotz dieses geringen Effekts stellte die Periheldrehung des Merkur ein ernsthaftes Problem für die Newtonsche Gravitationstheorie dar. Eine Erklärung auf der Grundlage der Existenz eines neuen Planeten schied hier aus, da es innerhalb der Erdbahn nur zwei Planeten gibt, nämlich Merkur und Venus. Erst im 20. Jahrhundert entdeckte man, daß auch die Bahn der Venus eine wenn auch sehr kleine Drehung des Perihels zeigt, und zwar um 8,4″ in 100 Jahren.
Zurück zu Einstein und der Relativitätstheorie. Einstein brauchte fast acht Jahre, um die Schwerkraft in sein Gedankengebäude der Relativität einzubauen. Die ersten Ideen zur Gravitation formulierte er im Jahre 1907, als Beamter am Patentamt in Bern. Als er später Professor in Zürich, Prag und wieder in Zürich war, publizierte er eine Reihe von Arbeiten zur Gravitation. Im Jahre 1914 übersiedelte Einstein nach Berlin und wurde Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Die endgültige Theorie legte er am 25. November 1915 in Berlin der Akademie vor. Es handelte sich nicht um eine Ergänzung seiner Relativitätstheorie von 1905, sondern um eine tiefgreifende Erweiterung und eine neue Sicht der Struktur von Raum und Zeit, die mit Recht die Bezeichnung »Allgemeine Relativitätstheorie« erhielt.
War der Hauptzug der »alten« Theorie, der Speziellen Relativitätstheorie, die Einheit von Raum und Zeit, so war der wesentliche neue Gedanke jetzt die Einheit von Raum, Zeit und Materie. Die Materie – so Einsteins Hypothese – konnte man nicht unabhängig von Raum und Zeit sehen. Sie war in der Lage, die Struktur des Raumes und der Zeit zu verändern, zu »verkrümmen«. Das Resultat dieser Verkrümmung war unter anderem die Gravitationskraft, die nach Einsteins Interpretation keine eigentliche Kraft war, wie etwa die elektrische Anziehungskraft zwischen zwei entgegengesetzt geladenen Metallkugeln, sondern eine Folge der Geometrie der Raum-Zeit. Ein Apfel fällt, so Einstein, nicht etwa vom Baum zum Erdboden, weil er von der Erde angezogen wird, sondern weil durch die Gegenwart der Erde die Struktur des Raumes und der Zeit derart verändert wird, daß der Apfel in dem Moment, in dem er sich vom Baum löst, gar nicht anders kann, als der vorgegebenen Verbiegung der Raum-Zeit zu folgen. Er fällt zum Erdboden wie ein Zug, dem nichts anderes übrig bleibt, als sich auf dem durch den Schienenstrang vorgezeichneten Weg zu bewegen.
Mit seiner Idee der Krümmung von Raum und Zeit, oder besser der Raum-Zeit, betrat Einstein im Jahre 1915 physikalisches Neuland, wobei jedoch nicht unerwähnt bleiben sollte, daß das Fundament für diesen wichtigen Schritt schon von einigen Mathematikern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelegt worden war.
Einsteins Idee bedeutete einen weiteren Schritt in einer Entwicklung, deren Wurzeln bereits im Altertum zu finden sind. Damals nahm man weithin an, daß die Oberfläche der Erde eine Scheibe darstellte, versehen mit einem Rand, dem man sich jedoch besser nicht nähern sollte. Erst die Weltumseglungen zur Zeit des ausgehenden Mittelalters belegten auf überzeugende Weise, daß die Erdoberfläche in guter Näherung durch die Oberfläche einer Kugel beschrieben werden kann, also in sich gekrümmt ist und keine Ränder besitzt. Trotzdem ging man davon aus, daß die Geometrie unserer Welt durch die Gesetze bestimmt ist, die die griechischen Philosophen und Mathematiker bereits im Altertum aufgestellt hatten. In den »Elementen« des Euklid (um 325 v. Chr.) wurden diese Gesetze systematisch formuliert, und für mehr als 2000 Jahre war dieses Buch nicht nur die Grundlage der Mathematikausbildung, sondern nach der Bibel das am weitesten verbreitete Werk der abendländischen Geistesgeschichte.
Euklids Geometrie ist die Geometrie unserer unmittelbaren Erfahrung. Eine Ebene ist flach, ohne Krümmungseigenschaften. Auch der dreidimensionale Raum ist »flach«, also ohne innere Struktur – ein Raum ohne Eigenschaften. Eine Gerade in diesem unendlich ausgedehnten Raum verhält sich, wie man es naiv von einer Geraden erwartet: Sie ist unendlich lang, zwei parallele Geraden schneiden sich nie. Ein Kreis besitzt einen Umfang, dessen Verhältnis zum Radius durch 2ʌ gegeben ist.
Der Raum der Allgemeinen Relativitätstheorie, also der Raum Einsteins, ist nicht der Raum, der den Gesetzen der euklidischen Geometrie folgt: Er ist nichteuklidisch, in sich gekrümmt, besitzt eine innere Struktur, die eng mit den dynamischen Gesetzen der Physik verknüpft ist. Der Raum, nach Euklid ein strukturloses Gebilde von drei Dimensionen, wird zu einem physikalischen Medium, das eine eigene von der Materie festgelegte Dynamik besitzt.
Bei der Aufstellung seiner »Allgemeinen Relativitätstheorie« hatte Einstein sich wiederum, wie schon 1905 bei der Speziellen Theorie, als Meister in der kritischen Analyse von Begriffen gezeigt. So schrieb er im Jahre 1916 über seine Methode des Forschens, die sich wie eine Aufforderung zur Ungehorsamkeit liest: »Begriffe, welche sich bei der Ordnung der Dinge als nützlich erwiesen haben, erlangen über uns leicht eine solche Autorität, daß wir ihres irdischen Ursprungs vergessen und sie als unabänderliche Gegebenheiten hinnehmen. Sie werden dann zu ›Denkgewohnheiten‹, ›Gegebenen a priori‹ usw. gestempelt. Der Weg des wissenschaftlichen Fortschritts wird durch solche Irrtümer oft für lange Zeit ungangbar gemacht. Es ist deshalb durchaus keine müßige Spielerei, wenn wir darin geübt werden, die längst geläufigen Begriffe zu analysieren und zu zeigen, von welchen Umständen ihre Berechtigung und Brauchbarkeit abhängt, wie sie im einzelnen aus den Gegebenheiten der Erfahrung herausgewachsen sind. Dadurch wird ihre allzu große Autorität gebrochen. Sie werden entfernt, wenn sie sich nicht ordentlich legitimieren können, korrigiert, wenn ihre Zuordnung zu den gegebenen Dingen allzu nachlässig war, durch andere ersetzt, wenn sich ein neues System aufstellen läßt, das wir aus irgendwelchen Gründen vorziehen.«
Für die Aufstellung seiner Gravitationstheorie gilt auch, was Einstein einem Kollegen schrieb: »Wenn ich mich frage, woher es kommt, daß gerade ich die Relativitätstheorie gefunden habe, so scheint es an folgendem Umstand zu liegen: Der Erwachsene denkt nicht über die Raum-Zeit-Probleme nach. Alles, was darüber nachzudenken ist, hat er nach seiner Meinung bereits in seiner früheren Kindheit getan. Ich dagegen habe mich so langsam entwickelt, daß ich erst anfing, mich über Raum und Zeit zu wundern, als ich bereits erwachsen war. Naturgemäß bin ich dann tiefer in die Problematik eingedrungen als ein gewöhnliches Kind.«
Einsteins Gravitationstheorie war nicht etwa nur eine neue Interpretation der Massenanziehung, wie sie von Newton eingeführt worden war. Sie unterschied sich von Newtons Theorie in einer ganzen Reihe von Konsequenzen. Eine dieser Konsequenzen war die Drehung des Perihels der Planetenbahnen. Nach Einsteins Theorie wird der Raum um die Sonne durch deren Gravitation etwas verkrümmt. Ein Resultat dieser Krümmung ist eine kleine Abweichung der Planetenbahnen von der genauen Ellipsenform, die sich in einer Drehung des Perihels der Bahn äußert. Allerdings ist dieser Effekt nur in der Nähe der Sonne signifikant, mithin bei den sonnennächsten Planeten, während er bei den weiter entfernten Planeten kaum noch zu beobachten ist. Für die Drehung der Bahn des Merkur errechnete Einstein einen Wert, der mit der Beobachtung gut übereinstimmte. Heutige Berechnungen ergeben einen Wert von 43,03″, in sehr guter Übereinstimmung mit Einsteins Theorie. Für die Venusbahn errechnet man 8,6″, wiederum in guter Übereinstimmung mit der Theorie.
Auch die Bahn der Erde wird nach Einsteins Theorie von der Raumkrümmung durch die Sonne beeinflußt. Man erhält für die Drehung des Perihels der Erdbahn 3,8″ pro hundert Jahre. Die Messungen ergeben 5,0″, wobei sich die Abweichung von der Einsteinschen Theorie durch die Beeinflussung der Erdbahn durch die anderen Planeten, insbesondere Merkur und Venus, erklären läßt. Man erwartet in Einsteins Theorie, daß nicht nur massive Körper der Gravitation unterliegen, weil ihre Bewegung notgedrungen der Krümmung der Raum-Zeit folgen muß; auch die Ausbreitung von Licht wird durch die Verzerrung der Raum-Zeit beeinflußt. So ergibt sich, daß Lichtstrahlen durch ein Schwerefeld, etwa das der Sonne, abgelenkt werden. Das Licht eines Sterns wird zum Beispiel, wenn es auf seinem Weg zur Erde knapp an der Sonnenoberfläche vorüberstreicht, nach Einsteins Theorie um etwa 1,7 Bogensekunden abgelenkt.
Die Überprüfung der Lichtablenkung durch die Gravitation der Sonne erfolgte bei der am 29. Mai 1919 stattfindenden Sonnenfinsternis durch zwei englische Forschergruppen, die das Königliche Greenwich-Observatorium in England an zwei verschiedene Orte in der Zone der totalen Verfinsterung in den Tropen gesandt hatte. Die Bekanntgabe der Ergebnisse erfolgte am 6. November 1919 auf einer speziell anberaumten Sitzung der Royal Society, der ältesten wissenschaftlichen Gesellschaft der Welt, und der Royal Astronomical Society in London. Beide Beobachtergruppen fanden einen Wert, der innerhalb der unvermeidlichen Fehler mit Einsteins Voraussage von 1,74 Bogensekunden verträglich war.
(Später stellte sich allerdings heraus, daß die Fehler der Messungen von den beteiligten Astronomen nicht richtig abgeschätzt worden waren. Man fand, daß der Fehler genauso groß wie der von Einstein vorausgesagte Effekt war, so daß man rückblickend nicht von einer vollen Bestätigung der Einsteinschen Theorie sprechen kann. Nachfolgende Messungen der Lichtablenkung ergaben jedoch eine gute Übereinstimmung zwischen Experiment und Theorie.)
Bis zum November 1919 war Einstein nur einem Fachpublikum bekannt gewesen. Nach der Bekanntgabe der Lichtablenkung änderte sich dies jedoch schlagartig. Über Nacht stieg er zum bekanntesten lebenden Wissenschaftler auf. Seine Popularität hält bis zum heutigen Tage an, obwohl nur eine kleine Anzahl von Fachwissenschaftlern die Einsteinschen Forschungsergebnisse übersehen und richtig einordnen können.
Es ist das Hauptziel des vorliegenden Buches, die Leser zumindest mit den Grundideen der Allgemeinen Relativitätstheorie und den wichtigsten Konsequenzen, insbesondere im Hinblick auf die Astrophysik und die Kosmologie, vertraut zu machen. Dem Beispiel meines früheren Buches »Eine Formel verändert die Welt« (München 1988, 51996) über die Spezielle Relativitätstheorie folgend, habe ich für die vorliegende Darstellung die Form fiktiver Gespräche zwischen Isaac Newton, Albert Einstein und einer dritten, frei erfundenen Person, dem Berner Physikprofessor
Abb. 1-1 Albert Einstein um 1930. (Albert Einstein Archives Jerusalem)
Adrian Haller, gewählt. Ebenso wie im ersten Buch können solche Dialoge nur frei erfunden sein, da sich die beteiligten Personen selbstverständlich nie begegnet sind, noch sich je hätten begegnen können. Zudem sollen die Personen »Newton« und »Einstein«, wie sie im Buch auftreten, nicht etwa mit den historischen Persönlichkeiten identifiziert werden. Die Schauplätze des Buches orientieren sich aber an wichtigen Stationen im Leben Einsteins. Ich beschreibe nur mögliche Handlungen und Aussagen von Newton und Einstein, wenn man sie heute veranlassen könnte, zu den mittlerweile vorliegenden Einsichten und Erkenntnissen der Physik Stellung zu nehmen.
Wie im Buch über die Spezielle Relativitätstheorie habe ich die Dialogform gewählt, weil sie eine kontrastreiche Gegenüberstellung der Meinungen erlaubt. Die Schwierigkeiten bei der Vermittlung der Ideen der Allgemeinen Relativitätstheorie sind vor allem begrifflicher Natur. In den Gesprächen wird sich der Leser oft mit der Person Newtons identifizieren, der sich zunächst weigert, die Ideen seiner Partner zu akzeptieren, aber nach eingehenderen Diskussionen von den neuen und überraschenden Einsichten sehr angetan ist.
Die Person Albert Einstein, die im Buch als Diskussionspartner von Isaac Newton auftritt, soll den Einstein im Sommer des Jahres 1930 repräsentieren. Einstein war damals 51 Jahre alt. Es war der erste Sommer, den er in seinem im Jahre 1929 fertiggestellten Sommerhaus in Caputh bei Potsdam westlich von Berlin verbrachte. (Das Dorf Caputh liegt am Übergang des Templiner Sees in den Schwielowsee – beide durchfließt die Havel.) Die Aufstellung seiner Allgemeinen Relativitätstheorie lag damals 14 Jahre zurück, und die Theorie hatte ihre ersten Bestätigungen durch astronomische Messungen erfahren. Die Entdeckung der Rotverschiebung der fernen Galaxien durch den Amerikaner Edwin Hubble und seine Mitarbeiter, die ein Hinweis auf die Expansion des Kosmos darstellt, war gerade erfolgt.
Einsteins Diskussionspartner Isaac Newton soll dem historischen Newton kurz nach dem Erscheinen seines Hauptwerks, der »Principia« im Jahre 1687, entsprechen. Newton war zu jener Zeit 45 Jahre alt. Im Buch tritt er als kritischer, aber konzilianter Diskussionspartner von Einstein und Haller auf. Bewußt habe ich es vermieden, den im Buch auftretenden Newton zu sehr mit der historischen Persönlichkeit des großen Physikers in Einklang zu bringen, denn dann müßten auch durchaus unangenehme Seiten von Newtons Charakter zum Ausdruck kommen, die aber die Diskussion nur unnötig belasten und nichts zur Sache beitragen würden.
Partner von Einstein und Newton ist wieder der fiktive Berner Physikprofessor Adrian Haller, der die Meinungen der heutigen Physiker und Astronomen vertritt. Vorbild für diese Person und insbesondere für die Wahl des Namens war der Berner Naturforscher, Philosoph und Dichter Albrecht von Haller (1708-1777), der im Jahre 1736 als Professor für Medizin und Botanik nach Göttingen berufen wurde und von 1753 an wieder in seiner Heimatstadt Bern tätig war. Haller war einer der letzten großen Universalgelehrten. – In »Eine Formel verändert die Welt« war es Haller, der bei einem Aufenthalt in Cambridge, der Wirkungsstätte Newtons, die Bekanntschaft des großen englischen Physikers machte. Zusammen fahren sie nach Bern in die Schweiz, wo sie den 30jährigen Albert Einstein (den Einstein in der Zeit um 1908/09) treffen. Schließlich besuchen die drei Physiker das CERN bei Genf.
Die Gespräche des Buches beginnen also in Caputh, im heute noch existierenden Sommerhaus von Albert Einstein. Dort treffen sich Einstein, Newton und Haller, um über die Grundlagen der Allgemeinen Relativitätstheorie zu sprechen, beginnend mit Gesprächen über die fundamentalen Begriffe von Raum, Zeit und der Materie. Hierbei berühren die Diskussionen auch die heutige Forschung auf dem Gebiet der Physik der Elementarteilchen und der Kosmologie, etwa die Bestrebungen, mit Hilfe des im Bau befindlichen Genfer Beschleunigers LHC (»Large Hadron Collider«) herauszufinden, warum die meisten elementaren Teilchen eine Masse besitzen. Letztere ist die Quelle der Gravitation im Universum und bestimmt die großräumige Struktur des Kosmos.
Nachdem Newton (und hoffentlich auch die Leser) von Einstein und Haller mit den Grundlagen der Gravitationstheorie Einsteins vertraut gemacht worden ist und sich dabei in einen überzeugten Vertreter von Einsteins Ideen verwandelt hat, wechselt der Ort der Handlung. Im zweiten Teil des Buches treffen sich die inzwischen fast unzertrennlichen Physiker in Pasadena bei Los Angeles, dem Ort der Entdeckung der Expansion des Kosmos durch Edwin Hubble am Ende der zwanziger Jahre. Sowohl Einstein wie auch Haller kennen sich am California Institute of Technology, der technischen Hochschule Südkaliforniens, und den damit verbundenen
Observatorien gut aus – in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre hatte Einstein das Caltech regelmäßig besucht. Hier drehen sich die Gespräche vor allem um die Erkenntnisse der heutigen Astrophysik und Kosmologie, um Schwarze Löcher, Gravitationswellen und die Prozesse, die sich vor etwa 12 Milliarden Jahren unmittelbar nach dem »Urknall« abspielten.
Im vorliegenden Buch kommen verschiedentlich Aspekte der Speziellen Relativitätstheorie zur Sprache. Ich habe jedoch versucht, jene so zu diskutieren, daß ein Leser, der das Buch über die Spezielle Relativitätstheorie (»Eine Formel…«) nicht gelesen hat und auch sonst nicht mit ihren Grundideen vertraut ist, trotzdem der Diskussion folgen kann. Das Gedankengebäude der Speziellen Relativitätstheorie wird im Anhang kurz umrissen. »Die verbogene Raum-Zeit« sollte also, ungeachtet derselben »Akteure«, nicht als bloße Fortsetzung von »Eine Formel verändert die Welt« verstanden werden. Zwar ist die Allgemeine Relativitätstheorie historisch gesehen eine Fortentwicklung der Speziellen Relativitätstheorie, hat aber nur bedingt etwas mit letzterer zu tun. Sie ist eine eigenständige Theorie der Gravitationsphänomene, während die Spezielle Relativitätstheorie »nur« ein neues Gerüst darstellt, mit dessen Hilfe die bekannten physikalischen Phänomene und Kräfte auf neuartige Weise beschrieben werden.
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