In einem Grandhotel irgendwo in den Niederlanden

Im Mai 1954 fand im Hotel Bilderberg in dem kleinen niederländischen Ort Oosterbeek nahe der deutschen Grenze ein hochgeheimes Treffen statt. Gastgeber war Prinz Bernhard der Niederlande, der Ehemann von Königin Juliana. Nach dem Hotel wurde das Treffen einfach »De Bilderbergconferentie« genannt. In den drei Tagen intensiver privater Diskussionen entstand eine neue transatlantische Denkfabrik. Sie ist bis heute eine der erfolgreichsten Organisationen zur Beeinflussung des Weltgeschehens – und eine der verschwiegensten.(1)


Der in Deutschland geborene Prinz Bernhard war als notorischer Playboy und Schürzenjäger, ehemaliges Mitglied von NSDAP und Reiter-SS höchst umstritten. 1976 warf man ihm vor, vom amerikanischen Flugzeughersteller Lockheed mehr als eine Million Dollar Schmiergelder dafür kassiert zu haben, dass er sich für den Kauf von US-Kampfflugzeugen durch die niederländische Luftwaffe einsetzte. Wegen des Skandals musste Prinz Bernhard als Vorsitzender der Bilderberger zurücktreten. Zu seinen Nachfolgern zählten der deutsche Altbundespräsident Walter Scheel und später der britische Lord Carrington, ein Vertrauter und nachmaliger Geschäftspartner Henry Kissingers.(2)


2014 benennt die offizielle Website der Bilderberger den Zweck der Vereinigung lapidar mit »Förderung des Dialogs zwischen Europa und Nordamerika«. 120 ausgewählte Teilnehmer aus Finanzen, Politik, Industrie, Medien und akademischer Welt kommen einmal im Jahr zu einer Konferenz zusammen. Satzungsgemäß müssen zwei Drittel

Prinz Bernhard von den Niederlanden, Gemahl von Königin Juliana von den Niederlanden, Mitbegründer und erster Vorsitzender der Bilderberg-Gruppe, war in den i93oer-Jahren geheimes Mitglied der NSDAP in Berlin gewesen. In den 1970er-Jahren war er in den Lockheed-Bestechungsskandal verwickelt.

Der gebürtige Pole Jozef Retinger, die Graue Eminenz hinter der Bilderberg-Gruppe, war, obwohl kaum in der Öffentlichkeit bekannt, einer der einflussreichsten Köpfe des 20. Jahrhunderts.

der Teilnehmer aus Europa kommen, die übrigen aus den USA und Kanada; insgesamt kommt ein Drittel stets aus der Welt der Politik. US-amerikanische Bilderberger-Teilnehmer sind immer auch Mitglied des Council on Foreign Relations (CFR). (3)


Sie selbst bezeichnen die Konferenz als »Forum für informelle Diskussionen über Megatrends und wichtige Probleme, denen die Welt gegenübersteht«. Es handelt sich nicht um eine normale, öffentliche Denkfabrik wie den Council on Foreign Relations, über dessen Treffen berichtet wird und der Aufsätze herausgibt, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Vielmehr finden die Treffen nach eigenem Bekunden »gemäß den Regeln von Chatham House statt. Danach können die Teilnehmer die erhaltene Information frei verwenden, ohne jedoch die
Identität und Zugehörigkeit von Rednern oder anderen Teilnehmern preiszugeben. Aufgrund der privaten Natur der Konferenz sind die Teilnehmer nicht an Konventionen ihrer Ämter gebunden … Es gibt keine detaillierte Tagesordnung, es werden keine Resolutionen vorgeschlagen, keine Abstimmungen vorgenommen und keine politischen Erklärungen abgegeben.« (4)

Undurchsichtiger Ursprung

Nach den Worten des ersten Generalsekretärs der Bilderberger, des undurchsichtigen, aber enorm einflussreichen Exilpolen Jozef Retinger, entstammte die Bilderberg-Gruppe seiner Initiative von 1952, dem »wachsenden Misstrauen gegenüber Amerika« zu begegnen, »das sich in Westeuropa manifestierte und mit dem in Amerika ein ähnliches Misstrauen gegenüber Westeuropa einherging« (5) Kurz: Sie wollten für eine Harmonisierung der strategisch-politischen Orientierung Westeuropas und der Vereinigten Staaten sorgen. Entscheidend war dabei
die Einigkeit über die geopolitischen Ziele.


Jozef Retinger gehörte zu den einflussreichsten Politikern, die die proatlantische Ausrichtung Westeuropas nach dem Zweiten Weltkrieg prägten. Er gründete den Europarat in Straßburg, um Lobbyarbeit für den von Washington unterstützten Plan zur Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa zu betreiben. Weitere Schöpfungen
waren die CIA-finanzierte Europäische Bewegung und die gleichermaßen CIA-finanzierte European Youth Campaign. Sein mit Abstand einflussreichstes Projekt war aber die Gründung der Bilderberger, deren Europa-Direktor und Generalsekretär er wurde – verborgen vor den neugierigen Blicken der Öffentlichkeit, wie er es sich wünschte. (6)


Um diese Zeit endeten der Korea-Krieg und auch die Marshallplan-Hilfe für Europa. Die Kriegsjahre hatte Jozef Hieronim Retinger als Berater der polnischen Exilregierung von Ministerpräsident General Wtadistaw Sikorski in London verbracht. Retinger, dessen Name nur den Wenigsten bekannt war, zählte in der Nachkriegszeit zu den wichtigsten Drahtziehern in Europa und den Vereinigten Staaten. Wann immer er es wünschte, erhielt er eine Privataudienz beim Papst oder beim US-Präsidenten. Er war es, der Prinz Bernhard als Gastgeber und Galionsfigur auswählte und der entschied, wer aus Amerika und Europa eingeladen wurde.


Das erste Bilderberger-Treffen von 1954 wurde von einem hochkarätig besetzten Komitee vorbereitet. Auf europäischer Seite zählten dazu Paul Rykens, Chef des Lebensmittelkonzerns Unilever, Italiens Ministerpräsident de Gasperi, der britische Labour-Politiker Denis Healey sowie zwei prominente Deutsche: Professor Carlo Schmid und Otto Wolff von Amerongen. (7)


Vorsitzender des amerikanischen Komitees für dieses erste Bilderberg-Treffen war Joseph E. Johnson, Präsident der den Rockefellers nahestehenden Stiftung Carnegie Endowmentfor International Peace. Dabei war auch George Ball, der während des Krieges in London Direktor des Strategie Bombing Survey gewesen war und in dieser Position die Auswirkung der Bombardierung deutscher Städte und der Zivilbevölkerung analysiert hatte.

 

1945, nach dem Krieg, arbeitete Ball eng mit Jean Monnet und der französischen Regierung zusammen; später spielte er eine Schlüsselrolle beim Marshallplan. 1950 half er bei der Formulierung des Schuman-Plans und des Vertrages über die Europäische Vereinigung für Kohle und Stahl. Weitere Mitglieder des amerikanischen Bilderberg-Komitees waren H. J. Heinz II vom gleichnamigen Lebensmittelkonzern, George Nebolsine, der als Marshallplan-Berater für das State Department tätig war, und Dean Rusk, damals Präsident der Rockefeller-Stiftung und später US-Außenminister. (8)


Die eigentlich steuernde Hand der Bilderberger auf amerikanischer Seite aber war der erste Chef der neu etablierten Central Intelligence Agency, General Walter Bedell Smith. 1950 wurde er Direktor der CIA. Die CIA half bei der Organisation und unterstützte Vorbereitung und Durchführung der Bilderberg-Konferenzen.


Ende 1952 fuhr Retinger nach Amerika, um zu sondieren, wie seine Kontakte auf seine Bilderberg-Idee reagierten. Er traf Avereil Harriman, David Rockefeiler und Bedell Smith, damals Chef der CIA. Nachdem Retinger seinen Vorschlag erklärt hatte, soll Smith gesagt haben: »Warum zum Teufel sind Sie nicht zuerst zu mir gekommen?« Er empfahl Retinger, sich an C. D. Jackson zu wenden, der bald darauf Präsident Eisenhowers Assistent für psychologische Kriegführung wurde und damit zur Kontaktperson zwischen Pentagon und CIA.®
Teilnehmer des ersten Treffens 1954 im Hotel de Bilderberg war neben den bereits erwähnten Mitgliedern des Führungskomitees auch David Rockefeller, der heute das einzige Mitglied der »Beratergruppe« bei den Bilderbergern ist. Außerdem dabei waren Paul Nitze vom US State Department, Gardner Cowles, US-Medienbaron und Gründer der Zeitschrift Look (vergleichbar dem deutschen Stern), der früher stellvertretender Direktor des Office ofWar Information gewesen war, jenes US-Propagandaministeriums, das den Sender Voice of America
(VOA) gegründet hatte. Und schließlich Nelson D. Jay, Direktor des Bankhauses J. P. Morgan und enger Mitstreiter der Rockefellers. Auf der Teilnehmerliste des ersten Bilderberg-Treffens standen weiterhin: C. D. Jackson, damals Eisenhowers Architekt des Kalten Krieges; Italiens Ministerpräsident Alcide de Gasperi; Sir Gardner Franks, Chef der britischen Lloyds Bank-, Sir Harry Pilkington, Chef des Verbands der britischen Industrie; Alberto Pirelli von der italienischen Pirelli-Gruppe, Fiat-Präsident Vittorio Valletta; Guy Mollet, Vorsitzender der französischen Sozialistischen Partei; Max Brauer, Erster Bürgermeister der Stadt Hamburg: Gerhard P. Th. Geyer von der deutschen ESSO (Teil der Rockefeller-Gruppe); Heinrich Troeger, Staatsminister der Finanzen in Hessen; H.F. van Walsen, Direktor des niederländischen Elektrokonzerns Philips, und Antoine Pinay, ein ehemaliger französischer Premierminister. Zusammen mit seinem engen Freund und Mitstreiter Jozef Retinger wurde Pinay zur Schlüsselfigur bei der Formulierung der langfristigen Agenda der Bilderberger.


Wie Retinger selbst sagte, gründete er die Bilderberger nur, um den »Dialog zwischen Europa und Nordamerika zu fördern«. Das war für die Öffentlichkeit bestimmt. In Wirklichkeit strickte er einen finsteren Plan, der die reaktionärsten Kreise im Nachkriegs-Europa zusammenzog und sie an die mächtigste Familie in Amerika band, nämlich die der Rockefellers mit deren sich abzeichnendem »amerikanischen Jahrhundert«. Die Bilderberger sollten dafür sorgen, dass dieses Jahrhundert in erheblichem Maße von der Nachkriegs-Geopolitik des Vatikans beeinflusst würde. Das erste Treffen von 1954 wurde finanziert von Walter Bedell Smiths‘ CIA, Folgetreffen von der Ford Foundation, in der Zeit des Kalten Krieges enge Verbündete der CIA. (10)

»Le Cercle« – die Vatikan-Rockefeller-Allianz

Der Schlüssel zum außergewöhnlich großen Einfluss der jährlichen Bilderberg-Treffen seit 1954 lag in einer kaum bekannten paneuropäisch orientierten Organisation, die damals als Le Cercle bekannt war und manchmal auch als »Cercle Pinay« bezeichnet wird. Letzteres ist ein Hinweis auf die prägende Rolle der Kreise um den französischen
Premierminister Antoine Pinay, einen engen Freund des Bilderberg-Organisators Retinger.


Pinays Le Cercle (Der Kreis) war die geheime Verbindung zwischen europäischen Geheimdiensten, darunter die deutschen Dienste BND und BfV, MI6 in England, der französische SDECE, der niederländische BVD, die belgische Sureté de l’Etat sowie Schweizer und sogar saudi-arabische Geheimdienste und der Geheimdienst BOSS des süd-afrikanischen Apartheid-Regimes. Prominente Politiker im Umkreis von Pinay und Le Cercle waren unter anderen Franz Josef Strauß, Otto von Habsburg, Konrad Adenauer, der Italiener Giulio Andreotti, der
portugiesische General und spätere konservative Präsident Antonio de Spinola, Margaret Thatcher und Ronald Reagan.“


Darüber hinaus unterhielt Antoines Le Cercle Verbindungen zu der mächtigen, rechtsgerichteten römisch-katholischen Laienorganisation Opus Dei, der Papst Pius XII. 1950, zwei Jahre bevor Pläne für die Bilderberger geschmiedet wurden, offiziell die Approbation der Kirche erteilt hatte. Berühmt wurde die Organisation, nicht unbedingt zu ihrem Behagen, 2003 durch den historischen Roman The Da Vinci Code (deutscher Titel: Sakrileg) von Dan Brown.12


Zu den späteren Leistungen von Le Cercle gehörte die Manipulation der britischen Wahlen von 1976, durch die Margaret Thatcher, antigewerkschaftlich und politisch rechts orientiert, Premierministerin wurde.


Beteiligt waren führende Mitglieder von Le Cercle, Sir Brian Crozier, MI6-Chef Sir Arthur Franks und MI6 Division Head Nicholas Elliott. (3) Franz Josef Strauß, der »bayerische Löwe«, betonte in seinen Memoiren, er sei mit Antoine Pinay von Le Cercle befreundet gewesen, seit sich beide 1953 erstmals begegnet seien. Le-Cercle-Kreise in Deutschland unterstützten Strauß‘ erfolglose Kanzlerkandidatur. 1955 wurde Strauß auch regelmäßiger Teilnehmer der Bilderberg-Treffen.(4)


Bilderberger-Gründer Jozef Retinger, in Polen gebürtiger Katholik, organisierte sein europäisches Netzwerk durch Vermittlung eines italienischen CIA-Agenten, Professor Luigi Gedda, Chef der Azione Cattolica. Gedda war auch medizinischer Berater von Pius XII., einem stark rechtsorientierten, antikommunistischen Papst, der vor dem Zweiten Weltkrieg als Kardinal Eugenio Giovanni Pacelli der Architekt des 1933 geschlossenen Reichskonkordats mit Hitlers Nazipartei gewesen war. Schon 1932 war Pacelli als Kardinalstaatssekretär maßgeblich daran beteiligt gewesen, den römisch-katholischen deutschen Kanzler Franz von Papen zu überzeugen, seine katholische Zentrumspartei in eine gegen die Linke gerichtete Allianz mit Hitlers NSDAP zu steuern.(5)

Klerikalfaschismus und Pius XII.

Als Papst war Pius XII. eindeutig parteiisch, und zwar zugunsten einer Unterstützung klerikaler oder nominell römisch-katholischer Faschisten oder extrem repressiver, rechtsgerichteter Regimes. Dafür wurde der Begriff des Klerikalfaschismus geprägt, die Fusion der Kirche mit faschistischen oder diktatorischen Regimes wie beispielsweise dem Franco-Regime in Spanien.


Während des Zweiten Weltkriegs lehnte es Pius XII. ab, das kleri-
kalfaschistische, hitlerfreundliche Regime des Katholiken Ante Pavelic,
Diktator des neu proklamierten Staates Kroatien, zu verurteilen. Nicht
einmal die Ausweisung und Zwangskonversion ethnischer Serben in
Kroatien durch Pavelics faschistische Ustasa wollte der Papst verurtei-
len. Von katholischen Priestern über die Morde an orthodoxen Serben
informiert, die sich geweigert hatten, den katholischen Glauben anzu-
nehmen, ächtete Pius XII. – dem eine Liste kroatischer katholischer
Priester vorlag, die »bei der Abschlachterei mitgemacht« hatten – we-
der das Pavelic-Regime noch ging er gegen die beteiligten Priester vor.
Vielmehr ernannte er Alojzije Stepinac – einen wegen Kollaboration
mit der Ustasa verurteilten kroatischen Erzbischof – zum Kardinal.16
Faktisch verbanden Retingers Bilderberger die rechtsextremen anti-
kommunistischen Netzwerke in Europa – eingeschlossen der Vatikan
von Papst Pius XII., Opus Dei, die Franco-Regierung, die Regierung von
General Spinola in Portugal und zahlreiche weitere rechtsgerichtete,
antikommunistische Netzwerke in Europa – mit den amerikanischen
Eliten im Umfeld der mächtigen Rockefeller-Gruppe, vertreten durch
David Rockefeller persönlich und dessen Umfeld. Es war eine Paarung
der Macht, die profunde Auswirkungen auf die Entwicklung der Ge-
sellschaft und Politik im Nachkriegseuropa haben sollte.

Rockefeiler, der Vatikan und Latino-Diktatoren

Die Kombination aus rechtsgerichtetem Antikommunismus im Vatikan
und den Rockefeller-Kreisen in den Vereinigten Staaten – vermittelt
über die Bilderberg-Gruppe – wurde in den i97oer-Jahren überdeutlich

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in der Rolle des republikanischen US-Außenministers und führenden
Bilderberger-Mitglieds Henry Kissinger und in der amerikanischen
Unterstützung für »antikommunistische« klerikalfaschistische Mili-
tärdiktaturen im überwiegend römisch-katholischen Lateinamerika.
Das deutlichste Beispiel waren Chile unter General Pinochet, der durch
einen CIA-Putsch gegen den sozialistischen Präsidenten Salvadore Al-
lende an die Macht kam, und Argentinien nach dem US-unterstützten
Videla-Putsch von 1976.
Kissinger, lebenslang ein Verbündeter der Rockefellers, garantierte
die verdeckte Unterstützung der US-Regierung für die argentinische
Militärdiktatur unter Jorge Rafael Videla. In der Zeit des Zweiten Welt-
kriegs baute die Rockefeller-Familie große Geschäftsinteressen in La-
teinamerika auf, während Nelson Rockefeiler als Präsident Roosevelts
Koordinator für interamerikanische Angelegenheiten fungierte.17
Von 1976 an waren das Militär und die Todesschwadronen des Videla-
Regimes verantwortlich für die Ermordung oder das »Verschwinden«
von bis zu 30000 argentinischen Künstlern, Intellektuellen, Sozialisten,
Gewerkschaftsführern und Kommunisten. Das Terrorregime währte
bis 1983.18
Dass das Militär unter Videla mit Kissingers Zustimmung jeden,
der sich ihrer Spielart einer faschistischen Diktatur widersetzte, als
»Terroristen« bezeichnete, erscheint im Rückblick wie ein düsterer
Vorgeschmack auf den von Washington unterstützten Krieg gegen
ethnische Russen in der Ukraine im Jahr 2014.
Eine unschöne Rolle bei den Morden und Grausamkeiten in Vi-
delas »schmutzigem Krieg« gegen die Opposition spielte der argen-
tinische Kardinal Jorge Mario Bergoglio. Priester aus seinem Orden
erhoben den Vorwurf, er sei als Provinzial-Oberer der argentinischen
Societas Jesu (Jesuiten) 1976 in die Entführung zweier Jesuitenpater
durch die argentinische Marine verwickelt gewesen. In der Zeit der
Videla-Diktatur und ihrer Gräueltaten gegen Zivilisten blieb Bergoglio
stumm.1®
Im März 2013 wählte das Konklave der Kardinäle Kardinal Bergoglio
zum neuen Papst, er gab sich den Namen Franziskus. Die offizielle Web-
site der Gesellschaft der Societas Jesu nannte einige Stunden nach der
Wahl den Jesuitengründer Francis Xavier als wahren Namenspatron,
ersetzte diese Darstellung jedoch plötzlich zugunsten des sympathische-
ren Franz von Assisi. Damit wurde der Orden seinem Warenzeichen
getreu: Täuschung bei der Verfolgung seiner Ziele.10

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Der Kalte Krieg des Vatikans

Ein gut verstecktes Kapitel der amerikanischen Nachkriegsgeschichte ist
die nie veröffentlichte, aber zentrale Rolle des Vatikans bei der Dämoni-
sierung der Sowjetunion gegenüber der amerikanischen Öffentlichkeit
in den 195oer-Jahren. Sie hatte zur Folge, dass eine im Allgemeinen gut
funktionierende Demokratie in den Vereinigten Staaten immer mehr
zu einem nationalen Sicherheitsstaat wurde, in dem jedes Verbrechen
und jeder Missbrauch des Vertrauens der Öffentlichkeit durch CIA und
State Department den amerikanischen Bürgern mit dem Verweis auf
»nationale Sicherheit« und »Bedrohung durch den gottlosen Kommu-
nismus« verheimlicht werden konnte.
Dabei war zweitrangig, ob Stalin die behaupteten Verbrechen wirk-
lich begangen hatte, obwohl das in der Regel der Fall war. Stalins Bru-
talität gegen das eigene Volk lieferte den oligarchischen Kreisen um
die Rockefellers – darunter die damals noch ziemlich unbedeutende
Bush-Familie mit Senator Prescott Bush – die perfekte Rechtfertigung,
demokratische Prozesse in Amerika im Namen des Kalten Krieges
abzuwürgen.
Einer der wichtigsten römisch-katholischen Vertreter im Amerika
der i95oer-Jahre war der New Yorker Kardinal Francis Spellman. Bis
zu seinem Tod hatte Spellman derart viel Gewicht, dass man von ihm
als dem »amerikanischen Papst« sprach. In allen Amerika betreffenden
Fragen unterhielt er einen direkten Draht zu Pius XII., er teilte dessen
unversöhnlichen Antikommunismus.
Von 1881 bis zum Ersten Weltkrieg hatte eine Flut von Einwande-
rern aus dem katholischen Irland, dem katholischen Italien und aus
anderen Ländern dafür gesorgt, dass die Zahl der Katholiken in den
USA, deren Bevölkerung noch immer überwiegend protestantischen
Kirchen angehörte, um fünf Millionen wuchs. Katholiken wurden zu
einem immer wichtigeren politischen Faktor. Um 1950, kurz vor Beginn
des Kalten Krieges gegen den »gottlosen Bolschewismus«, lebten in
den USA 28 Millionen Katholiken. Viele gehörten zur Mittelschicht,
hatten an Universitäten studiert, waren wohlhabend und stellten eine
ernstzunehmende politische Machtbasis dar. Papst Pius XII., der zuvor
wenig Bedenken gezeigt hatte, ein päpstliches Konkordat mit Hitlers
Vizekanzler von Papen und mit dem italienischen Faschisten Mussolini
zu unterzeichnen, mobilisierte jetzt über die Kirche die Bevölkerungs-
basis in den Vereinigten Staaten für den Kalten Krieg.2′

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Für die Rockefeller-Gruppe und verbündete Bilderberger, die CIA und
State Department in der Hand hatten und die wichtige Unternehmen
des militärisch-industriellen Komplexes besaßen, war ein antikom-
munistischer Kreuzzug des Vatikans so etwas wie ein Geschenk des
Himmels.
Im August 1950 hielt der amerikanische Marineminister Francis
Matthews in Boston eine Rede. Der strenggläubige Katholik Matthews
war früher oberster Ritter der Knights of Columbus gewesen, die oft
als das katholische Gegenstück zur Freimaurerei bezeichnet werden.
Er unterhielt enge Beziehungen zu den höchsten Kreisen der Kirche.
Kurz vor seiner Bostoner Rede hatte Matthews deren Inhalt mit Kar-
dinal Spellman abgesprochen. Der Vatikan in Rom wurde informiert
und gab ebenfalls grünes Licht, genauso wie der römisch-katholische
US-General Douglas MacArthur und Pater Edmund Walsh, SJ, der ein-
flussreiche Rektor der School of Foreign Service der privaten katholischen
Georgetown University in Washington, D. C. Unter Edmond Walsh war
die School of Foreign Service während des Kalten Krieges maßgeblich an
der Gestaltung der amerikanischen Außenpolitik beteiligt. Dort wurden
die meisten US-Diplomaten ausgebildet, auch der spätere Präsident
Bill Clinton zählte zu den Absolventen. Nachdem Walsh Matthews‘
Rede gelesen hatte, erklärte er, die Vereinigten Staaten sollten sogar
die Atombombe gegen Russland einsetzen.“
Bei jener Bostoner Rede rief Marineminister Matthews die USA
zu einem Präventivkrieg gegen die Sowjetunion auf, damit würde das
amerikanische Volk zum »ersten Aggressor für den Frieden«. Matthews
präsentierte eine reichlich seltsame Logik, die George Orwell sicher
gefallen hätte: »Um den Frieden zu erreichen, sollten wir bereit sein,
jeden Preis zu zahlen – sogar den, einen Krieg einzusetzen … Damit
würde unser Programm zur imperialen Aggression … das könnten
wir hinnehmen … ein Wesenszug, der für eine echte Demokratie neu
ist – der Initiator eines Aggressionskrieges«.“ Glücklicherweise distan-
zierte sich Präsident Truman, der nicht vorab informiert worden war,
öffentlich von der provokativen Rede, ein atomarer Angriff der USA auf
die Sowjetunion blieb aus.
Papst Pius XII. äußerte sich nicht zu Matthews‘ Aufruf zum Prä-
ventivkrieg gegen die Sowjetunion. Matthews war damals Päpstlicher
Kämmerer von Pius XII.24
Dieser Hintergrund klärt so manches über die wahre Natur der
verschwiegenen Bilderberger, die Jözef Retinger mit stillschweigender

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Unterstützung Pius XII. und gemeinsam mit führenden Vertretern
der CIA und David Rockefeiler 1954 im Hotel de Bilderberg ins Le-
ben rief.
Das Konzept von Bilderberg bestand in der Fusion rechtsgerichteter,
vorwiegend römisch-katholischer Netzwerke in Wirtschaft und Politik
Westeuropas, die ihre globale Strategie mit der weitgehend von Rocke-
feiler dominierten Geschäftswelt der USA koordinieren würden. Diese
Fusion bedeutete für Politik und Wirtschaft in der Nachkriegszeit eine
Wende zum Schlechteren.
Bei ihrem Treffen von 1956 diskutierten die Bilderberger über die
Schaffung eines gemeinsamen Europäischen Marktes. Das Ergebnis
wurde ein Jahr später, 1957, in der Unterzeichnung der Römischen
Verträge offenbar. Die CIA hatte Retinger und seine europäische Be-
wegung über eine Frontorganisation mit Namen American Committee
on United Europe (ACUE) finanziert. Für amerikanische multinationale
Konzerne ließe sich mit einer europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
der europäische Markt einfacher erobern, und profitabler wäre es auch.
Eine übernationale Einheit in Brüssel, die nationale Souveränität und
nationales Handeln untergrub, war im Kalten Krieg für Washington
besser manipulierbar. Für Opus Dei und die europäische Führung der
Bilderberger eröffnete sie die Möglichkeit, im Interesse ihrer wirt-
schaftlichen und politischen Netzwerke nationale Grenzen nach und
nach aufzuheben.25

Die Bilderberger planen den ölschock von 1973

Die Schwierigkeit, genau nachzuvollziehen, welche Rolle die Bilder-
berg-Konferenzen bei der Gestaltung des transatlantischen Geschehens
spielten, liegt in der bereits erwähnten völligen Geheimhaltung ihres
Ablaufs. Der Autor hatte das Glück, einen gewissen Einblick in die
Entscheidungen der Gruppe zu erhalten, als er bei der Recherche für
das Buch Mit der Ölwaffe zur Weltmacht in einem Gebrauchtbuchladen
in Paris zufällig auf die vertrauliche Mitschrift des Bilderberg-Treffens
von 1973 im schwedischen Saltsjöbaden stieß.
Die Mitschrift war gebunden, handschriftlich war der Name She-
pard Stone vermerkt, damals Mitglied des Bilderberg-Führungsko-
mitees. Stone, der unter John J. McCloy, dem Hochkommissar für
Deutschland, die Kontrolle über die Medien in Nachkriegsdeutsch-
land organisiert hatte, war auch für den CIA-finanzierten Congress

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Die Liste der amerikanischen Teilneh-
merkandidaten für das folgenschwere
schwedische Bilderberg-Meeting in
Saltsjöbaden (Mai 1973), auf dem die
Ölkrise von 1973 geplant wurde. Der
Brief ist ein Memo vom 8. Januar
1973 vom US-amerikanischen Bilder-
berg-Funktionär Robert D. Murphy
und enthält die Liste der vorgeschla-
genen US-Teilnehmer für das Treffen
im Mai 1973, darunter auch Henry Kis-
singer. Das Memo wurde auf Antrag des
Autors von den Dokumenten Murphys
am Hoover Institute bezogen.

for Cultural Freedom tätig. In den i97oer-Jahren wurde er der erste Di-
rektor des Berliner Zweiges des amerikanischen Aspen Institute, einer
elitären Einrichtung, der wir uns in einem späteren Kapitel zuwenden.16
Das »vertrauliche« Bilderberger-Dokument von 1973 enthielt Ein-
zelheiten über eine drohende Vervierfachung des Ölpreises durch die
OPEC. Anstatt darüber zu nachzudenken, wie ein solcher Schock für
die fragile Nachkriegsweltwirtschaft verhindert werden könnte, wurde
besprochen, wie man sich durch die Banken an der Wall Street und in
London die »Windfall-Profite« – so lautete der von Bilderberg-Teilneh-
mer Henry Kissinger später geprägte Begriff – zunutze machen könnte.
Die Bilderberger organisierten den Ölschock von 1973, einschließ-
lich der Ereignisse um Kissingers Nahost-»Pendeldiplomatie« und
die einseitige Bewaffnung Israels gegen scharfen Einspruch der Sau-
dis, die dem »Jom-Kippur«-Krieg zwischen Israel und arabischen
Ländern unter Führung Ägyptens und Syriens im Oktober dessel-
ben Jahres vorangingen. Das Ergebnis war ein Ölembargo Saudi-Ara-
biens gegen Rotterdam und die USA, das den Ölpreis in die Höhe
schnellen ließ.17
Dieser Anstieg des Ölpreises auf das Vierfache rettete einen schwä-
chelnden Dollar, der zwei Jahre zuvor von US-Präsident Nixon vom
Goldstandard abgekoppelt worden war. Durch den Bilderberger-Öl-
schock wurden die britischen und amerikanischen Ölkonzerne, damals
bekannt als die »Sieben Schwestern«, zu den wertvollsten Unternehmen
auf den Aktienmärkten und die internationalen Banken in London und
New York zur Quelle von Petrodollars, die als Darlehen an Lateiname-

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rika, Polen, Jugoslawien und andere ölimportierende Länder vergeben
wurden. Dieses Petrodollar-Recycling war letztendlich der Auslöser der
Schuldenkrise der Dritten Welt in den 1980er Jahren.28

Wer sind die Bilderberger von heute?

Die Bilderberger-Politik wird von 35 Mitgliedern des Führungskomi-
tees umgesetzt, deren innerer Kreis noch einen Beirat bildet. Frühere
Mitglieder des Führungskomitees waren neben David Rockefeller der
Engländer Lord Roll, Direktor der Handelsbank S. G. Warburg und
Mitglied des Court of the Bank of England-, der Deutsche Otto Wolf von
Amerongen; der Rockefeller-Intimus und Fiat-Chef Giovanni Agnelli;
Henry Kissinger; der Wall-Street-Banker und Weltbankchef James D.
Wolfensohn sowie Jorma Ollila, Chef der Nokia Corporation
Ein genauerer Blick auf die Teilnehmerliste der Bilderberger-Kon-
ferenz 2012 hilft zu verstehen, wie globale Politik funktioniert. Das
Treffen am 31. Mai fiel in ein Wahljahr in den USA, Versammlungsort
war bezeichnenderweise Chantilly im US-Bundesstaat Virginia, direkt
vor den Toren Washingtons. Es wurde gemunkelt, Barack Obama sei
dabei gewesen, aber die Bilderberger geben die Namen solch prominen-
ter Teilnehmer oft nicht preis. Auf der offiziellen Liste finden sich aus
Deutschland unter anderem: Josef Ackermann, Chef der Deutschen
Bank; Thomas Enders, deutscher Chef von Airbus und Mitglied des
Bilderberg-Führungskomitees; Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der
Münchener Sicherheitskonferenz und Chef der Allianz SE; Roland
Koch, ehemaliger hessischer Ministerpräsident; Siemens-Chef Peter
Löscher; Matthias Naß, leitender internationaler Korrespondent der
Wochenzeitung Die Zeit; Wolfgang Reitzle, Chef der Linde AG, und
Jürgen Trittin von Bündnis 90/Die Grünen.30
Diese deutschen Teilnehmer trafen auf einige der einflussreichs-
ten Menschen der Welt. Beispielsweise auf Marcus Agius, Chef der
korrupten britischen Barclays Bank-, Pascal Lamy, Generaldirektor
der Welthandelsorganisation; den EU-Wettbewerbskommissar; den
EU-Handelskommissar und den EU-Kommissar für die Digitale Wirt-
schaft und Gesellschaft – die drei wichtigsten Posten in der EU, die die
Richtlinien für die EU-Volkswirtschaften formulieren. Anwesend waren
weiterhin die Chefs oder CEOs von Fiat, Saint-Gobain, HSBC Bank
Holdings, BP, Royal Dutch Shell, Norsk Hydro, Telecom Italia, Unilever,
Nokia, der Michelin Group, Novartis, der Versicherungsgruppe AXA,

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der BANIF-Bank in Portugal sowie der Vizedirektor des Weltwirt-
schaftsforums Davos.“
Auf amerikanischer Seite standen auf der Liste: Henry Kissinger,
Mitglied des Bilderberg-Führungskomitees; Ex-US-Senator John Kerry;
Ex-Weltbankchef James Wolfensohn; Daniel Yergin von IHS, ein Be-
fürworter der Nutzung der Schieferenergie (2012 machte sich Obama
dafür stark, Schieferöl als politischen Hebel zu nutzen). Dazu kamen
führende Banker von Goldman Sachs, Citigroup und Lazard USA.
Ausgesprochen seltsam war die Teilnahme – ein Jahr vor Snowdens
Spionage-Enthüllungen – von NSA-Direktor General Keith Alexander.
Trotz seines erzwungenen Rücktritts wurde Alexander auch 2014 wieder
zum Bilderberger-Treffen eingeladen.32
Ebenfalls in Chantilly waren Jessica Matthews, Präsidentin des Car-
negie Endowment, und der Chef des G VO-Produzenten Dow Chemical.
Und auch die amerikanischen Neokonservativen waren gut vertreten,
unter anderem durch den Architekten des Irakkriegs von 2003 Richard
Perle vom Think Tank AEI und Marie-Josée Kravis vom Hudson Insti-
tute. Obamas Sicherheitsberater Thomas Donilon, ebenfalls Mitglied
des Bilderberg-Führungskomitees, war ebenfalls anwesend.33 Tatsäch-
lich waren zwei der einflussreichsten Vertreter der Obama-Regierung
in Fragen der nationalen Sicherheit – General Alexander und Donilon
vom NSC – Bilderberger-Insider.34
Auffällig war die Anwesenheit wichtiger Persönlichkeiten aus der
Türkei, aus Russland und China. Aus Japan war offenbar niemand ein-
geladen. Dabei waren Mustafa Koç, einer der mächtigsten Industriellen
der Türkei, und der Vize-Premierminister für Wirtschaft und Finanzen,
Ali Babacan. Als neuer Gast war China durch Vize-Außenminister
Ying Fu vertreten. 2012 setzten Bilderberger und Washington noch
immer auf einen Regimewechsel in Syrien und luden Bassma Kodmani,
Sprecherin des oppositionellen syrischen Nationalrats, ein.35
2012 luden die Bilderberger mehrere Russen als Gäste ein, allerdings
niemanden aus der Putin-Regierung. Die Bilderberg-Konferenz fand
im Mai statt, als Wladimir Putin gerade von seinem Vorgänger Med-
wedew das Amt als gewählter Präsident der Russischen Föderation
übernommen hatte. Zu den Bilderberg-Teilnehmern aus Russland zähl-
ten führende Putin-Gegner wie beispielsweise Garry Kasparow, Chef
der oppositionellen Vereinigten Bürgerfront, und Anatoli Tschubais,
Architekt der vom IWF diktierten Privatisierung und Plünderung russi-
scher Staatsbetriebe und russischen Staatsbesitzes unter der korrupten

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Jelzin-Regierung. Tschubais wurde sofort nach seinem Bilderberg-Auf-
tritt 2012 für seine Dienste mit dem Angebot belohnt, dem globalen
Beirat des Council on Foreign Relations (CFR) beizutreten. Er war zudem
Berater der korrupten Wall-Street-Bank JPMorgan Chase.
Eine der einflussreichsten und am wenigsten öffentlich agieren-
den Denkfabriken zur Förderung der Pläne der US-amerikanischen
und europäischen Oligarchie – die Bilderberg-Konferenz – steht also
im Zentrum des globalen Machtkalküls der atlantischen Eliten. 1974,
20 Jahre nach der Gründung der Bilderberger, beschlossen David
Rockefeller und seine Kreise, eine weitere Denkfabrik ins Leben zu ru-
fen, die ähnlich arbeiten sollte wie Bilderberg, aber dieses Mal mit Japan
als Teil des »Clubs«. Sie erhielt den Namen Trilaterale Kommission.

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4
Rockefellers trilateraler Traum

Die Initiative der Bilderberger vom Mai 1973, durch eine manipulierte
Vervierfachung des Ölpreises einen globalen Paradigmenwechsel ein-
zuleiten, war ein Erfolg – bis zu einem bestimmten Punkt. Und dieser
Punkt war eine damals rasant wachsende Volkswirtschaft, nämlich
Japan.
Der Ölschock erzeugte eine weltweite Dollar-Knappheit, die der
Wall Street und verbündeten internationalen Banken in der City of
London, den Verwaltern der OPEC-Ölgelder, Milliarden an sogenann-
ten Windfall-Profiten einbrachte. Ähnliche Gewinne konnten Exxon,
Mobil, ARCO, Chevron, Gulf, Texaco, British Petroleum, Royal Dutch
Shell und andere angloamerikanische Ölgesellschaften einstreichen.
Auf der anderen Seite trübte der Ölschock die Aussichten für In-
vestitionen der boomenden westeuropäischen Industrieländer – al-
len voran die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich – in den
Schwellenländern Lateinamerikas, Südasiens oder Afrikas. Den Wall-
Street-Bankern wie David Rockefeller oder dem französischen Baron
Edmond de Rothschild war das nur recht, denn ihre Macht war nun
nicht mehr durch Konkurrenten wie Westeuropa, ganz besonders die
starke westdeutsche Industrie, gefährdet.
Eine aufstrebende Wirtschaftsmacht wie Japan jedoch, 1973 ein
wahrer Exportgigant, konnte die gesamte atlantische Strategie der
Bilderberger entgleisen lassen, wenn sie sich mit Schwellenländern
in der Dritten Welt verbündete. Um dies zu verhindern, wurden Ver-
treter der japanischen Elite eingeladen, am Tisch der »großen Tiere«
aus Europa und den USA Platz zu nehmen. Japan war das erste »nicht
weiße« Land, dem diese Ehre zuteilwurde. Gemeinsam mit anderen
einflussreichen Kreisen gründeten die Drahtzieher in David Rockefel-

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lers Bilderberg-Gruppe 1973 eine neue internationale Denkfabrik und
gaben ihr den Namen Trilaterale Kommission. Wegen des versteckten
Einflusses auf die Weltpolitik der letzten 40 Jahre wurde sie später oft
als »Schatten-Weltregierung«1 bezeichnet.

Der Wechsel des Wachstumsparadigmas von 1973

Im Mai 1973 hatten die Mächtigen im Umkreis der Bilderberger be-
schlossen, man brauche eine schwere Erschütterung der Wirtschaft, eine
Änderung des Wachstumsparadigmas, wenn das Machtgleichgewicht
wieder hin zum US-Dollar, den internationalen Banken in New York
wie Chase Manhattan und Citibank und den großen Ölgesellschaften
verschoben werden sollte.
Um das in einer Welt zu bewerkstelligen, in der der Dollar nicht mehr
an das Gold gebunden war, entschieden sich die Bilderberg-Eliten für
einen Großangriff auf das Industriewachstum der Welt.
Sie beschlossen, ihre mächtigste Waffe einzusetzen – die Kontrolle
über den weltweiten Fluss des Erdöls. Den großen Bankern an der Wall
Street und in der City of London war der Zustand der Wirtschaft ihrer
eigenen Länder herzlich egal. Sie setzten ihre Kredite ein, um größt-
mögliche Gewinne zu erwirtschaften, nicht etwa, um die nationale
Wirtschaft zu sichern. Im Gegenteil: Teil ihres Plans war die Zerstörung
des Nationalstaats. Das erleichterte die weltweite Plünderung ganzer
Volkswirtschaften und wurde später »Globalisierung« genannt.
Teilnehmer jenes Bilderberger-Treffens im Mai 1973 im schwedischen
Saltsjöbaden waren David Rockefeiler von der Chase Manhattan Bank-,
Baron Edmond de Rothschild, Robert O. Anderson von der Atlantic
Richfield Oil Co., Teile der Rockefeller-Gruppe um die Standard Oil;
E. G. Collado, Vizepräsident der Rockefeiler Exxon Oil Corporation-, Sir
Denis Greenhill, Direktor von British Petroleum und Chef des briti-
schen diplomatischen Dienstes; Gerrit A. Wagner, Präsident von Royal
Dutch Shell-, Sir Eric Roll von S. G. Warburg, der Erfinder der Eurobonds;