Ukrainische Panzercrews nehmen im Mai 2017 an einer gemeinsamen Übung auf dem Trainingsgelände Grafenwöhr unter Leitung des US-Militärs in Europa und der Bundeswehr teil. Bild: MAJ Neil Penttila / CC BY 2.0

Chefredakteur Joe Lauria sagt: US-Nachrichtenseite Consortium News wird wegen Fake News ins Visier genommen. PayPal sperrt Konto. Wer beim Ukraine-Krieg die offizielle Linie verlässt, wird schikaniert.

Das Pentagon hat weitere 400 Millionen Dollar für die Verteidigung der Ukraine bewilligt und damit die militärischen Ausgaben für das Land in den letzten Monaten auf enorme acht Milliarden Dollar erhöht. Vor diesem Hintergrund schildert Joe Lauria, Chefredakteur von Consortium News, wie Druck auf Nachrichtenmedien ausgeübt wird, damit sie der offiziellen Darstellung des Ukraine-Krieges folgen.

Joe Lauria ist Chefredakteur von Consortium News, arbeitete lange für Wall Street Journal und Boston Globe

Dem unabhängigen Medienunternehmen wurde vor Kurzem das PayPal-Konto gesperrt, Zudem teilte NewsGuard, eine Fakten prüfende Stelle in den USA, mit, dass Consortium News wegen der Veröffentlichung von Fake News durchleuchtet wird. Chefredakteur Joe Lauria sagt, dass die Amerikaner von den großen Medien einseitig informiert und über einen möglichen Sieg der Ukrainer getäuscht würden. Das Interview wird von Amy Goodman und Juan Gonzales geführt. Telepolis veröffentlicht es in Kooperation mit US-Programm Democracy Now.

Während US-Präsident Joe Biden letzte Woche mit führenden Politikern in Israel und Saudi-Arabien zusammentraf, wird der russische Präsident Wladimir Putin nach Angaben des Kremls diese Woche nach Teheran reisen, um sich mit den Präsidenten des Irans und der Türkei zu Friedensgesprächen über Syrien zu treffen sowie separate Gespräche mit dem türkischen Präsidenten Erdogan zu führen, der angeboten hat, zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln. Das geschieht zu einem Zeitpunkt, da der nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses, Jake Sullivan, letzte Woche behauptete, der Iran plane, Russland mit möglicherweise Hunderten von Drohnen für seinen Krieg in der Ukraine zu beliefern. Joe Lauria, zuerst einmal, wie sieht die aktuelle Situation in der Ukraine aus und was fehlt Ihrer Meinung nach in der Berichterstattung der Hauptnachrichten?

Joe Lauria: In der Berichterstattung der Mainstream-Medien fehlt eine Menge, von der ersten Phase der Invasion bis heute. Meistens haben wir in den großen kommerziellen Medien eine Berichterstattung gesehen, die sich ausschließlich auf US-Beamte oder ukrainische Vertreter stützt. Wir bekommen also nur eine Seite der Geschichte zu sehen. Es sollte aber das Einmaleins des Journalismus sein, dass es mehr als eine Seite der Geschichte gibt.

Dem amerikanischen und europäischen Publikum wird also suggeriert, dass Russland in diesem Krieg verliert und die Ukraine weiter die Chance hat, zu gewinnen. Doch mein Eindruck ist, dass die Realität langsam auch im Mainstream ankommt. Wenn jemand wie Henry Kissinger sagt, dass die Ukraine territoriale Zugeständnisse machen muss, wenn der Papst sagt, dass die Nato an Russlands Tür anklopft, dann macht das klar, dass die Geschichte nicht so einfach ist, wie uns lange weisgemacht wurde.

Die Berichterstattung vor Ort ist schwierig. Wie immer, beide Seiten im Krieg lügen. Wenn beide Seiten aber zugeben, dass etwas stattgefunden hat, dann kann man ziemlich sicher sein, dass es auch wirklich passiert ist. Und jetzt zeichnet sich so etwas wie ein Konsens ab, dass Russland kurz davor steht, den gesamten Donbas einzunehmen, was sein ursprüngliches Ziel in diesem Krieg war.

Das wird auch vermehrt berichtet. Aber trotzdem können wir den westlichen Medien nicht trauen. Wir können auch nicht dem vertrauen, was das russische Verteidigungsministerium sagt. Ich denke also, dass die Mainstreammedien beginnen werden, eine ausgewogenere Sichtweise einzunehmen, aber meine Hand lege ich dafür nicht ins Feuer.

Ich bin wirklich beeindruckt von der Berichterstattung von Consortium News. Sie haben immer wieder Artikel von Scott Ritter, John Kiriakou, Caitlin Johnstone oder Jeffrey Sachs, die früher viel von Linken beachtet wurden, aber jetzt ignoriert werden, weil sie nicht mit dem Hauptstrom der Nachrichten schwimmen. Es gab aber einen interessanten Artikel, der im Juli in der New York Times erschien, fünf Monate nach Beginn des Krieges, mit der Überschrift „Commando Network Coordinates Flow [of] Weapons in Ukraine“, „Kommando-Netzwerk koordiniert Waffenfluss in der Ukraine“. Und weiter hinten in der Geschichte wird die erstaunliche Tatsache erwähnt, die ich zitieren möchte: „Von 2015 bis Anfang dieses Jahres haben amerikanische Spezialeinheiten und Ausbilder der Nationalgarde mehr als 27.000 ukrainische Soldaten im Combat Training Center von Jaworiw in der Westukraine, nahe der Stadt Lwiw, ausgebildet, so Pentagon-Beamte.“ Es ist das erste Mal, dass ich von dieser groß angelegten Ausbildungsoperation gehört habe, die in den letzten sieben Jahren von US-Soldaten in der Ukraine durchgeführt wurde. Könnten Sie etwas zu diesem ganzen Thema sagen, dass die Ukraine nicht in der Nato ist, aber seit Jahren ein Verbündeter der USA ist?
 

Joe Lauria: Ja, sie ist de facto kein Mitglied der Nato. Das ist ganz klar. Es waren nicht nur die Vereinigten Staaten, sondern auch andere Nato-Staaten, die die ukrainischen Truppen ausbildeten und die Ukraine bewaffneten, noch bevor Waffen dann in großem Umfang seit Februar ins Land strömten. Das ist natürlich auch Russland nicht entgangen. Seit dem Putsch in der Ukraine im Jahr 2014 sieht Russland eine Zunahme dessen, was es als antirussische Haltung der Regierung in Kiew ansieht, die von den Vereinigten Staaten mit Nato-Ausbildung und Bewaffnung unterstützt wird. Es sind aber nur die jüngsten Ereignisse einer längeren Entwicklung

Die CIA ist seit den späten 1940er Jahren in die Ukraine involviert, als sie mit Mykola Lebed zusammenarbeitete – der die rechte Hand von Stepan Bandera war, dem ukrainischen Faschistenführer aus dem Zweiten Weltkrieg –, um die Sowjetunion zu untergraben. Und das hat eigentlich nie aufgehört. Die USA haben sich in der Ukraine immer stark engagiert. Der Bericht der New York Times deckt daher nichts wirklich Neues auf. Wir wussten lange, dass, obwohl die Ukraine kein offizielles Mitglied der Nato ist, de facto als ein Mitglied der Nato behandelt wird.

Sie haben den Putsch von 2014 erwähnt. Der Gründer von Consortium News, der investigative Reporter Bob Parry, hat viel darüber berichtet. Wie hat das die Art und Weise beeinflusst, wie Consortium News die aktuelle Krise betrachtet?

Joe Lauria: Sehr. Bob hat vieles vorhergesehen. Er schrieb 2015 sogar einen Artikel, in dem er vor einem Atomkrieg wegen der Ukrainekrise warnte. Damals hielt ich das für etwas übertrieben, aber jetzt sehen wir, dass wir angesichts der Situation wahrscheinlich näher an einem möglichen nuklearen Schlagabtausch sind, als wir es seit der Kubakrise waren. Bob hat diese Entwicklungen kommen sehen. Dafür hat er viel Kritik einstecken müssen. Das fing schon damals an. Jetzt ist der Druck, der auf Consortium News ausgeübt wird, noch viel schlimmer.

Bob Parry wies damals darauf hin, dass die USA mit rechtsextremen Gruppen und Neonazis in der Ukraine zusammen arbeiteten, um einen demokratisch gewählten, wenn auch korrupten – aber ich glaube, es gibt kaum einen Politiker in der Ukraine, den man nicht so nennen kann – Viktor Janukowitsch zu stürzen, dessen Wahl übrigens 2010 von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) bestätigt wurde.

Die Vereinigten Staaten halfen zudem dabei, eine Regierung ins Amt zu heben, die absolut antirussisch ist und den rechtsextremen Gruppen entgegenkommt. Die Regierung startete dann einen Krieg gegen den Donbas, weil sich die russischstämmigen Gruppen an der Grenze zu Russland gegen den Regierungsputsch stellten. Ihr Präsident Janukowitsch, den sie gewählt hatten, wurde gewaltsam gestürzt, und sie erklärten sich unabhängig von der Ukraine.

Die Antwort von Kiew darauf war, mit Unterstützung der USA, einen Bürgerkrieg zu beginnen, in dem in den letzten acht Jahren Tausende von Menschen getötet worden sind. Das ist etwas, das in der heutigen Berichterstattung völlig ausgeblendet wird.

Es war dieser Krieg, in den Russland im Februar dieses Jahres eintrat, um zu versuchen, die Rebellion niederzuschlagen – und um, keine Frage, noch viel mehr zu tun. Wir wissen immer noch nicht genau, welche Ziele Russland verfolgt, aber sie gehen mit Sicherheit über den Donbas hinaus, auch wenn es das ist, worauf es sich in den letzten Monaten konzentriert hat.

Bob Parry war also der Berichterstattung über die Ukraine weit voraus. Er hat mir den Weg geebnet und mich beraten. Ich habe 2011 angefangen, für Consortium News zu arbeiten, aber mein Verständnis der Ukraine wurde sicherlich sehr von Bobs sachlicher Analyse der Geschehnisse beeinflusst, trotz der Angriffe, denen er ausgesetzt war und die, wie ich schon sagte, seit Februar dieses Jahres dramatisch zugenommen haben.