Kapitalismus: ein totalitäres Vernichtungs-Programm

Eugen Drewermann

Krieg und Kapitalismus gehören untrennbar zusammen. Bereits in Kolonialzeiten hatten die westlichen Mächte die Welt in Herrschafts-, Interessen- und Plünderungsgebiete aufgeteilt. Daran hat sich unter den Bedingungen des modernen Kapitalismus nichts geändert. Im Gegenteil. Die westlich-kapitalistischen Staaten bedienen sich heute lediglich einer besonders perfiden Propaganda, um den weltweiten, globalisierten Kapitalismus unter dem Etikett von Demokratie, Freiheit und »westlichen Werten« als einzig denkbare Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu vermarkten. Tatsächlich hat der Kapitalismus unter US-Führung Millionen Menschen ins Jenseits befördert und unbeschreibliches Leid und Zerstörung angerichtet.

Jedes kapitalistische System benötigt aufgrund seines inhärenten Zwangs zu permanentem Wachstum immer mehr Rohstoffe und damit den uneingeschränkten Zugriff auf die weltweiten Ressourcen. Doch da die vorhandenen Rohstoffe zunehmend knapper werden, kämpfen die mächtigen Staaten dieser Welt um ihre Nutzung. Wer sich also den Zugriff auf Ressourcen sichern will, muss die entsprechenden rohstoffreichen Länder dieser Welt politisch, in den meisten Fällen jedoch militärisch unter seine Kontrolle bringen. Mit anderen Worten: Das kapitalistische Wirtschaftssystem braucht den Krieg, um existieren zu können. Das gilt insbesondere für die USA als Führungsmacht der westlichen Kapital-»Demokratien«. Die aktuelle Situation in Syrien und Iran beweist anschaulich, dass das Musterland des Kapitalismus ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen die Länder Afrikas und des Nahen Ostens mit Chaos, Gewalt und Krieg überzieht.

Kolonialismus im Interesse des Kapitals

Ein Blick zurück in die Zeit des Kolonialismus zeigt: Wo auch immer die Kapitalisten dieser Welt sich einen Vorteil versprechen, setzen sie ihre Interessen mit politischem, wirtschaftlichem und militärischem Zwang durch (17). So hat beispielsweise der erste Reichskanzler des Deutschen Reiches, Otto von Bismarck, im November 1884 die
Delegierten von zwölf europäischen Nationen, aus den USA und dem Osmanischen Reich zur sogenannten Kongo-Konferenz (18) in die Reichshauptstadt Berlin eingeladen, um den afrikanischen Kontinent in Interessengebiete der damaligen Kolonialmächte aufzuteilen. Auf dieser Konferenz einigten sich die Teilnehmer unter anderem darauf, im gesamten Kongo-Gebiet und ebenso in Zentralafrika freien Warenverkehr, also Freihandel, einzuführen und die Schifffahrt auf dem Kongo und dem Niger von Zollauflagen zu befreien. Der Kongo wurde mit mehr als 2 Millionen km Fläche König Leopold II. aus Belgien als Privatbesitz (19) zugesprochen. Vor allem auf dem afrikanischen Kontinent haben die Kolonialländer in der ihnen eigenen Hybris überall willkürlich Grenzen gezogen und den Kontinent untereinander aufgeteilt (20). Da war es nur eine Frage der Zeit, dass alleine dieses Vorgehen zu kriegerischen Auseinandersetzungen in den jeweiligen Regionen führte.

Die gewählten Begriffe »Freihandel«, »von Auflagen befreien« usw. sind uns auch heute bestens vertraut. Noch immer lenkt die »westliche Wertegemeinschaft« von ihren eigentlichen Interessen beim Einsatz militärischer Mittel ab und behauptet stattdessen, Freiheit und Menschenrechte schützen zu wollen, wenngleich es um krude Wirtschaftsinteressen geht. Fremde Kulturen, Religionen und Menschen werden bekämpft und zerstört, wenn sie den Interessen der Kapitalisten dieser Welt im Wege stehen. Durch ihre Abhängigkeit vom permanenten Wachstum und dadurch von den Ressourcen werden besonders die politisch instabilen Länder auf dem afrikanischen Kontinent ausgebeutet. Ging es den Kolonialmächten früher um Gummi und Baumwolle, so spielen für die heutigen Neokolonialisten in den Entscheidungszentren des Westens neben Öl, Erdgas und Kohle beispielsweise Bauxit, Diamanten und Metalle wie Kupfer sowie seltene Metalle wie Niob und Coltan eine große Rolle.  Da aus dem Erz Coltan das seltene Metall Tantal gewonnen wird, ist Coltan quasi Kongos Gold. Denn Tantal wird zur Herstellung der Kondensatoren in Digitalkameras und Spielkonsolen, in Laptops, Flachbildschirmen und Mobiltelefonen gebraucht.

Wenn ein Land der »Dritten Welt« versucht, sich aus der Umklammerung des westlichen Kapitalismus und der Abhängigkeit von westlichen Konzernen zu befreien, üben die Konzerne Druck auf »ihre« Regierung aus. Dafür ließen sich zahlreiche Beispiele anführen. So geschehen beispielsweise bei der United Fruit Company. Im Fall Guatemalas gelang es der Company spätestens im März 1954, die »amerikanische Regierung davon zu überzeugen, dass [Präsident Jacobo] Arbenz [Guzmán] eine Bedrohung der Freiheit darstelle und abgesetzt werden müsse. Die Gesellschaft engagierte ein Korps einflussreicher Lobbyisten und begabter Publizisten, um in den Vereinigten Staaten ein für den Sturz Arbenz’ günstiges Klima zu schaffen. (21)« »1954 kam es dann zu einem Staatsstreich in Guatemala, finanziert von der CIA, angewiesen von der United Fruit Company. (22)« Noam Chomsky schreibt zu Guatemala: »Diese Schattenseiten der Demokratie wurden durch den Militärputsch von 1954 beseitigt. Seitdem regiert der von den USA großzügig unterstützte Terror.(23)« »Unwillige« Staaten werden militärisch angegriffen und wenn immer möglich dem Westen hörige Autokraten eingesetzt. Offiziell wird der Versuch des jeweiligen Landes, das dem Zangengriff zu entkommen versucht, als Angriff auf die freie Marktordnung bezeichnet. In Wirklichkeit sehen US-amerikanische Konzerne darin einen Angriff auf ihre Pfründe. Vom Ansatz her demokratische Prozesse werden als Gefahr verunglimpft und es wird behauptet, in dem betroffenen Land mache sich der Kommunismus breit. Derartige Entwicklungen müssen mit aller Macht verhindert werden.

Techniken der Macht

Doch vor einer kriegerischen Auseinandersetzung haben in dem betreffenden Land zumeist ausländische Geheimdienste bürgerkriegsähnliche Zustände geschaffen, um das Land zu destabilisieren. Die internationale Politik kapitalistischer Staaten ist bestimmt durch den Anspruch, ihr Wirtschaftssystem global als einziges durchzusetzen. Allerdings gelingt dem Westen diese Strategie nicht immer. Ein mehr als 30-jähriges Desaster erlebten Franzosen und Amerikaner beispielsweise in Vietnam. Vietnam ist ein Paradebeispiel dafür, wie lange der Westen auf seine Überlegenheit vertraute und mit welcher unerschütterlichen Zielstrebigkeit er versuchte, seine Interessen gegen die Vietnamesen durchzusetzen. Immer ging und geht es um Ausbeutung und Machtausdehnung um jeden Preis, der dann auch alle Mittel heiligt, selbst die brutalste Gewalt.

Kein Staat darf sich ungestraft gegen die »Zivilisation der westlichen Wertegemeinschaft« auflehnen. Dann gesellt sich zur militärischen Gewalt noch zusätzlich die moralische Verunglimpfung. Die betreffenden Staaten oder Völker werden als abgrundtief böse abgestempelt. Hierzu ein Beispiel aus der Mitte des 20. Jahrhunderts: der Aufstand der Mau-Mau aus dem Stamm der Kikujus in Kenia gegen die britischen Besatzertruppen. Den militärisch hoffnungslos unterlegenen Mau-Mau-Kriegern blieb nur ein Guerillakampf; Steinzeitkrieger nahmen den Kampf gegen eine hochmodern ausgestattete Kolonialarmee auf. Die Briten versuchten, 60.000 Weiße in Kenia vor etwa 8 Millionen Kenianern zu schützen, was misslang. Das Beispiel zeigt, dass sogar diese hochgerüstete Armee trotz militärischer Überlegenheit eine Guerilla-Armee nicht besiegen konnte. Großbritannien, dem Mutterland der Besatzer, dauerte der Krieg zu lange und er kostete zu viel Geld. So erreichte Kenia im Jahr 1963 unter Präsident Jono Kenjatta seine Selbständigkeit.

Der Kapitalismus als Kriegsmaschine

Kein kapitalistisches Wirtschaftssystem hat jemals dem Frieden gedient. Im Wesen des Kapitalismus ist verankert, permanent Kriege vorzubereiten, aber vor allem Kriege zu führen. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs erschütterten weltweit 113 Konflikte und Kriege die Menschheit, bei denen insgesamt geschätzte 50 bis 55 Millionen
Menschen getötet wurden.

Das hat zur Folge, dass sich die US-Amerikaner an den permanenten Kriegszustand gewöhnt haben, wie James Risen formulierte. Die Jugendlichen, die in die Armee eintreten und riskieren, in einem Krisengebiet zu sterben, sind meist Angehörige einer armen Gesellschaftsschicht ohne Aussicht auf eine abgesicherte Zukunft. Hingegen profitiert eine nationale, im Sicherheitsapparat fest etablierte Elite vom Kriegsgeschäft: Sie rotiert zwischen hohen Posten im Staatsapparat, in Denkfabriken, Auftragsfirmen und Fernsehstudios. Diese Jobs würden sie sofort verlieren, würden die USA plötzlich ein friedliebendes Land. »Für einen Großteil Amerikas ist der Krieg nicht nur erträglich, sondern profitabel geworden, und daher gibt es keinen Anreiz mehr, ihn zu beenden.«

»Krieg ist der Terror der Reichen, Terror der Krieg der Armen«, formuliert der frühere CDU-Politiker und spätere Publizist Jürgen Todenhöfer und bringt noch einmal die Fakten, »dass 90 Prozent der Toten moderner Kriege Zivilisten sind. Die völkerrechtswidrigen Angriffskriege des Westens sind … Staatsterrorismus. Eine Zivilisation, die nicht zugibt, dass George W. Bushs Irakkrieg reiner Terrorismus war, ist keine Zivilisation.« Um im Sprachgebrauch zu bleiben, greifen die Staaten der »westlichen Wertegemeinschaft« nur dann mit militärischer Gewalt in fremde Staaten ein, wenn dort »Terroristen«, »Putschisten« oder fehlgeleitete »Fanatiker« den Vertretern der »westlichen Zivilisation« den Handel und das Leben erschweren. Im Oktober 2001 schrieb Gore Vidal treffend: »Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs … führen wir einen … ewigen Krieg für den Frieden. Aber schließlich sind wir auch die Guten. Oder etwa nicht?« Dass die ausschließlich von eigenen Hegemonialinteressen bestimmte Außenpolitik der USA zu Millionen Toten, weltweitem Terror und Drohnenkriegen geführt hat, wird quasi als »logische« Folge dargestellt. Berühmt-berüchtigt ist in diesem Zusammenhang die Antwort Madeleine Albrights, als die bekannte TV-Journalistin Lesley Stahl sie in einem Interview fragte, ob der Tod von einer halben Million Kinder infolge der amerikanischen Sanktionen gegen den Irak den Preis wert sei: »Wir denken, es ist den Preis wert«, meinte sie.

Ein beständiges Krisengebiet, auch mit der drohenden Gefahr eines Dritten Weltkriegs, ist seit einiger Zeit im Nahen und Mittleren Osten entstanden. Zwar versuchen die USA, ihre eigentlichen Absichten in dieser Region mit humanistischen Parolen zu rechtfertigen. General Wesley Clark, von 1997 bis 2000 Oberbefehlshaber der NATO in Europa, zitiert aus einem Gespräch mit Paul Wolfowitz, dem damaligen Staatssekretär im Pentagon unter Bush sen., aus dem Jahr 1991 nach der Operation »Desert Storm«. Wolfowitz äußerte, die US-Armee könne im Nahen Osten in fünf bis zehn Jahren »unter den alten sowjetischen Klientelregimen aufräumen«, damit meinte er Iran, Irak und Syrien (29).

Ein typisches Beispiel, wie kapitalistische Staaten vorgehen, ist die Aussage des französischen Präsidenten Emmanuel Macron auf einem Gipfeltreffen in der malischen Hauptstadt Bamako 2017: Die französische Armee sei im Rahmen der Operation Barkhane bereits mit etwa 4000 Soldaten in der Sahelzone präsent. Gemeinsam mit
seinen afrikanischen Partnern müsse Frankreich in der Sahelzone »Terroristen, Verbrecher und Mörder« vernichten (30). Für den Aufbau der neuen G5-Truppe stellt die EU der Region 50 Millionen Euro Finanzhilfe zur Verfügung.

In einer der ärmsten, ständig von Dürre und Hunger bedrohten Weltregion müssten die Waffenlieferungen sofort gestoppt werden. Stattdessen benötigen die Menschen dort sowohl wirtschaftliche als auch diplomatische Hilfen, um die inneren sozialen und ethnischen Spannungen abzubauen. Darüber hinaus muss die medizinische Versorgung verbessert sowie die Infrastruktur aufgebaut werden, unter anderem um die Menschen mit entsalztem Wasser zu versorgen.

Medien und Kriegspropaganda

Wie gelingt es den USA und ihren Verbündeten, die eigenen Kriegshandlungen zu »humanitären« Interventionen umzulügen? In der Berichterstattung der Mainstream-Medien ist der Aggressor immer friedfertig. In der Propaganda bringen die Aggressoren den überfallenen Ländern die Demokratie und »westliche Werte«. Da ist es nur folgerichtig, dass niemals von Geld und Geschäften die Rede ist, sondern immer von Gut und Böse, von frei und unfrei, von menschlich und unmenschlich. Die Leser sollen verinnerlichen, dass es letztlich also um höchste Ziele geht. Die Mainstream-Journalisten predigen Tag für Tag, alle militärischen Interventionen erfolgten aus humanitärer Verantwortung. Nur Verschwörungstheoretiker, Verrückte, Kriminelle oder Terroristen stellten sich laut politischer »correctness« dem Hegemonialanspruch der USA in den Weg. Der Leser eines Mainstream-Mediums erfährt nicht, dass die hoch gelobte westliche »Ordnungsmacht« mit allen erdenklichen Mitteln, angefangen bei Lügen und Verleumdung, Spionage und Zensur, über Terror und Folter, bis hin zu Inhaftierung und Mord, jeden linksorientierten Politiker von der Macht ausschließt und stattdessen rechte, dem Westen wohlgesonnene Politiker in die Regierungsmacht putscht. Im kapitalistischen Wirtschaftssystem erhalten nur diejenigen Regierungsverantwortung, die vorab eindeutig bewiesen haben, dass sie sich als Marionetten eignen und den Prozess der Reichtumsumverteilung von unten nach oben unterstützen.

Das kapitalistische Denken könnte die Köpfe der Menschen nicht derart zersetzen, wenn die Medien nicht ebenso eingekauft würden wie die Politiker. Die entscheidenden Menschen werden mit Geld gefügig gemacht. Die Zahlung von Schmiergeldern gehört wesensnotwendig zum Kapitalismus. Diese Tatsache beschreibt Eberhard von Brauchitsch in seiner Autobiographie wie folgt: »Die Wirtschaft zahlte Schutzgelder, um sich vor Repressionen in Form wirtschaftlicher Politik zu schützen. (31)« Bestechung ist in höchsten Kreisen so etwas wie ein gentleman agreement – mit wachsender Tendenz. Das gilt nicht nur für Politiker, sondern auch für Journalisten. Bereits im Jahr 1965 schrieb Paul Sethe, einer der Gründungsherausgeber der FAZ: »Die Freiheit der Presse im Westen ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu publizieren, inzwischen sind es keine 200 mehr, inzwischen sind es nur noch 4 oder 5 Leute. (32)« Aufgrund dieser Aussage verlor Sethe auf Druck der Wirtschaft und des damaligen Kanzleramts seine Funktion in der Redaktion.

Welche »political correctness« die Mainstream-Medien befolgen, zeigt beispielhaft die Berichterstattung zum Jugoslawienkrieg, als sich Deutschland im März 1999 zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wieder an einem Krieg beteiligte. Da hieß die offizielle Botschaft: Die Bundeswehr führt dort keinen Krieg, sondern nimmt an einer humanitären Intervention teil. Das hat sich bis heute nicht geändert, wenn es heißt: Die Bundeswehr schafft Frieden, vereint mit der NATO, im Auftrag der USA. Sie bekämpft »selbstverständlich« die neuen Feinde, die Terroristen, Islamisten und Russen. Wie sehr sich die Regierung unter Angela Merkel zum Erfüllungsgehilfen US-
amerikanischer Interessen macht, dokumentiert das Weißbuch der Bundeswehr vom Juni 2016:

»Durch seine auf der Krim und im Osten der Ukraine zutage getretene Bereitschaft, die eigenen Interessen auch gewaltsam durchzusetzen und völkerrechtlich garantierte Grenzen einseitig zu verschieben, stellt Russland die europäische Friedensordnung offen in Frage. […] Ohne eine grundlegende Kursänderung wird Russland … auf absehbare Zeit eine Herausforderung für die Sicherheit auf unserem Kontinent darstellen.« Und weiter: »Die Freiheit der Meere und die Versorgung mit Rohstoffen stehen im Interessenkatalog weit oben. (33)«

Seit langem ist die US-amerikanische Außenpolitik darauf ausgerichtet, mit allen Kräften einen eurasischen Wirtschaftsraum, von Lissabon im Westen bis nach Wladiwostok ganz weit im Osten, zu verhindern. Ein solch starker Wirtschaftsraum ist der Albtraum US-amerikanischer Hegemonialinteressen. Folgerichtig ist danach jeder Staat ein Feind der USA, dessen Außenpolitik US-Interessen zuwider läuft, dies gilt weltweit auch für Europa. Das erklärte Ziel der USA lautet: »Durchsetzung eines US-kontrollierten Kapitalismus in allen Ländern des amerikanischen Kontinents (34)« und das gilt auch für die ganze Welt. In der ganzen Welt wollen die USA die von ihnen kontrollierte »Free-Market-Economy«, das heißt also ihren US-amerikanischen Kapitalismus durchsetzen.

Dass das kapitalistische Wirtschaftssystem keine Moral kennt, lässt sich an vielen Beispielen zeigen. Und es wird immer deutlicher. Für eine Wirtschaftsform, die das Mantra der Konkurrenz predigt und bewirkt, dass sich Branchenkonkurrenten wechselseitig zu vernichten suchen, ist der Krieg permanenter Normalzustand. Seitdem der Kapitalismus seinen Systemgegner, den Kommunismus, nicht mehr zu fürchten braucht, wurde fast jeder Krieg von Reichen gegen die Armen geführt. »Die Machtanhäufung der Staaten aber, um derentwillen Kriege geführt werden, ist in Wahrheit Kapitalanhäufung bei einzelnen Kapitalisten. (35)« Der Kriegskapitalismus produziert viele Verlierer. Die wenigen Gewinner sind die Reichen und Superreichen, die Finanz- und die Rüstungsindustrie. Gerechtigkeit ist diesem System wesensfremd. Es ist ein System aus Macht, Gewalt und Krieg. So muss der ursprüngliche kapitalistische Zyklus aus Geld–Ware–Geld neu geschrieben werden und jetzt lauten Gewalt–Handel–Gewalt. In einer Welt der Überproduktion von Waren verhungern Millionen Menschen. Jean Ziegler nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er sagt: »Ein Kind, das in diesem Moment an Hunger stirbt, wird ermordet.(36)« Auch das jetzige Oberhaupt der katholischen Kirche, Papst Franziskus, äußert sich im gleichen Sinn: »Diese Wirtschaft tötet. (37)«

Kapitalisten nehmen billigend in Kauf, dass Milliarden Menschen ohne Arbeit sind, ohne Dach über dem Kopf, ohne Aussicht darauf, dass sich an ihrer Situation zukünftig etwas ändern könnte, dass sie verelenden und dahinsiechen. Doch nicht nur in der sogenannten Dritten Welt haben sich die Lebensbedingungen der Menschen derart verschlechtert, so dass immer mehr als Migranten in die reichen Länder strömen. Auch in den reichen Staaten führt das kapitalistische Wirtschaftssystem dazu, dass die Schere zwischen Reich und Arm immer weiter auseinanderklafft. Eines der wichtigsten Gesetze dieses Wirtschaftssystems lautet: Alle Gewinne werden privatisiert, alle Verluste sozialisiert. Also wird die gesamte Gesellschaft zur Kasse gebeten.

»Erklärt man […] das Wohl des deutschen Volkes zum Maß aller Dinge und glaubt man, dass es dem Volk gut gehen könne, wenn es auch der Wirtschaft gut geht, dann wird man selbst die hemmungslose Ausplünderung der armen Länder durch deutsche Konzerne trotz aller unfreundlichen Begleiterscheinungen gutheißen. […] Versteht man dagegen Gemeinwohl im humanistischen Sinne der unveräußerlichen Menschenrechte, dann wird man es ablehnen, dass andere Völker für das ›Wohl des deutschen Volkes‹ bluten müssen und dass selbst dieses deutsche Wohlergehen nur einer immer kleineren Oberschicht zu Lasten der Bevölkerung zugutekommt.(38)«

Der Frieden ist der Ernstfall

Zu wie viel menschlichem Leid Gewalt und Krieg führen, zeigt die Situation in Syrien im Jahr 2017/2018. Was muss noch geschehen, damit wir diesen zerstörerischen Kreislauf verlassen? Wir haben keine andere Wahl: Wir müssen unsere eigene Zukunft und die Zukunft des gesamten Planeten selbst gestalten. Es ist mehr als offensichtlich, in welche apokalyptische Katastrophe uns diejenigen hineinführen, die ausschließlich Klientelinteressen, unter anderem der Rüstungsindustrie, bedienen. Immanuel Kant schrieb dazu in seinen Gedanken »Zum ewigen Frieden«:

»Stehende Heere sollen mit der Zeit ganz aufhören. – Denn sie bedrohen andere Staaten unaufhörlich mit Krieg, durch die Bereitschaft, immer dazu gerüstet zu erscheinen, reizen sie diese an, sich einander in Mengen der Gerüsteten, die keine Grenzen kennt, zu übertreffen, und, indem durch die darauf verwandten Kosten der Friede endlich noch drückender wird als ein kurzer Krieg, so sind sie selbst die Ursache von Angriffskriegen. (39)«

Egal wohin man schaut, alle derzeitigen Entwicklungen schreien nach Veränderung. Damit auf der Welt Frieden einkehrt, müssen die Neokonservativen ihren Einfluss verlieren, sie müssen aus allen für die Außenpolitik wichtigen Ämtern entfernt werden. Das gilt nicht nur für die Regierungen, sondern auch für die Medien. Um die Bevölkerung im Griff zu halten, bedienen sich die Medien der Erzeugung von Angst, eines äußerst wirksamen Mittels. Die Herrschaft des Kapitalismus wäre unmöglich, wenn die Menschen nicht derart in Angst leben würden, in Angst vor Armut, vor Feinden und – nicht zu vergessen – vor dem Tod. Doch wie können wir dem tödlichen Kreislauf aus Angst, Sicherheitsdenken und Gewalt entkommen? Wir müssen uns von der Ersatzreligion des Kapitalismus verabschieden. Solange die kapitalistischen Länder die Welt beherrschen wollen, wird es keinen Frieden geben, nur permanente Kriege. Der Friede ist der Sieg über den Kapitalismus. Kein Lebensentwurf kann antikapitalistischer sein als die Botschaft der Bergpredigt. Uns muss es gelingen, das menschliche Dasein wieder auf ein anderes Fundament zu stellen, indem die Menschlichkeit die Entmenschlichung der kapitalistischen Wirtschaftsform ablöst. Diese Vorstellung dürfen wir nicht länger als Utopie ansehen, sondern als anzustrebendes Ziel. Dieser Wandel muss uns gelingen, denn nicht irgendetwas steht auf dem Spiel, sondern alles.

  • 17. Siehe hierzu u.a.: Walter Rodney, Afrika. Die Geschichte einer Unterentwicklung, Berlin 1972; Dieter Senghaas (Hg.), Kapitalistische Weltökonomie. Kontroversen über ihren Ursprung und ihre Entwicklungsdynamik, Frankfurt/M. 1979
  • 18. http://westafrikaportal.de/kongokonferenz.html; zuletzt aufgerufen (z.a.) 05.11.2018
  • 19. Ebd.
  • 20. Siehe Walter Rodney, a.a.O.
  • 21. Stephen Schlesinger, Stephen Kinzer, Bananenkrieg. CIA-Putsch in Guatemala, München 1989 S.85
  • 22. Eugen Drewermann, Von Krieg zu Frieden. Kapital & Christentum Band 3, Ostfildern 2017, S. 70
  • 23. Noam Chomsky, Profit over People. Neoliberalismus und globale Weltordnung, Hamburg,
    Wien 1999, S. 64
  • 24. Siehe: Christian Zentner, Die Kriege der Nachkriegszeit. Eine illustrierte Geschichte militärischer Konflikte seit 1945, München 1969, S. 162. Zu den Kriegen der USA seit 1945 siehe ferner insbesondere: William Blum, Zerstörung der Hoffnung. Globale Operationen der CIA seit dem 2. Weltkrieg. Frankfurt/M. 2014
  • 25. James Risen, Krieg um jeden Preis. Gier, Machtmissbrauch und das Milliardengeschäft mit dem Kampf gegen den Terror. 2. Aufl., Frankfurt/M. 2015, S. 231
  • 26. Jürgen Todenhöfer, Inside IS – 10 Tage im »Islamischen Staat«, München 2015, S. 26
  • 27. Gore Vidal, Ewiger Krieg für ewigen Frieden. Wie Amerika den Hass erntet, den es gesät hat. Hamburg 2002, S. 25-26, 39
  • 28. Diana Johnston: Die Chaos-Königin, Hillary Clinton und die Außenpolitik der selbsternannten Weltmacht. Frankfurt/M. 2016, S. 104
  • 29. Michael Lüders: Die den Sturm ernten. Wie der Westen Syrien ins Chaos stürzte. München 2017, S. 73
  • 30. Macron ruft in Mali zur Bekämpfung des Terrorismus auf, Standard online, 2. Juli 2017: https://derstandard.at/2000060655948/Macron-rief-in-Mali-zur-Bekaempfung-des- Terrorismus-auf; z.a. 04.11.2018
  • 31. In: Cerstin Gammelin/Götz Hamann, Die Strippenzieher. Manager, Minister, Medien –Wie Deutschland regiert wird. Berlin 2005, S. 260-261
  • 32. Udo Ulfkotte, Gekaufte Journalisten. Wie Politiker, Geheimdienste und Hochfinanz Deutschlands Massenmedien lenken. Rottenburg 2014, S. 187
  • 33. Weißbuch 2016, Zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr: www.bundesregierung.de, S. 31f; z.a. 04.11.2018
  • 34. Ulrich Duchow/Gert Eisenbürger/Jochen Hippler (Hg.), Totaler Krieg gegen die Armen –Geheime Strategiepapiere der amerikanischen Militärs, 2. aktualisierte Auflage, München1991, S. 196
  • 35. Erich Mühsam, Das große Morden, in: Pierre Ramus/Bertha von Suttner/Josef Roth (Hg.), Friedenskrieger der Hinterlandes. Der erste Weltkrieg und der zeitgenössische Antimilitarismus, Wien 2014
  • 36. Jean Ziegler über Hunger in Afrika: »Es gibt genügend Nahrungsmittel«, TAZ, 19.04.2017: www.taz.de; z.a. 04.11.2018
  • 37. Papst Franziskus, Evangelii Gaudium, Artikel 53, S.45: https://w2.vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20131124_evangelii-gaudium.html#Nein_zu_einer_Wirtschaft_der_Ausschließung; z.a. 04.11.2018
  • 38. Thomas Wieczorek, Die geschmierte Republik. Wie Politiker und Wirtschaftsbosse sich kaufen lassen. München 2012, S. 160-161
  • 39. Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf. Königsberg 1795, 2.Abschnitt, in: Werke in 12 Bänden, hg. von Wilhelm Weischedel, Bd. XI: Schriften zurAnthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik I. Frankfurt/M. 1964, S. 197-198