1911-Die Juden und das Wirtschaftsleben
10. Kapitel--II: Ihre Fremdheit 1911: Die Juden und das Wirtschaftsleben von Werner Sombart: Zweiter Abschnitt - 10. Kapitel: Die objektive Eignung der Juden zum Kapitalismus
10. Kapitel: Die objektive Eignung der Juden zum Kapitalismus
II. Die Fremdheit
Fremde sind die Juden während der letzten Jahrhunderte in den meisten Ländern zunächst einmal in dem rein äußerlichen Sinne der Neueingewanderten gewesen. Gerade an den Orten, wo sie ihre wirksamste Tätigkeit entfaltet haben, waren sie nicht alteingesessen, ja: dorthin waren sie meist nicht einmal aus der näheren Umgebung, sondern von fernher, aus Ländern mit andern Sitten und Gebräuchen, zum Teil sogar andern Klimaten gelangt.
Nach Holland, Frankreich und England kamen sie aus Spanien und Portugal und dann aus Deutschland; nach Hamburg und Frankfurt aus anderen deutschen Städten und dann nach ganz Deutschland aus dem russisch-polnischen Osten.
Was die übrigen europäischen Nationen mit ihnen in der Neuen Welt teilten, das hatten sie vor diesen in den Ländern, der alten Kultur voraus: sie waren Kolonisten überall, wohin sie kamen und damit ohne weiteres zu ganz bestimmtem, Verhalten und Handeln gezwungen.
Neusiedler müssen die Augen offen halten, damit sie sich in der neuen Lage rasch zurechtfinden, müssen acht haben auf ihr Vorgehen, damit sie sich unter den neuen Verhältnissen doch ihren Unterhalt erwerben. Wenn die Alteingesessenen in ihren warmen Betten liegen, stehen sie draußen in der frischen Morgenluft und müssen erst trachten, sich ein Nest zu bauen, Draußen, stehen sie: allen Eingesessenen gegenüber als Eindringlinge, Und in freier Luft stehen sie: ihre wirtschaftliche Energie wird stärker angespornt.
Bedenken müssen sie, wie sie Boden gewinnen in der neuen Umgebung: das wird für ihre ganze Wirtschaftsführung entscheidend, die nun von der ganzen Wucht der Zweckmäßigkeitserwägungen ergriffen wird. Bedenken, wie die Wirtschaft am besten, am zweckmäßigsten eingerichtet werde: welchen Produktions- oder Handelszweig man wählen solle, mit welchen Personen man Beziehungen anknüpfen solle, welche Geschäftsgrundsätze man anwenden solle, um am schnellsten sich durchzusetzen: das heißt aber nichts anderes als den ökonomischen Rationalismus an Stelle des Traditionalismus setzen, Wir sahen die Juden das tun, und wir finden nun einen ersten, sehr zwingenden Grund, weshalb sie es taten: weil sie Fremde in den Ländern waren, wo sie wirtschaften sollten: Neusiedler, Frischeingewanderte.
Fremd aber war Israel unter den Völkern all die Jahrhunderte hindurch noch in einem andern, man könnte sagen psychologisch-sozialen Sinne, im Sinne einer innerlichen Gegensätzlichkeit zu der sie umgebenden Bevölkerung, im Sinne einer fast kastenmäßigen Abgeschlossenheit gegen die Wirtsvölker. Sie, die Juden, empfanden sich als etwas Besonderes und wurden von den Wirtsvölkern als solches wieder empfunden. Und dadurch wurden alle die Handlungsweisen und die Gesinnungen bei den Juden zur Entwicklung gebracht, die notwendig sich im Verkehr, mit „Fremden“ zumal in einer Zeit, die dem Begriff des Weltbürgertums noch fern stand, ergeben müssen.
Die bloße Tatsache, daß man es mit einem „Fremden“ zu tun habe, hat zu allen Zeiten, die noch nicht von humanitären Erwägungen angekränkelt waren, genügt, das Gewissen zu erleichtern und die Bande der sittlichen Verpflichtungen zu lockern. Der Verkehr mit Fremden ist stets „rücksichtsloser“ gestaltet worden. Und die Juden hatten es immerfort, zumal wenn sie in das große wirtschaftliche Getriebe eingriffen, mit „Fremden“, mit „Nicht-Genossen“ zu tun, weil sie ja obendrein stets in kleiner Minderheit waren, Brachte für einen Angehörigen des Wirtsvolkes jeder zehnte oder jeder hundertste Verkehrsakt, eine Beziehung zu einem „Fremden“, so erfolgten umgekehrt, bei den Juden neun Akte von zehn oder neunundneunzig vom Hundert im Verkehr mit Fremden: sodaß die „Fremdenmoral“ wenn ich diesen Ausdruck ohne mißverstanden zu werden gebrauchen darf, eine immer wieder geübte wurde, auf die sich das ganze Geschäftsgebaren dann gleichsam einstellen mußte. Der Verkehr mit Fremden wurde für den Juden das „Normale“, während er für die anderen die Ausnahme blieb.
Engstens im Zusammenhange mit ihrer Fremdheit steht die eigentümliche und absonderliche Rechtslage, in der sie sich aller Orten befanden. Doch hat sie als Erklärungsgrund ihre eigene Bedeutung und soll daher in folgender selbständiger Darstellung abgehandelt werden.