Wie ich bereits in der Einleitung erwähnte, war Dr. Rosedale einer meiner wichtigsten Mentoren in Sachen Ernährung, vor allem in den vergangenen 2 Jahren, als ich mir nach und nach die Kenntnisse aneignete, die mich dann anregten, dieses Buch zu schreiben. Ich bin ihm dankbar dafür, dass er mir half, diese wichtigen Konzepte zu verstehen, insbesondere im Hinblick auf die Rolle der Proteine und des Insulins bei der mitochondrialen Stoffwechselgesundheit.

Proteine sind für Ihre Gesundheit unentbehrlich. Es handelt sich um
Bausteine für Enzyme, Zellrezeptoren sowie Signalmoleküle, und sie sind
die Hauptbestandteile Ihrer Muskeln und Knochen. Darüber hinaus
übernehmen Proteine Transport- und Trägerfunktionen, und die
Aminosäuren in den Proteinen dienen als Vorstufen von Hormonen und
Vitaminen.

Wenn Sie jedoch mehr Proteine konsumieren, als Ihr Körper benötigt, haben Ihre Nieren die Aufgabe, mehr Stickstoffschlacken aus Ihrem Blut zu entfernen. Dieser zusätzliche Stress ist ein Faktor, der die Nierenfunktion beeinträchtigen kann, falls Sie bereits an einer Nierenerkrankung leiden. (79) Wie in vielen Bereichen des Lebens und im Gegensatz zu den Empfehlungen, die man bei zahlreichen beliebten Diäten erhält, wie zum Beispiel bei der Atkins- und der Paleo-Diät, ist ein Mehr an Proteinen nicht unbedingt besser. Man kann auch zu viel des Guten zu sich nehmen.

Es ist wichtig zu erkennen, dass es eine Obergrenze gibt, die besagt, wie viel Protein Ihnen wirklich guttut. US-Amerikaner konsumieren im Durchschnitt deutlich mehr Proteine, als sie benötigen, dazu viel zu viele
Kohlenhydrate und zu wenig gesunde Fette. Inzwischen ist klar, dass wir eine komplette Neuaufstellung unserer Ernährungskomponenten brauchen.

Um zu verstehen, warum es nicht gut ist, zu viele Proteine zu sich zu nehmen, sind grundlegende Kenntnisse der folgenden Konzepte erforderlich:

Kalorienbeschränkung

Seit 60 Jahren ist die Kalorienbeschränkung, bei der Sie einfach Ihre Kalorienzufuhr reduzieren, aber noch immer ausreichend Kalorien zu sich nehmen, um Mangelernährung zu vermeiden, das Maß aller Dinge zur
Erhaltung der Gesundheit, der Lebensverlängerung und der Verlangsamung des Alterungsprozesses, wie in Tierstudien nachgewiesen wurde. Es ist bekannt, dass die Kalorienbeschränkung die Expression hunderttausender Gene verändert. Einige davon stehen mit Langlebigkeit in Verbindung, andere spielen beim Stoffwechsel, beim Zellwachstum, bei der Fruchtbarkeit, der Immunabwehr und anderen wichtigen biologischen Prozessen eine Rolle. Diese Wirkung wurde bei einer Vielzahl von Spezies festgestellt, von Würmern und Hefezellen bis hin zu Ratten und Fischen, und es gibt klare Belege dafür, dass die Kalorienbeschränkung auch eine ähnliche Wirkung auf die Lebensspanne des Menschen hat. (80)

Trotz der einfachen Anwendung und nachgewiesenen Vorteile bleibt die Kalorienbeschränkung eine Strategie, die nur wenige Menschen gerne verfolgen. Die gute Nachricht ist, dass Sie mit einer fettreichen, kohlenhydratarmen und proteinreduzierten Kost ohne Entbehrungen oder Schwierigkeiten von den Vorteilen der Kalorienbeschränkung profitieren können.

Erst vor Kurzem hat die Wissenschaft herauszufinden begonnen, dass es nicht der Mangel an Gesamtkalorien ist, der die vorteilhaften Effekte der kalorienarmen Ernährung auslöst. Die jüngsten wissenschaftlichen Ergebnisse legen stattdessen den Schluss nahe, dass dieses Phänomen tatsächlich eher auf den reduzierten Proteinverzehr zurückzuführen sein könnte – speziell der reduzierten Aufnahme der Aminosäure Methionin, die insbesondere in Fleisch enthalten ist. (81)

Um es klar zu sagen: Sie werden nicht gänzlich auf Methionin verzichten wollen, weil es ein Methyldonator für eines der wichtigsten Antioxidantien ist, das Ihnen zur Verfügung steht, nämlich Glutathion. Sie müssen den Methioninspiegel lediglich senken.

Insulin

Insulin ist ein Hormon, das in den meisten Lebewesen nachweisbar ist, von Würmern und Fliegen bis hin zum Menschen. Beim Menschen besteht seine Hauptaufgabe darin, die Nährstoffspeicherung zu steuern – eine Möglichkeit, in Zeiten des Überflusses Energiereserven anzulegen, um in Zeiten der Nahrungsknappheit einen Vorrat zu haben. Seine Aufgabe besteht also genauer gesagt darin, dazu beizutragen, den Überschuss an Kohlenhydraten in Fett umzuwandeln.

Darüber hinaus spielt es im Hinblick auf die Alterung eine Doppelfunktion. Wenn Ihr Körper wahrnimmt, dass reichlich Nahrung vorhanden ist, sendet Insulin das Entwarnungssignal für die Fortpflanzung aus, und alle Prozesse werden auf die Zeugung neuen Lebens ausgerichtet – nicht mehr ausschließlich darauf, Ihr eigenes Leben zu erhalten.

Verspürt Ihr Körper dagegen Hunger, wird eine Reihe von schützenden und regenerativen Mechanismen aktiviert, die das Überleben unserer Spezies in mageren Zeiten sichert, um später dem biologischen Imperativ, sich fortzupflanzen, nachkommen zu können.

In der Regel gilt, dass der Alterungsprozess umso langsamer abläuft, je niedriger Ihr Insulinspiegel und je besser die Sensitivität Ihrer Insulinrezeptoren sind. Tatsächlich besteht laut Untersuchungen der ältesten
auf der Erde lebenden Menschen ein Zusammenhang zwischen niedrigem Insulinspiegel sowie erhöhter Sensitivität der Insulinrezeptoren und einem längeren Leben.


Der insulinähnliche Wachstumsfaktor 1 (IGF-1)

Zu viel Protein stimuliert darüber hinaus die Produktion eines Hormons namens insulinähnlicher Wachstumsfaktor 1, kurz IGF-1. Schon der Name verrät viel über dieses Hormon: Es ist ein naher Verwandter von Insulin und spielt, was wenig überrascht, gewissermaßen eine ähnliche Rolle. Die
beiden Hormone sind sich so ähnlich, dass sie sogar mit den Rezeptoren des jeweils anderen kreuzreagieren.

Das menschliche Wachstumshormon (HGH) fungiert als Botenstoff für IGF-1. Sobald HGH von unserer Hypophyse einmal ausgeschüttet wurde, stimuliert es die Bildung und Ausschüttung von IGF-1, das für die meisten der anabolen Wirkungen und Wachstumseffekte, die HGH zugeschrieben werden, verantwortlich ist. Entscheidend ist, dass IGF-1 Ihren Körper anweist zu wachsen, indem es den Zellen den Befehl gibt, sich zu teilen.

Doch dieser Prozess, der zu einem stärkeren Organismus führt, hat einen hohen Preis. IGF-1 ist ebenfalls wie Insulin ein starker Alterungsbeschleuniger. Dies wurde mithilfe von Studien nachgewiesen, die belegten, dass Tiere, die weniger IGF-1 produzierten, deutlich länger lebten und weniger von Krankheiten geplagt wurden als diejenigen, die einen hohen Spiegel dieses Hormons aufwiesen.

Untersuchungen einer Gemeinschaft von Menschen, die in einer abgelegenen Region Ecuadors leben und unter einer seltenen Form von Zwergwuchs, Laron-Syndrom genannt, leiden, bestätigen die Verbindung zwischen IGF-1 und dieser Krankheit. (82)

Rund um die Welt waren Wissenschaftler verblüfft, als berichtet wurde, dass Menschen mit Laron-Syndrom lange leben und buchstäblich immun gegen Diabetes und Krebs sind.

Nachdem 99 Menschen mit Laron-Syndrom 5 Jahre lang beobachtet worden waren, stellten die Forscher keinen einzigen Fall von Diabetes fest, und sie berichteten von lediglich einem Fall von Krebs – und der Patient überlebte die Krankheit. Daraufhin verglichen die Forscher diese Ergebnisse mit denjenigen von mehr als tausend normalgroßen Verwandten der Laron-Patienten und stellten fest, dass die Krebssterberate bei diesen Verwandten bei 1:5 lag. Außerdem starben 5 Prozent der Verwandten an Diabetes.

Obwohl die Gemeinschaft mit Laron-Syndrom eine starke Verbreitung von Fettleibigkeit zu verzeichnen hatte, waren diese Menschen erstaunlich insulinsensitiv. Diese verblüffenden Ergebnisse wurden durch die Untersuchung einer in Europa lebenden separaten Bevölkerungsgruppe mit Laron-Syndrom bestätigt.

Als die Forscher das Blut von Patienten mit Laron-Syndrom analysierten, fanden sie zu ihrer Überraschung hohe HGH-Spiegel vor. Aber als sie der Sache weiter nachgingen, fanden sie die Antwort: eine Mutation im HGH-Rezeptor. Mit anderen Worten: Die Laron-Patienten waren nicht in der Lage, auf HGH zu reagieren und IGF-1 zu produzieren. Für die meisten Forscher war die Erkenntnis schockierend, dass das Fehlen von IGF-1 eine so dramatische Auswirkung auf zwei der in Industrienationen grassierenden gefährlichsten und schrecklichsten Krankheiten haben kann.

Das mTOR (mammalian oder mechanistic Target of Rapamycin)

Das mTOR, das ich bereits in Kapitel 2 beschrieben habe, ist ein komplexes Protein, das in Ihrem Körper als wichtigster den Nährstoffhaushalt regulierender Signalweg fungiert. Es wurde erst vor Kurzem entdeckt, im Verlauf der Entwicklung des hochwirksamen Krebsmedikaments Rapamycin aus einem Bakterium, das Ende der 1960er-Jahre auf der Osterinsel gefunden wurde. (83)

Die meisten Ärzte lernen während ihrer Ausbildung nichts über diesen wichtigen Signalweg, aber er ist bei allen Säugetieren der Schlüssel für den Mechanismus der Muskelbildung. Bleibt die Stimulierung von mTOR aus, weist es die Zellen an, sich den ihnen möglichen Erholungs- und Reparaturvorgängen zuzuwenden, einschließlich der Autophagie (Beseitigung von Zellrückständen), der DNA-Reparatur und der Aktivierung der intrazellulären Antioxidantien sowie der Hitzeschockproteine (HSP). Wird mTOR dagegen aktiviert, in der Regel durch einen Proteinüberschuss, veranlasst es die Zelle, zu wachsen und sich zu teilen. Darüber hinaus unterdrückt es die meisten Erholungs- und Reparaturmechanismen der Zellen und Mitochondrien.

Wenn Sie Ihre Spiegel von Blutzucker, Aminosäuren, Insulin und Wachstumsfaktoren (wie IGF-1) niedrig halten, hemmen Sie mTOR und ermöglichen damit die Ankurbelung der Genexpression, die die zelluläre und mitochondriale Erholung und Reparatur fördert. Daher kann Ihre Ernährung eine enorme Auswirkung auf Ihre Gesamtgesundheit, möglicherweise sogar auf Ihre Lebenserwartung und – was noch wichtiger ist – auf Ihr gesundes Leben haben, also auf die Zahl der Jahre, die Sietatsächlich gesund verbringen.

Von allen Lebensmitteln, die mTOR stimulieren, sind die Aminosäuren – die aus Proteinen gebildet werden – die wirkungsvollsten. Die Stimulation von mTOR durch den Verzehr großer Mengen an Proteinen ist darüber hinaus eine der schnellsten Methoden, die zellulare und mitochondriale Autophagie zu unterdrücken, was Ihren Körper davon abhält, geschädigte Zellen und Schlacken effektiv zu beseitigen. Selbst wenn Sie alles Erdenkliche optimieren, um den Blutzucker- und den Insulinspiegel niedrig zu halten, wird der Konsum von zu viel Protein dennoch den mTOR-Signalweg aktivieren. Falls Ihr Ziel darin besteht, Krankheiten zu behandeln und lange zu leben, dann sollten Sie vermeiden, dauerhaft zu viel Protein zu sich zu nehmen.

Buchstäblich alle Formen von Krebs stehen mit der mTOR-Aktivierung in Verbindung, und die Hemmung von mTOR mithilfe von Medikamenten, wie zum Beispiel Rapamycin, dem mTOR seinen Namen verdankt, ist eine herkömmliche und sehr effektive Krebsbehandlung. Das ist der Grund, weshalb Rosedale und ich inzwischen davon überzeugt sind, dass in Ihrem Speiseplan die Proteinrestriktion vielleicht noch wichtiger ist als die Restriktion der Netto-Kohlenhydrate (Gesamt-Kohlenhydrate minus Ballaststoffe).

Diese Theorie wurde an Mäusen, die sich zugegebenermaßen vom Menschen unterscheiden, getestet und bestätigt. Die Untersuchung wurde 2014 durchgeführt und das Ergebnis in der Zeitschrift Cell Metabolism (84) veröffentlicht. Langlebigkeit und Gesundheit wurden angekurbelt, wenn bei der Fütterung der Mäuse Proteine durch Kohlenhydrate ersetzt wurden, was den Schluss nahelegt, dass die Reduktion von Protein mTOR stärker hemmt als die Reduktion von Kohlenhydraten.

Es muss betont werden, dass die Forscher keine fettreiche Ernährung getestet haben und die Studie an Mäusen, nicht an Menschen, durchgeführt wurde. Die Wissenschaftler interessierten sich lediglich für Kohlenhydrate versus Protein, und falls dies für Sie die einzige Wahlmöglichkeit wäre, könnte die Proteinreduktion tatsächlich wichtiger sein als die Kohlenhydratreduktion. Doch wie ich in diesem Buch zeigen werde, hat der Verzehr von zu vielen Netto-Kohlenhydraten zahlreiche langfristige Nachteile; deshalb scheint es vernünftig zu sein, die Netto-Kohlenhydrate durch hochwertige, gesunde Fette zu ersetzen und den Proteinkonsum auf genau die Menge zu beschränken, die Ihr Körper für seine Erholung und Reparatur benötigt.

Richtig ist aber auch, dass für junge Athleten und vielleicht sogar Sportler mittleren Alters die Stimulation von mTOR für den Muskelaufbau und die Steigerung der Kraft, Geschwindigkeit und Leistungsfähigkeit ein erstrebenswertes Ziel ist. Man muss dabei bedenken, dass diese Gruppe noch fortpflanzungsfähig ist und dass eine erhöhte Proteinaufnahme die Fortpflanzungsfähigkeit unterstützt. Höchstwahrscheinlich trägt die dauerhafte Hemmung von mTOR ebenso wie der Konsum von Netto-Kohlenhydraten nicht gerade zur Optimierung der Gesundheit bei. In Kapitel 10 über den Zyklus von Fasten und Schlemmen werde ich darauf ausführlich eingehen. Untersuchungen zu diesem Thema müssen erst noch durchgeführt werden, und niemand kann es mit Sicherheit sagen, aber nachdem Sie das biologische Mandat der Fortpflanzung erfüllt haben, sollten Sie sich allem Anschein nach besser darauf konzentrieren, wie Sie die verbleibenden Lebensjahre gesund verbringen und Ihre Lebenserwartung verlängern können. Und zwar vor allem dadurch, dass Siedie mTOR-Aktivierung durch die angemessene Proteinzufuhr hemmen – es sei denn, Sie versuchen gerade, durch Krafttraining Muskelmasse aufzubauen.

Eine weitere wichtige Ausnahme stellen die über 65-Jährigen dar. Je älter man wird, desto wichtiger wird die Proteinzufuhr, um Muskelschwund vorzubeugen. Deshalb empfiehlt es sich für Ältere, die Restriktion ein wenig zu lockern. Im Idealfall nimmt man an Tagen, an denen man Krafttraining macht, mehr Protein zu sich, sodass das zusätzliche Protein für die Muskelbildung eingesetzt wird.

Interview von Travis Christofferson mit Dr. Ron Rosedale

Neben Dr. Rosedales Arbeit übte auch Travis Christoffersons ausgezeichnetes und absolut lesenswertes Werk Tripping over the Truth (deutscher Titel: Paradigmenwandel) einen großen Einfluss auf mich aus
und inspirierte mich, dieses Buch zu schreiben. Christoffersons Schreibstil ist so flüssig und unterhaltsam, dass ich ihn bat, Dr. Rosedale für mein Buch zu interviewen.

T. C.: Häufig waren Patienten, die in den 1980er- und 1990er-Jahren Ihre Klinik verließen, verwirrt, weil das, was Sie ihnen in der Regel sagten, allem widersprach, was sie in der Vergangenheit gehört
hatten. Egal, ob die Patienten an Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schmerzen oder Osteoporose litten, ob sie zur Krebsvorsorge kamen oder lediglich versuchten, ihre Gesundheit zu
verbessern, Ihre Verordnung lautete immer gleich: Essen Sie weniger Kohlenhydrate, weniger Protein und mehr Fett.

Und das auf dem Höhepunkt der fettfeindlichen Ära. Ihr Rat stellte das vorherrschende Dogma in einer in der Medizin ungewöhnlichen Weise direkt und aggressiv infrage. Ich möchte mehr darüber
erfahren, wie sich Ihre Gedanken im Laufe der Jahre weiterentwickelt haben.

Wann begannen Sie, einen Zusammenhang herzustellen und zu bemerken, dass die Einstellung der Schulmedizin gegenüber Krankheiten – und welche Rolle die Ernährung dabei spielt – falsch
war?
R. R.: Ich fing bereits an, die herkömmliche Sichtweise infrage zu stellen, als ich noch in der Ausbildung war und wir den Typ-2-Diabetes durchnahmen. Ich fragte mich, warum man einen
Diabetiker, der einen hohen Blutzuckerwert hat, noch mehr Zucker essen lässt, und ihm dann in dem Bemühen, das wieder zu korrigieren, Medikamente verabreicht. Doch genau das wurde uns
beigebracht – den Blutzucker zu behandeln, ohne die eigentliche Ursache anzugehen. Die Alternative schien auf der Hand zu liegen: Verzichten Sie auf die Kohlenhydrate, die der Körper in Zucker
verwandelt, und nehmen Sie die notwendigen Kalorien in Form von Fett zu sich.

Lediglich die Symptome zu behandeln schien mir, als versuche man, einen Löwenzahn an den Blättern auszureißen – man kommt damit nicht sehr weit. Doch das Problem bestand darin, dass die
Schulmedizin die Ursache nicht kannte.

Als ich meine Ausbildung abgeschlossen hatte und meine eigene Praxis führte, verordnete ich meinen Patienten eine kohlenhydratarme, fettreiche Diät, und die Ergebnisse waren bemerkenswert.

Einer meiner ersten Fälle war ein Mann, der einen Tag vor seiner anberaumten zweiten Bypass-Operation in meinem Wartezimmer auftauchte.

Ohne diese Operation, so war ihm mitgeteilt worden, würde er innerhalb weniger Wochen sterben. Er war bereit, alles zu tun, um einen weiteren Eingriff zu vermeiden, weil seine erste Bypass-OP eine grässliche Erfahrung gewesen war. Er befand sich in einer fürchterlichen Verfassung. Täglich hatte er 102 Einheiten Insulin erhalten, dennoch lag sein Blutzucker bei über 300. Darüber hinaus nahm er acht verschiedene Medikamente gegen andere chronische Erkrankungen ein.

Anstatt jedes gesundheitliche Problem mit Medikamenten zu behandeln, verordnete ich ihm eine fettreiche, kohlenhydratarme Diät und setzte sofort ein paar seiner Medikamente ab, während ich die
restlichen Arzneimittel langsam auslaufen ließ.

Mein Ziel bestand darin, die zelluläre Kommunikation zwischen den 20 Billionen Zellen meines Patienten wiederherzustellen, bis die Gene wieder mit den Genen und die Hormone wieder mit den
Rezeptoren kommunizieren würden. Die gewaltigen Mengen an Insulin, die durch die Adern meines Patienten flossen, brüllten so laut und harsch Instruktionen, dass die Zellen aufgehört hatten zuzuhören, und das beschwor ein Problem herauf, das als Insulinresistenz bekannt ist. Als die Zellen von diesem ständigen Gebrüll verschont blieben, konnten sie ihre Insulinrezeptoren reaktivieren, sodass diese wieder Signale empfangen und entsprechend reagieren konnten. Als die Kommunikation zwischen dem Insulin und dem Rest des Körpers wiederhergestellt war, begannen auch viele andere Probleme zu verschwinden. Der Elektrolythaushalt wurde ausgeglichen, und die Blutgefäße weiteten
sich, sodass der Blutdruck auf normale Werte sank. Gefäßverschlüsse begannen sich aufzulösen, und die Nerven heilten. Das Ergebnis war verblüffend: keine Operation, keine Medikamente mehr, keine Schmerzen in der Brust und keine Neuropathie. Der Patient erholte sich und spielte noch weitere 15
Jahre Golf.

Auf die gleiche Weise behandelte ich viele Patienten, die an unterschiedlichen Erkrankungen litten, und sie erzielten die gleichen bemerkenswerten Resultate.

Je mehr Leiden ich mit dieser Diät behandelte, desto klarer erkannte ich, dass die Vielzahl der chronischen Erkrankungen, von der die Gesellschaft heimgesucht wird, trügerisch ist. Die Krankheiten waren lediglich die Symptome – das Insulin war die Ursache.

T. C.: Sie haben 1999 unter dem Titel »Insulin and Its Metabolic Effects« einen bahnbrechenden Vortrag gehalten, der im Internet große Verbreitung fand und einigen Menschen die Augen öffnete.
Jetzt, im 21. Jahrhundert, wissen wir, dass Insulinresistenz eine Hauptursache der mitochondrialen Dysfunktion ist. Was hat zu dieser Erkenntnis geführt?

R. R.: In den 1980er- und 1990er-Jahren steckte die Forschung über den Alterungsprozess noch in den Kinderschuhen. Angetrieben von der Mutmaßung, dass die Ursache vieler Krankheiten auf den zu
wenig berücksichtigten Alterungsprozess zurückzuführen ist, beschäftigte ich mich mit diesen Forschungen – und ich vermutete, dass das Insulin eine Schlüsselfunktion haben musste.

Im Grunde genommen wird das Leben von einem Imperativ angetrieben: Pflanze dich fort! Sobald wir unsere Hauptfortpflanzungsjahre hinter uns haben, ist unser Überleben für die Natur nicht mehr wichtig, und der Prozess der programmierten Degeneration, den wir Alterung nennen, setzt ein.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die zerstörerische Wirkung von zu viel Insulin direkt beobachtet werden kann. Wenn Sie einem Hund eine Infusion in die Oberschenkelarterie legen und ihm Insulin
verabreichen, wie Dr. Anatolio B. Cruz, Chirurg und Gründungsmitglied des Health Science Center der Universität von Texas in San Antonio, Anfang der 1970er-Jahre zufällig feststellte, wird die Arterie innerhalb von nur 3 Monaten durch Ablagerungen komplett verschlossen. Das verhalf mir zu der Erkenntnis, dass die Insulinresistenz die Ursache einer Vielzahl von zerstörerischen Alterungsprozessen ist, einschließlich erhöhter Triglyceride, Magnesiummangel, vermehrter Zellteilung, Glykation von Proteinen und Hemmung der Autophagie (ein Prozess, durch den die Zellen
von Schlacken befreit werden).

Für mich schien die Antwort auf der Hand zu liegen: Wenn die Ursache der medizinischen Probleme der meisten Menschen auf die Alterung ganz allgemein zurückzuführen ist und Insulin sowie IGF-1
dem Körper das Signal zur Alterung geben, dann sollte man die Insulin- und IGF-1-Werte so niedrig wie möglich halten und damit die Alterung hinauszögern, während man zugleich restaurative
Signalwege freischalten sollte.

T. C.: So wichtig Insulin auch ist, Sie haben darüber hinaus festgestellt, dass auch Leptin bei der Fettleibigkeit und bei chronischen Erkrankungen eine Rolle spielt. Wie sind Sie darauf gestoßen?

R. R.: Leptin schien durch einen direkten Mechanismus zu wirken – es bestimmt einen Grenzwert für die Fettansammlung. Der Grenzwert wird durch das Fett selbst vorgegeben. Mit anderen Worten: Fett bestimmt durch die Bildung von Leptin sein eigenes Schicksal.


Ich dachte mir, bei einem Menschen würde genügend Leptin ins Blut ausgeschüttet, mit dem es zum Hypothalamus gelangen kann, um dort spezielle Instruktionen zu geben, sobald er eine gesunde
Menge Fett angesammelt hat: Hör auf zu essen und beginne mit der Fettverbrennung. Umgekehrt würde bei einem Menschen, der zu stark abnimmt, der Leptinspiegel sinken und dem Körper das Signal geben, mehr zu essen und mehr Fett zu speichern. Im Grunde hatte ich den Eindruck, Leptin fungiere gewissermaßen als Mediator, als Ausgleichsmechanismus: Es sorge dafür, dass in einem Organismus zwar genügend Energie gespeichert wird, um eine Hungersnot zu überstehen, verhindere aber gleichzeitig, ihn so groß werden zu lassen, dass dieser nicht mehr jagen oder vor einem Raubtier fliehen kann.

Aber als Wissenschaftler die Leptinspiegel von Fettleibigen untersuchten, waren deren Spiegel hoch, was dem Verständnis aller Forscher im Hinblick auf die Wirkweise des Hormons widersprach, auch dem meinen. Ich begann mich zu fragen, ob meine Anti-Aging-Diät möglicherweise auch bei Leptinresistenz funktionieren könnte. Könnte die bloße Beseitigung der dauerhaften Überflutung durch zu viel Leptin, genauso wie beim Insulin, dazu führen, den Hypothalamus und die Zellen im gesamten Körper für das Leptinsignal zu »resensibilisieren«, wenn man ihnen nur genügend
Zeit ließe?

Bei der Insulin- und Leptinresistenz handelt es sich um Prozesse der Desensibilisierung, so als würden Sie einen Raum betreten, in dem es stark riecht, aber Sie nehmen den Geruch irgendwann gar nicht mehr wahr. Sie werden gegen den Geruch unempfindlich. Wenn Sie den Raum aber für eine Weile verlassen, werden Sie wieder sensibilisiert, und sobald Sie erneut hineingehen, nehmen Sie
den Geruch wieder wahr.

Um meine Theorie überprüfen zu können, brauchte ich ein Labor, das Leptintests durchführen konnte. Damals gab es im ganzen Land nur ein einziges, das dazu in der Lage war. Ich fand heraus, dass die
Leptinspiegel meiner Patienten durch den Verzicht auf Kohlenhydrate und bestimmte Aminosäuren (durch die Reduktion der Proteinzufuhr) innerhalb von wenigen Tagen sanken. Nicht nur ihre
Leptinspiegel sanken, die Patienten verspürten keinen Hunger und nahmen ab. Sie entwickelten wieder eine Leptinsensitivität.

T. C.: Was ist mit der Notwendigkeit, die Proteinzufuhr zubeschränken?

R. R.: Als Erstes stellte ich fest, dass Aminosäuren aus Proteinen in Zucker verwandelt werden können, was wiederum die Insulinausschüttung stimuliert. Obwohl ich wusste, dass Proteine für die Gesundheit unverzichtbar sind, wurde mir allmählich klar, dass es eine optimale Menge von ausreichend, aber noch nicht zu viel Protein gibt. Dann begann ich, mTOR zu untersuchen, den
wichtigsten Signalweg im Körper für die Verlangsamung der Alterung, und stellte fest, dass die mTOR-Aktivierung von derProteinzufuhr stark beeinflusst wird.

Ich hatte den Eindruck, dass die anderen fettarmen, kohlenhydratreichen Diäten eine höhere Proteinzufuhr empfahlen, als gesund ist. An meinen eigenen Patienten hatte ich festgestellt, dass durch die Beschränkung von Methionin, einer in großen Mengen in Fleisch enthaltenen Aminosäure, die viszerale Fettmasse reduziert und die Insulinwirkung aufrechterhalten wird, die wiederum
die Insulin-, Zucker- und Leptinspiegel senkt. Außerdem erhält man ein Genexpressionsprofil, das demjenigen bei der Behandlung mit Rapamycin ähnelt – eines der wirkungsvollsten bekannten
Krebsmedikamente überhaupt.

Die Paleo-Diät versucht, die Ernährung der menschlichen Evolution anzupassen. Aber das Leben muss eine heikle Balance zwischen Energie und Fortpflanzung, Wachstum und Reparatur, Pflege und Gleichgültigkeit finden. Durch die Stimulierung von mTOR wird der Körper den Weg in Richtung Alterung und Tod nehmen – worauf er ohnehin programmiert ist. Was ich mit meiner Diät zu tun
versuche, ist widernatürlich. Ich versuche, in die Natur selbst einzugreifen und den Alterungsprozess zu verlangsamen.

Wenn wir älter werden, veranlasst ein Zuviel an Protein die Zelle, die Alterung zu ignorieren. Durch die Beschränkung der Proteinzufuhr wird dagegen eine gut abgestimmte Abfolge innerer Prozesse ausgelöst, die vor Krankheiten schützt, das Leben verlängert und die Wahrscheinlichkeit erhöht, dem Imperativ der Natur, sich fortzupflanzen, Folge leisten zu können. Ich habe dies und mehr 2006 in einem Vortrag mit dem Titel »Protein – the Good, the Bad, and the Ugly« dargelegt, den Sie online nachlesen können, wenn Sie den Titel in eine Suchmaschine eingeben.

Das Ziel besteht darin, die Jugendzeit so weit wie möglich zu verlängern, chronische Krankheiten zu verhindern und ein gutes Leben zu führen. Deshalb möchte ich sagen: Ihre Gesundheit und Lebenserwartung werden dadurch bestimmt, wie viel Fett im Verhältnis zu Glukose Sie im Laufe Ihres Lebens verbrennen. Und dieses Verhältnis ist davon abhängig, wie Sie sich ernähren.

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Gesundheit setzt in vielerlei Hinsicht eine heikle Balance voraus. Die Proteinzufuhr kann Ihnen einerseits helfen, Muskelkraft zu bilden, Wachstum und Gewebereparatur anzukurbeln, doch zu viel davon hat andererseits Gewichtszunahme, Alterung und Krankheit zur Folge. Die Natur gibt mit der einen Hand, während sie mit der anderen nimmt.

Zum Glück haben Sie den Schlüssel zur Verlangsamung des Alterungsprozesses bereits in der Hand – Sie müssen lediglich aufhören, mehr Protein zu sich zu nehmen, als Ihr Körper für die Gewebereparatur benötigt. Die Reduktion der Proteinzufuhr ist so wirksam, dass sie in  Zukunft wahrscheinlich ein noch sichtbarerer Bestandteil der Antikrebs-und Anti-Aging-Ernährungsmaßnahmen sein wird.

In Kapitel 8 werde ich erklären, wie Sie bestimmen können, wie viel Protein Sie für Ihren Körper genau benötigen, um seinen Bedarf zu stillen, ohne die Waage in Richtung Zuviel ausschlagen zu lassen.

Mit fettreicher, kohlenhydratarmer Ernährung und FastenTyp-2-Diabetes rückgängig machen

Im Oktober 2015 wurde bei Gino Typ-2-Diabetes diagnostiziert. Um besser verstehen zu können, wie sich seine Ernährung auf seinen
Blutzucker auswirkte, begann er, vor und nach den Mahlzeiten, am
späten Abend und sogar mitten in der Nacht seinen Blutzucker zu
messen. Darüber hinaus stellte er seine Ernährung auf eine niedrig-
glykämische Kost um, die speziell für Menschen mit Diabetes
entwickelt wurde, sah aber nur minimale Verbesserungen.
Bei seinem Termin im November in der Diabetesklinik erläuterte
die Ernährungsberaterin ihm den offiziellen »Canada Food Guide«,
sie sprach von der Bedeutung von körperlicher Bewegung und
vereinbarte einen Termin mit Ginos Hausarzt, bei dem er sich ein
Rezept für Metformin besorgen sollte, jenes Medikament, das
Diabetikern so häufig zur Senkung des Blutzuckers verschrieben
wird. Gino beschloss, den Diät- und Bewegungsplan einzuhalten,
aber den Besuch bei seinem Hausarzt hinauszuschieben – er wollte
zuerst sehen, was er selbst unternehmen konnte, um seinen
Gesundheitszustand zu verbessern, ohne gleich nach einem
Medikament zu greifen.
In den folgenden Wochen folgte Gino den Empfehlungen des
»Canada Food Guide«. Seine Blutzuckerwerte waren tagsüber
geringfügig niedriger, doch sowohl der Nüchternblutzucker als auch
die abendlichen Werte waren außergewöhnlich hoch.. Gino konnte
nicht verstehen, wie es möglich war, dass seine Blutzuckerspiegel


höher waren als zuvor. (Tatsächlich war es ein Paradebeispiel für das
»Dawn-Phänomen«, wenn Diabetiker in den frühen Morgenstunden
einen Anstieg ihres Blutzuckers feststellen.)
Bis Dezember hatten Ginos Bemühungen nur zu geringfügigen
Verbesserungen geführt, und er war enttäuscht, weil seine
Blutzuckerwerte häufig höher waren als je zuvor. In einem letzten
Versuch, die Einnahme von Medikamenten zur Kontrolle seines
Diabetes zu umgehen, suchte er im Internet nach Informationen über
Diabetes. So stieß er auf ein Internetforum, in dem Menschen über
Veränderungen des Lebensstils diskutierten, die ihren Diabetes
rückgängig gemacht hatten. Dort erfuhr Gino von Dr. Jason Fung,
einem Nephrologen (Nierenarzt) mit umfassenden Erfahrungen in
der Anwendung von fettreichen, kohlenhydratarmen Diäten in
Verbindung mit Fastenzeiten bei der Behandlung von Patienten mit
fortgeschrittenem Diabetes.
Nachdem Gino Dr. Fung konsultiert hatte, stellte er seine
Ernährung auf eine kohlenhydratarme, fettreiche Kost um und legte
seine Fastenperioden fest, um die eher kohlenhydratreichen
traditionellen Mahlzeiten, die in der Regel an Weihnachten, Neujahr,
Geburtstagen und Familienessen serviert werden, auszugleichen.
Jeden 2. Tag fastete er 24 Stunden lang und entwickelte ein System,
bei dem auf jeden »Genuss« rasch eine Fastenperiode folgte.
Im April 2016, nur 5 Monate, nachdem Gino mit seinem Programm
begonnen hatte, war sein Nüchternblutzucker wieder auf dem Niveau
von vor dem Diabetes, zudem hatte er 20 Kilogramm abgenommen.
Gino berichtet, dass er sich inzwischen tatsächlich auf seine
Fastenperioden freut. »Wenn ich irgendwann zu viel esse, brauche
ich nicht in Panik zu geraten, weil ich nur eine fettreiche,
kohlenhydratarme Mahlzeit und eine kurze Fastenzeit von der
Rückkehr zu normalen Werten entfernt bin. Diese Kombination aus
Spielraum und Kontrolle ist für mich der faszinierendste und
motivierendste Teil des Ganzen.«


Kapitel 4