Überraschungsparadigma und Familiarisierungs-Neuheits-Methode

Zwei andere Paradigmen werden noch häufig verwendet. Beim Überraschungsparadigma will man wissen, ob der Säugling feststehende Erwartungen hat und Abweichungen davon bemerkt.

 

Hierzu konfrontiert man ihn mit einem »unmöglichen« Ereignis. Man zeigt etwa das Gesicht einer Frau, die spricht (hinter einer schalldichten Glasscheibe), spielt aber den Ton ihrer Stimme so ein, daß er nicht aus dem Mund, sondern von der Seite kommt. Schon im ersten Monat sind Säuglinge darüber erstaunt, und daraus kann man schließen, daß sie erwarten, daß beides, Mund und Ton, zusammengehört.


Ob diese Erwartung angeboren oder im Laufe des ersten Lebensmonats gelernt wird, ist strittig. Die Reaktion des Erstaunens kann an verschiedenen Äußerungen des Kindes abgelesen werden.


Am häufigsten sind Änderungen des Gesichtsausdrucks, Unruhe, Erregtheit und Pulsfrequenzänderungen. Das eben geschilderte Experiment, das Unruhe auslöst, macht deutlich, daß die Wahrnehmung eines Unterschiedes durchaus psychische Bedeutung haben kann. Die Affektlage ist nämlich eindeutig negativ.


Ähnlich verhält es sich bei der interaktionellen Variante des Überraschungsparadigmas, der sogenannten »still-face-procedure«. Dabei wird die Mutter angewiesen, ihr natürliches Interaktionsverhalten zu verändern und ohne Veränderung der Gesichtsmimik auf die Annäherungsgesten ihres Säuglings zu reagieren. Schon drei Monate alte Säuglinge sind darüber erstaunt, bemerken also, daß sich die Mutter nicht benimmt wie sonst, und unternehmen nachdrückliche, von starken affektmotorischen Äußerungen begleitete Versuche, die Mutter umzustimmen (Tronick et al. 1979; Cohn/Tronick 1983; Lamb et al. 1987).


Beim Familiarisierungs-Neuheits-Paradigma werden zwei gleiche Reize paarweise präsentiert, beispielsweise zwei rote Kugeln. Nach Erlahmen der Aufmerksamkeit wird eine Kugel gegen eine neue Figur, z.B. einen gleichgroßen roten Würfel, ausgetauscht. Kehrt die Aufmerksamkeit zurück und wird der Würfel mehr angesehen als die Kugel, so ist das ein Zeichen dafür, daß der Säugling einen Unterschied zwischen beiden Figuren bemerkt.