Drei Ebenen narzisstischer Konflikte In diesem Buch werden wir die tief verwurzelte Verbindung zwischen Narzissmus, Selbstsabotage und persönlicher Veränderung erkunden. Wir werden uns mit den Mechanismen und Mustern befassen, die uns daranhindern, unsere wahren Fähigkeiten zu erkennen und auszuleben, und damit, wie wir diese Muster durchbrechen können, um eine positive Transformation zu erreichen.
Drei Ebenen narzisstischer Konflikte
Dabei können Konflikte mit dem Narzissmus und der Selbstsabotage auf drei verschiedenen Ebenen des Lebens stattfinden. Erstens in einem selbst, weil man sich mit narzisstischen Sorgen, Befürchtungen und Ängsten im Wege steht. Viele narzisstische Ängste speisen sich aus der Vorstellung, sich ein Scheitern nicht erlauben zu können, denn das würde die eigene Großartigkeit deutlich infrage stellen. Fehler zu machen und zu scheitern ist bei sehr sensiblen narzisstischen Personen nicht erlaubt. Das setzt hohe innere Maßstäbe und tyrannische Ängste frei, die schwer aushaltbar sind und daher an anderen abreagiert werden müssen, um die eigene Anspannung, Schuldgefühle und Versagensängste nicht zu spüren.
Grandiose Narzissten können hingegen großartig mit ihren eigenen Fehlern leben, denn sie können es sich leisten und haben hier kaum Konflikterleben. Was uns direkt zur zweiten Ebene führt: Es entstehen ernsthafte Probleme mit nahestehenden Menschen, wenn man die inneren Konflikte in
diese Beziehungen verschiebt und darauf projiziert. Zudem führt es zu Konflikten, wenn man die eigene narzisstische Anspruchshaltung zeigt: Man sieht den Splitter im Auge des anderen, aber nicht den Balken bei sich selbst.
Darüber hinaus, in einer viel größeren Dimension, gibt es eine dritte Konfliktebene. Nämlich die mit sozialen Gruppen, Institutionen, gesellschaftlichen Strukturen und größeren Systemen. Das kann beispielsweise die Umwelt sein in Form einer Behörde, einer sozialen Bewegung oder in Form der Natur an sich. Auch in diese Systeme überträgt man sich mit seinem ganzen Narzissmus: Hier will man sich als Krönung der Schöpfung sehen und Herrscher der Systeme werden, ja, narzisstisch beflügelt, ganz oben stehen sehen.
Jenny hatte auf allen drei Ebenen große »äußerliche« Erfolge erzielt. Sie war erfolgreich, nicht extrem erfolgreich, in der Mode. In diesem Bereich hatte sie kaum Schwierigkeiten, dort konnte sie grandios sein, strahlen. Hier passte sie mit ihrem gesamten Wesen hinein. Jennys Auftreten in sozialen Strukturen, ob auf Galas oder vor anspruchsvollen Kunden, war federleicht. Sie zeigte ihren einzigartigen Stil. Sie hatte einen kohärenten und durchdachten Look und ihre Experimentierfreude hatte sogar relevanten Einfluss auf Modetrends.
Auf der zweiten, der interaktionalen Ebene wurde es schwieriger. Sobald sie liebte, kamen diese Ängste, alles falsch zu machen und deswegen verlassen zu werden. Sie wurde unsicher und kaschierte ihre Angst. Sie verhielt sich auch kopfloser. Tatsächlich machte sie Fehler in der Kommunikation mit ihrem Lebensgefährten, war mal zu »zickig« oder »egoistisch«, weil sie nicht wusste, wie das ging, so nah an einem anderen Menschen zu sein. Fehler, die sie sich nicht verzeihen konnte. Innerlich, sensibel für ihre Verunsicherung, verlor sie jeden Halt an äußerlicher Grandiosität und fiel ins Bodenlose.
Ihre innere Arbeit hatte sie definitiv vernachlässigt. Und je näher sie sich selbst kam – ob auf der Beziehungsebene, wo sie diese große Sorge umtrieb, zu wenig für sich zu bekommen, oder in der Beziehung zu sich selbst, wo sie nur innere Leere spürte –, desto weniger war sie selbst.
Die drei Ebenen der Selbstsabotage
- Ich (intrapersonell) stehe mir selbst im Weg
- Ich und du (interpersonal) stehen mir im Weg
- Ich und die anderen (extrapersonal) stehen mir im Weg
Lotti und Pablo
Lotti holte sich gleich am zweiten Tag im Spanienurlaub Tipps bei Johannes, unserem Paartherapeuten. Laut und deutlich über FaceTime. Seine Stimme schnitt eiskalt durch das sonnendurchflutete Apartment, in dem ich in einer Strandliege saß und tippte. »Carlota, Liebes, wie kannst du nur davon ausgehen, dass Pablo in seinem Wesen gleich bleibt? Der Typ ändert sich. Der wird nicht nur älter. Auch schwieriger. Du übrigens auch! Die Hormone verdampfen irgendwann. Im Alter wird Narzissmus zwar weniger. Aber dennoch, ihr müsst was tun. Für euch. Wo ist eure Kraft?« Lotti nickte, hatte aber keine Antwort. Ich auch nicht. Kraft macht man sich, dachte ich. Wir machen Yoga.
Johannes sagte dann, wir sollten es mal allein versuchen. Wir würden im Urlaub schon etwas finden. Und wenn nichts hilft, ein Golfkurs habe schon so manche Ehe gerettet. »Ha! Siehste!«, zischte Lotti mir zu. Ich nickte beipflichtend. Na klar. Am Ende war dieser Urlaub ein abgekartetes Spiel. Golf? Niemals! Ehe retten? Nicht damit!
Wenn auf allen drei Ebenen des Lebens Frustration und Leid generiert wird, macht das Leben keine Freude mehr. Oder, um es aus einer narzisstischen Perspektive zu formulieren: Wenn die Realität nicht (mehr) nach den eigenen Vorstellungen geformt und kontrolliert werden kann, wird das regelhaft zu erheblicher Frustration und unmittelbar auch zu Verzweiflung, zum Ausdruck von Wutaffekten, zu Rettungsversuchen und letztlich mindestens zur Erschöpfung, im schlimmsten Fall zu einer Depression führen. Das ist dann eine grandiose Selbstsabotage. Davor bewahrt einen nur der eigene grandiose Narzissmus. Der sich all das Scheitern und die Frustration leisten kann. Aber das können nicht alle. Das können nur die Dickhäuter unter den Narzissten.
Statt einfach weiterzumachen in einer narzisstischen Ego-Tour, die auch Gutes bewirken kann, ohne Frage, sollte man sich darum die Zeit gönnen, innezuhalten. Durch kritische Einsicht in das eigene narzisstische Denken könnte man sich vorsorglich vor zukünftigem Scheitern und vor Frustrationen schützen. Die aus einem unreflektierten Narzissmus unweigerlich erwachsen.
Man könnte die eigene Sabotage prophylaktisch vermeiden. Nur wie? Indem man sich bewusst macht, was für Inhalte man im eigenen Denksystem pflegt, welche Gedanken man also denkt, wie man sie bewertet und wie wichtig man diese nimmt, könnte man die prophylaktische Chance erschaffen, sich von den eigenen ungünstigen narzisstischen Gedanken zu distanzieren, diese hilfreich zu verändern, in bessere Gedanken zu transformieren oder, falls völlig unveränderbar, sogar ganz aufzugeben. Nur, gelingt das immer?
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