Paradoxien aushalten In diesem Buch werden wir die tief verwurzelte Verbindung zwischen Narzissmus, Selbstsabotage und persönlicher Veränderung erkunden. Wir werden uns mit den Mechanismen und Mustern befassen, die uns daranhindern, unsere wahren Fähigkeiten zu erkennen und auszuleben, und damit, wie wir diese Muster durchbrechen können, um eine positive Transformation zu erreichen.
Paradoxien aushalten
Der Mensch musste schon immer mit Widersprüchen klarkommen. Insbesondere im Suchen und Finden der Liebe. Denn er muss sich seinem Paradoxon stellen, (15) um das Überleben der eigenen Art zu garantieren: Er wird von genetisch nicht verwandten Individuen angezogen, von ihnen umworben und pflanzt sich letztendlich sogar mit ihnen fort. Der Mensch ist in der Lage, mit völlig Fremden eine intime Beziehung einzugehen, denen er sonst instinktiv aus dem Weg gehen würde. Es ist die Liebe, genauer: die erotische Anziehung, die es Menschen ermöglicht, Unterschiede zu überwinden und sich mit einem gänzlich fremden Menschen »zu paaren«. Häufig sogar eine lebenslange Bindung zu haben. Alles nur, um gesunde Nachkommen zu bekommen.
Die kleinste Zelle unserer Gesellschaft ist das Paar. (16) Nicht die Familie. Das Paar. Darauf baut alles auf. Die Familie. Die Gruppe. Die Gesellschaft. So bilden wir Menschen Allianzen. Zu zweit. Um zu überleben. Und bei diesem Abenteuer, Grenzen zu überwinden und Extra-Meilen zu gehen, auf dem Weg, unsere wahre Liebe und Bestimmung in der Liebe zu finden, hilft eine globale Industrie der Popkultur und Romantik. Die Idee, sich einen völlig fremden Menschen zu schnappen, ist so reizvoll, so anziehend und motivierend, dass es zur existenziellen Lebenserfahrung des Menschen zählt.
Ganz wie die kanadische Country-Sängerin Shania Twain in ihrem Song »I’m Gonna Getcha Good« erzählt, der die romantischen Bestrebungen der Eroberung besingt: »I’m gonna getcha while I gotcha in sight, I’m gonna getcha if it takes all night, (…) you’re gonna be mine.« Bei dieser widersprüchlichen Handlung, uns mit jemand Fremdem zu verpaaren, um selbst zu überleben, wird unser Gehirn mit großartigen Belohnungen wie Dopamin und Oxytocin überflutet, und das bereitet uns ein tiefes Gefühl von Vergnügen und Zufriedenheit. (17) Man soll eben glücklich sein, wenn man – hormonell gesteuert – diese Hindernisse und Unterschiede überwindet und sich magisch anziehen lässt.
Narzissmus hilft dabei, er hilft, sich großartig zu fühlen. Kleben bleibt man dann langfristig eher aneinander, nachdem die ersten Glücksmomente mit den Hormonen verraucht sind, wenn man mehr tragende Gemeinsamkeiten als untragbare Unterschiede hat. Dabei wird eine Unsäglichkeit durch vier bis fünf freundliche Gemeinsamkeiten ausgeglichen. Die 80-20-Regel (5) in Beziehungen: 80 Prozent Gemeinsamkeiten und 20 Prozent Trennendes. Überwiegt das Trennende, oder erträgt jemand die Unterschiede nicht, trennt man sich wieder. Ein guter Grund für eine Trennung ist auch das Winken mit den Red Flags.
Meinetwegen kann man im Nachhinein damit wedeln. Aber schon bevor man sich auf eine Beziehung einlässt, und so die narzisstisch beflügelnde Wirkung (6) der eigenen Hormone frustrieren? Das ist doch Selbstsabotage – in Bezug auf die Liebe, das Leben und die Hormone.
Laut dem Psychologen Douglas Abbott (18) gibt es mindestens drei wirklich wichtige Prinzipien, die uns zu Größerem in lang andauernden Beziehungen führen: erstens, das eigene Verhalten ändern; zweitens, die eigene Einstellung ändern; und drittens, unser Herz verändern. Sich auch mal entschuldigen, wenn man etwas Falsches getan hat. Sich für das Richtige in der Beziehung entscheiden und eigene Begehrlichkeiten zurückstellen, für das Wohl der Beziehung. Mal zuhören und für den anderen da sein, auch wenn es einem nicht so wichtig erscheint. Mal interessiert den anderen fragen und auf die Antwort warten, ohne zu unterbrechen, ohne von sich selbst zu sprechen. Das hilft.
Wir stecken fest in unseren Beziehungen, wenn wir rechthaberisch an die falsche Idee glauben, daran, dass unsere Beziehung nur dann besser werden kann, wenn unser Partner sich ändert. Das wird nicht funktionieren. Es gibt so viel, was wir selbst tun können, um neues Wissen zu erlangen, neue Einstellungen und neue Fähigkeiten, die uns helfen werden, uns selbst zu ändern. Nur das wird unsere Beziehungen auf positive Weise verändern, weiß Douglas Abbott. Verändern wir uns! Sonst verändern sich nur die anderen – nicht immer zum Guten – und verlassen uns.
Selbstkritische Red-Flag-Reflexion
Ist es wirklich eine Red Flag? Stimmt meine Beobachtung? Habe ich alle Informationen? Falsche Red Flags zu sehen, ist Selbstsabotage. Setze ich Red Flags nur zur Kontrolle des Partners (der Partnerin) und zur Selbstkontrolle? Oder lasse ich mehrere Perspektiven zu, auch die meines Partners (meiner Partnerin)? Nur eine (meine) Perspektive zu sehen, ist Selbstsabotage.
Bin ich zu voreilig, zu reagibel, zu sensibel, eine Red Flag zu vergeben? Ziehe ich vorschnell oder unreflektiert Schlüsse aus einer Situation, die eigentlich völlig normal ist? Bin ich oder auch er (sie) übersensibel? Zu viel Impulsivität im Urteil führt zu Selbstsabotage.
Dilemma: Zu viele Erwartungen und Befürchtungen führen dazu, dass ich mich in meinen Ängsten bestätigt fühle. Folglich sehe ich Red Flags, wo keine sind. Selbstbestätigung durch Selbsttäuschung ist kurzfristig Selbstkontrolle und langfristig Selbstsabotage.
Zeigt sich ein typisch dominantes, manipulatives, missbrauchendes, egoistisches Verhalten? Ist es antisozial und schädigend? Oder harmlos? Zeigt sich dieses Verhalten bei mir, bei ihm (ihr) oder bei uns beiden? Bin ich die Red Flag für den anderen? Zu viel von was auch immer ist Selbstsabotage.
Bin ich zu ängstlich, zu selbstunsicher, zu zögerlich, zu wenig souverän,mich ihm (ihr) gegenüber zu behaupten? Kann ich sein (ihr) »Zuviel« an Verhalten und Äußerungen, das mich belastet, nicht moderieren und nicht begrenzen? Kann er oder sie sein oder ihr Verhalten auf meine Bitte hin reduzieren? Anpassung und Reduktion ist keine Selbstsabotage. Selbstunsicherheit ist Selbstsabotage.
Kann ich es aushalten, wenn es mal nicht nach meiner Fasson läuft? Ambiguitäts-Intoleranz (die Unfähigkeit, Widersprüche auszuhalten) ist Selbstsabotage.
Bin ich zu einem Nein bereit oder zu einem anderen Vorschlag, mit dem Ziel, eigene Interessen durchzusetzen? Es ist ein gutes Zeichen, auch mal nicht gemocht werden zu müssen, wenn man sich um eigene Belange kümmern muss. Ein Nein ist keine Selbstsabotage, aber kein Nein ist Selbstsabotage.
Bin ich zu Abschlägen bereit? Ist er (sie) ebenfalls dazu bereit? Sind die eigenen Kosten zu hoch? Kann ich die eigenen Kosten benennen? Abgrenzung und Grenzen ziehen ist keine Selbstsabotage.
Kann ich eigene Bedürfnisse durchsetzen und verteidigen? Dabei gilt auch das Prinzip der Reziprozität: Geben und Nehmen von positiven Erwartungen und positiven Handlungen von beiden trägt zum Beziehungsglück auf Augenhöhe durch Gleichberechtigung bei. Nur für sich in einer Beziehung sein ist Selbstsabotage und auch Beziehungssabotage.
Zeige ich mich anders als ich sage? Intransparenz, Lügen und Inkonsequenz sind meist Selbstsabotage.
Hilft es dem Gelingen der Beziehung, Red Flags zu verteilen? Wie ist meine SISOSIG (7) -Abwägung: Warum bleiben vs. Warum gehen? (z.B. als Pro-Kontra-Liste) Ab und zu an der Beziehung zu zweifeln, ist keine Selbstsabotage, dauerhaftes Zweifeln schon.
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